Der Stand der Dinge (3): Wer mag eigentlich Neue Musik?

Probe zum Wiener Opernball, Foto: Moritz Eggert

Manchmal ist es ganz gut, kurz innezuhalten und etwas möglichst nüchtern zu betrachten, ohne einen von Ideologien, falschen Erwartungen oder eigenen Hoffnungen verstellten Blick. Vielleicht ist das neue Design des Bad Blogs ein guter Anlass dazu.
Natürlich gibt es nie einen endgültigen „Stand der Dinge“, alles ist im Fluss. Aber gerade diese Tatsache lässt uns vielleicht manchmal Dinge erwarten, die nicht möglich sind, oder andersherum Dinge übersehen, die durchaus möglich wären.
Hier also ein möglichst emotionsloser Blick auf die Neue Musik, wie sie sich heute, am Ende des Jahres 2016, darstellt. Man möge mir massiv oder zaghaft widersprechen oder zustimmen, nichts an dieser Diskussion ist abgeschlossen oder der Weisheit letzter Schluss, es ist allein ein Versuch einer unsentimentalen Bestandsaufnahme, bei der ich natürlich von eigenen Erfahrungen geprägt bin. Wo diese von Lesern ergänzt, kommentiert oder erweitert würden, begänne es spannend zu werden.

Probe zum Wiener Opernball, Foto: Moritz Eggert

Probe zum Wiener Opernball, Foto: Moritz Eggert

3: Wer mag eigentlich Neue Musik?

Wir konnten feststellen, dass der Raum in dem Neue Musik heute stattfindet, ein fest abgegrenzter Bereich mit klaren Grenzen und Regeln ist. Als musikalische Revolution fand die zweite Wiener Schule ihre erste Heimstatt in den Salons von Enthusiasten und Kennern, dann – im Exil – einen Überlebensort in den Universitäten, um schließlich in einer Art staatlich unterstützten Schutzraum ihre aktuelle Heimat zu finden, dessen historisches Entstehen auch mit einem schlechten Gewissen der Verbrechen der Vergangenheit gegenüber zu tun hat: was früher „entartet“ war, muss nun wieder existieren dürfen und gefördert werden.

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Mochte „Beliebtheit“ Neuer Musik (also das genuine Interesse an der Sache) am Anfang eine wichtige Rolle gespielt haben, als die neuen Klänge eine große Menge von Menschen erregten und polarisierten (auch Ablehnung ist „enthusiastisch“ und erzeugt Relevanz), ist sie schon seit langer Zeit komplett irrelevant im „Betriebsalltag“. Man kann als akademischer Komponist durchaus reüssieren und ein gutes Auskommen als z.B. Professor haben mit Musik, die niemand gerne hört, die niemand gerne spielt und für die sich auch niemand interessiert außer einem winzigen Kreis von Kollegen und Experten. Und auch diese „lieben“ diese Musik dann nicht, sondern beurteilen sie innerhalb eines Vergleichssystems, das vornehmlich von Eigeninteressen geprägt ist. So ist es wichtiger die richtigen Stipendien und Professoren zu „sammeln“ als eine größere Menge von Menschen in irgendeiner Form zu begeistern. Man studiert nicht bei Komponisten, weil man deren Musik persönlich liebt und schätzt, sondern weil man sich von deren Status eigenen Statuszugewinn erhofft. Tatsächlich ist es vollkommen unerheblich ob Neue Musik irgendjemandem gefällt oder fasziniert, solange sie nur geschickt die Tabuzonen aktueller interner Ästhetiken umschifft und eine bestimmte Qualität der Machart ausweist.

Bei Kompositionswettbewerben werden Partituren meist anonym eingereicht und nach unausgesprochenen Kriterien ausgesucht, die auf jeden Fall gültig sind. So sind eine bestimmte grundsätzliche Komplexität der Machart und besonders markante „Modernitäts-Attribute“ (Vierteltöne, Multiphonics, esoterische Spieltechniken) gefordert, die ein Werk als dem Kreis der Neuen Musik zugehörig ausweisen. Nur solche Werke können in die engere Wahl kommen, die Frage nach dem Sinn oder „Unterhaltungswert“ wird fast nie gestellt. Letztere Frage wäre sogar besonders ketzerisch, denn dann käme man gefährlich nahe an den Begriff der „U-Musik“, könnte also mit den Kriterien der E-Musik nicht mehr bewertet werden, wäre quasi „exkommuniziert“.

