In Johannes Kreidlers Glashaus – Ein Beitrag zur Fake-Olds-Theorie

Max und Johannes vor der Zitatmischmaschine. Foto/Montage: Hufner
Max und Johannes vor der Zitatmischmaschine. Foto/Montage: Hufner

Das Herstellen alternativer Fakten kann durchaus lächerlich sein und trotzdem eine Geschichte begründen, die von Mund zu Mund weitergetragen wird. Ein Stück über die Bedeutung und den Unterschied von Sekundär- und Primärquellen und darüber, wie man aus falschen Informationen falsche Folgerungen zieht. Hauptdarsteller: Der Komponist Johannes Kreidler in seinem Vortrag „Nebeneinander, Gegeneinander, Miteinander – diskursiver und ästhetischer Pluralismus heute“ bei der Darmstädter Frühjahrstagung für Neue Musik, 7.4.2017 [Video].

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Zur Ausgangslage: Max Nyffeler hat im Jahr 2011 in seiner Kolumne www.beckmesser.de unter dem Titel „Die Neofuturisten“ einen Text geschrieben in dem an einer Stelle steht:

„Man sollte sich stets das Beispiel der Futuristen vor Augen halten; diese Auto- und Flugzeugnarren begannen als lärmige Fortschrittspropheten und endeten als jämmerliche Mussolini-Verehrer.“ [Quelle]

Ausschnitt aus dem PDF (erstellt am 25.1.2011) der nmz.

Ausschnitt aus dem PDF (erstellt am 25.1.2011) der nmz.

Dieser Text ist, bevor er online ging, zunächst in der Printausgabe der nmz erschienen. Dort steht der gleich Text [Zeilenfall mal beiseite]. Darin ging Max Nyffeler auf das im Wolke Verlag erschienene Buch „Musik, Ästhetik, Digitalisierung“ „in dem Johannes Kreidler, Harry Lehmann und Claus-Steffen Mahnkopf die Konsequenzen der Digitalisierung für das Komponieren diskutieren“ ein und kritisierte die Autoren scharf. Der Komponist Johannes Kreidler nahm das und den Inhalt des Textes von Nyffeler zum Anlass, ihn zurückzukritisieren.

Über den Inhalt der Diskussion und das Thema ließe sich immer noch heftig streiten. Aber darum soll es hier nicht gehen. An dieser Stelle geht es nur darum, wie aus einer Einbildung eine Sekundärquelle wird, die schließlich auf den Autoren der Sekundärquelle, nämlich Johannes Kreidler, zurückfällt. Man kann das leider nicht als Lappalie stehen lassen, denn die Schlussfolgerungen die Kreidler aus der Sache zieht, sind weitgehend.

Kreidler verändert nämlich den Originaltext, indem er aus „Mussolini-Verehrern“ „Faschisten“ macht. Und indem er an dieser Stelle gleichzeitig behauptet, man habe den Text nachträglich abgeändert („nachträglich hat er den Text dann noch etwas abgemildert, aber sinngemäß steht es immer noch da“). Das ist aber falsch vermutet: Sowohl im Print wie Online wird der Begriff des Faschisten nicht verwendet. Nyffeler hält ihm das vor. Kreidler entgegnet:

„Ich könnte schwören, in der Online-Ausgabe war zuerst zu lesen “endeten als jämmerliche Faschisten”.“ [Quelle]

Und ergänzt das lapidar mit einem „Wie dem auch sei (…)“. Als sei es ja auch egal. In der Wissenschaft ist „schwören“ immer noch besser als nachprüfen, letzteres hätte ja leider einfach nur ergeben, dass er, Kreidler, falsch gelegen hätte. Es liegt der Verdacht nahe, Kreidler hat aus der Ausgabe einfach falsch abgeschrieben. Das kommt vor und dann korrigiert man das. Denn manchmal liest man in den Texten genau das, was man lesen möchte, nicht jedoch das, was da drin steht. Es ist schlicht eine psychologische Fehlleistung. In seltenen Fällen kommt es vor, dass die eingebildete Tatsache stärker wirkt als die wirkliche Tatsache. Und diesen Fall bildet Kreidler mit seinem Vortrag ab. Es ist mehr als ein Ärgernis.

