Aus dem Leben eines Komponasten (2, 26.6.-2.7.2017)

Diese neue Serie ist der Versuch eines einigermaßen geordneten persönlichen Tagebuchs. Schon lange merke ich, dass sich in jeder Woche sehr viele Themen und Gedanken ansammlen. Manche wären eigene Blogartikel wert, manche wiederum funktionieren eher in kurzer Form. Der Titel ist eine Hommage an den großen verstorbenen Darmstädter Komponisten Hans-Ulrich Engelmann, der in seinen unvergesslichen Seminaren stets von „Komponasten“ sprach, da ihm eine andere Aussprache dialekttechnisch nicht möglich war.

– MONTAG

Zu den jährlichen Ritualen eines Hochschulprofessors gehören die Aufnahmeprüfungen. So fand ich mich auch dieses Jahr wieder mit meinen geschätzten Kollegen ein, um Lebensläufe, Partituren und Zukunftswünsche junger Komponistinnen und Komponisten zu begutachten. Man lernt dabei immer Neues, und vor allem eines: Komponisten sind eine sehr spezielle Gattung von Menschen! Und das meine ich durchaus liebevoll…

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Aufregend ist es zum Beispiel, einen Einblick in die Bildungssysteme anderer Länder zu bekommen. So ist es zum Beispiel an manchen Musikhochschulen möglich, Kriminalpsychologie zu studieren, gleichberechtigt neben „Jazz-Harmonie“ oder „Kanon und Fuge“. Macht vielleicht angesichts jüngster Vorkommnisse an Musikhochschulen Sinn…

Ein weiteres beliebtes Fach an Musikhochschulen in China ist „Mao Tsetungs Idee und das theoretische System des Sozialismus chinesischer Prägung im Grundriss“, dass in jedem Semester (!) belegt werden muss. Wenn man das mental überlebt, darf man zur Belohnung „Genießen und Analysen der klassischen Geschichtstondokumente“ belegen, denn Genuss ist natürlich was Schönes!

Oft erfreuen auch die Werktexte ausländischer Studenten. In der „Titanic“ gab es ja früher einen jährlichen Preis für die schönsten Übersetzungen ins Deutsche, leider haben die Kollegen nie zeitgenössische Partituren studiert!
Dieser Text zu einer Vertonung von Goethes „An den Mond“ entbehrt zum Beispiel nicht einer gewissen asketischen Anmut:

„Diese Komposition ist ein Lied. An den Mond ist ein deutsches Gedicht von „Johann Wolfgang von Goethe“. Die Komposition „Lied“ soll mit Soprano, Bass Clarinet und Timpani gespielt werden.“

Oft finden sich auch besonders originelle Titel: „Half-Tract of Billet-doux“ habe ich erst nicht verstanden, aber es bedeutet anscheinend „Nicht fertiggestellter Liebesbrief“. Richtig toll dagegen finde ich den Titel „The king of strange taste“, so möchte ich ein Stück auch Mal nennen!

Alle Studenten müssen deklarieren, dass sie ihre Partituren selber verfasst haben. Dies führte einen Übersetzer zu dieser poetischen Neufindung:

„This piece which name XXX is write by myself. Hereby declare.“

Das ist kurz, knapp und sehr schön.

 

DIENSTAG

Wer die 8. Folge von David Lynchs gleichzeitig grandioser wie auch verwirrender „Twin Peaks“-Fortsetzung noch nicht gesehen hat, dem fasse ich sie hier gerne zusammen:

