Nein ich rege mich nicht wirklich auf. Aber eine Sauerei ist es schon. Seit bald zwanzig Jahren bin ich Mitglied des Männerchores „Germania Rosenbüttel“. Erst als Bariton, jetzt als Bass. Wir sind eine fünfzehnköpfige „Community“ – oder wie das neumodisch heißt. Früher waren wir fast vierzig. Meiner Meinung nach liegt das an der Landflucht. Alle Jungmänner hauen ab in die Stadt. Dort kann man angeblich auf mehr Kohle hoffen.

Weil wir gern auch den Kirchenchor verstärken (lauter Frauen, alle jenseits der Wechseljahre) machen natürlich auch wir uns über Nachwuchs Gedanken. Am liebsten bei unserem Stammtisch im Wirtshaus „Zur blauen Lagune“, gleich neben der Gerberei, wo auch unser Probensaal mit dem Schimmel-Klavier steht, das seinen Namen zu recht trägt, weil unsere Tenöre da immer ihr Dunkles reinkippen, falls die Chorprobe mal ausartet.

Also: erst kam ein junger Pastor und löste unseren mittlerweile siebzigjährigen feinen hohen Tenor, Pfarrer Emanuel Treuhand ab. Mit einer Knödel-Stimme, die vermutlich von irgendwelchen kommerziellen Stimm-Trainern aus den protestantischen Coaching-Zentren derart ins Verlogene verbogen war, dass wir inzwischen unser Kirchlein neu verputzen müssen. Als vermutlich deshalb unser Chorfürst Max „der Reger“ Harnischfeger einen Schlaganfall erlitt, wurde uns ein mittdreissiger Jungspund vor die Stimmbänder gesetzt. Pfaffe und Bürgermeister drohten ansonsten gemeinsam mit Entzug des kostenlosen Probenraumes und des Proben-Bieres.

Da vergeht einem schon die Lust am Singen. Aber es kam noch schlimmer. Jens („nennt mich Jimmy“) Kohlenkötter, unser neuer Einpeitscher, verdoppelte nicht nur die Übezeiten, verlegte die Proben in die kinderschweiß-müffelnde Turnhalle der Dorfschule, verbot Getränke während der bislang gemütlichen Singe-Phasen. Schlimmer: Er wollte auch noch unser „verstaubtes“ Repertoire auffrischen.

Dabei waren wir nicht etwa bei „Waldeslust“ stehengeblieben, hatten feine Versionen von den „Prinzen“ oder den „Wise Guys“ drauf. „Alles zu unkommerziell, zu politisch, zu artifiziell“ meinte Jimmy. Wir sollten erst mal sprechen lernen – und dann mit ordentlichem Poetry-Slam starten, bevor wir zum flüssigen Kollektiv-Rap übergingen.

Erstmals wollte ich diesmal mein als Mineralwasser getarntes Dunkles ins Turnhallenklavier schütten, woran mich grade noch unser Knödel-Pastor hinderte. Sein Argument, es mache keinen Sinn, Musikinstrumente zu zerstören, leuchtete mir ein. Was dann folgte, schnürte mir aber den Hals ab: Er wolle zu Weihnachten eine moderne, zeitgemäße Predigt halten. Vernünftiger Konsum sei doch die Triebkraft unseres Fortschrittes und Wachstumes. Freihandel sei angesagt. Er plane statt verzopfter „Stille Nacht“ und trübem „Tannenbaum“ ein Medley aus „Money makes the World go round“, „Money, Money, Money“ (Abba) und “Für immer jung” (Karel Gott) in der Weihnachtsandacht singen zu lassen. Das sollten wir einüben. Das sei realistisch, protestantisch zukunftsträchtig.

„Germania Rosenbüttel“ zog sich, immerhin noch acht Mann stark, in die „Blaue Lagune“ zurück. Nach ein paar Kümmel wurde uns klar: Da hilft nur eins. Streik. Wir singen nicht mehr. Und dann fielen sich acht unterschiedlich schwere, etwas ältere Männer in die Arme und weinten bitterlich.