Ferienkurse Darmstadt 2016 – Schreibwerkstatt regt weiter auf

So, zuerst fange ich mit dem Umrühren, dem Auskippen und Spülen an, wie es den Teilnehmerinnen der Schreibwerkstatt, obendrein der nmz und als i-Tüpfelchen den Bad Boys durch einen prominenten Pianisten empfohlen wird. Das macht selbst gestandenen Komponisten und Musikwissenschaftlern Angst, die in der nmz ab und an Glossen beisteuern. Also sei hiermit durchgespült!

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Zur Sache: im August noch wunderte sich der Schreibwerkstattteilnehmer Jim Igor Kallenberg, warum plötzlich die Kommentarspalten des Blogs des Workshops offengelegt worden sind, wo doch entgegen den Wünschen der Teilnehmer durch die Leitung beschlossen wurde, diese geschlossen zu halten. Kallenberg hatte sich in seinem Beitrag „In Frankfurt erklärt Darmstadt den musikalischen Bankrott“ über ein Gastspiel der Ferienkurse im Frankfurter LAB mit dem ictus-Ensemble und der Blockflötistin/Komponistin Eva Reiter sehr kritisch geäussert.

Die ersten beiden Absätze lesen sich fast wie eine wohlwollende Beschreibung, im letzten Absatz wird Kallenberg dann sehr deutlich: „Mit Neuer Musik hat das natürlich nichts zu tun. Eva Reiter gibt dem Publikum das, was es will. Ihr Maßstab ist die Realität, so wie sie ist. Neue Musik aber will das Gegenteil: sie muss der Realität zum Maßstab werden. Verstehen wir doch Neue Musik in genau diesem Sinne, können wir es uns dennoch nicht leisten, uns selbstsicher über Stücke wie The Lichtenberg Figures zu erheben.“ Diese Worte müssten jedem Ferienkursverantwortlichen eigentlich wie Butter runtergehen!

Ja, mag Neue Musik in diesem Jahrgang das Politische gemeint haben, also eine Ausrichtung der Kunst am Leben, so wird sie politisch, wenn sie über das Sujet hinausgeht, es überhöht oder sich ihm verweigert. Was man Kallenberg nun vorwerfen könnte, dass für ihn dies nur erreicht wird, wenn sich Musik dem Publikum verschliesst. Im musikantischen Sinne tat dies die Komponistin wohl nicht.

Und das lässt ihn den Satz formulieren, der wohl der Anfang der Zündschnur der seiner Kritik folgenden Aufregung war: „So obszön und geschmacklos auch ihre eindeutige Direktheit ist, Eva Reiter kommt an, wir nicht. Die Frage ist jetzt, wie wir mit dieser Bankrotterklärung umgehen.“ Das ist wirklich nicht höflich. Aber er wirft die Frage auf: warum labelt man etwas mit Neuer Musik, wenn es eigentlich nicht neu, sondern sich affirmativ zu Realität, Publikum und Material verhält? Warum dann nicht einfach Ferienkurse für schöne Musik statt Neue Musik?

Urplötzlich öffneten sich die Kommentarspalten, als ob die Leserbriefe der Musiker und Freunde von ictus unbedingt ans Licht der Welt müssten, die ihm Voreingenommenheit, Unkenntnis, etc. vorwarfen. Kallenberg nahm es vergleichsweise dann doch gelassen hin, denn er widerspräche ja sonst sich selbst, wenn er die Kommentare wegmachen liesse: „Dieses Trauma klafft jetzt im Programm der Darmstädter Ferienkurse und der größte Fehler wäre, es wegzurationalisieren.“ Der Co-Kursteilnehmer Jonas Reichert warf der Kursleitung die Öffnung der Kommentarspalten vor, der Kursleiter Stefan Fricke reagierte professionell. Denn plötzlich nahm man über die Ferienkurse hinaus ihre bis dahin mehr oder minder „eingebettete“ Schreibwerkstatt wahr, da diese sich zum Missfallen einiger wohl emanzipierte. Auch das müsste eigentlich gefallen – wie war das mit dem Urdiktum Neuer Musik, der Emanzipation der Dissonanz?

Heftiger wurde es ein paar Wochen später, als Johannes Kreidler wohl vom Liegestuhl fiel, als er die nicht mal zweiminütigen Lernradiofeatures des Komponisten Christopher Jakobi (Jacke wie Hose und Damenschuhe – Johannes Kreidlers „Fantasies of Downfall“) und des Musikwissenschaftlers Jaronas Scheurer – „Der Musiker als reine Deko“ – anhörte.

Die Quintessenz der beiden von den Autoren selbst gesprochenen Texte, was sie so vielleicht noch direkter macht neben ihrer Kürze, ist: sie denken, dass Kreidler nicht komponiere und sie seinen Konzeptualismus nicht mögen, wobei obendrein Scheurer Claus-Steffen Mahnkopf auch als Konzeptualisten verdammt – schon fast episch, wie hier Gegensätzliches, Kreidlers und Mahnkopfs Kontroversen kann man ja reichlich nachlesen, vereint wird. Man hat den Eindruck, die jungen Autoren hätten sich nicht ausreichend informiert. Der grösste Ausrutscher unterlief Jakobi, indem er sein Missfallen an Kleidung und Sichtbarkeit Kreidlers als Ausgangspunkt nahm. Klingt so, als hätte er mit dessen Parfüm und Schweiss ein Problem. Das entlarvt das Feature als Gelegenheitsheischen, um dem Ungeliebten mal so richtig eins auszuwischen.

