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Danke, Martin Gotthard Schneider

Martin Gotthard Schneider (Foto: EPD)
Martin Gotthard Schneider (Foto: EPD)

Am vergangenen Freitag, den 3. Februar 2017 ist der deutsche Kirchenmusiker und südbadische Landeskantor Martin Gotthard Schneider im Alter von 86 Jahren in Konstanz gestorben.

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1961 schrieb er das Lied „Danke für diesen guten Morgen“, das man im Evangelischen Gesangsbuch unter der Nummer 334 findet.

Martin Gotthard Schneider (Foto: EPD)

Martin Gotthard Schneider (Foto: EPD)

Dieses Lied dürfte zu den bekanntesten deutschsprachigen Liedern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehören. Und man musste gar nicht evangelisch sein, um irgendwann einmal in seiner Kindheit mit diesem Lied konfrontiert zu werden.

Dem „Danke“-Lied werde ich vermutlich im Alter von neun oder zehn Jahren erstmals begegnet sein. Meine Schulklasse befand sich in irgendeinem Landschulheim (ja, in Niedersachen sagt man „Landschulheim“, nicht „Schullandheim“) – ich weiß nicht mehr genau, wo. Vielleicht in der Nähe von Celle? Oder doch südlich von Hannover? Völlig egal. Plattes norddeutsches Land, 80er Jahre, in den Vorzeiten der Digitalisierung.

Man sang das Lied damals noch ganz unironisch jeden Morgen beim Frühstück. Mit Gitarrenbegleitung von irgendeinem bärtigen Wollpullover-Christian, der sich von seinen eigenen Kinder nicht „Papa“, sondern „Christian“ nennen ließ. Unweigerlich ist das Lied für mich mit der Erinnerung an den Geschmack von künstlichem Jugendherbergs-Früchte-Tee-Aroma und der lutheranisch kargen Möbelausstattung eines niedersächsischen Landschulheims verbunden.

Mit Eintritt der Pubertät konnte man dem Lied dann nicht mehr jungfräulich-naiv begegnen. Ich erinnere mich, dass ich das Lied als junger Mann gerne zu möglichst unpassenden Gelegenheiten anstimmte – und zwar immer beginnend mit den Worten der dritten Strophe: „Danke für meine Arbeitsstelle“; angesichts der damals sehr hohen Arbeitslosenquote schien mir das stets ein okayer Witz zu sein.

Es passiert immer mal wieder, dass man mich bittet („Du spielst doch so schön Klavier!“), etwas auf einem irgendwo herumstehenden Pianoforte zu präludieren. Wenn mir allerdings die Stunde zu weit vorgerückt und der Alkoholkonsum des Auditoriums an den Grenzen ernsthaft noch möglicher Rezeptionsfähigkeit angelangt dünkt, so spiele und singe ich gerne einfach nur „Danke“ von Martin Gotthard Schneider.

Und das seit bestimmt 15 Jahren mit jeder Strophe einen Halbton höher schreitend.

Von Christoph Marthalers Theaterabend „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ habe ich erst viel später erfahren. Auch Marthaler ließ in dieser Inszenierung aus dem Jahr 1993 – also „weit vor mir“ – seine Schauspieler jede neue (sich dann natürlich irgendwann textlich wiederholende) „Danke“-Strophe einen Halbton höher singen; von C-Dur ausgehend über eine kleine Dezime hinweg bis nach Es-Dur; den Charakter (etwas naiver) religiöser Danksagungen zunehmend karikierend… da die Töne für die Schauspieler fortschreitend schwieriger bis letztlich unmöglich zu realisieren waren. Das irgendwann nur noch aggressiv gekrächzte „Danke“ wurde mittels dieser Marthalerschen Verzerrung – forsch interpretiert – zu einem atheistischen „Fuck you!“.

Auch deswegen – aber auch einfach so – sagen wir: Danke, Martin Gotthard Schneider. Ruhe in Frieden.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

Eine Antwort

  1. Danke für diesen schönen Beitrag, Arno.

    Zur Genese und zur Geschichte des Stücks, stand mal was in der nmz 1961: https://www.nmz.de/artikel/rueckblende-201110 (Vor 50 Jahren). Ein Preisausschreiben.