Christine Lemke-Matweys urkomische Politik-Vorlesung in der ZEIT

Beethoven und Europa. Foto: Hufner
Beethoven und Europa. Foto: Hufner

Plötzlich war er da, dieser Schnellschuss in Sachen: Ich sage Euch mal, wie politisches Engagement geht. Autorin: Christine Lemke-Matwey in der ZEIT. Wen hat sie im Visier: Alban Gerhardt, Igor Levit, Yaara Tal und Andreas Groethuysen und Fazil Say. Ihr Fehler: Sie äußern oder äußerten sich auch außerhalb ihrer schwarzen und weißen Tasten, jenseits ihrer vier Saiten zu Themen der Weltgeschichte, zur Zukunft von Europa, Demokratie und zu den Gefahren, die durch Angriffe auf Freiheit quer über den Erdball sich ausdrücken. Ihre Therapie: Klappe halten.

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„Interessanterweise äußern sich vor allem Interpreten absoluter Musik – Cellisten, Geiger, Pianisten –, denen das Wort von Berufs wegen fehlt. Sänger, Komponisten oder Regisseure scheinen viel eher auf die Kraft ihrer Kunst zu vertrauen,“ schreibt sie da (und ganz Journalistin arbeiten sie mit dem Verb „scheinen“ wie ein Fussballspieler wenn „Sperren ohne Ball“ macht). Man hat das Gefühl, man müsse diesen Satz einfach nur noch einmal und noch einmal und noch einmal lesen, um ihn verstehen zu können. Geht aber nicht. Ich frage mich ja auch andauernd, wie man zum Beispiel ein philosophisches Buch schreiben könne, ganz ohne Musik drin. Eigentlich unmöglich, oder?

Dabei sagt sie nur Momente später, es sei doch sowieso die große Musik politisch, es bedürfe keines Kommentars: „Als müsste und könnte Beethoven und Bach je verbal nachgeholfen werden.“ – – – Ja, nein, ist jetzt nicht wahr, oder? Auch hier wieder so ein sonderbarer Tonfall aus der schwarzen Pädagogik: „Dir werd‘ ich mal nachhelfen!“ So geschichtsvergessen ist diese Ansicht von Lemke-Matwey, dass man weinen möchte, über die sich darin aussprechende Arroganz der Musik gegenüber, die eben nicht von sich aus immun gegen Missbrauch ist, nicht gegen ihre Funktionalisierung für fast jeden denkbaren Zweck.

Beethoven und Europa. Foto: Hufner

Beethoven und Europa. Foto: Hufner

Schließlich vor allem ist Lemke-Matwey genervt: „Die Verneinung alles selbstverständlich zu Verneinenden (Krieg, Gewalt, Faschismus) wirkt rasch wohlfeil. Und betulich. Und nervt.“ Oh, nein, arme geplagte Christine Lemke-Matwey. Ich muss man davon ausgehen, dass es sich um ein sehr privates Empfinden handelt, oder, denn sonst wäre die Vereinnahmung anderer eine ziemliche Unverschämtheit!

Doch dann kommt es richtig dicke: „Das heißt nicht, dass Künstler, um sich in eine schöpferische Spannung zur Gesellschaft zu bringen, notgedrungen die Ansichten von Petry, Wilders und Le Pen teilen müssen.“ Ach was, beim Moosdorf hätte sie jetzt doch rasch unter die ideologische Decke kriechen können. Man beachte, wie unvorsichtig Lemke-Matwey hier formuliert („notgedrungen“), da dankt man, dass man nicht den Rechtspopelisten [sic!] auf dem Leim gehen und eine Cellosonate von Bach bei PEGIDA in Dresden spielen muss, um notgedrungen Lemke-Matweys Vorstellung von politischer Kunst zu entsprechen.

