Aus dem Tagebuch eines Komponasten: Besuch in Sondershausen

Es wird spürbar leerer, wenn man den Zug von Berlin nach Sondershausen nimmt. Spätestens wenn man durch einsame und verwaiste Bahnhöfe fährt, an denen man nur Halt “nach Zeichen” macht, weiß man, dass man sich auf dem Weg in irgendeine Form von Provinz befindet.

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Aber dort kann sich ja durchaus Erstaunliches zutragen. In Sondershausen proben zum Beispiel junge Musiker des “Ensembles der Länder” schon seit einigen Tagen unter der Leitung von Juri Lebedev mein Stück “pulling the weed” um es dort zusammen mit dem wunderbaren Münchener Ensemble “Claeng” uraufzuführen. Mein Blogkollege Alexander Strauch war schon ein paar Tage vorher wegen einer eigenen Uraufführung dort, und erlebte anscheinend am eigenen Leibe, dass die Bürgersteige in Sondershausen spätestens um 21 Uhr zugeklappt werden. Ich dagegen erlebe direkt nach meiner Ankunft eine lebendige und aufmerksame Probe meines Stückes mit den jungen bis blutjungen Musikern, obwohl sie dadurch sogar fast ihr Abendessen verpassen und eigentlich ungeduldig sein sollten.

 

Das Festival “Herbstfrequenzen” wird vom Verein für Junge Musik e.V. organisiert, da wirken auch meine lieben Kollegen vom via nova – Festival aus Weimar mit, eine der rührigsten und erfreulichsten Neue-Musik-Initiativen im Osten unseres Landes. Der Auftrag für mein Stück kam ein bisschen holterdipolter zustande – zwar hatte mich Johannes Hildebrandt schon lange angefragt, aber erst vor kurzem war die Finanzierung dieses Projektes sicher, und damit auch erst mein Auftrag, den ich in diesem Moment schon fast vergessen hatte. Business as usual, könnte man sagen – viele Festivals und Initiativen bewegen sich in diesem Bereich aus einerseits erfreulicher deutscher Förderfreundlichkeit gepaart mit ewiger Unsicherheit ob dieser Förderung bis zum letzten Moment.

 

Mein Stück ist also in gewisser Weise ein Schnellschuss, aber manchmal probiert man dann auch etwas aus, was man sonst nicht ausprobieren kann, daher bin ich am Ende sehr dankbar über das Zustandekommen dieses Auftrags und auch glücklich mit der eigenen Arbeit.

 

Aber genug über mich – in dem Konzert am Sonntag waren schamanische Klänge von Peter Köszeghy, feine Akkordstudien von Johannes X. Schachtner, eine kulinarische Klangzauberei von Verena Marisa Schmidt und ein abwechslungsreiches Turntable/Theremin-Konzert von Johannes Hildebrandt zu hören, neben sensiblen Improvisationen von CLAENG aus München.  Die jungen Musiker spielen das mit großer Selbstverständlichkeit – schließlich haben sie als “Ensemble der Länder” (ein Bundesjugendensemble aus verschiedenen Landesjugendensebles für Neue Musik) schon mehrere Tage im atemberaubend schönen Ambiente des Schlosses in Sondershausen (Thüringer Landesmusikakademie) verbracht, betreut von hochprofessionellen Musikern aus den verschiedenen Bundesländern. Auch das Publikum (mit hohem Rollatorenanteil, dem Altersprofil der Bewohner von Sondershausen entsprechend?) nimmt dies dankend zur Kenntnis und freut sich mit den jungen Musikern. Danach gibt es auch ein Buffet, ein “Konzert mit Dip”, so wie es in Sondershausen beworben wird. Auch einige Eltern sind angereist, und zum Schluss trifft man sich zum gemeinsamen Gruppenfoto bei Sonnenschein und blauem Himmel. Und schon verstreuen sich wieder alle, und lassen das malerische Sondershausen hinter sich, in dem man beim einzigen Italiener vor Ort mit “Chef” angesprochen wird und einen Grappa aufs Haus bekommt.

 

Johannes Hildebrandt fährt mich zum Bahnhof, und ich steige wieder ein in einen leeren Zug, der sich auf dem Weg nach Berlin zunehmend füllen wird, bis er endlich in der Hauptstadt ankommt. Aber letztlich ist für uns Musiker überall dort Hauptstadt, wo schön und leidenschaftlich Musik gemacht wird, und wo man an der Zukunft eben derselben arbeitet. Dort kommt man gerne hin, und dorthin kommt man auch gerne wieder, Bürgersteige hin oder her!

 

Moritz Eggert

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