Roboter-Dirigent & Andrea Bocelli – wann gibt’s den Robocelli und mehr

Youtube Screenshot aus einem Fanvideo (Quelle yt/ M. Loiodice)

Vorgestern, Premiumtratsch: der sogenannte Tenor Andrea Bocelli vom Pferd gefallen! Klar, wo der Apfel nicht weit vom Pferd fällt und dies eine Schlagzeile wert ist, Mensch und Tier aus Fleisch und Blut Dinge gemeinsam erleben, wie man es schon seit Homer kennt, ist das ein kleiner Aufreger. Zuvor revolutionierte Bocelli allerdings die Musikwelt, wie immerhin die „nmz“ wusste: „Roboter dirigiert Konzert mit Andrea Bocelli.“ Wenn das sonst ausser der Fachzeitschrift keinen interessiert, ist die gute, alte Welt noch in Ordnung? Noch!

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Youtube Screenshot aus einem Fanvideo (Quelle yt/
M. Loiodice)

Die gute Nachricht am Anfang des ersten Absatzes: Bocelli gemäß seiner Facebookseite ist beim Sturz vom Pferd angeblich nichts gravierendes passiert. Beim Auftritt mit dem Roboter-Dirigent ist anscheinend auch nichts passiert, denn nicht einmal Bocellis Facebook-Seite wusste gestern etwas von dieser Veranstaltung, die weniger ein Konzert als eine Werbeshow für den Roboters „YuMi“ der Firma ABB war. Schauen wir uns das Video von der Show an. Zuerst leitet der ABB-CEO Spiesshofer ein, dann versteigt sich ein Mitarbeiter der Firma zu der Aussage, dass ihr Roboter irgendwann die ersten Proben eines Probenzyklus leiten wird, wenn der Jet-Set-Dirigent gerade am anderen Ende der Welt weilt – erzählt das mal ja nicht Herren wie Gergiev.

Die Maschine ist immerhin in der Lage, die Bewegungen eines lebendigen Dirigenten in ein paar Stunden zu lernen und mit organisch anmutenden Abläufen seiner Arme, die einen Dirigierstab halten, nachzuahmen. Nach den Erklärungen der Firma endlich ab Minute 2:52 Musik. Die Philharmoniker aus Lucca und eine Sängerin führen imaus Puccinis „Gianni Schicchi“ die Arie „O mio babbino caro“ auf. Was durchaus fasziniert, sind die Fermaten und „colla parte/con canto“-Stellen, wo der Fluss der Musik und der Dirigierbewegung glaubhaft verlangsamt wird.

Beim Intermezzo aus Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ sieht man ein Stück ohne Sänger, an den sich das Orchester auch zur Not halten könnte. Was vor allem fehlt: das bei aller sauberen Schlagtechnik für den Ausruck wichtige Minenspiel des Dirigenten, gerade bei solch einer Schnulze unverzichtbar, um ein wenig Spannung zu vermitteln. Denn die fehlt dem Orchester aus Lucca in diesem Moment. Was auch die schauerlich intonierten Streicheroktaven erklären könnte. Beziehungsweise fehlt heute noch das blitzschnell Intonationsfehler erkennende Ohr des sofort korrigierenden Dirigenten. Wer genau hinsieht, merkt, dass der Konzertmeister versucht die Leitung zu übernehmen.

Absurd wird die Show mit dem Auftritt des sogenannten Tenors Andrea Bocelli. Ihm stellt man in der Arie „La Donna è mobile“ aus Verdis „Rigoletto“ den ersten Flötisten zur Seite, damit der sehbehinderte Sänger Orientierung hat. Das Ergebnis: die Intonationsprobleme des Orchesters werden noch größer trotz der guten Bewegungen des Roboters. Man kommt solala durch, wie das Bruchstück vermittelt. Das Publikum schreit Bravo, nun, das tut es bei Bocelli mit oder ohne Dirigent. Ein Dirigent würde zum Applaus das Orchester zum Aufstehen animieren, den beiden Solisten danken, vielleicht weitere Musikerinnen und Musiker für ihre Leistung hervorheben. Der Roboter rollt seine Arme nur in den Default-Modus zurück, als würde sich ein Insekt ausruhen.

Will man positiv gestimmt sein, wäre die Hauptkritik, dass es dem Roboter an einem Gesicht, Ohren und Möglichkeiten empathischen Agierens mangelt. Das wäre eine höhere Diskursstufe. Aber was wäre der Mehrwert? Nur um auf Metrik und Rhythmus konzentrierte Probenphasen zu ersetzen wäre solch ein Roboductor überflüssig. Wenn in 20 Jahren die Hälfte der Maschinen- und Büroarbeiter durch Roboter ersetzt sein würde, wäre es ein ehrliches Zeichen, im Bereich der Kultur genauso „Effizienz“, gar auf dem Leitungsposten, auszuüben. Vielleicht werden dann rein auf Solisten fokussierte Tourneen oder halb mit Zuspielung und halb mit Musikern besetzte Musicalaufführungen, wo der Dirigent heute schon nur den Klicktrack für Mehrere ausführt, billiger auf der Leitungsebene. Wobei im Falle des sogenannten Tenors könnte man diesen auch heute schon durch einen Robocelli ersetzen.

Bei aller Bösartigkeit dieses Vorschlags zeigt sich dennoch mit dieser Performance, dass es im Bereich der Klassik und der darunter subsummierten zeitgenössischen Musik, so sie keine in wesentlichen Teilen elektronische Musik ist, Identifikationsfiguren aus Fleisch und Blut braucht, insbesondere bei dem hier dargebotenen klassisch-romantischen Repertoire. Die perfekte Simulation hat man ja irgendwann mit 3D-Konzertaufzeichnungen oder Übertragungen daheim. In einer Aufführung, die Musik auf allen Positionen des Ensembles auch emotional interpretiert hervorbringen soll und das Publikum mit diesen „mitgehen“ soll, um ein einzigartiges Erlebnis zu haben, von dem in dem Video anfangs die Rede ist, muss entweder das Problem der Identifikation der Zuhörer und Zuseher mit den Aufführenden gelöst werden oder es bleibt einfach dabei, dass in erster Linie Lebewesen für Lebewesen Kunst hervorbringen.

Dass dazu gar robotronische Hilfsmittel zum Zuge kommen, elektronische längst gang und gäbe sind, ist immer wieder Anlass zum Streit, aber vielleicht sogar sinnvoll, wenn ein Roboter-Interpret auch auf lebendige Musiker gleichartig reagieren kann. Oder eigens dafür neue Werke komponiert werden.

Live-Elektronik arbeitet ja bereits damit, ist immer noch immens aufwändig, wenn sie sich vom Klicktrack vollkommen lösen soll. Das heisst, dass es sehr wohl bereits fantastische Musikwerke für Elektronik oder Robotermusik gibt, die um so mehr faszinieren, wenn es zu Interaktionen zwischen Mensch und Maschine kommt. Oder sie sind für andere Erlebnisräume als einen Konzertsaal geschaffen. Kunst die eher mit solchen Räumen rechnet, wird immer einen emphatischen Mittler benötigen, siehe hier eben den anleitenden Konzertmeister. Wann ersetzen Roboter dann eigentlich das Publikum, besonders das negativ Reagierende? Zumindest wäre mancher Opernintendant damit die eine oder andere Sorge los, wenn es dann auch gleich noch den Robokritiker gäbe.

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