Und Lemke-Matwey fährt fort in der Manier, dass da, wo es keine Probleme gibt, man Konfliktlinien künstlich ziehen müsse: „Aber es heißt auch nicht, dass nur derjenige, der öffentlich redet, moralisch und künstlerisch integer wäre (und der, der schweigt, gleichgültig oder verderbt).“ Ja, Frau Lehrerin, sie werden es vielleicht nicht glauben, aber das hat von den Genannten auch niemand behauptet. Fast im Gegenteil, für diese Musikerinnen entstand die gewählte Form des Engagements aus einem einfachen Leiden und bei allen war die Motivation jeweils unterschiedlich. Niemand von ihnen stilisiert sein Tun zu einem künstlerischen Imperativ für andere, das tun allein Sie, Frau Lehrerin. Sie sagt es nicht direkt, aber sie meint damit eine Art von Empörungsexpressionismus, den eben zunächst einen „sie“, Christine Lemke-Matwey, nervt. Fläschchen Baldrian ist für die so Geschundene unterwegs.

Einer der so angegriffenen, der Cellist Alban Gerhardt, hat sich bei niusic in einem Offenen Brief dazu geäußert: „Ich finde es schon bemerkenswert, dass eine deutsche Musikjournalistin es als verräterisch empfindet, wenn Musiker, so sehr sie auch nerven mögen, sich öffentlich zu Demokratie und einem freien Europa bekennen, weil es ja ausreichte, Beethoven und Bach, denen ja nichts mehr hinzuzufügen ist, zu spielen.“

Dem muss man nicht mehr viel hinzufügen.

Oder doch? Vielleicht eines der überflüssigsten Stücke der Musikgeschichte, eines der wohlfeilsten, betulichsten und nervensten Stücke der Musikgeschichte.

Oder das hier:


PS: Und dabei habe ich hier noch nicht einmal das Thema „politischer Musik“ oder „politisch engagierte Musik“, „Musik und Gesellschaft“ etc. gestreift. Nur den ziemlich eigenartigen Text einer Autorin in der ZEIT kommentiert.

PPS:

„Heirate / du wirst es bereuen; heirate nicht / du wirst es auch bereuen; heirate oder heirate nicht / du wirst beides bereuen; entweder heiratest du, oder du heiratest nicht / bereuen wirst du beides. Lache über die Torheit der Welt / du wirst es bereuen; weine darüber / du wirst es auch bereuen; lache oder weine über die Torheit der Welt / du wirst beides bereuen; entweder du lachst über die Torheit der Welt, oder du weinst darüber / bereuen wirst du beides. Traue einem Mädchen / du wirst es bereuen; traue ihr nicht / du wirst es auch bereuen; trau ihr oder trau ihr nicht / du wirst beides bereuen; entweder du traust einem Mädchen, oder du traust ihr nicht / bereuen wirst du beides. Hänge dich / du wirst es bereuen; hänge dich nicht / du wirst es auch bereuen; häng‘ dich oder häng‘ dich nicht /du wirst beides bereuen; entweder du hängst dich oder du hängst dich nicht / bereuen wirst du beides. Dies, meine Herren, ist der Inbegriff der Lebensweisheit.“
(Sören Kierkegaard, Entweder-Oder) [Droop (Hg.), Kierkegaard. Auswahl aus seinen Bekenntnissen und Gedanken, hg. v. Fritz Droop. Georg Müller Verlag, München 1914]

Chefmitarbeiter bei Kritische Masse | Website

seit 1997 chefökonom der kritischen masse und netzbabysitter der nmz.

17 Antworten

  1. Thomas sagt:

    Ich denke Frau Lemke hat schon in gewisse Weise Recht. In einer Zeit, wo man künstlerisch sich kaum noch distinguieren kann, ist das politische Engagement bei einigen Künstlern in der Tat zu einer Selbstvermarktungsstrategie geworden. Und in Deutschland schwimmt man damit auch bequem auf dem Mainstream der öffentlichen Meinung. Das ist weder mutig noch überzeugend.

