Amerikanisches Tagebuch, 1. Tag

Diesen Sommer verbrachte ich im August 2 Wochen in den USA, diesem seltsamen Land der Widersprüche, Abgründe und dennoch immer wieder auch Hoffnung. Der Grund: Musik. Ich besuchte sowohl die Musikfestivals in Tanglewood als auch in Staunton, Virginia, nur eine halbe Stunde von Charlottesville entfernt. Diese Aufzeichnungen sind eine Fortsetzung meines Komponistentagebuchs, Tag für Tag aufgezeichnet, nun schon in der Vergangenheit, aber nicht sehr weit entfernt von der Gegenwart.

 

Tag 1

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Flug

 

Mein Sitznachbar ist mindestens 1,90 groß und sehr, sehr breit. Er reist zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder, die beide mindestens ebenso groß und breit sind. Anscheinend geht er in den USA zur Schule, obwohl er aus Deutschland stammt. Bevor wir in New York landen, beschreibt er detailliert die genauen Flugzeugmodelle, mit denen er schon in die USA gereist ist, außerdem zeigt er auch aus der Luft auf verschiedene Football-Felder, ich schließe daraus, dass er mit dem Sport aus eigener Erfahrung vertraut ist, was natürlich bei seiner Statur irgendwie passen würde. Nur eines bringt er merkwürdigerweise durcheinander: seiner Ansicht nach landen wir nicht etwa im New Yorker „JFK“- (John F. Kennedy)-Flughafen, sondern im „KFJ“-Flughafen. Vielleicht eine Dependance von „KFC“ (Kentucky Fried Chicken). Als ich das Flugzeug verlasse habe ich plötzlich das Gefühl, unendlich viel Platz zu haben. Ich bin im Land der Freiheit angekommen.

 

Einreise

 

Wie immer hat das Sammeln der Formulare für ein „Business“ (Arbeitsvisa) B-1 mehrere Monate Vorbereitung in Deutschland in Anspruch genommen. Hierbei muss man endlose Online-Formulare ausfüllen, die unter anderem verlangen, dass man jede Schule auflistet, die man je besucht hat, mit Adresse natürlich, sowie alle Kontaktpersonen dort und am besten noch die Privatadressen aller Lehrer, die einen jemals unterrichtet haben, sowie die genaue Anzahl deren Haustiere. Natürlich übertreibe ich etwas, aber nicht sehr viel. Dieses Formular braucht man, um in den USA irgendein Honorar zu bekommen, auch wenn es nur 10 Dollar als Straßenmusiker sind.

Die Einreise selber ist dann fast eine Enttäuschung. Irgendwie erwartet man, dass ein großes Empfangskomitee einen mit Sekt und Konfetti empfängt, weil man es endlich in die USA geschafft hat. Stattdessen steht man 1 Stunde in der Schlange. Mein Grenzbeamter ist recht freundlich und fragt mich danach, ob ich noch Lampenfieber habe als Musiker. Nein, das habe ich nicht, aber sehr viel Lampenfieber vor Grenzbeamten, antwortete ich. Hierüber musste er dann doch lachen.

 

Fahrt

 

Eigentlich wollte ich bei meinem Bruder in New York übernachten, doch die letzte Probe meines Stückes in Tanglewood ist auf den frühen Morgen des nächsten Tages vorverlegt worden, daher hat man sich kurzerhand entschlossen, mich schon am Tag meiner Ankunft nach Tanglewood bringen zu lassen, sicherlich keine billige Angelegenheit. Tanglewood ist ca. 3 1/2 Stunden von New York entfernt.

Mein Fahrer ist ein kleiner nervöser Philippino, der mich zu einem schicken weißen Auto bringt. Überhaupt sind die meisten Autos in den USA weiß, was mir zum ersten Mal auffällt, denn anstatt New York direkt gen Norden (und Massachusetts) zu verlassen, stehen wir zuerst einmal endlos in einem Stau vor „KFJ“. Es dauert eine Ewigkeit, bis wir das Stadtgebiet verlassen, wobei wir tatsächlich an einem Golfplatz in New Jersey vorbeifahren, der Donald Trump gehört und auch so heißt. In den nächsten Tagen sollen von genau diesem Golfplatz alle Tweets gegen Nordkorea gesendet werden, denn Trump hält sich auf diesem Golfplatz tatsächlich selber oft auf.

Irgendwann weichen die vielen Tankstellen und Drive-Ins einer endlosen Waldlandschaft. Wir sind zweifelsohne in Neu-England, dem alten Herzen Amerikas. Plötzlich ist kaum noch ein Auto auf den Straßen, links und rechts allein Wald, alter Indianerwald, ab und zu einmal ein kleiner Tümpel. Immer wieder tauchen in regelmäßigen Abständen Häuser links und rechts auf, keineswegs Ortschaften, sondern einzelne Häuser, vollkommen isoliert und scheinbar willkürlich in der Landschaft verteilt. Manche sind heimelig, manche sind großkotzig oder schlicht und einfach komplett verlassen, mit blätternder Farbe und tot wirkenden Fensteraugen. Geisterhäuser wie aus einem Horrorfilm, mit verrosteten Kinderschaukeln vor dem Haus. Tatsächlich werden fast alle amerikanischen Geisterhausfilme in dieser Gegend gedreht, und ich verstehe sofort warum. Alle diese Häuser stehen etwas abseits der Landstraße, direkt am Waldrand. Ortsschilder gibt es fast keine. Obwohl man hier keineswegs in der einsamsten Gegend der USA ist, fühlt es sich für einen Europäer schon verdammt einsam an. Was machen diese Menschen hier? Was arbeiten sie? Man sieht kaum Landwirtschaft, wenige Bauernhöfe, keinerlei Industrie. In vielen der Häuser laufen Fernseher, Nachrichtensendungen, die einzige Verbindung zum Rest der Welt.

Im Radio laufen seltsame Country-Sender, die Lieder mit noch seltsameren Titeln spielen, von denen ich noch nie gehört habe.

 

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit und dem Passieren immer gleicher Kreuzungen mit einem Minimum an Schilderinformation, kommen wir in Lenox, MA an, oder vielmehr in einem anonymen Hotel am Ortsrand. Mein Fahrer ist sehr schlechter Laune – er muss den ganzen Weg nach New York zurückfahren, und er flucht, weil sein GPS kein Signal empfängt. Ich habe keine Ahnung, ob er den Rückweg geschafft hat. Eventuell musste er in einem der Geisterhäuser Zwischenstation machen, um dort die Nacht zu verbringen.

(Moritz Eggert)

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