Es kommt selten genug vor, dass sich die oberste Kulturhüterin, die Bundeskanzlerin, zu Frage der Kulturpolitik oder -organisation äußert. Umso hellhöriger wird man. Beim Sommerfest des vprt (Verband Privater Rundfunk und Medien e.V.) vorgestern in Berlin war es mal wieder so weit. Auf der Website des vprt kann man da lesen:

„Wenn Kreativität und kulturelle Betätigung keinen Wert mehr haben, weil der angeblich freie Zugang zu allem der Maßstab sein muss, dann geht etwas verloren und dann wird es wirkliche Kreativität nicht mehr geben „, so die Kanzlerin. Sie betonte, dass man deshalb auch in der Politik für ein vernünftiges Urheberrecht geradestehen würde.“ (Quelle: Website vprt)

Holla, doch so präzise. Man muss ja den vollen Wortlaut abwarten und kann sich nicht auf die Wortkrümel aus dritter Hand verlassen, aber was in Anführungszeichen steht, sollte schon stimmen. Hier gibt es eine recht eigenartige Logik. A hat kein c, weil B, also A. Im Prinzip will sie nur sagen:

Freier Zugang zu allem führt dazu, dass Kreativität keinen Wert mehr hat und es deshalb nicht mehr wirkliche Kreativität geben wird.

Da sind so viele Unbekannte eingeschlossen wie (Zugang zu allem) und die Differenzierung zwischen wirklicher und implizit damit ausgedrückt unwirklicher Kreativität. Was soll das nun sein, unwirkliche Kreativität. Meint sie damit die Kunst und des Menschen Ausdruck von der Stange, also das, was man im Groben unter Kulturindustrie versteht? Was würde man damit verlieren – außer Arbeitsplätze und ästhetischem Unfug?

Oder ist damit gemeint, dass unsere ganzen Avangardisten als Erzeuger wirklicher Kreativität in Schräglage kämen, wenn das Zeug nun jedem zugänglich würde? Aber ist das nicht schon so? Aber nicht, weil einem der Zugang dahin versperrt würde. Überhaupt ist die Beziehung zwischen wirklicher Kreativität und Zugangsfreiheit noch nirgendwo empirisch belegt worden, so wenig wie das Gegenteil. Aber auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wertschätzung und Kreativität ist nirgendwo belegt, eher das Gegenteil. Selbst wenig wertgeschätzte Komponisten schreiben Stücke.

Ist also beispielsweise Charles Ives ein Vertreter der Gruppe der unwirklichen Kreativen, oder ein Frederic Rzewski, der zum Beispiel „Les Moutons de Panurge“ freigegeben hat (die Noten)? Und zeugt es von besonderer Kreativität, wenn man den Zugang dazu möglichst unmöglich macht? Je weniger Zugang, desto höher die Kreativität?

Muss ja! Die Kanzlerin hat es so gesagt, dann wirds ja wohl auch stimmen.

Jeder hört, was er hören will. Die Union deutscher Jazzmusiker ist jedenfalls hellauf begeistert.

Es ist wirklich erstaunlich! Klingt gut soweit, wow! Was haben die da gehört?

„Kreative wie Autoren, Filmemacher oder Musiker (!) müssen für ihre Leistung auch im Netz bezahlt werden“

Die UdJ setzt den Akzent auf Musiker, ich würde ihn auf das „müssen“, aber mit Fragezeichen, setzen. Aber selbst das beiseite, vermissen Sie es nicht, das Wort „gerecht“ bei bezahlt? Welcher eigenartige Traum reitet da die Jubler?

Oder sollen wir jetzt schon einfach froh darüber sein, dass die Kanzlerin gesprochen hat so wie eine junge Göttin zu ihren Jüngern? „Ah, Sie denkt an uns und ist gar nicht mal böse mit uns. Mamaaaaa! Wir lieben Dich.“ Ist es soweit gekommen.