Nun sind große musikalische Meisterwerke selbstverständlich nicht notwendigerweise „unterhaltend“ im landläufigen Sinne, da die Konzentration auf alleine das Attribut der Gefälligkeit ebenso beschränkend wirken kann wie der komplette Verzicht darauf. Auch sind sie nicht notwendigerweise „populär“, da sie meist entweder verstörende oder besonders subtile und komplexe Merkmale aufweisen, bei denen der „Unterhaltungswert“ auch in der aktiven und mitunter auch anstrengenden Dekodierung durch den Hörer liegen kann. Dennoch ist klar, dass Komponisten früher das Element der Faszination und Partizipation des Publikums sehr ernst nahmen. Man schrieb Da-Capo-Arien, suchte sich spannende, ergreifende oder schlicht unterhaltsame Stoffe und thematisierte elementare menschliche Sehnsüchte wie Freude oder Liebe auf eine Weise, die einen Zugang auch zu komplexen Werken ermöglichte. Mit dem Verzicht auf diese ganz wichtige Reibungsfläche – der Verpflichtung eben nicht nur „interessant“ sondern auch „nicht langweilig“ zu sein – hat sich die Neue Musik eines wichtigen Grundmerkmals von Musik komplett beraubt. Viele zeitgenössische Partituren entzücken daher nur die Experten aufgrund ihrer Konstruktion oder handwerklichen Raffinesse – freiwillig und zum Vergnügen anhören auf zum Beispiel CD würden sich diese Musik noch nicht einmal ihre hartnäckigsten Apologeten.

Es ist allerdings zu beobachten, dass dieser eigentlich sehr traurige Zustand schon lange nicht mehr so rigide existiert wie soeben beschrieben. Spätestens seit dem Aufkommen von Minimal Music (der bisher kommerziell erfolgreichsten Ausformung Neuer Musik) manifestiert sich immer wieder zaghaft die Sehnsucht nach in irgendeiner Form mitreißenden oder überwältigenden Musik. Das kann ganz unterschiedlich geschehen – auch die momentan verbreitete konzeptuelle Musik will z.B. amüsieren oder unterhalten, allerdings nicht durch fließenden Wohlklang wie in der meisten Minimal Music, sondern durch möglichst originelle Ideen und Ansätze, die erstaunen oder provozieren sollen. Insofern kann man attestieren, dass die strenge Abgrenzung Neuer Musik zu der Idee einer anspruchsvollen „Zerstreuung“ so nicht mehr existent ist – selbst Hardliner-Festivals öffnen sich zunehmend den vorherigen „Erzfeinden“, zum Beispiel der Popmusik.

Diese Suche nach neuen Impulsen hat mit dem langjährigen „Inzest“ der Neuen-Musik-Szene zu tun und folgt damit quasi einer biologischen Notwendigkeit der Auffrischung durch neues „Genmaterial“. Das ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Da aber die Strukturen der Szene – also ihr reales Umfeld und ihre Aufführungspraxis nach wie vor die selben sind – riskieren allzu neugierige, wagemutige und vor allem zu erfolgreiche Komponisten immer wieder das Herausfallen oder die Verbannung aus der Szene. Und es bleibt auch abzuwarten, ob die neuen Trends nicht einfach von den akademischen Institutionen absorbiert und gezähmt werden, wie es im Falle der Minimal Music schon längst geschehen ist.

Wie einsame Wölfe streichen heute zahlreiche Komponisten an den Rändern der Neuen Musik herum und wildern in „verbotenen“ Gefilden. Manche von ihnen suchen künstlerische Freiräume und lassen es sich im „Exil“ gar nicht schlecht gehen, andere sind getrieben von Sehnsüchten nach Anerkennung oder Erfolg der über das hohle und gängige „finde ich interessant“-Lob der Szene hinausgeht. Viele tauschen auch ein Gefängnis gegen das andere aus – wird die Befriedigung eines „Publikumsgeschmacks“ (der nüchtern und geradezu schockierend banal von Marktinteressen und immer kurzlebigeren Trends bestimmt wird) zum Hauptmotiv für das eigene Komponieren, bewegt man sich von der relativen Unfreiheit (akademische Neue Musik-Szene) in die Sklaverei, und die ist schlimmer, weil sie meist mit einem kompletten und endgültigen Verrat dessen einhergeht, wegen dem man einmal angefangen hat, Musik zu machen. Diesen Verrat an sich selbst versüßen sich viele dieser Komponisten allerdings mit einem Zugewinn an finanziellem Status, was am Ende des Tages vielen wichtiger ist als persönliche Freiheit.

Hartnäckig hält sich aber aus der Perspektive der Neuen Musik das Klischee, dass Publikumsinteresse Qualitätsverlust bedeutet, dass das Erfolgreiche nicht gut sein kann und darf. Wildert man erfolgreich in mehr als einem Revier, setzt Neid und Mißgunst ein. Das ist natürlich falsch: zu allen Zeiten der Kunstgeschichte gab es sowohl verkannte als auch höchst erfolgreiche Genies, ein authentischer schöpferischer Impuls muss nicht verschwinden, wenn das Publikum applaudiert. Insofern bleibt die künstlerische Bewertung dieser „Randkomponisten“ schwierig und ist oft Gegenstand erhitzter Diskussionen.

Der Stand der Dinge:

1) Neue Musik entgeht durch die strengen Regeln ihres Umfelds erfolgreich der Notwendigkeit irgendeiner Form von „Beliebtheit“ und genügt damit sich selbst.

2) Wer zu „beliebt“ wird, läuft Gefahr, aus der Szene herauszufallen, weil er nicht mehr als Teil derselben verstanden wird.

