FREAX – eine verspätete Uraufführung

Ich kann es zwar noch nicht so richtig glauben, aber in 3 Tagen wird – wenn nicht Außerirdische landen oder sich ein Spalt zur Hölle auftut – tatsächlich Hannah Dübgens und meine Oper „Freax“ uraufgeführt. In Regensburg.

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Viel ist über diese Oper und deren gescheiterte Uraufführung geschrieben worden, auch von mir.
Die wichtigsten Missverständnisse möchte ich hier stichpunktartig abarbeiten, damit wir das hinter uns haben:

– ich habe mich tatsächlich nie mit Christoph Schlingensief gestritten.

– Schlingensief wurde als Regisseur engagiert, als die Oper schon zu großen Teilen (das Libretto komplett) fertig war, er wusste also exakt, worauf er sich einließ und präsentierte uns auch zuerst ein interessantes Konzept zur Umsetzung.

– ich habe nie speziellen Menschen verboten, in dem Stück aufzutreten. Tatsächlich verbot Schlingensief seinen eigenen Mitwirkenden den Auftritt in der Oper, obwohl diese sich sowohl mit Libretto als auch Musik identifizieren konnten. Dies geschah, nachdem er sich zunehmend nicht mehr in der Lage fühlte, selber das Stück auf die Bühne zu bringen, nach seinen Angaben wegen der „brasilianischen Augenpest“, die vielleicht ein Vorzeichen seiner späteren Krankheit war.

– Ich hätte die Premiere damals gerne abgesagt oder verschoben, da es klar wurde, dass es so nicht klappen würde. Gegen meinen Willen wurde das Stück dennoch konzertant aufgeführt, was nicht ideal war.

– Manuel Brug aß tatsächlich Fleischbällchen bei der Premierenfeier.

Die grundsätzliche Frage ist natürlich: ist das jetzt in Regensburg eine Uraufführung oder eine „szenische Erstaufführung“, wie es das Theater selber nennt? Ich denke ersteres. Eine konzertante Uraufführung einer Oper „Uraufführung“ zu nennen ist ungefähr so, wie wenn man das Vorlesen eines Theaterstückes „Uraufführung“ nennt. Eine Oper ist ein Entwurf für Bühne, für Szene, für Bewegung, Licht, Verwandlungen, Darsteller. Eine Oper ist keine Symphonie.

Man kann eine Oper konzertant aufführen, um sich besonders auf die Musik zu konzentrieren, ebenso wie man auch ein schönes Theaterstück mal vorlesen kann, aber in beiden Fällen muss man konstatieren, dass eine solche Darbietung nur eine Dokumentation, keine Realisierung sein kann.

Jens Neundorff von Enzberg ist zu verdanken, dass das Stück jetzt doch eine Uraufführung erlebt. Er war damals Dramaturg bei der Bonner „Premiere“ und fühlte sich sicherlich verantwortlich dafür, dem Stück noch einmal eine Chance zu geben. Ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet, dass er sein damals gegebenes Wort gehalten hat.

Aber wie wird sie nun, die Uraufführung dieses „uninszenierbaren“ Stücks, dieses „Eklat“-Werks? Theateraberglaube hindert mich daran, hier in Schwärmereien auszubrechen (und außerdem können die Außerirdischen immer noch kommen – immerhin hat man gerade den Regensburger Bürgermeister verhaftet, WER WEISS, WAS HIER VORGEHT??????), aber Tatsache ist, dass es jetzt tatsächlich eine Inszenierung gibt, von Hendrik Müller, der wiederum für den plötzlich erkrankten Jim Lucassen (ICH SAGE DOCH, WAS GEHT HIER VOR????) eingesprungen ist, quasi in letzter Minute, aber von dessen Grundkonzept ausgehend, da Marc Weeger schon Bühnenbild und Kostüme entworfen hatte. Ich bin begeistert von dem Team, und bin der Ansicht, dass sie mit dem Werk und dem Stoff ernsthaft und engagiert umgehen.

Die Anzahl der Regisseure die bisher mit diesem Stück assoziiert waren erstaunlich. Tom Tykwer wollte es gerne machen, war aber mitten im „Parfüm“. Philipp Stölzl war im Gespräch, hätte das Ganze vielleicht mit Old Shatterhand und Winnetou inszeniert, so wie gerade im Fernsehen zu Weihnachten. Walter Moers war auch mal als Librettist angefragt, und ich hatte freundlichen Emailkontakt mit ihm (zu Gesicht bekommen ihn ja nur wenige). Sibylle Berg schrieb im Vorfeld ein komplettes Libretto für eine Kammeroper, noch zu einem anderen Thema, die Oper Bonn stellte aber dann fest, dass man ihr einen falschen Vertrag ausgestellt hatte, denn gefragt war eine große Oper.

Regensburg platzt mit der Realisierung des Stückes aus allen Nähten. Obwohl gar keine Riesenbesetzung gefragt ist, ist doch in diesem kleineren Haus der Bühnengraben für manch Schlagwerk zu klein, daher wird es aus dem Studierzimmer eingespielt. Der Dirigent – Tom Woods – hat sich unermüdlich für die Realisierung des Stückes eingesetzt und einiges instrumental adaptiert, damit man auf die eigentlich vorgesehene „Bühnenmusik“ verzichten kann. Akkordeon wird vom Sampler gespielt, auf die Verstärkung der Solo-Geige und des Solo-Cellos wird verzichtet (vielleicht auch besser so, da mehrere verstärkte Instrumente, den Gesamtpegel des Orchesters heben).

Ich habe einige Passagen umgeschrieben, damit der deutlich kleinere Chor als in Bonn gut zur Geltung kommt (und das tut er auch).

Heute Abend ist Hauptprobe, die Spannung steigt. Und ich bin der Hoffnung, dass sich ein seltsames Kapitel meiner Komponistenlaufbahn (übrigens durchaus mitschuld an der Entstehung des Bad Blogs, da mich die komplette Vernichtung durch die Kritik nach der Bonner Uraufführung eher befreite als deprimierte) jetzt irgendwie einem Ende nähert, und ein neues Kapitel beginnen kann. Oder die Außerirdischen tauchen tatsächlich auf, und das Ganze wird zu meinem persönlichen Don Quijote.

Aber dennoch: ich mag dieses kleine Stück, das sich irgendwie hartnäckig weigert, in der Schublade zu verschwinden. Ein Stück über Menschen, die als „Missgeburten“ beschimpft wurden, welches wiederum selber als „Missgeburt“ beschimpft wurde. Das hat eine gewisse Ironie, die vielleicht Tod Browning, dem Regisseur des Films „Freaks“ – einem Meisterwerk der Filmgeschichte – gefallen hätte. Der hat nach dem Misserfolg seines „Freaks“ fast keinen Film mehr gedreht, ich durfte immerhin danach noch ein paar Opern schreiben (und tue es immer noch, so lange man mich lässt).

Ich schaue gen Himmel, in der Erwartung einer Untertasse oder der brasilianischen Augenpest.

Toi toi toi.

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Eine Antwort

  1. Andrea sagt:

    Sehr nett anzusehen. Mal was anderes. :) Gefällt mir gut.