Und prompt stolpert der Gemeinte darüber. Und regt sich zurecht auf. Aber zielt dann auch kräftig unter die Gürtellinie, indem Kreidler die deutschsprachigen Schreibwerkstattteilnehmer als „Pippikackascheißer(n) aus der Darmstädter Schreibschule“ desavouiert. So gesehen auch nicht besser als die Auslassungen Jakobis zur Mode. Aber bleiben wir ernst! Natürlich soll Kritik nicht nur beschreiben, sondern ästhetisch und kunsthistorisch einordnen. Vollkommen klar, in jedem 2000 Zeichen umfassenden Text sollte dafür Platz sein.

Hier aber waren es eben Radiokurzkritiken, das Auto-Epigramm des Feuilletons, wenn der Verfasser ihn selbst spricht. Das ist traditionell doppelt authentisch: vom Ort des Geschehens rennt man zum nächsten Telefon und berichtet vor Ort sowie selbst wie der Bote aus Marathon vom Konzert. Das nimmt dem Boten nicht die Pflicht, englische Titel richtig zu übersetzen und bezahlte Claquere wirklich zu ermitteln. Auch wenn er sah, wie die Damen und Herren vielleicht mit Johannes Kreidler sprachen, später ihm applaudierten, hat er nicht gesehen, ob Geld oder Freibier zwischen diesen floss. Da flottiert nur frei der Zorn eines wie Kreidler ebenfalls elektronisch arbeitenden Komponisten, was die Sache verzeihbar macht. Kollegenschelte, schwierige Sache, aber keine Kritik.

Mir selbst unterläuft es natürlich auch immer wieder, dass ich mal sehr heftig verbal in meinen kritischen Äusserungen überreagiere, gerade hier im Blog. Wobei das eben auch kein klassisches Feuilleton oder Radioformat ist, sondern sich eher in der Tradition von Schumann, Berlioz und Debussy versteht, die natürlich viel besser als unsereins heutzutage als Komponisten über Komponisten und das Musikleben ihrer Zeit schrieben, räsonnierten, sich ausliessen. Deshalb hier meine Ansage: ja, seid nachsichtig mit mir Unnachsichtigen. Aber wenn Ihr das nicht könnt, dann rutscht mir den Buckel runter, rührt, kippt aus und spült. Wird Euch nicht helfen!

Denn da kommt nun das eigentlich Fatale: im Falle Kreidlers – warum liken denn ausgerechnet Herr Schäfer und Herr Rebhahn Kreidlers und jenes Pianisten Kommentare? Das befremdet! Haben sie doch ein Problem, dass sich ihre Schreibwerkstatt 2016 zu emanzipieren versuchte: im Falle Jakobis und Scheurers scheiterte dies, im Falle Kallenbergs würde ich sehr wohl Emanzipation vermuten. So wie man Systemkritik im Falle Reiters üben kann, das Neue Musik erstarrt, so könnte man dies natürlich auch dem Bereich zwischen Konzeptualismus und Diesseitigkeit vorhalten, auch eine alte Leier: waren Schäfer, Rebhahn, Kreidler, etc. vor acht, sieben, sechs, fünf Jahren noch eher Gäste als nun Dozenten oder Leiter, so haben die Protagonisten des o.g. ästhetischen Bereichs aktuell nicht ganz unwichtige Positionen in der Hand. Da heisst es nun die Freiheiten zu ermöglichen, deren Fehlen man vor einiger Zeit noch selbst zurecht ankreidete.

Da heisst es nun die Kritik an sich zu ertragen, die man auch wenige Jahre zuvor kräftig austeilte. Kreidler nehme ich da ein wenig heraus, weil er zwar heftig reagieren kann, siehe Pippikackascheißer. Selbst ist er aber zur Genüge immer noch Pippi Langstrumpf, um daraus eine generelle Diskussion über Kritik zu machen. Die anderen aber liken, kichern, lästern, kippen aus, schliessen ihre Kreise wie die auftrainierten Footballidole einer Highschool, ohne das je zu sein, und sind mit ihrem Ego so weit von der propagierten Offenheit entfernt, wie es ihre Vorgänger mit gewisser Altersweisheit dann doch nicht waren. Entweder man schliesst die Schreibschule von der Ferienkurseöffentlichkeit aus. Oder man geht mit vollen Risiko ans Werk. Was dann eben auch zu Kritik am eigenem Tun führen kann. Vielleicht ist es dieses friendly fire, was zu dem Überreagieren führte. Aber wie sang ich Johannes Kreidler schon mal entgegen: non abbiate paura! Habt keine Angst vor den Geistern, die Ihr riefet! Bändigt sie, aber mit Herzlichkeit.

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Eine Antwort

  1. Max Nyffeler sagt:

    Der Fall erinnert an das, was Herbert Marcuse einst „repressive Toleranz“ genannt hat: Kritik ist erwünscht, aber nur solange sie die institutionellen Interessen nicht antastet. Oder an die letzten Ausläufer des Stalinismus in den Köpfen: Wer nicht liniengetreu argumentiert, wird den öffentlichen Angriffen der Konformen ausgesetzt, als Machtdemonstration eines inszenierten Mehrheitswillens. Kritiker, und seien es auch nur Musikkritiker, zu erziehen, ist eben ein schwieriges Geschäft, besonders für eine Institution, die sich als Parnass des kritischen Denkens versteht. Wenn sie auf unbequeme Kritiker zielt, schießt sie sich ins eigene Bein, und wenn sie es dann noch öffentlich macht, wird das Ganze zur Gaudi fürs breite Publikum. Pleiten, Pech und Pannen. Ein Ratschlag, um das künftig zu vermeiden: Vom Downfall des Systems Honecker lernen!