    Allerdings finde ich genauso problematisch bedeutende Künstler als moralische Heroen zu vergötzen. Bach, Beethoven oder Schönberg waren grosse Komponisten, doch ob sie unbedingt als moralische Vorbilder taugen, halte ich doch für fragwürdig.

    Und das ist das problematische an Frau Lemkes Argumentation. Der Heroismus eines Künstlers ist eine ästhetische Kategorie und hat mit Moral zunächst überhaupt nichts zu tun. Die Ästhetisierung des Politischen war immer von übel und hatte nur allzuoft verheerende Folgen.

    Ich weiss, dass viele das nicht gerne hören werden, doch ist das problematische an Donald Trump ja genau, dass er dem Wesen nach ein Künstlertypus ist, jemand der seine Entscheidungen nicht nach vernünftigen Massstäben trifft sondern ganz nach ihrer ästhetischen Wirkung.

    • Da muss ich vehement widersprechen. Soll man in der Konsequenz also sich nicht mehr für eine gute Sache nur deshalb nicht einsetzen, weil jemand denken könnte, er oder sie mache das Selbstvermarktungsgründen? Pressefotos sind okay, Werbung von Plattenfirmen super, etc. Aber wehe, man engagiert sich auch außerhalb des engeren musikalischen Zirkels, das ist bäh? Blablabla ist fein, Tacheles ist doof? Das kann es ja wohl doch nicht sein.

      Soll man das als Plädoyer für den dummen Künstler auffassen?

      • Thomas sagt:

        Das Problem ist doch eher, dass solche politischen Auftritte inzwischen Teil des Marketingplans der Plattenfirma sind. Gerade Barenboim hat vorgemacht, dass mit politischen Engagement sich inzwischen mehr mediale Aufmerksamkeit gewinnen lässt als mit der fünften Bruckner Einspielung.

        • Thomas, das Problem ist eher, dass Du immer vom konkreten Gegenstand wegdenkst, wenn ich das mal so direkt sagen darf. Und statt auf Rückfragen zu reagieren, ein neues Thema anführst. Was macht jetzt auf einmal Barenboim im Kommentar. Demnächst dürfen Musiker auch nicht mehr „gut“ spielen, weil das Teil des Marketingplans einer Plattenfirma sein könnte?
          Im konkreten Fall ist mir nicht bekannt, dass die genannten Personen durch ihr politisches Engagement vor allem ihre Plattenverkäufe ankurbeln wollten und vor allem: konnten. Und wenn es so wäre, müssten sie also dann damit aufhören, auch politisch aktive Personen zu sein?

          Problematisch wäre das alles dann doch nur, wenn dies von der Plattenfirma gefordert worden wäre. Auf Hintergrundinformationen wäre ich neugierig.

          • Lieber Thomas, lieber Martin, vielleicht nur ganz am Rande: ich habe keine Plattenfirma im Rücken und auch keine Marketingabteilung, die hofft, dass ich durch einen winzigen Auftritt bei einer pro-europäischen Versammlung auch nur eine einzige Platte mehr verkaufen würde – ich habe nur zwei Söhne, um deren Zukunft ich mich sorge, und ich möchte nicht einfach nichts getan haben, als Europa auf der Kippe und Demokratie plötzlich zur Diskussion zu stehen schien. Ich mache seit 25 Jahren sogenanntes „outreach“, habe z.B. vorgestern hier in Minneapolis in einem Obdachlosen-Heim gespielt – ohne Presse oder große Aufmerksamkeit, einfach weil es mir wichtig ist und ich genug Zeit übrig hatte. Gewiß gibt es einige, die engagieren sich der publicity wegen, aber selbst das finde ich nicht unbedingt verwerflich, solange es geschieht! Und wenn uns die Plattenfirma so wichtig wäre, warum reden wir dann nicht über unser Label und unsere letzte Platte? ;)

          • Da sind wir einer Meinung, Alban. Aber vor allem danke dafür, dass Du ein paar übliche Stereotypen auf diese Weise aushebeln konntest.

