Berufsbedingt und weil es mir am Herzen liegt (eventuell in anderer Reihenfolge) beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit der Zukunft(sfähigkeit) von im weitesten Sinne klassischer Musik. Ein komplexes und von Grabenkämpfen zwischen Konzertpuristen und Fortschrittsfanatikern geprägtes und daher leider gebremstes Feld.

Zwei frische Impulse haben mein Gedanken-Sammelsurium zu dem Thema neu sortiert: Eine neue Studie (ja, schon wieder eine!), die das Klassik-Festival Heidelberger Frühling und die Popakademie Mannheim in Auftrag gegeben haben, kommt zu dem Ergebnis, dass sich das klassische Konzert neue Formen suchen muss, um bestehen zu bleiben. Außerdem war ich vor kurzem auf einem Seminar zum Thema „Digitale Strategien für Kultureinrichtungen“ im Silicon Valley Kölns, dem Hipness atmenden Gebäudeensemble „Im Mediapark“. Der Fokus war dabei zwar stark Museen-lastig, was ich aber jetzt – im Nachhinein – als sehr wertvolle Blickwinkel-Bereicherung betrachte.

Beeinflusst durch diese frischen Eindrücke – es könnten aber auch die Nachwehen der Lektüre von Christopher Smalls sehr streitbarem Buch Musicking sein – ist mir ein Gedanke durch den Kopf geschossen, der für den ein oder anderen ein alter Hut sein mag, für mich aber von so erleuchtender Klarheit ist, dass ich ihn gerne an dieser Stelle festhalten möchte:

Die über die Republik verteilten Konzerthäuser gehen alle mehr oder weniger zurück auf das selbstbewusster werdende Bürgertum, das im 17. Jahrhundert begann, eigene Konzerte zu veranstalten. Richtig Schwung kam wohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Sache.

Konzertsäle: Riesige mit Nebenwirkungen

Erstens eiferte man damit dem Adel nach, adaptierte dessen Kultur und Habitus.

Zweitens waren (bzw. wurden und sind) diese Bauten exklusiv, ausschließend. Man wollte (und will) unter seinesgleichen bleiben. Kein Adel, kein Pöbel. Dazu gehört es, sich schick zu machen, das neue Perlencollier an der alten Ehefrau auszuführen und natürlich Sehen und Gesehen zu werden – heute mehr denn je.

Drittens hat sich damit schleichend – aber bleibend – die Darreichungsform der Musik gewandelt. Die Musiker präsentieren die Musik nun auf einem erhöhten Podium, alle Blicke sind zwangsläufig darauf ausgerichtet (weil es die Stühle sind). Wenn die Musik beginnt, gilt es zu schweigen. Der Dirigent als Zeremonienmeister ist Herr (ab und an inzwischen auch: Frau) über Raum und Zeit. Als Hohepriester der Musik leitet er/sie nicht nur das Orchester, sondern die gesamte zweistündige Messe.

Verkürzt gesagt: das Konzert heute ist zum exklusiven Ritual erstarrt.

Kultur für alle*

Eine „Kultur für alle“ der 70er Jahre kann vor diesem Hintergrund doch nur erweitert werden mit der Frage: „Haben Sie denn die Fußnote nicht gelesen?“

*Bildungsbürger und solche, die es werden wollen oder zu sein meinen. Definitiv aber nicht alle im Sinne von „alle“. Das ist dys…utopisch und nicht im Sinne des Erfinders, sondern nur ein Vorwand für 1. eine breite Unterstützung durch staatliche Kulturpolitik und 2. deren Geldströme… ersteres ist nicht unbedingt sooo wichtig.

Ging und geht es inzwischen beim Erhalt des Konzertwesens, den wir ja alle irgendwie kämpfen, also nur um öffentliches Geld für das Freizeitvergnügen einer wohlhabenden Minderheit unter dem Deckmantel „für alle“?

Dann könnte man doch – überspitzt formuliert – jede momentane Orchestertätigkeit, die annähernd in Richtung Musikvermittlung, music education, Integration oder Partizipation zielt, als nicht ernst gemeint bezeichnen. Diese Aktivitäten haben dann doch Feigenblatt-Charakter, sollen das eigene schlechte Pharisäer-Gewissen beruhigen. Keiner will wirklich ALLE Menschen in einem Konzert, so wie wir es kennen. Denn das würde schlicht den Charakter dieses weihevollen besonderen Ereignisses unterminieren!

Und hier gilt es, Farbe zu bekennen: meinen wir es ernst und kämpfen tatsächlich für die klassische Musik oder „nur“ für den Erhalt des klassischen Konzertformats, um ungestört und fernab von der schnöden, mit Menschen überfüllten Welt uns selbst zu feiern?

Die Antwort sollte uns leicht fallen…oder? Das Bekenntnis zur Musik schließt keineswegs ein „Ja zum Konzert“ kategorisch aus, aber uns sollte klar sein: die zwei Begriffe Musik und Konzert sind nicht (mehr) gleichbedeutend. Der Einsatz pro Musik bedeutet also nicht unbedingt, möglichst viele Menschen in die Konzertsäle zu bringen, sondern, die Musik in unterschiedlichem Gewand „allen“ vorzustellen und zugänglich zu machen. Musik muss wieder freier atmen können, muss andere Darreichungsformen (wieder)entdecken – wie es z.B. das Ensemble Resonanz toll vormacht: „best practice EVER“ – und muss sich auch mal selbst nicht soo wichtig nehmen dürfen. Ohne, dass gleich der Untergang des Abendlandes prophezeit wird.

Andere Menschen oder Schichten oder Altersgruppen scheuen nicht unbedingt die wundervolle Musik, sondern die eng geschnürte Verpackung.

Also sollten wir die Musik zusätzlich zum „normalen“ Konzertbetrieb anders feilbieten, anders präsentieren! Noch einmal zum Schluss: ich möchte das klassische Konzert nicht abschaffen, ich selbst genieße oft genug selbst die Klangqualität und Atmosphäre eines guten Saals. Aber wir müssen die Palette erweitern, mit der wir die Menschen für die faszinierenden Klangwelten begeistern wollen… werden. Für ALLE!

[Pathos-Mode: OFF]