New Music for the City – risonanze erranti mit sechs Uraufführungen im Schwere Reiter

Logo von Schwere Reiter Musik I/18

Am Mittwoch eröffnete der Dirigent Peter Tilling mit seinem Ensemble „risonanze erranti“ den 2018er-Reigen Neuer Musik im Münchner Schwere Reiter. Unter dem Motto „new music for the city“ schrieben Tilling und die aus der ganzen Republik angereisten MusikerInnen und KomponistInnen dem Münchner Musikleben mit sechs Uraufführungen zeitgenössisches Musizieren auf höchstem Niveau ins Stammbuch.

Werbung

Den warmen und vollen Posaunenton von Frederic Belli habe ich heute noch im Ohr, den er in Ruzickas STILL, ein „Memorial“ für Posaune und Ensemble, an den Tag legte. Belli verzauberte mich schon einmal mit seinem Trombone Unit Hannover auf den Donaueschinger Musiktagen mit Georg Friedrich Haas‘ rheingoldartigen „Oktett für 8 Posaunen“ – wo man eher an 12 Oktettisten dachte, wie er und seine Kollegen präzise Zwölfteltöne ganz dem Ensemblenamen nach im vollendetsten Unisono hervorbrachten.

Amr Okba komponierte für Peter Tilling sein Cellokonzert namens „Labyrinth“, mit dem Dirigenten höchstselbst am Soloinstrument und dem Komponisten als dessen Umblätterer. Labyrinthisch im visuellen Sinne war jedenfalls die Koordination zwischen eigenem Cellospiel und Einsatzgeben für das im Rücken Tillings sitzende Ensemble. Das Werk selbst, ganz klassisches Konzert mit Kadenz im zweiten Drittel, verknüpfte permanent wiederkehrende Triller mit anschliessenden ab- oder aufsteigenden chromatischen Girlanden, denen das Solocello mit ruhigerer Linearität und ein paar zarten Ausbrüchen begegnete, von denen man sich ein paar mehr auch für das Ensemble gewünscht hätte und diese sich im eigenem Kopf selbst zurechtkomponierte.

Genauso klassisch in der formalen Anlagen war auch die „Sinfonietta“ von Anno Schreier. Den Eröffnungssatz „Vortex“ verstand man als eigenständige, nicht-mikrotonale Fortschreibung des Beginns von Griséys Vortex Temporum. Diese Hommage hinterließ sehr dicht gefügt, meisterlich virtuos gespielt und kurzweilig durchgeführt einen sehr starken Eindruck. Der zweite Satz war eine sauber ziselierte, imitatorisch durchbrochene Arbeit von rimski-korsakowscher Eleganz, das triolose Scherzo versüsste schostakowitschhafte Maschinenmotorik mit tschaikowskyartiger Leichtigkeit. Das Finale warf den letzten Ballast Neuer Musik von Bord und versöhnte Hans-Zimmer-Drive mit Edward Elgars nie endendem Melos.

Benjamin Scheuer, der – man verzeihe mir den Ausrutscher – mit seiner Frisur irgendwie an den jungen Rihm erinnert, komponierte mit „REGAL“ für Ensemble mit Sampler eine Musik, die allein aufgrund des Titels eine Erinnerung an Enno Poppe sein könnte, wenn man an dessen „Schrank“ denkt. Regal heisst hier auch ein Satz und meint den Klang der Truhenorgel der französischen Renaissance. Scheuer wäre allerdings nicht Scheuer, wenn daraus nicht was Anderes würde: der gesampelte Sound des Orgelinstruments übertrug sich auf das Ensemble, dieses zum Teil mit Spielzeuginstrumenten erweitert, ließ in der nicht zu lang geratenen Verfremdung an eine Abstellkammer denken, in der ein das Sprechen lernender Musikbabygolem aus Instrumentalschrott sein Unwesen treibt.

Analog verhielt sich die Flötenfee in „Geflöte“. Am wenigsten verfremdet war übrigens der erste Satz, womit man ihn für unspektakulär halten mag. In seiner puristischen Klanglichkeit und musikalischen Dichte hinterließ er – ähnlich wie bei Schreier – den stärksten Eindruck dieses zyklischen Werkes. Wenn Scheuer seine Musik noch mehr schärfen würde, manche zu grobe Spasskonvention hinter sich lassen würde, könnte er sich irgendwann zwischen dem feinen Humor Gordon Kampes und der Verfremdung Lisa Streichs wiederfinden. Auf den Punkt gebracht ist seine Musik bereits in formaler Hinsicht, jetzt beginnt vielleicht die härteste und entscheidende Arbeit am kompositorischen „Es“.

Von Birke Jasmin Bertelsmeier erklang zu Beginn des Abends „Beschwingt“ aus ihrer Suite für Ensemble und von Timo Ruttkamp „WEIT“. Beide Werke verteilten die Musiker im Raum. Bertelsmeiers Werk war ein elegisches Fliessen und Strömen einer vom Englisch Horn ausgehenden Linie, sehr konsequent in der Gestaltung der natürlich-musikalischen Reaktionen der Instrumente untereinander, zudem kein Takt zu lang konzis getimt.

Ruttkamps Musik war die erratischste des Abends: auch hier wollte ein Fliessen beginnen, wurde aber immer wieder unterbrochen. Das eine oder andere Instrument scherte vorsichtig aus, wagte den leisen Widerspruch gegen die Uniformität der bunten Masse. Was als private Kunst beginnt trägt doch den Kern des Politischen in sich, den noch nicht ausbrechenden, vor der eigenen Gewalt zurückschreckenden Nucleus eines sich gerade erst formierenden „Indignez-vous!“ Die Musik Ruttkamps, die den Widerstand nicht wüst durchbrechen lässt, führt ihn wieder elegant in das Netz des Erratischen zurück.

Mehr Neue Musik im Schwere Reiter: Sa. 20.1.18, 20 Uhr, DUO2KW (Kai Wangler, Akkordeon und KP Werani, Viola) mit Werken vom Wahlmünchner Henrik Ajax, Gérard Pesson, Sergej Newski und KP Werani sowie am So. 21.1.18, 20 Uhr, dedicated to… Johannes Öllinger mit Werken von Felix Leuschner, Helmut Oehring, Stepha Schweiger,
Tom Sora und Bernhard Weidner (Johannes Öllinger, Gitarre, Florence Losseau, Mezzosopran, Thomas Hastreiter, Schlagzeug, Johannes X. Schachtner, Moderation)

Logo von Schwere Reiter Musik I/18

Komponist*in

Komponist*in