Der ausgebrochene „Evil Coop“ ist mit dem Verbrecher Ray auf dem Weg zu irgendeiner oninösen „Factory“. Das ist aber nicht so wichtig, denn kaum haben die beiden Pinkelpause gemacht, erschießt Ray Coop, woraufhin lauter schwarze huschende Gestalten erscheinen, die die Leiche Coops mit Blut beschmieren. Ohne Vorankündigung ist plötzlich alles schwarzweiß, und wir fliegen zu dem Klängen von dem fast in voller Länge erklingenden „Hiroshima“-Stück von Penderecki in eine Atomexplosion hinein, was ziemlich lange dauert und wie eine Hommage an Stanley Kubrick erscheint. Dann sehen wir eine Tankstelle, die in Zeitlupe explodiert, und weitere schwarze Wesen wuseln herum. Schnitt auf eine Art Observatorium, in der ein Riese zusammen mit einer dicken Frau die Geschehnisse auf einer Leinwand beobachtet, was ihn veranlasst, zu einer Art leuchtendem Baum zu werden (!). Das dauert auch ziemlich lange. Irgendein Wesen kotzt irgendwas aus, und aus einem Stein (Ei?) kriecht ein Zwitter zwischen Frosch und Schildkröte. Zwei Jugendliche verabschieden sich schüchtern auf einer dunklen Straße, dann tauchen wieder die schwarzen Gestalten auf und terrorisieren ein Ehepaar in einem Auto, das erschreckt wegfährt. Dann sind wir in einer Radiostation, wieder tauchen die schwarzen Gestalten auf und fragen nach „Feuer“, dann zerdrücken sie allen Mitarbeiter langsam die Köpfe bis sie platzen und brabbeln Unverständliches in den Äther. Als Konsequenz hiervon öffnet das vorher eingeführte Teenagermädchen auf seinem Bett liegend und radiohörend wie in Trance den Mund, und die Froschschildkröte kriecht hinein.
Ende.

WTF!!!!?????

Das Wunderschöne daran ist: Das Ganze wird im amerikanischem Fernsehen (ok: Kabelfernsehen) gezeigt, und Millionen Menschen schauen etwas an, was in dieser Form nur in einer avantgardistischen Kunstausstellung als Videoinstallation zu sehen wäre. Eine Episode ohne konventionelle Handlung, größtenteils ohne Dialog, mit surrealen und verstörenden Bildern die nicht aufgelöst werden und dissonanter und experimenteller Musik (Penderecki als er noch gut war). David Lynch – der mit „Twin Peaks“ einst einen Quotenhit hatte – nutzt den roten Teppich, der ihm vom Sender „Showtime“ darob ausgerollt wurde, scheißt auf jegliche Konventionen und macht einfach…Kunst. Das schätze ich ungemein, wenn Menschen in einer eigentlich „Mainstream“-artigen Umgebung sich die Freiheit nehmen, jegliche Erwartungshaltung zu unterlaufen und einfach ihrem künstlerischem Instinkt folgen. Denn das ist doch letztlich das Einzige, was zählt.
Spötter können das doof, sinnlos oder albern nennen – ich nenne es einen Meilenstein des Fernsehens als Kunstform und einen weiteren Beweis dafür, dass David Lynch ein krasser alter Motherfucker ist. Und dass das Publikum nicht so dumm es, wie es immer gerne gemacht wird.

Allein diese Folge sollte Pflichtprogramm für manche deutschen Fernsehredakteure sein, und daneben sollte immer jemand stehem und sagen „Ja, so etwas wäre auch im deutschem Fernsehen möglich. Ihr müsstet nur die EIER HABEN, EUCH SO ETWAS ZU TRAUEN!!!!!!

MITTWOCH

Eine echte Entdeckung für mich: der in Deutschland kaum bekannte und mit nur 26 Jahren viel zu früh verstorbene englische Folk-Sänger Nick Drake. Alle drei seiner hinterlassenen Alben sind sehr zu empfehlen, denn hier war ein Künstler am Werk, der einen ganz eigenen und hochpoetischem Ton in einem oft simplen Genre findet, mit hintergründigen Texten und komplexen Arrangements, die sich durch feines harmonisches Gespür auszeichnen. Wenn man das hört bekommt man ein bisschen Wehmut ob der vielen verschenktem Chancen heutiger Popmusik. Aber auch in den experimentierfreudigeren 60er Jahren fand seine Musik kaum Aufmerksamkeit – Nick Drake hasste es aufzutreten und es fehlte ihm die Fähigkeit, sich im kommerziellen Musikbetrieb zu behaupten. Allein durch Mundpropaganda und die Kraft der Musik hat sich sein Andenken bis heute bewahrt. Manchmal haben Werbespots (durch die seine Musik eine heutige Hörerschaft fand) auch ihr Gutes. Möge er in Deutschland ein wenig bekannter werden.