Zitat-Remix-Kultur

Die Sekundärquelle (nämlich Kreidlers Einbildung) hat sich selbständig gemacht. Und so zitiert Kreidler später weiterhin seine falsche Abschrift. Zuletzt in einem Vortrag in Darmstadt, der bei YouTube nachzuhören und -zusehen ist.

Screenshot aus dem Kreidler-Vortrag bei YouTube.

Screenshot aus dem Kreidler-Vortrag bei YouTube.

Obwohl Kreidler es längst besser hätte wissen können, er hat ja die Sache auf seinem Blog diskutiert, steht hier der fehlerhafte Text erneut. Damit nicht genug, behauptet Kreidler nun, dass Nyffeler den Satz nachträglich stillschweigend verändert habe [und damit komme ich auf die Primärquelle, die gesamte Auflage der Februar-Ausgabe 2011 der nmz wohl ebenso]. Nyffeler hätte also zunächst aus den Mussolini-Verehrern „Faschisten“ machen müssen und das dann wieder zurückkorrigieren müssen, nur so kann der Satz von Kreidler einen Sinn ergeben. (Unabhängig davon sogar, dass Max Nyffeler gar keinen Zugriff auf die Online-Ausgabe der nmz hat, das hätte er also nicht persönlich machen können, sondern delegieren müsssen.) Die Sekundärquelle bei Kreidler ist nun seine eigene Fassung des Textes, die er als Original verkauft. Ein Quellen-Upgrade-Remix.

Danach ergänzt Kreidler noch das „Qualitätsmedien wie die FAZ“ nachträgliche Änderungen immer transparent machen würden (für das Jahr 2011 kann ich das nicht unbedingt sagen, will aber mangels Beispiel auch nicht das Gegenteil behaupten). Die nmz sei somit aber im Kontrast, indirekt gesagt, kein Qualitätsmedium. Letzteres mag jeder für sich entscheiden, was die „logische Konsitenz“ angeht, die Kreidler, wie oben zu sehen, wünscht, bricht Kreidler auch hier auf seinem dünnen Eis ein.

Danach versteigt Kreidler sich zur Aussage, dass der Text ganz von der Website verschwunden sei. Woher diese Annahme rührt, ist gänzlich nicht nachvollziehbar. Auch hier kann man nur vermuten, dass er weiterhin davon ausgehen musste, dass er dortselbst eben doch später erschien als die entsprechende Printausgabe. Nein, seit dem 29.1.2011 22:18:02 ist er im System von nmz.de als veröffentlicht gekennzeichnet und er war es auch zum Zeitpunkt von Kreidlers Vortrag. Zwischendrin gab es durchaus mal Serverausfälle und der Text war dann nicht zugänglich.

Warum das alles, warum wir hier so präzise auf Kreidlers Vorwürfe reagieren müssen, das kann man dem Vortrag Kreidlers ab Minute 16 entnehmen.

„Darum doch noch mein Wunsch: Redaktionelles Lektorat, das seinen Namen verdient, das ein Mindestniveau von den Autoren einfordert, wenn sie es schon nicht selber einhalten können. (…) Aber wenn man andere kritisiert, dann muss es gewisse Kommunikationsstandards geben, eine Debattenkultur.“ [Kreidler in seinem Vortrag]

Ja, das klingt ganz gut. Es wäre aber sehr wünschenswert, wenn derjenige, der dies sagt, dies auch selbst täte und nicht nur für andere reklamierte. Wenn Kreidler aber damit sagen wollte, richtiges Zitieren gehöre nicht zu Kommunikationsstandards und es gehöre vielmehr dazu, sich die Fakten so zu legen, wie es einem für die eigene Argumentation besser passt, dann dürfte Kreidlers Kommentar nicht die Einsen und Nullen wert sein, die er in den digitalen Netzen herumschwirren lässt.

