Endlich bin auch ich in Donaueschingen angekommen.

Als ich morgens um 8:48 den Zug in München bestieg, war ich tatsächlich schon ein bisschen aufgeregt.

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Donaueschingen…diese große Stadt der Neuen Musik von der ich schon so viel gehört hatte. Und so Unterschiedliches! So sagte mir eine gute Freundin neulich, dass die Musik in Donaueschingen zwar Scheiße sei, aber die Gerüchte, oh la la, die Gerüchte! Man müsste da unbedingt hin, um die „Szene“ zu verstehen, der Rest wäre eigentlich Nebensache.

Ich tendiere dazu, meinen guten Freundinnen zu glauben, wollte mir aber natürlich auch selber mal ein Bild machen. Deswegen hatte ich es fest vor: auch ich muss diesmal nach Donaueschingen! Auch ich muss diesmal diesen Tempel der Musik besuchen, dieses Fanal gegen die Mittelmäßigkeit unserer Zeit, diesen Ort der Widerständigkeit in einer immer primitiveren und oberflächlicheren Welt! Auch ich muss pilgern!

Während ich die Schönheit des Namens „Donaueschingen“ gediegen kontemplierte in meinem einsamen Erste-Klasse-Abteil (in dass sich nie nette Menschen verirren, weil nette Menschen immer zweite Klasse fahren, außer mir natürlich) meine Fahrtroute, die mich von München erst einmal nach Ulm führen wurde.

Ulm, die Münsterstadt! Wer kennt nicht das großartige Gedicht: „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum“. Ich könnte das tausend Mal am Tag hören. Ich stelle mir vor wie zum Beispiel ein Großer wie Mark Andre dieses schöne Gedicht vertonen würde, wie er die Geräusche der Konsonanten quasi mit seiner Musik herausmeißeln würde und in eine sublime Fläche der Klangschichtungen verwandeln würde, alles natürlich wahnsinnig subtil und intelligent, gleichsam aber auch ein wenig bescheiden und liebenswert nervös, sodass man auch etwas Kluges darüber schreiben kann. So etwas bewundere ich.

Aber zurück zu Donaueschingen. Donau. Eschingen. Das sind zwei Worte, die Großes verheißen. Zuerst einmal der Fluss, der in seiner majestätischen Kraft diesen weiten Weg durch die Berge zurückgelegt hat, um an Eschingen vorbeizufließen, und zwar solange, bis er Kraft seines Namens quasi mit Eschingen verschmolzen ist, zu einem neuen kraftvollen Wort: DONAUESCHINGEN. Eschingen, das klingt wie die weise Esche, der klügste aller Bäume. So verehrten ja schon die alten Germanen die WELTENESCHE namens Yggdrasil. Und so kommt ja auch die ganze Welt nach Eschingen, nach Donaueschingen, nach Donauwelteneschingen. Deswegen gibt es dort auch die tollsten Gerüchte und natürlich auch Gerichte, denn auch Komponisten wollen etwas essen, sie sind ja ganz verschwitzt und natürlich auch ein bisschen müde nach den ganzen Proben. Wobei verschwitze Männer ja meistens nicht so dolle riechen, verschwitze Frauen dagegen irgendwie meistens ganz angenehm. Frauen sehen das vermutlich umgekehrt, aber dennoch: der Ruf nach mehr weiblichen Komponistinnen (was eventuell, nein, ganz sicher eine Tautologie ist) entbehrt nicht eines gewissen Charmes, denn natürlich würde man den weiblichen und femininen Komponistinnen gerne beschwingt in Turnhallen folgen, wo man ihren natürlich klugen und durchaus auch verschmitzt intellektuellen Klangexperimenten lauschen könnte.