Mein persönliches Lieblingslied ist „Riverman“ – in 5/4 und mit einem sehr schönen Streichersatz…

DONNERSTAG

Mit Nora Gomringer und Hanns Zischler diskutierte ich unter der Leitung von Meret Forster beim BR über das Thema „Musik und Sprache“. Als die Rede auf die Frage kam, ob es sich bei Musik um eine Art Sprache handelt, verneinte Hanns Zischler vehement. Sprache sei etwas ganz eigenes und mit Musik zu vergleichen. Vorsichtig versuchten wir anderen zu argumentieren, dass Musik als eine Art „Ursprache“ – eine „Sprache vor der Sprache“ – angesehen werden kann, und dass es in Musik durchaus eine Art Semantik, also eine Bedeutungslehre gibt. Nein, auch davon wollte Zischler nichts wissen – Sprache sei in ihrer Genauigkeit Musik absolut überlegen, ohne Musik wäre aber das Leben sinnlos (womit er natürlich Recht hat).

Natürlich ist Musik in ihrer Vermittlung von Inhalten wesentlich diffuser und ungenauer als Sprache, dennoch gibt es bei Sprache auch keine absolute Klarheit, sonst gäbe es nie Missverständnisse und man bräuchte keinerlei Diskussion oder Diskurs, alles wäre immer sofort klar. Und vor allem gäbe es auch keinen Freiraum für Poesie, die ja eben genau mit der „Unschärfe“ der Sprache arbeitet und damit, dass es auch Unaussprechliches gibt, das nur mit bisher nicht gekannten Wortkombinationen evoziert werden kann.

In gewisser Weise war also die Diskussion „Musik und Sprache“ an sich schon der beste Beweis dafür, dass sich beides in Wesen und Form durchaus ähnelt.
Wie man sieht, fand Nora Gomringer das auch, und benutzte mit der Zeichensprache eine weitere Form von Sprache, über die hier gar nicht geredet wurde.

FREITAG

Mai, Juni und Juli sind die traditionellen Prüfungswochen der Hochschulen, es gibt Aufnahmeprüfungen. Zwischenprüfungen wie Abschlussprüfungen zuhauf. Scharenweise werden nicht mehr ganz so junge Musikstudenten allein in die weite Welt gelassen und betreten eine unsichere und meistens desinteressierte Welt, in der sie erst einmal auf sich aufmerksam machen müssen. Jeder von uns kann sich an diese Phase erinnern – bei den einen beginnen die Orchestervorspiele, bei den anderen die Bewerbungen, Komponisten wiederum stehen vor der Schwierigkeit, so etwas wie Aufträge ergattern zu müssen.
Als Lehrer wünscht man seinen Studenten, dass sie in dieser Phase zu zunehmender Eigenständigkeit und Sicherheit finden. Aber helfen müssen sie sich letztlich selber. Alles was man tun kann, ist ihnen ein paar gute Ratschläge zu geben, oder sie mit inspirierten Menschen zusammenzubringen, mit denen sie spannende Projekte angehen können.

Ein solches entsteht wohl hier: Tom Smith (Masterkonzert am 30.6.) und die holländische Regisseurin Caitlin van der Maas in der „Circle Bar“ des Münchener „Hearthouse“, fotografiert von einem unbekannten Komponasten:

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. Marin Petrov sagt:

    Auf einem der weg-aktualisierten Fotos (warum eigentlich?) konnte man noch das Fach „Instrumentalisierung der Orchestermusik“ sehen. Ich frage mich schon ob die Instrumentierung auch studiert wird. Und wird nur die Orchestermusik instrumentalisiert (wäre das nicht eine Art Diskriminierung) oder ggf. auch das Musiktheater und die Kammermusik.

    • @Marin: Ein weiteres Uni-Unterrichtsfach in China ist (laut meinem chinesischen Studenten) übrigens auch Sexualkunde, denn das wird in der Schule noch nicht unterrichtet, da das allen peinlich ist. In der Uni ist es dann auch peinlich, da eigentlich alle schon wissen wie es geht, aber so tun müssen als ob noch nicht…