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Chefmitarbeiter bei Kritische Masse | Website

seit 1997 chefökonom der kritischen masse und netzbabysitter der nmz.

11 Antworten

  1. Kreidler sagt:

    Danke, Martin. Ich bin immer noch überzeugt, dass da erst „Faschisten“ stand, aber bleibe den Screenshot schuldig. Und als ich den Vortrag schrieb (Anfang 2017) konnte ich den Text von nmz.de nicht abrufen, warum auch immer. Ich würde das nicht erfinden, das wäre nun wirklich töricht.

    • Ich kann Dir nur sagen, es wird schwer werden mit dem Screenshot. Printausgabe und Onlineausgabe sind identisch. Am Print, der ersten Quelle, wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, es in der gedruckten Fassung zu ändern.

      Ich weiß nicht, ob Du das zur Not auch erfinden würdest. Ich denke nur, manchmal erfindet man sich etwas, weil man es glaubt so gelesen zu haben. (Die meisten Fehler in meinen Text-Arbeiten finden oder fanden sich überall dort, wo ich aus Büchern etwas abgeschrieben habe.) Wie gesagt, das kann passieren. Aber man sollte nach Kenntnis der Lage die Fehler nicht auch noch länger tradieren.

  2. Kreidler sagt:

    Also, da ich es nicht mehr beweisen kann, soll und will ich damit nicht andere kritisieren.
    Vielleicht habe ich es wirklich im Kopf umgemodelt, denn ich würde denken, Futuristen wie Marinetti waren nicht nur Faschistenverehrer, sondern selber Faschisten (Marinetti unter den Faschisten Präsident der Akademie der Künste..).
    Es wäre aber nicht zielführend, wenn wegen solcher Kleinigkeiten die große Debatte, die m.E. evident ist, überdeckt würde. Ich bin nicht unbelehrbar, werde es richtig(er)stellen wenn ich wieder zu Hause bin (Freitag). Von daher an der Stelle: Pardon an die Nmz und Max Nyffeler, dass ich etwas übers Ziel hinausgeschossen habe.

  3. Als journalistische Recherche ist Dein Text, Martin, ganz sicher verdienstvoll, aber eine Ehrenrettung von Max Nyffeler ist sie auf keinen Fall (den Eindruck könnte man gewinnen). Es ist und bleibt – wenn auch ein subtiler – Nazivergleich, der sowohl auf Kreidler als auch auf mich zielte. Das hat Johannes ganz richtig erkannt. Wenn hier jemand übers Ziel hinausgeschossen ist, dann in erster Linie Max Nyffeler.

    • Auch an so etwas wie einem Eindruck kann ich leider nichts ändern. Ich kann Dich aber insofern beruhigen, Max Nyffelers Logik und seine Analyse mache ich mir keineswegs zu Eigen. Ich wollte nur etwas korrigieren sowie die damit verbundenen Angriffe auf die Arbeit in Print und Online und diese dafür dem Vorwerfenden zurückspiegeln. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Johannes hat das nun seinerseits korrigiert, dazu haben wir ihn nicht überredet oder gezwungen. Das finde ich absolut fair und auch angemessen. Und verhindert damit auch nicht, dass man sich an passender Stelle und angemessen der Kontroverse selbst aussetzt.

  4. Kreidler sagt:

    Video ist ersetzt durch eine berichtigte Fassung
    https://youtu.be/fY_WK17R-vM?t=14m48s

    • Ich kann mit dieser Fassung sehr gut leben. Danke. Auch wenn mein Text oben jetzt natürlich auf das verlorene Video verweist und seine Inhalte. Das Internet ist einfach eben nicht das ewige Archiv.