  2. Guntram Erbe sagt:

    Zunächst muss gesagt werden, dass sich Christine Lemke-Matheys Artikel im nicht leicht nachvollziehbaren Zickzackkurs durch die Zeilen quält. Was sie letztlich sagen will, meine ich nach dreimaligem Lesen verstanden zu haben: „Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichtes, der Reinheit und der Ruhe, ohne jede Problematik“ (Matisse); vielleicht auch noch mit Einschränkungen und wie vielfach fehlinterpretiert: „Wem die Kunst das Leben ist, dessen Leben ist eine große Kunst“ (J. S. Bach). Und um das zu untermauern und weil ihr politische Aktionen von „Nurkünstlern“ gegen den Strich gehen, zeigt sie mit dem bedrohlich erhobenen Finger auf ein paar dieser „Nurmusiker“, die die Beschaulichkeit verlassen und politische Statements abgegeben haben. Alban Gerhardt hat sich ja oben zu Recht dagegen gewehrt. Da reichten ein paar schlichte Worte. Fazil Say wird sogar vorgeworfen, dass er sich nach einer Bewährungsstrafe in dem jetzigen Unrechtsstaat Türkei beim Twittern zurückhält. Wie politische Meinungsäußerung per Musik aussehen könnte/sollte, „scheint“ Lisa Batiashvili zur Zufriedenheit Lemke-Matheys demonstriert zu haben. Was übrigens entgegen ihrer Meinung keine „Tat ganz ohne Worte“ war; denn auch ein Titel enthält Wörter und ist ein Wort.

    Fazit für mich: Hut ab vor Leuten wie Alban Gerhardt, Fazil Say und Lisa Batiashvili. Sie tun Recht und verdienen Aufmerksamkeit. Und Christine Lemke-Mathey empfehle ich, den nächsten Artikel (zusätzlich) mindestens dreimal korrigierend durchzulesen, bevor sie ihn in der Zeit auf zeitkritische Leser loslässt. Und trifft sie bei einem Konzert einmal auf einen Politmusiker mit gescheuten und gescheiten Ambitionen, kann sie ja Ohropax verwenden, wie das so mancher nahe an den Blechbläsern sitzende Orchestermusiker auch macht

  3. Thomas sagt:

    Wie gesagt hat das eine moralische und eine ästhetische Seite.

    Als Bürger befürworte und respektiere ich das Engagement von Alban Gerhardt vollkommen. Dass man sich in der Sache, also der Sorge um die europäische Demokratie einig ist, versteht sich ohnehin von selbst.

    Doch ästhetisch ist das Problem des aktuellen „Klassik“ Betriebs eben jenes konsensuell gewordene Engagement. Denn Konsens ist leider ästhetisch unfruchtbar. Und das Stöhnen über das wohlfeile politische Engagement entspricht im Grunde dem Stöhnen über eine weitere engagierte, doch nichts neue bringende, Einspielung der Beethoven Sinfonien.

    Wie gesagt bin ich der Meinung, das man das eine nicht mit dem anderen verquicken sollte. Denn, und das deutet Frau Lemke auch in ihrem Artikel an, die ästhetische Differenz würde eher in Richtung Putin und Donald Trump führen.

