Wie man eine Oper fertig schreibt. Ein paar Gedanken eines Betroffenen.

Opernkomponieren ist und bleibt das große Mysterium. Zuerst einmal ist es ein Mysterium, warum man sich als vernünftiger Mensch überhaupt einem solchen Unternehmen widmet. Es will ja keiner neue Opern, weil es ja angeblich schon genug gibt seit 1900, und die werden die nächsten Jahre halt einfach immer neu aufgeführt. Und wenn alle tot sind, die sich daran erinnern, dass diese Opern aufgeführt wurden, führt man sie eben nochmal auf. Das nennt man dann „lebendiges Musiktheater“ und Eleonore Büning kann klug darüber schreiben, so wie heute in der FAZ über „Tristan“.
Nach Boulez‘ Meinung wiederum ist die Oper ja tot, und Boulez hat ja immer Recht, wie wir alle wissen. Der ist ja so wahnsinnig genial und schreibt immer so gescheite Dinge und überarbeitet immer ein und dasselbe Stück, bis es noch ein bisschen raffinierter klingt als vorher.
Auf jeden Fall ist wenig Platz für die neuen Opern, weil man ja nur 5% Platz in den Spielplänen für sie hat. Und manchmal noch nicht einmal den, denn den Platz braucht dann ein bisher unbekannter Barockkomponist, dem das dann auch nicht mehr viel nützt, da er zur Premierenfeier ja gar nicht mehr kommen kann. Es nützt aber irgendeinem jungen Regisseur oder einer jungen Regisseurin, die die Handlung der bisher unbekannten Barockoper dann dadurch aufwerten können, dass sie im KZ spielt und alle Rollen in jeweils einen Schauspieler, einen Sänger und einen Ausdruckstänzer aufgeteilt sind.
Uraufführungen von neuen Opern gehen aber immer im Opernbetrieb, weil das dann „Aufmerksamkeit“ gibt. Man schreibt als Komponist also Uraufführung nach Uraufführung, und die werden dann ein paar Mal gespielt, und es gibt dann eine Kritik in der erst einmal ganz viel darüber steht, was der Kritiker alles über das Stück gelesen hat, wer so alles mitgemacht hat, wie alle gesungen haben, wie die Regie war, ob das Libretto was getaugt hat, und am Ende steht dann ein kurzer Satz über die Musik, an der irgendeine arme Sau am längsten von allen gearbeitet hat. Aber diese Sau (ich) hat das natürlich nicht wegen den Kritikern gemacht, sondern weil es leider Spaß macht. Das meine ich ganz ernst.
(Oder es kommt Manuel Brug und schreibt darüber, wer in dieser Produktion mit wem wie und wann gepoppt hat, und gar nicht mehr über die Oper. Vielleicht wäre das dann noch schlimmer).

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Opernkomponieren ist die Marathondisziplin des Komponierens. Im Sport gibt es Sportler denen liegt Mannschaftssport, oder Sprint, oder Leichtathletik. Anderen liegt der Marathonlauf. Sind die einen bessere, die anderen schlechtere Sportler? Hat der Marathonläufer mehr geleistet als der Stabspringer? Alles Quatsch, es geht ja nicht um Rekorde. Aber das Schreiben an einer (großen) Oper ist in etwa wie eine lange, lange Zeit einen sehr, sehr hohen Berg hochzurennen. Und dazu braucht man eine gewisse dümmliche Beharrlichkeit (waren nicht alle großen Opernkomponisten auch ein bisschen dumm?). Und natürlich auch eine gehörige Portion Wahnsinn, siehe oben. Und auch Glück. Manche Opern – großartig komponiert – scheiterten an widrigen Umständen. Manche wurden dennoch rehabilitiert (Carmen), andere zu Unrecht vergessen. Manchmal werden die Opern geschrieben aber gar nicht aufgeführt, was zumindest Olga Neuwirth und mir schon mindestens einmal passiert ist. Manchmal klappt aber auch alles, und es entsteht etwas, was man nur beschreiben kann, wenn man jemals die Magie einer gelungenen Bühnenaufführung erlebt hat. Was man leider nie wieder vergisst, so wie ein Junkie den ersten Schuss.

