Amerikanisches Tagebuch, 10. Tag

Diesen Sommer verbrachte ich im August 2 Wochen in den USA, diesem seltsamen Land der Widersprüche, Abgründe und dennoch immer wieder auch Hoffnung. Der Grund: Musik. Ich besuchte sowohl die Musikfestivals in Tanglewood als auch in Staunton, Virginia, nur eine halbe Stunde von Charlottesville entfernt. Diese Aufzeichnungen sind eine Fortsetzung meines Komponistentagebuchs, Tag für Tag aufgezeichnet, nun schon in der Vergangenheit, aber nicht sehr weit entfernt von der Gegenwart.

Tag 10

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DT
Trump könnte wahrscheinlich auf seinen Schreibtisch scheißen oder dement und sabbernd den Dritten Weltkrieg heraufbeschwören und mancher seiner Anhänger würde das immer noch als „alternative facts“ abtun, die ihn angeblich diskreditieren sollen.
Auch wenn man meint, dass man in Europa viel zu viel über Trump redet – hier redet man NOCH mehr über ihn. Ganze Fernsehprogramme sind alleine Trumps neuen Ausrutschern gewidmet, alle Amerikaner die ich treffe reden über nichts anderes als die präsidentische Schande. Auch meine reizenden Gastgeber sind von dem Thema wie besessen und schließen sogar Wetten darüber ab, wie lange Trump es noch im Oval Office macht. Carl wettet, dass Ende des Jahres mit seiner Präsidentschaft Schluss sei, Linda dagegen wettet, dass er seine volle Amtszeit machen wird. Wir alle – Linda eingeschlossen – hoffen, dass Linda die Wette verliert.
Inzwischen hat der ultrarechte Bannon das Weiße Haus verlassen, Trumps ehemaliger Ghostwriter prophezeit Trumps Rücktritt. Trump selber wiederum weist anlässlich des Charlotteville-Mordes unglaublich geschmackvoll darauf hin, dass er dort ja ein Weingut besitzt und daher den Ort „kenne“. Wahrscheinlich trifft sich dort nachmittags der Ku-Klux-Klan zum Tee und Kuchen.

Das „Tomato Sandwich“ ist auch Thema zahlreicher Zeitungsartikel und Glossen

Tomato Sandwich

Jede Region auf diesem Planeten kennt eine bestimmte lokale Spezialität, die die Menschen dort mit „Heimat“ verbinden und zu der sie eine besondere Beziehung entwickeln. Ich kann mich z.B. erinnern, dass Hans Werner Henze Tränen in den Augen bekam, wenn er ein Pumpernickel-Brot mit westfälischer Leberwurst essen durfte.
Für die „Virginians“ ist es der „Tomato Sandwich“, der diese Gefühle hervorruft. Nun kann man sich unter „Tomato-Sandwich“ alles Mögliche vorstellen – vielleicht eine Art aufwändige „Bruschetta“ – Variation mit Olivenöl und Gewürzen, oder auch eine exquisite Tomatencreme, Käse, Kräuter…
Doch nein – die Rezeptur für einen „Tomato Sandwich“ ist denkbar simpel, und ich teile sie hier mit meinen geneigten Lesern:
– man nehme eine große Fleischtomate und schneide ein großes Stück ab
– man presse diese Tomate zwischen zwei Weißbrotscheiben
– fertig
(optionale Zutat: Mayonnaise, aber nicht zuviel)
Nun kann jeder von uns ein kleines Stück Virginia zu Hause erleben. Bitteschön.

Das Balzverhalten junger Amerikaner

Junge Menschen und ihr wichtigstes Kommunikationsmittel – damit kann man sich unterhalten, ohne sich anzuschauen!

Abends große Party bei einem der Sponsoren. In der Garage ist ein riesiger Tisch mit Alkoholika aufgebaut und es gibt Unmengen von Snacks und Essen. Unser aller liebste Bühnenarbeiterin (KG genannt) singt ein Ständchen, der Chef der „Happenstance“-Theaterkompanie imitiert (großartig) alle Musiker des Festivals (oder zumindest die meisten). Es wird zünftig getanzt und gefeiert, und es ist wahnsinnig nett. Ich habe mich ein bisschen mit den jüngeren Festivalhelfern angefreundet, darunter X, die hübsche PR-Aushilfe aus New York. Y – einer der netten Bühnenarbeiter – steht anscheinend ein wenig auf Habiba, was dieser über Dritte zugetragen wurde und durchaus ihr Interesse weckt. Nun sind beide auf derselben Party und es stellt sich nun die drängende Frage, ob beide dort noch ein wenig bleiben, oder ob sie gemeinsam bzw. getrennt von dort abziehen. X sitzt also vor mir und tippt eifrig in ihre Whatsapp-app, um hierüber mit Y zu kommunizieren. Was allerdings seltsam ist – Y steht nur wenige Meter von ihr entfernt und tippt ebenfalls in sein Handy. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass dies doch ein wenig ungewöhnlich sei und man doch auch einfach direkt mit Y sprechen könne um diese Entscheidung zu treffen, es ist ja nicht so, dass beide sich nicht kennen oder irgendwie besonders schüchtern sind. Ich ernte verständnislose Blicke – auch von Y Freundin Z. Anscheinend ist es für junge Amerikaner vollkommen normal, auf diese Weise zu kommunizieren, selbst, wenn man direkt nebeneinander steht und es keinerlei Grund gibt, „geheim“ zu kommunizieren, da ja eh jeder weiß, wer da auf wen steht. Den ganzen Abend geht es hin- und her zwischen den beiden. X schickt sich an, zu gehen, dann bleibt sie wieder draußen stehen und tippt in ihr Handy, dann kommt sie wieder. All dies anstatt einfach direkt mit Y zu sprechen.
Zukünftige Ehepaare werden sich wahrscheinlich auch per whatsapp das Jawort geben oder sich zur Geburt ihrer Kinder gratulieren.

Moritz Eggert

Und so singt man „Crazy“ auf amerikanischen Parties:

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