„Alles ist gut“. Der neue Roman von Helmut Krausser

81r17WgxVUL

Morgen, am 10. August 2015, erscheint im Berlin Verlag das neue Buch von Helmut Krausser: „Alles ist gut“ (20 Euro, die sich lohnen. Denn sie können Leben retten.)

Werbung

Spoilern gehört zu den schwersten Verbrechen unserer Zeit. Aber spoilern scheint nur im Falle amerikanischer Serien von den Menschenrechtsorganisationen dieser Welt angeprangert zu werden. Was ist aber beispielsweise mit den Programmheften von Opern? Ja, ich meine diese ersten paar Seiten, auf denen die Handlung der einzelnen Akte – übrigens meist viel zu ausführlich und verdramaturgisiert/vergruschtelt/verkompliziert – beschrieben wird. Und jedes Mal wird auch das Ende verraten. Das halte ich für falsch. Ich will Spannung bis zum Schluss! Und vielleicht möchte ich nicht das ganze Stück – und das funktioniert natürlich nur, wenn ich die jeweilige Oper bisher noch nie wahrgenommen habe – wissen, dass nachher alle sterben werden? Vielleicht bin ich nicht so zynisch, dass ich es klasse finde, wenn ich mir innerlich schon bei dem ersten Bild des ersten Aktes sagen kann: „Haha, du Wicht! Du bist des Todes! Nimm das!“

Ähnlich verhält es sich mit Buch-Rezensionen. Zumindest ein Warnhinweis oben drüber: „Vorsicht, Spoiler Alert!“ sollte zum guten Ton der Feuilletons dieses Landes gehören. Ich werde also einen Teufel tun – und hier wesentliche Dinge aus Kraussers neuem Geniestreich „Alles ist gut“ ausplaudern. Ich will ja emphatisch dazu anregen, dieses Buch, das ich in einem Vier-Stunden-Rausch durchgelesen habe, selbst zu genießen, sich daran zu erregen, sich zu echauffieren, den Autor größenwahnsinnig zu finden (was er – Gott sei Dank und völlig zu Recht: ist!).

Ich hatte jedenfalls die große Ehre und Freude, den Roman bereits vor zwei Monaten in den Händen zu halten. Eigentlich hatte ich recht viel zu tun an dem Tag – doch alles andere musste warten. Ein paar Andeutungen: Der Protagonist Marius Brandt – ein erfolgloser aber nicht unidealistischer Komponist, der die Darmstädter und Donaueschinger Pseudo-Avantgarde verachtet – ist so herrlich abgehalftert wie zahlreiche andere Hauptfiguren bei Krausser. Das kann niemand so gut wie er, wie Krausser. Seine Figuren befinden sich in amourösen, kriminellen, existenziellen, karrieremäßigen und kreativen Randzuständen. Aus diesen „Krisen“ – bei keinem kann man sie so genießen wie bei Krausser – entspringt aber immer etwas… Etwas, was die Situation verändert, was Hoffnung gibt… Und doch kommt immer alles anders…

Brandt werden zufällig einige alte Notenblätter zugespielt, deren Melodien er spiegeln, umkehren, sprich: decodieren muss, um ihr wahres Potential freizulegen. Ein paar Melodielinien aus diesen Fundstücken jüdischer Provenienz setzt der Komponist in einem Kammerorchesterstück ein, das in Hamburg uraufgeführt wird. Mit fatalen Folgen…

Vielleicht ist das schon zu viel verraten… Was mich besonders amüsiert und wo Krausser wieder einmal bestens recherchiert hat: Die Beschreibung deutscher Dramaturgen! Von einem dieser überforderten – trotzdem weiß kein Mensch, was Dramaturgen eigentlich machen! – Theatermenschen wird Brandt besonders rücksichtslos hingehalten – denn, richtig: Dramaturgen melden sich nie! (Ich weiß das, denn ich bin einer!) Keiner weiß, was sie (ver)leitet, was man tun muss, um Gehör zu bekommen… Was sind die intrinsischen Gründe, die einen Dramaturgen an einem Staatstheater beispielsweise motivieren könnten, zum Telefonhörer zu greifen? Man weiß es nicht. Man wird es nie erfahren.

In dem neuen Buch von Krausser steht es. Die Lektüre ist gleichzeitig wohltuende Therapie, Zustandsbeschreibung unserer Kulturlandschaft und prickelnd haarsträubende Farce – mit einem Ende, bei dem ich laut auflachen musste (und: ich war alleine in der Wohnung!)…

Wieder einmal fühle ich mich angenehm verfolgt, gestalkt, woher Helmut das alles weiß. Aber er weiß eben alles. Und alles ist gut.

Kaufbefehl!

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

5 Antworten

  1. @Arno: Danke für den Hinweis, werde ich mir besorgen :-)

  2. @Arno: Danke für den Hinweis, werde mir den Roman besorgen :-)

  3. Mir lag dieses Werk schon in Teilen vor einiger Zeit vor und ich gab mir Mühe, Helmut in den musikalischen Passagen etwas zu beraten…bin ich also dann so eine Art Adorno? Ich hoffe nicht :-)
    Dass es ein tolles Buch wird war mir damals auch klar und ich kann die Kaufempfehlung nur bestätigen!

  4. @Moritz: Danke für den aufschlussreichen Hinweis :-) Ich habe mir fest vorgenommen, den Roman auf meinem Blog zu rezensieren.

    P.S.: Wenn du „Adorno“ wärst, wäre Krausser „Thomas Mann“ … hm, ich denke mal, Krausser könnte sich mit diesem Gedanken durchaus anfreunden ;-)

  5. @Moritz und alle, die’s interessiert: Hier jetzt schon mal eine Rezension von „Alles ist gut“ von Dennis Schütze (Singer/Songwriter, Musikologe):
    http://www.dennisschuetze.de/blog/2015/10/22/buch-alles-ist-gut-von-helmut-krausser/