Aber soweit ist es noch nicht. Denn in Ulm ist erst einmal Umsteigen angesagt, was ja an deutschen Bahnhöfen nicht immer ganz einfach ist, wenn so schrecklich viele Menschen unterwegs sind. Aber doch: es gelang mir, mich auf das Gleis 6 Nord zu begeben, wo schon der kleine IRE 3206 auf mich wartete, der mich zum Heiligtum, zum kultischen Ort der Verzückung bringen sollte, auf den ich mich schon mit jeder einzelnen granularsynthetischen Faser meines Körpers so freute.

Seltsam leer war dieser kleine Zug. Warum dieses geringe Interesse, sich auf diese doch sehr bewusstseinserweiternde Route zu begeben? Nun, natürlich ging die Strecke an gar vielen Orten vorbei, deren Namen ich schon wieder vergessen habe. Aber es waren viele. Es sind viele Schritte, die man für den rechten Glauben gehen muss, das sagte schon der Prophet Muhammad Ali als er Joe Frazier 1975 auf den Philippinen die Fresse polierte (lest es nach). 2 Stunden sollte diese Fahrt dauern, und diese 2 Stunden gingen dann auch recht schnell vorüber, denn es passierte einfach nicht viel Interessantes. Doch, am Ende passierte doch noch etwas Interessantes, und zwar stand eine nervöse Frau auf und fragte den Schaffner, wie man denn jetzt in Donaueschingen von Gleis 3 nach Gleis 1 käme, was diesen sichtlich verwirrte, dann erheiterte, dann verärgerte, und zwar genau in dieser Reihenfolge.

„Gleis 1 ist immer in der Richtung des Hauptgebäudes, und Gleis 2 ist davor“, war seine Antwort, die aber die Frau nicht befriedigte. In diesem Moment wurde es mir klar: man kommt immer auf Gleis 3 in Donaueschingen an, denn dies musste unsere nächste Station sein, denn wir waren – und ein schneller Blick auf mein Handy bestätigte dies – keineswegs verspätet sondern pünktlich, was ja erst einmal schon ein ganz besonderes Erlebnis in diesem unseren Lande ist, ein Erlebnis das man vielleicht mit dem Öffnen eines guten Mortlach Whisky aus dem Jahre 1965 feiern könnte, aber ich schweife ab.

Wie auch immer, die Frau war ob dieser Antwort nicht befriedigt, ja, geradezu beleidigt. „Man weiß ja nicht immer, wo man lang muss“, sagte sie, sichtlich zickig. Der Schaffner, der nun aufgrund seiner großen Erfahrung als Sheriff der Schienen schon jetzt zu ahnen schien, aus welcher Richtung wir den Bahnhof Donaueschingen denn nun ansteuern würden, sagte daraufhin „Gehen sie einfach die Treppe runter, dann nach rechts, dann wieder die Treppe rauf, dann sind Sie an Gleis 1“. Diese Antwort schien die Dame zu befriedigen, sie wandte sich zum Gehen, ja, zum Aussteigen, denn in diesem Moment hatten wir auch tatsächlich den Bahnhof von DONAUESCHINGEN erreicht, was mich in eine nicht unerhebliche Aufregung versetzte. Aber dann passierte in schneller Folge etwas Seltsames: der Schaffner, sicher in dem Gefühl, dass die etwas enervierende Dame nun den Zug verlassen würde, vermutlich um sich mit der Donaueschinger Festivalleitung zu treffen und mit weiblichem Charme über einen Kompositionsauftrag FÜR EINE FRAU zu verhandeln (sic!), wandte sich zu mir und lachte höhnisch. Er hatte seine Rechnung aber nicht ohne die Wirtin, bzw. die Dame gemacht, denn diese wendete sich in genau diesem Moment um und realisierte, dass der Schaffner nicht nur lachte, nein, dass er auch über sie lachte, obwohl er ja mit seiner letzten Antwort eine gewisse nicht unverbindliche Freundlichkeit vorgetäuscht hatte. Der nun enttarnte Schaffner verstummte und wurde bleich, aber die Peinlichkeit des Momentes wurde aufgebrochen durch eine kontinuierliche Bewegung der Zuginsassen gen Ausstiegsstür, die irgendwann auch besagte Dame zwangen, den von ihr eingenommenen Platz im Gang zu verlassen, und nach draußen zu gehen. Mit mir dahinter!

