AFD und Kulturpolitik – bitte nicht!
Zurück zur D-Mark, zurück zu Schlagbäumen, zurück zu Magister und Diplom, zurück zum Herd, zurück zum Glauben an den Storch. Würde dies auch heißen: zurück zu nicht fusionierten Orchester- und Theaterlandschaften, zurück zu Opern zur Primetime in den Hauptsendern des Rundfunks, zurück zu breiter musischer Bildung? Ein Blick in den geleakten Programmentwurf der AFD-Bundespartei und ihre Wahlprogramme der letzten Landtagswahlen könnte da Aufklärung verschaffen. 2013 noch erhielt ich keine Antwort auf Fragen, wie die AFD z.B. zum Urheberrecht steht. Es gab damals schlicht keine Haltung dieser Partei dazu. Damals ging es eigentlich nur um den Euro-Ausstieg. Heute geht es vordergründig gegen die jetzige Flüchtlingspolitik, immer noch gegen den Euro, Patchworkfamilien, Gleichstellung, etc. Die damaligen Piraten wollten immerhin das urheberrechtsreduzierte Internet, wahrlich ein Kulturthema, an dem sich Kulturschaffende abarbeiten konnten. Die AFD wird allerdings mit Frauke Petry von einer Frau geleitet, die vor ihrem politischen Engagement im Leipziger Vocalensemble (dieses Bild, vermutlich 5. von links erste Reihe? S. auch Wikipedia) mitsang. So wäre eine kulturaffine Programmatik zu erwarten. Sucht man im besagten geleakten Programm nach Kultur, erhält man über 60 Treffer, aber nur gegen Willkommenskultur oder für Leitkultur. Erst weit hinten im letzten Drittel kommt ein kleiner Abschnitt zu dem vor, was man ein Leitbild für Kulturpolitik nennen könnte. Bemüht sich jeder vernünftige Berufsverband angesichts der EU-Einbindung der Bundesrepublik und ihrer vermehrt internationalisierten Kulturszene von z.B. „in Deutschland geschaffener Kunst“ zu sprechen, rumpelt es meistersingerhaft: „…Deutsche Schriftsteller und Philosophen, deutsche Musiker, bildende Künstler und Architekten, in jüngerer Zeit auch deutsche Designer und Filmemacher, haben wesentliche Beiträge zu ihren jeweiligen Disziplinen im weltweiten Maßstab geleistet.“
Das schliesst also vollkommen rückschrittlich den Erfolg der Kulturszene hierzulande gerade aufgrund ihrer Internationalität aus. Immerhin ist in der Parteizentrale angekommen, dass das Internet für die Kulturentwicklung eine entscheidende Rolle spielt: „Die AfD erachtet es als eines ihrer vorrangigen politischen Ziele, dieses große Kulturerbe für die kommenden Generationen nicht nur zu bewahren, sondern es im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung weiterzuentwickeln und seine unverwechselbaren Eigenheiten zu erhalten.“ Aber es bleibt beim Nationalgerumpel, das Deutschland von der Weltkultur isolieren möchte: „Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen.“ Wie gut, dass höchstwahrscheinlich kein höherer Parteikader eine Ahnung von Spektralismus (vom französischen Erbfeind erfunden) und minimal music hat (reinster Amerikanismus). Aber lassen wir dies hinter uns. Wie uns bekannt ist, gibt es immer wieder Entscheidungen im Kulturleben, wo jemand massiv seine Schüler oder Spezl fördert.
Ein dauerhafter, massiver Einfluss von politischen Parteien auf künstlerische Entscheidungen ist aber nicht auszumachen. Im Gegenteil, die allerorten praktizierte Transparenz bei Jurybesetzungen, vermehrt mit Auswärtigen denn langjährigen Kennern der Szene, wie z.B. bei den Berliner Musikprogrammen oder der Münchner Theaterförderung, ist beinahe schon wieder zu parteifern. So tönt der Entwurf der AFD: „Die AfD will den Einfluss der Parteien auf das Kulturleben zurückdrängen, gemeinnützige private Kulturstiftungen und bürgerschaftliche Kulturinitiativen stärken und die Kulturpolitik generell an fachlichen Qualitätskriterien und ökonomischer Vernunft anstatt an politischen Opportunitäten ausrichten. Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“ Purer Neokapitalismus nationaler Coleur. Abgesehen von der panischen Angst, dass man aus der Aufarbeitung des Nationalsozialismus doch etwas auch im 21. Jahrhundert noch lernen könnte, ist es reinster US-amerikanischer Kultur-Mainstream-Darwinismus. Was Privaten gefällt und sich obendrein gut verkauft, wird zugelassen. Was Kultursubventionen benötigt, wird wegrationalisiert: „Wir halten ein gewisses Minimum an staatlichen Kultursubventionen für unumgänglich, die jedoch an die selbst erwirtschafteten Einnahmen der Kulturbetriebe zu koppeln sind.“
D.h., also noch weniger Stadt- und Staatstheater, noch mehr Orchesterfusionen, noch mehr risikofreie, uraufführungslose Spielpläne wären die Folge. Ganz finster sähe es für all die ernsten und unterhaltenden Formate der für Filmkomponisten so vielen und wichtigen Rundfunkanstalten aus, die radikal eingedampft werden sollen: „Die staatliche Informationsversorgung wird durch einen steuerfinanzierten Rundfunk mit zwei Rundfunksendern und zwei Fernsehsendern geleistet.“ Nach einem Intermezzo gegen Schleier, Beschneidung und Nein zum Gendern, will man sich doch noch als inländische Urheberrechtswahrer präsentieren, zumindest in Hinblick auf Literatur mit deutschem Pass, noch mehr Abschottung von der Welt: „Die Digitalisierung der Deutschen Literatur ist eine von Deutschland zu leistende Aufgabe. Nur die eigene Bevölkerung und deutsche Literaturfachleute können deutsche Literaturwerke gewichten. Möglichen Lizenzzahlungen an ausländische Unternehmen zum Lesen digitaler deutscher Literatur ist durch Gesetzgebung vorzubeugen.“ Also immerhin einiges mehr zu Kulturpolitik. Wobei ernsthaft zu überlegen wäre, ob es bei der Leerstelle dazu nicht hätte besser bleiben sollen.