      • Hm. Ich kenne mich da nicht aus, vielleicht gibt es das schon. Eine Art Markierung im Text, die deutlich macht, dass sich inhaltlich etwas geändert hat, der alte Inhalt aber noch sichtbar bleibt? Quasi wie beim Urtext: mit Sternchen und Fußnoten, was sich im Text verändert hat bzw. unklar ist? Für so etwas müsste es in der heutigen Internetzeit doch eine Nomenklatur geben, oder? Wenn nicht sollte man Sie erfinden ;-)

        Vorschlag: Sternchen an die inhaltliche Änderung im Text und in der Fußnote mit Datum und Uhrzeit klar machen, was sich geändert hat. Außerdem wurde es doch jetzt in Deinem Kommentar klar gemacht, worauf man im Text mit einem Sternchen verweisen könnte *grübel* was-weiß-ich-sind-nur-ein-paar-Durcheinanderideen

  5. Thomas sagt:

    Ehrlich gesagt verstehe ich die ganze Diskussion vorne und hinten nicht. Mussolini war Faschist und ob nun Mussolini Verehrer oder Faschisten, macht nun wirklich keinen Unterschied. Anton von Webern war ein Hitler Verehrer und damit eben auch ein Faschist und Nazi.

    Wenn Max Nyffeler Kreidler & Co. mit den Futuristen vergleicht ist das eher schmeichelhaft, denn ästhetisch spielten die Futuristen damals tatsächlich keine unwesentliche Rolle, während das von Max Nyffeler besprochene Buch neben Nyffeler wahrscheinlich noch ungefähr 10 andere Menschen gelesen haben.

    Doch die Welt hat sich 100 Jahre weiter gedreht. Und um in diesem blog mal wirklich böse zu werden, die Ähnlichkeiten von Kreidler mit Donald Trump sind noch viel offensichtlicher als mit den Futuristen von damals. Dieselbe Art von infantilen Dampfgeplaudere. Kreidlers GEMA Aktion erinnert merkwürdig an Trumps Mauer Projekt. Statt sich mit komplexen Fragen, dem Urheberrecht bzw. Wohlstandsmigration auseinanderzusetzen, wird versucht mit einem symbolischen Holzhammer die Sache aus dem eigenen schlechten Gewissen zu verdrängen.

    • … wenn Ömmekens sagt „also, bei Hitler war nicht alles schlecht – da hatten die Leute Arbeit und der hat Autobahnen gebaut“ geht das in Richtung Verehrung. Das heisst allerdings noch lange nicht, dass besagtes Ömmekens Faschistin ist, dazu würde noch einiges mehr gehören (z.B. Brutalität oder massive Ausgrenzung), um besagte Dame in die Faschistinnen-Schublade stopfen zu können. Deshalb sind das inhaltlich keine Kleinigkeiten und von daher macht es auf jeden Fall einen Unterschied.

      Ob das Buch von Nyffeler nur 10 Leute gelesen haben ist eine Behauptung. Vielleicht einfach mal den Verlag fragen, wie das Buch so läuft. Wäre ich Nyffeler und wüsste, dass das Buch ganz gut läuft wüsste ich nicht, wie ich mich bei solchen „10-Leute“-Aussagen fühlen würde. Vielleicht würde ich drüber stehen, vielleicht auch nicht.

      Inhalte können schnell abdriften, wenn Sie falsch zitiert & kopiert werden. Stelle Dir mal vor, Du würdest mit Deinen „10 anderen Menschen“ zitiert und der Zitierende würde diese Vermutung als Wahrheit hinstellen. Bumms, schon hast Du eine unsinnige Diskussion weil die Grundlagen eventuell falsch sind. Aufgrund vermeintlicher Kleinigkeiten.

      Hinzu kommt noch dass diese falsch kopierten Inhalte neu interpretiert werden könnten und damit die Falschheit einer Diskussionsrichtung verstärkt werden kann. Muss nicht, aber kann. Deshalb sind saubere Quellenzitate eben keine Kleinigkeit.

    • @ Thomas: „Ehrlich gesagt verstehe ich die ganze Diskussion vorne und hinten nicht.“ Das hast in der Tat hiermit bewiesen, du wirklich „Böser“.