Ich stieg aus, und schloß die Augen.

Endlich.

Endlich war mein Traum, mein Wunsch erfüllt worden. Schon Max Nyffeler schrieb ja neulich , ich würde an irgendwelchen Institutionen rütteln, aus irgendeinem Frust heraus. Nun konnte ich dieses Trauma vielleicht überwinden. Endlich. Endlich in Donaueschingen. Endlich setzte ich, Moritz Eggert einen Fuß auf den heiligen Boden der Hochkultur. Ich war angekommen im Land der Neuen Musik.

Es war wie das Heilen einer Wunde. Dankbar dankte ich Gott (vielleicht auch eine Tautologie) und folgte der Frau zu Gleis 1 mittels einer praktischerweise zwischen den Gleisen angebrachten Unterführung, die das leichte Passieren von einem Gleis zum anderen ermöglichte, und deren Auffindung sich in der Tat als nicht sehr schwierig gestaltete.

Wo waren sie nun, die Fürsten der Neuen Musik? Wo waren meine Freunde Kreidler, Tsangaris und Andre? Wo war Alexander Strauch, den man nun doch auch mal endlich in Donaueschingen aufführen sollte, mit seine wirklich schönen Musik? Fragen über Fragen. Niemand war zu sehen. Nur ein paar Reisende, verloren im Transit zwischen Städten, deren Namen keiner kennt, deren Namen keiner kennt, deren Namen keiner kennt.

Über dem Bahnhof lag eine bleierne Stille. Direkt neben mir standen ein paar nicht ganz undubiose Gestalten, die eine Zigarette rauchten. Sonst nicht viele. Niemand redete. Ich war froh darum, denn es hätte die Heiligkeit des Momentes zerstört. Ich wollte ihn ganz ungestört erleben. Aber natürlich auch dokumentieren. Also holte ich mein Handy raus und dokumentierte ihn, diesen Augenblick, diesen langersehnten Augenblick der Ankunft in….Donaueschingen.

Hier ist der fotografische Beweis:

gespiegelt

4 Minuten später kam er dann auch schon, mein Anschlusszug nach Villingen, denn da wollte ich ja eigentlich hin, auf dem Weg zur Gründung der Erik-Satie-Gesellschaft in Königsfeld (Schwarzwald).

Rückblickend muss ich sagen, dass in Donaueschingen nicht viel, also eigentlich gar nichts Bemerkenswertes passiert ist.

Aber vielleicht hatte ich auch irgendwie zu viel erwartet.

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. Ulrich Sackhuber sagt:

    Vielleicht wäre es für die Neue Musik eine Erleichterung, wenn die Donaueschinger Musiktage keine finanzielle Förderung mehr bekommen würde. Nein, ich meine daß nicht zynisch und ich bin auch kein Vertreter einer Wohlfühl – Schaumbad Neuen Musik im Sinne von Arvo Pärt. Ich liebe Lachenmann, Stockhausen und Boulez und ich bin ein großer Beführworter der musikalischen Erneuerung, aber und so ist meine provokante These: Wie Boulez einmal meinte: Sprengt die Opernhäuser so würde ich postulieren: Nicht „sprengt die gottverdammte Neue Musik“ sondern „Sprengt Donaueschingen!“. Ich glaube, daß die Tatsache, daß es dann nur noch kleinere Festivals mit experimenteller Kammermusik und Elektronik der Neuen Musik guttun würde, als das großbürgerliche Erfüllungssuchen im symphonischen Wohlklang. Ich kann mir eine Neue Musik, auch ohne Donaueschingen wunderbar vorstellen.