Zum zwölften Mal sitze ich also am Ende einer großen Oper. Quasi Endspurt, auf den letzten Seiten. Morgen, übermorgen wird das Ding fertig. Und obwohl man das ja schon mal ein paar Mal gemacht hat, ist es jedes Mal anders. Manche Opern überfordern einen, manche gehen leicht von der Hand. Manchmal will man es einfach nur noch irgendwie zum letzten Doppelstrich schaffen, manchmal will man lieber noch ein bisschen Ruhe haben, um den Klängen nachzulauschen, um mal den Neue Musik-Jargon zu benutzen. Zeitdruck gibt es aber letztlich immer. Ich hatte Opernaufträge, da rief zwei Jahre vorher der Chordirigent an und wollte die Noten haben (kein Witz). Manchmal schickt man wiederum die Noten brav und immer rechtzeitig in verschiedenen Lieferungen, aber keinen scheint es zu interessieren und es versauert alles irgendwo in der Notenbibliothek. Später beschweren sich dann die Sänger, dass sie die Noten ja so spät erhalten haben, obwohl man ein Jahr vor der Uraufführung fertig war. Ich beneide immer Kollegen, die diesen ganzen Zirkus gelassen nehmen, und die Noten unweigerlich erst am Tag vor der Premiere fertig schreiben. Das scheint ihnen den letzten entscheidenden Kick für die Komposition zu geben. Vielleicht brauchen sie auch das Adrenalin, um in den Rauschzustand zu kommen, der ihnen überhaupt erst die Ideen bringt.

Ich gestehe, dass ich im Gegensatz dazu versuche Opern sehr organisiert, fast preußisch anzugehen. Gerade weil ich um die Länge der Marathonstrecke weiß, mache ich mir monatliche Markierungen, die ich jeweils erreichen muss, um rechtzeitig fertig zu werden. Ich führe dann Buch darüber, ob ich hinter oder vor dem Zeitplan bin. Ist ersteres der Fall, werde ich nervös, ist letzteres der Fall (ja, es kommt vor) gehe ich es ruhig  an und mache auch mal ein bisschen Pause. Pausen sind nie das Schlechteste bei einem Marathonlauf. Ich finde es generell eher gut nicht mehr zu komponieren als man unbedingt muss, da ja ohnehin schon so viele meinen, dass sie unbedingt komponieren müssen.
Manch einer mag diese organisierte Vorgehensweise bürokratisch finden, ich aber ziehe daraus eine gewisse Beruhigung, die mir erst die Freiheit zum Arbeiten verschafft. Ruft ständig jemand an und fragt nach den Noten kann ich nicht komponieren. Ich arbeite auch immer chronologisch, und versuche auch jeden Tag ungefähr dasselbe zu schaffen. Die Arbeitstage sind bei mir immer sehr ähnlich: am liebsten morgens bis Nachmittags.
Frühmorgens stehe ich auf, bringe die Kinder zur Schule beziehungsweise zur Krippe. Dann wird gejoggt und geturnt, dann direkt an die Arbeit. Erst denke ich die Musik im Kopf durch und mache Notizen, dann schreibe ich die Gesangsstimmen zu einer Art Grob-Particell mit genauer klanglicher Vorstellung, dann arbeite ich dieses Particell zu einem detaillierteren Particell mit genauer Instrumentierung aus, das immer noch sehr krakelig ist und nur von mir gelesen werden kann. Hierzu bediene ich mich verschiedener Abkürzungen, da ich ja schon weiß, wie es klingen soll. Kommt mit ein wenig Erfahrung. Dann muss alles sehr schnell sauber ins Notenprogramm getippt werden (inklusive Dynamik, dazu zwinge ich mich immer), denn wenn ich es nicht sofort tue, habe ich am nächsten Tag all meine Stenographien vergessen und kann nichts mehr entziffern.
Diese Arbeitsweise hat den Vorteil, dass man jeden Tag etwas hat. Das ist dann natürlich noch nicht sauber editiert, tatsächlich verbringe ich dann an den selben Seiten (viele Tage später) noch einmal einige Zeit, um die Partitur „ordentlich“ zu machen, das heißt die Enharmonik aufzuräumen, Fehler zu korrigieren, das Layout zu perfektionieren. Dabei höre ich gerne Hörbücher oder (selten) Musik. An guten Tagen schaffe ich anderthalb Minuten, vielleicht auch mal 2. Mehr ginge auch, wenn ich bis spät in die Nacht arbeiten würde, das will ich aber nicht, denn da will ich lieber die neueste Folge von „Game of Thrones“ schauen und einen Whisky trinken.
Das einzige Problem ist nur, dass man in jedem Monat nur wenige dieser guten Tage hat, da man ja auch noch andere Dinge machen muss außer Opern komponieren. Was manchmal nicht so schlecht für die Opern ist, wenn man sie ein bisschen liegen lässt.
Mir ist aufgefallen, dass es nichts besseres gibt, als während der Arbeit an einer Oper eine Pause für eine kurze Reise zu machen. Danach ist man immer viel besser und hat ganz neue Einfälle, besonders wenn man im Ausland war. Leider denkt man dann während dieser Reise nur daran, dass man ja eigentlich lieber an der Oper arbeiten müsste und kann sich gar nicht entspannen. Ein unlösbares Paradox.