  4. Max Nyffeler sagt:

    Was Alban Gerhardt ganz unauffällig leistet, indem er z.B. mittellose Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnimmt, ist großartig und ein gutes Zeichen für eine funktionierende Bürgergesellschaft. Mit Kunst hat es erst einmal nichts zu tun. Der diskussionswürdige Punkt liegt m.E. sowieso nicht bei den Individuen, die solche Handlungen ausführen – die sind, wie gesagt, völlig ok -, sondern dort, wo diese Handlungen gewollt oder ungewollt mit den Interessen der Macht zusammenfallen, was dann medial – positiv oder negativ – hochgekocht wird. Und wenn sich die Kunst ins politische Spiel bringt, wird sie schnell zur Girlande von Machtdispositiven mit Zusammenhängen, die ein einzelner Normalbürger gar nicht übersehen kann. Ich hole jetzt etwas weiter aus.
    Man kann mit guten Gründen argumentieren, dass Frau Merkels moralisch geleitete Politik (dass sie ein so komplexes Phänomen wie Einwanderung primär unter moralischen Gesichtspunkten beurteilt) über aller Kritik stehen muss, weil es ja um Menschenrechte geht, und diese stehen in der Hierarchie der Rechte für manche ganz oben (auch das ist ein komplexes Phänomen). Das ist vermutlich die richtige Haltung in einer Gesellschaft wie der deutschen, die immer noch den Naziklotz am Bein mit sich herumschleppt und deshalb das Bedürfnis hat, sich vor der Welt zu rechtfertigen; die Flüchtlingsfrage gibt dazu eine ideale Gelegenheit. Insofern hat das also alles seine Logik, ist nachvollziehbar und nicht ohne Vernunft.
    Nicht unproblematisch ist es aber, wenn sich eine Staatsmacht mit moralischen und z.T. sogar religiösen Argumenten gegen Kritik unangreifbar zu machen versucht. Das scheint seit 2015 in Deutschland in Ansätzen der Fall zu sein und hat bisher auch funktioniert, weil offensichtlich die Mehrheit der Bevölkerung damit einverstanden ist – eine einfache demokratische Tatsache, die hier wie anderswo zu respektieren ist. Doch man sollte nicht über das Merkwürdige an dieser Tatsache hinwegsehen: Das Vertrauenskapital, das Frau Merkel an der Macht hält, ist die religiös (DBK, EKD etc. bis vor kurzem auch Ditib) unterfütterte Moral, und der große Rest der Regierungsarbeit läuft dank kompetenter Personen in den Einzelbereichen von selbst. Es gibt da also ein Paradox: Sie macht eine Politik, die mit nichtpolitischen Werten, nämlich moralisch-religiösen, gedeckt ist, und das funktioniert auch dort, wo es gar nicht primär um Moral geht, sondern um Geld, Handel, Militär, Wirtschaft, Waffenexport, Sozialleistungen, Straßenbau etc. etc. Wie lange diese mit einem moralischen Wechsel gedeckte Politik von Frau Merkel Bestand hat, ist ungewiss. Das ist nicht mein Problem, sondern ihres. Aber was ich interessant finde, sind die Mechanismen, die diese außergewöhnliche Konstellation ermöglichen. Einer davon ist wohl schlicht die Tatsache, dass Frau Merkel, was ihr gutes Recht als Politikerin ist, vom Idealismus und der humanitären Gesinnung der Menschen profitiert. Deshalb rückt sie z.B. vor den Wahlen nicht deutlich von der Idee der für jedermann offenen Grenzen ab. (Diese Idee klingt zwar menschenfreundlich und ist telegen, ist aber unter staatspolitischen Gesichtspunkten hanebüchen, was sie auch weiß, denn dumm ist sie nicht; und aus dieser politischen Klugheit heraus überlässt sie die moralisch glanzlose Angelegenheit, die Grenzen zu sichern, bis Herbst noch Seehofer, Kurz, Orban, den Slowenen, Mazedoniern etc.) Offiziell praktizierte Grenzkontrollen würden nämlich jene idealistischen Menschen, die ja ihre Wähler sind, vor den Kopf stoßen, und damit wäre auch der moralische Wechsel, der ihr das Regieren ermöglicht, nicht mehr hinreichend gedeckt.
    Um jetzt auf den Ausgangspunkt zurückzukehren: Der in der Bürgergesellschaft vorhandene Idealismus der Einzelnen ist gut und richtig, aber man sollte nicht übersehen, dass er unter den gegenwärtigen Konstellationen auch politisch benutzt werden kann. Der Geist (und damit auch die Kunst) ist frei, heißt es, und deshalb ist ein bisschen Vorsicht bei der Nähe zur Macht immer angebracht. Insgesamt keine leichte Situation für diejenigen, die es gut meinen.
    PS, nur zur Klärung: Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass Macht immer böse ist. Sie ist nötig, um Interessen wahren, auch staatliche. Aber nochmals: Kunst ist eine Angelegenheit des Individuums und nicht der Staatsmacht, und weil sie Freiheit beansprucht, steht sie eben der Staatsmacht in unseren Breitengraden seit je skeptisch gegenüber. Was ja Kunst am Bau nicht ausschließt.
    Und noch etwas: Die klammheimliche Hoffnung, dass die jetzige Opposition es besser machen würde, ist naiv. Sie würde vielleicht auf den moralischen Überbau verzichten, aber die Politik würde nicht besser, weil eben die Realitäten nicht bessere sind. Und da Schulz zu den Verantwortlichen in Brüssel gehört und erfolgreich gezeigt hat, wie man einen Euro- und Griechenland-Karren gegen die Wand fährt, bleibt vermutlich doch nur die Alternativlose, wenn auch mit ihm als Außenminister…
    Lauter Paradoxe, um die sich aber die Kunst nicht zu kümmern braucht; sie muss, bei allem humanitären Engagement, nur genügend Distanz nach oben wahren, wer auch immer dort sitzt.