In Hinblick auf die paradoxe Amerikanisierung und Trimmung der Kultur auf Gefälligkeitsmainstream wird mancher meinen, dass klänge wie ein FDP-Kulturprogramm. Der sei eines Besseren belehrt, wie ein paar Querleser im FDP-Wahlprogramm zur Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg zeigt: „Die Aufgabe des Landes ist es, für eine qualifizierte künstlerische Ausbildung junger Musiker zu sorgen und jene künstlerischen Spit- zenleistungen zu fördern, die ohne staatliche Subventionen in ande- re Länder abwandern würden oder in ihrer Existenz gefährdet wären.“ Oder: „Wir werden… die Landesförderung der Philharmonischen Orchester und der Kammerorchester fortsetzen und gemeinsam mit den Sitzstädten ein Konzept entwickeln, wie die Zukunft der Orchester und Chöre an den kommunalen Musiktheatern strukturell und finanziell gesichert werden kann.“ 180 Grad das Gegenteil der Vorstellung der Bundes-AFD.
Die AFD in Baden-Württemberg verwendet 38 mal das Wort „Kultur“ in ihrem Programm. Aber keine Rede von Kultur im Sinne von Kunst und der dazugehörigen Politik, nur Kulturraum, Kulturpflanzen, böses Multikulti, etc. Im AFD-Wahlprogramm aus Rheinland-Pfalz sieht es auch nicht besser aus.
In Sachsen-Anhalt wirbt die AFD mit Rücknahme der Kürzungen der letzten Jahre: „Die in den letzten Jahren zusammengestrichenen Zuschüsse etwa zur Landesbühne Sachsen-Anhalt sind in voller Höhe wieder zu gewähren.“ Und, Hurra, kleiner Institutionen sollen besser gefördert werden: „Wir wollen viel stärker als bislang darauf achten, dass förderungswürdige kleinere Projekte nicht abgehängt und die Mittel künftig in diesem Sinne effizienter eingesetzt werden.“ Aber bitteschön dies Alles nur, wenn die AFD ideologisch fordern darf – wollte sie das nicht auf Bundesebene zurückdrängen – : „Museen, Orchester und Theater sind in der Pflicht, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern. Die Bühnen des Landes Sachsen-Anhalt sollen neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.“ Jawoll! Jedes Mal nach Aida, Phädra oder Cabaret ist wohl das Deutschlandlied mit allen drei Strophen und noch neu zu dichtenden bussfertig abzusingen, wenn es nicht genügend deutsch auf der Bühne zuging, gar ein französischer Regisseur, ein koreanischer Tenor und eine spanische Konzertmeisterin zusammengearbeitet haben sollten.
Was bleibt? Es wird von Kultur gefaselt, Kulturschaffende werben sogar für diese Partei, ja mit Jongen steht Sloterdijk und Kubitschek eine nicht auf den Mund gefallene identitäre Intellektuellenverquasung bereit, Kulturelles zu evozieren. Kulturpolitisch aber ist die ganze Sosse widersprüchlich, weltfremd und letztlich gerade freischaffende Künstlerexistenzen vernichtend. Arbeitnehmern will man das staatliche Arbeitslosengeld nehmen, es privatisieren, Old-America stünde da wieder Pate. Was dann mit der Künstlersozialkasse passieren würde, von der sie Gott sei Dank wohl noch nichts wissen, will man sich in seinen alpigsten Träumen nicht ausmalen.
Komponist*in
@Alexander: Danke – gern gelesen :-)