Wenn man Opern schreibt, wird man unweigerlich etwas autistisch. Man hat ja nie genug Zeit für die Oper. Daher brauchen manche ja auch Jahrzehnte für ihre Opern, nicht, weil ihnen nichts einfällt, sondern weil sie so beschäftigt sind, dass sie nie Zeit für ihre Oper haben. Das Problem dabei ist, dass man Opern schreiben am besten lernt, wenn man Opern schreibt. Mozart hat damit früh angefangen, und das hört man ganz sicher auch. Er wäre immer besser geworden, hätte er noch länger gelebt. Wenn man also nie Zeit für seine Oper hat, wird man nie wirklich besser damit, denn man muss ja auch ein bisschen scheitern dürfen. Nur wenige schaffen es, allein eine einzige Oper zu schreiben und dabei so grandios zu scheitern wie Beethoven.
Als opernkomponierender Autist wird man immer unzuverlässiger, was die restlichen Dinge im Leben angeht. Man schreibt plötzlich immer weniger Bad-Blog-Artikel und alle wundern sich warum der Eggert jetzt schon so lange still ist und gar keine lustigen Artikel über Klassikpornostars mehr schreibt. Das Arbeitszimmer wird immer unaufgeräumter. Eines von meinen beiden Arbeitszimmern ist eigentlich schon nicht mehr betretbar, aber da sind ja vor allem Brettspiele drin. Auf meinem Hauptschreibtisch wiederum stapeln sich momentan unbezahlte Rechnungen, einzelne Librettoseiten in keiner erkennbaren Reihenfolge, unbeantwortete Briefe, unsortierte CDs und Visitenkarten sowie komplizierte Tabellen in denen ich versuche, die aktuellen Baseballergebnisse der amerikanischen Liga für meine Sportwetten zu berechnen. Wers nicht glaubt, siehe hier:
Arbeit

Natürlich ist man nie perfekt als Opernkomponist. Es gibt so viele Dinge, die schief gehen können beim Komponieren. Man schreibt z.B. eine Partie für einen Bariton, und plötzlich sagt einem dieser Bariton, dass er nicht tiefer als zum kleinen c kommt (ist mir schon passiert). Meistens macht man aber auch selber Fehler. Der häufigste bei mir ist der, dass ich das Orchester zu laut instrumentiere. Ich schreibe zuerst ein pp, dann denke ich mir „ach, wäre es nicht schön, wenn diese Oboenmelodie etwas besser zu hören wäre“, und dann mache ich das eben lauter. Dann hört man aber wieder etwas anderes nicht mehr, und dann muss auch das wieder lauter gemacht werden. Und dann geht es immer so weiter, bis zu dem Moment, wo alles eher „f“ ist. Man kann das mit dem globalen Wettrüsten vergleichen.
Man kann sich aber damit trösten, dass auch den größten Architekten, auch einem Frank Gehry, Fehler unterlaufen . Und was sind Partituren anders als eine Architektur der Töne? Der Gehry verrechnet sich sicherlich auch mal irgendwo. Der hat dann halt Assistenten, denen er die Schuld geben kann, das ist sein Vorteil. Als Komponist wiederum ist man bei einer Opernproduktion absolut an allem Schuld, inklusive des griechischen Staatsbankrottes.