    • Vielleicht hättest Du Dir mal die eine oder andere Zeile sparen können, wenn Du zum Thema geredet hättest. Aber zu einem interessanten Punkt: Wer oder was kocht denn das Engagement hier medial hoch? Das sind nicht die Künstler, sondern es ist hier CLM. Und umgekehrt: Gegen das Protegieren in die Öffentlichkeit spricht auch erst einmal nichts. Das ist das Ziel von Öffentlichkeit – nämlich sich zu konstituieren. Dazu wird ja auch niemand gezwungen.

      Einvernahme durch irgendwen lässt sich so gut wie gar nicht ausschließen. Dass die genannten Künstler dies aktive betrieben, außer bei Moosdings, ist auch nicht zu sehen. Und selbst wenn, würde es nicht gegen die „gute“ Sache sprechen, die laut CLM so selbstverständlich ist, dass man sich damit ja nur nicht abzugeben hat. Weil das ist dann nämlich doch echt peinlich, sagt sie ja implizit.

      Ist es eben nicht. Sondern wie Du sagst: „Was Alban Gerhardt ganz unauffällig leistet, indem er z.B. mittellose Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnimmt, ist großartig und ein gutes Zeichen für eine funktionierende Bürgergesellschaft.“ Zu so einer Position ist aber nicht mal mehr CLM fähig und haut statt dessen drauf.

  5. Max Nyffeler sagt:

    „Vielleicht hättest Du Dir mal die eine oder andere Zeile sparen können, wenn Du zum Thema geredet hättest.“
    Muss ich jetzt nachsitzen, Herr Lehrer, weil ich das Aufsatzthema verfehlt habe?

  6. Max Nyffeler sagt:

    Tolle Diskussionskultur hier.

  7. Max Nyffeler sagt:

    Nur um die Komplexität des beliebten Kirchentagsthemas „moralische Politik“ und die Frage der Begleitmusik durch wohlmeinende Künstler etwas zu verdeutlichen:
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/familiennachzug-von-fluechtlingen-14968044.html

    • Guntram Erbe sagt:

      Auch wenn ich es schon oft – und wahrscheinich auch hier – gesagt habe, fällt mir dazu spontan ein, dass alles Komplexe wie das unabdingbar Bare im Paradox der Kontinuitäten trotz Begleitmusik jäh in Langsamkeit in sich zusammenbricht, ohne alle Moral, allem entfremdet, doch grandios paraalgorithmisch invertiert und horizontal in seiner vertikalen Verweildauer negiert wie jedes abwesende Wesentliche, das angewest am Kirchentag – und nicht nur dort – verwegen Politik macht.