Das hässlichste Musikstück der Welt – ein zweiter Blick

Immer wieder wird ja versucht, das hässlichst mögliche Stück Musik zu schreiben. Ich meine damit jetzt nicht Eric Whitacre (obwohl der sehr nahe kommt), sondern die Wissenschaftler und Musikologen, die sich dieses Themas annehmen.

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Über dieses spezielle Stück schrieb ich schon einmal, aber das Video hält sich hartnäckig und wird immer wieder verlinkt. Ist das „hässlichste Stück der Welt“ also in Wahrheit vielleicht eine Art Erfolgsstück?

Am Anfang dieses Videos stellt der Erfinder dieses Stückes, Scott Rickard, die gewagte Behauptung auf, dass nur Musik mit Patterns oder Wiederholungen schön sei (wofür es natürlich einige Gegenbeispiele – auch aus alter Musik -gibt). Dann stellt er die rhetorische Frage, wie es klänge wenn ein Stück weder „zufällig“ noch „wiederholt“ sei, und dass das doch wahnsinnig schwer hinzukriegen sei (anscheinend hat er die gesamte Avantgarde zwischen 1950 und 1970 nicht mitbekommen, ok, ist ja außerhalb von Musikhochschulen auch schon fast vergessen).

Er benutzt eine mathematische Serie, die „pattern free“ ist und auf den Mathematiker Galois zurückgeht und von Jonathan Costas weiterentwickelt wurde. Hierbei wird ein einfacher Algorithmus verwendet, der eine logische aber sich nicht wiederholende Zahlenfolge kreiert. Diese spezielle Reihe eignet sich besonders, weil sie um die Zahl 88 konstruiert ist, und sich daher perfekt für eine Klavierumsetzung eignet.

Ein Pianist spielt das dann auch, und es ist wirklich das hässlichste….he, Moment Mal – eigentlich klingt das was er spielt wie ein x-beliebiges Neue-Musik-Stück, wie man es schon tausend Mal gehört hat. Noch nicht Mal besonders hässlich, sondern eher unspektakulär, da es auf jede Form von Pianistik oder Virtuosität verzichtet. Im Grunde könnte das Stück eine etwas einfallslose Passage aus Boulez‘ „Structures“ sein, das sich ja ähnliches vornahm, nämlich die Vermeidung von erkennbaren Tonfolgen, und ja, auch von Repetitionen.

„I wanted to eradicate from my vocabulary absolutely every trace of the conventional, whether it concerned figures and phrases, or development and form; I then wanted gradually, element after element, to win back the various stages of the compositional process, in such a manner that a perfectly new synthesis might arise, a synthesis that would not be corrupted from the very outset by foreign bodies—stylistic reminiscences in particular.“ (Pierre Boulez)

Das Publikum klatscht am Ende des Stückes begeistert ob der angeblichen Hässlichkeit des hässlichen Stückes, aber im Grunde ist die angeblich so ironisch „inhumane“ Vorgehensweise des Wissenschaftlers (der im Video sichtlich nervös dieses „Experiment“ präsentiert) gar nicht so unüblich in Neuer Musik. Es gibt tausende von Stücken, die in irgendeiner Form mit „unvorhersehbaren“ Algorithmen arbeiten, alle mit dem Ziel, offensichtliche Repetitionen zu vermeiden, und den typischen „Neue Musik“-Sound zu erzeugen, den wir alle verehren und lieben, den der Rest der Menschheit aber meistens schön hässlich findet, wie das Video beweist. Oder eben dann auch wieder nicht schrecklich, denn umgesetzte Mathematik weiß ja auch zu amüsieren, wie ein Tom Johnson mehrfach bewiesen hat.

Was ist also nun die Wahrheit? Ist Neue Musik oft inherent „hässlich“, weil sie Offensichtliches und Wiederholtes vermeidet (was ja auch wieder eine andere Form von Vorhersehbarkeit erzeugt, nämlich die Vorhersehbarkeit der Unvorhersehbarkeit)? Oder ist sie „interessant“, weil sie uns die Schönheit von Algorithmen offenbart, die mehr oder weniger auch ohne menschliche Anteilnahme vor sich hin rattern könnten, denn die mathematische Naturgesetzlichkeit der Mathematik ist in jedem Wind-und Wasserrauschen oder dem Fallen eines Ping-Pong-Balls zu hören…was jetzt auf Dauer als Kunstwerk nicht so interessant ist, da der Mensch darin nicht vorkommt.

Wie auch immer die Antwort ausfallen mag, ob man Patterns und Wiederholungen mag oder auch nicht, eines wird auf jeden Fall immer wichtig bleiben: dass einem verdammt noch Mal was einfällt.

Denn nur die individuelle Transformation der Töne durch den/die Komponisten/in (in welche Richtung auch immer), die Fehlbarkeiten, die spontanen Entscheidungen, der eigene Geschmack…all dies gibt der Musik erst die Persönlichkeit, die uns beim Hören zu bannen vermag.

Auf Methoden allein wird man sich hierbei letztlich wenig verlassen können.

Moritz Eggert

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3 Antworten

  1. @Moritz: Rickards Vortrag ist reichlich reaktionär, weil er ja nur das Klassisch-Schöne behandelt. Es gibt aber seit mindestens 150 Jahren auch eine Ästhetik des Erhabenen, eine Ästhetik des Ereignisses und eine Ästhetik der Ambivalenz – all dies wird von seinem Versuchsaufbau aber gar nicht thematisiert, was das Ergebnis seiner Untersuchung nicht sonderlich aussagekräftig macht.

    Ich bin mir sicher, reaktionären Ästhetikern wie komplett Ahnungslosen gefallen solche Experimente ganz gut, bestätigen sie doch scheinbar objektiv, dass alles, was nicht den Kriterien eines ästhetischen Klassizismus entspricht, letztlich ein vernachlässigbares oder gar zu bekämpfendes Dekadenzphänomen darstellt

    Und aus keinem anderen Grund ist Rickards Video so populär: Es entlastet den Denk- und Erfahrungsfaulen vom Nachdenken über Ästhetik.

  2. Das hätte ich nicht besser sagen können, Stefan!