Das besondere an meiner aktuell zu beendenden Oper („Terra Nova – oder das weiße Leben“ für Linz, UA 26.5.2016) für mich ist, dass ich mich diesmal mehr als sonst den emotionalen Zuständen der Figuren gewidmet habe. Oper ist natürlich eigentlich immer emotional, dazu muss man stehen, ansonsten funktioniert dieses „Kraftwerk der Gefühle“ (Alexander Kluge) nicht. Man kann es Musiktheater nennen, man kann alles ganz abstrakt machen, man kann kluge Programmhefttexte schreiben, den Raum negieren, die Klänge hinterfragen, man kann endlose schwarze Vierecke über die Bühne fahren…aber am Ende sind es doch Menschen um die es gehen sollte, und die haben nun mal Emotionen. Ich stehe dazu. Ich stehe auch zu Kitsch und Pathos. Ohne Kitsch und Pathos und Möpse ist das Leben sinnlos, so viel steht fest (frei nach Loriot).
Interessanterweise handelt meine Oper vom totalen Verlust der Emotionen, am Ende sind nämlich alle ganz weiß und außerirdisch und finden es eigentlich total dufte, keine Emotionen mehr zu haben. Um das darzustellen, muss es aber vorher Emotionen gegeben haben, sonst weiß man ja gar nicht, was nun fehlt.
Vielleicht sollte man stattdessen Opern über unbelebte Objekte schreiben? „Ringsum nur Nüsse“ war ja laut wikipedia mal ein Opernprojekt von Manfred Trojahn, das er leider aufgab. Also ich würde so eine Oper sofort schreiben, denn Nüsse müssen nicht schwitzen und hoch singen, sondern liegen einfach nur da und rollen herum.

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Wie man sieht, weiche ich dem eigentlichen Thema aus, nämlich wie es sich so anfühlt, wenn man die Oper fertig schreibt. Vielleicht schreibe ich morgen darüber. Mal schauen.

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. Guntram Erbe sagt:

    Oh, wie ich das verstehe!

    Und dann ist die Oper fertig und sie muss raus.
    Und es ist wie beim Eierlegen.
    Die feste Form lässt sich nicht mehr ändern ohne dass alles platzt.
    Das Ei muss durch die enge Öffnung der Eigenkritik hinaus in die Welt.
    Irgendwie fühlt man sich wie aufgerissen.

    Und schon ist der Koch da.
    Er knackt die Schale, trennt Eigelb und Eiweiß, quirlt das eine oder andere,
    wirft Zutaten hinein, von denen man bis dahin nichts geahnt hat,
    kocht oder brät das alles oder kocht u n d brät das alles und wirft es auf die Bühne.

    „Aha“, sagen die Leute und rümpfen die spitze Nase, „was uns da so serviert wird, soll eine Oper sein?“
    Und Opa und Oma fühlen sich ganz bekleckert und Tante Emilie sagt in der Pause zu Onkel Emil, da sei ihr sogar der aufgewärmte Tristan von neulich noch lieber gewesen, bei dem sich Isolde am Ende der Kochsendung sechsbeinig auf Tristan gestürzt und ihn verspeist habe.

    Ich habe mal gelesen, dass Hühner es schaffen, ein ungelegtes Ei innerlich einfach wieder aufzulösen.

    Das wäre vielleicht eine Möglichkeit für unversehens schwangere Operkomponisten, die nicht zum Ende kommen.

    Was meinst du, dazu, Moritz?

  2. Ich könnte das Ei zerdrücken, aber es wäre schade um die nicht gerümpften Nasen…