3) Die aktuelle Neue Musik sucht aktiv Neue Impulse von außen, um diese dann in ihr System der akademisch und institutionell geprägten Aufführungspraxis einzugliedern.

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4 Antworten

  1. Thomas sagt:

    Ich, der Obergott der Neuen Musik, gestatte Dir, lieber Moritz, ab sofort unterhaltsame Musik zu schreiben und damit die Menschheit zu erfreuen. Allen Deinen bösen Widersachern, die die Menschheit mit unschöner Musik quälen, verbiete ich unter Strafe totaler Bedeutungslosigkeit Dich dafür zu kritisieren.
    So, ich hoffe damit ist endlich Ruhe im Karton.

  2. Michael sagt:

    Oft frage ich mich wie weit man noch gehen kann…
    Ich komponiere gern mal ein bisschen komplizierter, aber ich habe auch oft genug Lust dazu einfach mal was Tonales und Einfacheres zu schreiben. Oder mich einfach den Klängen hinzugeben.
    Ist das jetzt verboten oder gehen wir wieder Richtung Neuer Einfachheit und Tonalität?
    Warum muss es immer kompliziert sein?
    Danke für die bereichernden Beiträge…

  3. Doe John sagt:

    Seien wir doch mal ehrlich !

    Das Produkt von Popmusik ist nicht Musik sondern Attitude und Lebensideal. Es geht um den Sänger, nicht um den Song, und auch nicht um die Musik.
    Die Musik dient lediglich als „Geschmacksverstärker“, weil Musik einfach ein sehr wirkungsvolles und einfaches Mittel zum erzeugen von Emotionen ist.

    Bob Dylans Stücke ohne Text und ohne IHN, sind irrelevant. „It’s the singer not the song“. Wer sich mit 50 nochmal jung und rebellisch fühlen will hört halt AC/DC. Selbstverständlich gibt es dies auch in der Klassik. Wie viele Klassikhörer quälen sich wohl durch ein Konzert, nur um sich intelligent zu fühlen ? Und viele Klassikhörer quälen sich durch ein Georg Haas Stück, um sich noch intelligenter zu fühlen.

    Es stimmt jeder Musikstil hat seine ungeschrieben Regeln. In einem Metalstück benutz man keine Dur-Akkorde, und wer im Prog-Rock Dur-Akkorde benutzt, muss sie durch zahlreiche Tensions „verjazzen“. Die meisten Unterschiede zwischen Musikstilen basieren nur auf maginalen Unterschieden dieser Regeln. Hinzu kommen vielleicht noch verschiedene Produktionsweisen, Mastering etc.

    Wenngleich auch Neue Musik mit seiner totalen Vermeidung von traditionellen Elementen sich selbst massiv einschränkt, so herrscht in der Neuen Musik immernoch eine größere Freiheit als in allen anderen Stilen, vlt. mit Ausnahme des Jazz.

    Vieles in dieser Rubrik, und auch in anderen Werken wie „Darmstadtstyle“ riecht für mich stark nach einem „die coolen Kidz wollen mich nicht mitspielen lassen“.

    Das Neue Musik akademisch ist, ist vielleicht gar nicht so schlimm. Schlimm ist, dass es elitär ist. Aber auch dies scheint eher ein Selbstschutz zu sein. Fing diese Tendenz doch vor allem in der Zeit an, als Debussy und Schoenberg sich unverstanden fühlten.

  4. Jundurg sagt:

    Die ganzen Fragen, welcher Stil denn nun erlaubt sei und so weiter führen mMn letztlich nirgendwohin; vielmehr muss eins sich als Komponist die Frage stellen, warum man denn überhaupt schreibt.

    Für mich besteht der Ausweg darin, das Komponieren bzw. das Kunstschaffen generell als Methode des persönlichen Wachstums anzusehen. Durchaus auch als Möglichkeit, andere dazu anzuregen, aber primär eben das eigene Wachstum. Damit verlieren all die Kategorisierungen, in die sich zu verfangen man in Gefahr läuft, schnell an Bedeutung. Wenn die Frage ist: „Lerne ich daraus, dies zu tun?“ Statt: „Wem könnte dies gefallen?“ oder „Wie soll eins das machen, damit es X gefällt?“ (Und X kann ja durchaus auch eins selber sein, oder ein wie auch immer geartetes Zielpublikum.)

    Ein zweiter Aspekt, der sich vielleicht auch als logische Konsequenz ergeben mag, ist die Interaktion mit allen anderen wesentlichen Aspekten des Lebens – seien es andere Kunstgattungen, Naturwissenschaften, Politik, Psychologie, usw. usf. – was immer das Interesse des Komponierenden bestimmen mag für eine Zeit.

    Und diese Eigenmotivation kann spielerisch sein, wie die Herangehensweise eines kleinen Kinds, oder mit bitterem Ernst, indem sich Weltprobleme plötzlich in der Kunst gespiegelt wiederfinden. Ich kann beidem etwas abgewinnen.