Du sagst Populismus, ich sage Musikquote!

Kriegerisch geht es zu in Deutschland! Lufthoheit ist Alles! Klingt wie eine Meldung aus dem Frühjahr 1945. Sie ist aber aus 2015! Keine militärische, denn die Helikopter und Transallflieger der Bundeswehr bleiben meist auf halben Weg in ihre Einsatzgebiete stecken. Lufthoheit ist 2015 vor allem ein Begriff des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks. Wenn z.B. im Sendegebiet die Gesamtquote einer Anstalt unter 50% liegt, wird alles Unerdenkliche unternommen, um diese Marge wieder zu knacken, z.B. Verdrängung weniger hörerstarker Frequenzen von UKW nach DAB+ wie im Falle von BR-Klassik. Apropos: im Vergleich zu den Vorjahren konnte BR-Klassik seine Hörerschaft von 230.000 Personen auf 260.000 steigern. Klingt doch wunderbar! Die Kulturnation Deutschland teilgerettet. Das könnte man als erstes Anzeichen eines neuen Klassik-Populismus fehlinterpretieren, zuletzt ja ein Badblog-Thema.

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Das kann man gleich wieder vergessen. Denn egal ob E- oder U-Musik: wenn sie in Deutschland komponiert oder produziert wurde sowie hier gesendet wurde, spielt sie keine Rolle. Hierzulande beträgt deren Quote 8,9% (s. 2012 EMO-Studie von Emmanuel Legrand). Auch wenn es Zahlen der U-Musik-Charts sind, die zudem nur bis 2011 reichen, werfen diese einen dräuenden Schatten auf all das Lufthoheits- und Gebührenoptimierungsgeplänkel des deutschen öffentlich-rechtlichen Hörfunk in 2015 und des sogenannten lokalen Repertoires, also des in Deutschland hergestellten: in der E-Musik sank das deutsche Repertoire (s. DKV) von 1,5% in 2005 auf nur noch 0,7% in 2011, das durch die ARD-Anstalten gesendete ausländische E-Musik im gleichen Zeitraum von 3,0% auf 1,4%. Also hiesige komponierte Musik macht konstant nur ca. die schrumpfende Hälfte der gesendeten E-Musik aus. Was dies nun für die Nische Neue Musik bedeuten mag, klingt auch nicht vielversprechend.

Es ist damit vollkommen unerheblich, ob man nun nach mehr Popularität oder mehr ästhetischer Relevanz oder Härte ruft: keiner hört diese Musik, mag es auch so viele Ensembles für Neue Musik wie noch nie geben. Denn im Extremfall hören sich die Ensembles eben gegenseitig zu, sieht man auf allen Festivals im Lande die gleichen Nasen. Wer nach Popularität ruft, die nicht zur einer weiteren Marginalisierung der unter E abgerechneten Musik für die in Deutschland komponierte, der verlange im gleichen Atemzug eine Musikquote für hier komponierte Musik. Denn ob Sendung, Streaming oder Download: die Zahlenrelationen des nationalen Repertoires gleichen sich EU-weit, Deutschland ist immer das Schlusslicht unter den bevölkerungsreichen Nationen. In Frankreich liegt sie statt bei knapp deutschen 10% bei um 2/3 höheren ca. 30%. Selbst im gesundgeschrumpften niederländischen Rundfunkleben sind es 28%, in Spanien 33%, in Schweden gar 35,8%.

Die letzten Aufrufe zu einer deutschen Musikquote in 2004 oder 2012 verhallten ungehört. 2012 war es grosses Bündnis aus wichtigsten Musikverbänden, und verhallte ungehört. Aber es scheint generell kein Bewusstsein dafür zu geben, wie peinlich die grösste Volkswirtschaft der EU ihre Musikwirtschaft achtet: googelt man unter 2015 und Musikquote, vernimmt man, dass im bayerischen Landtag ein SPD-Mädchenparlament dies in ihren Testdiskussionen durch die Bank ablehnte. Selbst der Verband unabhängiger Musikunternehmen, der Indie- oder Künstlerlabels vertritt, zieht seinen Schwanz ein, wenn hart nach der Quote gefragt wird: keine Quote, nur eine den Markt widerspiegelnde Präsenz. Und damit übersieht man, dass neue Vertriebswege hin, Downloads her, letztlich immer noch das von Rundfunksendern ausgestrahlte Repertoire darüber entscheidet, was wirklich Geld einbringt, egal ob Big Gorny-Business, Smart Indie-Alternativen oder subventionierte Musik aller Couleur.

Deutschland, Du pisst auf Deine Musik! Politik, Du lechzt nach Quoten! Aber selbst im ertragreichsten GEMA-Jahr aller Zeiten ist eines klar: der fette Geldkuchen fliesst nach Grossbritannien und in die USA ab. Mögen die vielleicht wirklich im ersten Augenschein coolere Mucken als unsereins produzieren, womit man dem Gerücht von fehlender deutscher Coolness und mangelndem germanischen Humor Vorschub leistet, pisst man eigentlich schon wieder auf unsere Musikkultur. Und wenn man cool nach Populismus ruft, was ja angesichts der Nischennischendiskussiönchen auch zurecht mal der Neuen Musik gut tun würde, wenn sie sich um die Ankoppelung ihrer weltbewegenden Inhalte an eine grössere Hörerzahl bemühte, rufe man genauso uncool, aber mit festem Standing nach der Musikquote.

Die Österreicher machen es genau jetzt, wo selbst die Wiener Staatsoper dem austriakischen Eurovisionshype verfällt. Nur haben die es noch nötiger, denn ihre nationale Repertoirequote im ORF liegt noch tiefer als die bei uns. Um wieder martialisch zu werden: waren es nicht die Österreicher als Erste, die Europa damals erklärten, dass mit dem zerfallendem Jugoslawien wirklich wieder ein Krieg in Europa ausbrach. Sie erlebten hautnah Kampfflugzeuge der jugoslawischen Volksarmee, die österreichisches Staatsgebiet überflog, um slowenische Stellungen von hinten ins Visier zu nehmen. Derweil sendete das deutsche TV nur Bilder von verwirrten deutschen Campern. Ich behaupte: wäre mehr Platz auch für harte Inhaltlichkeit, härtest komplexistisch aufbereitet im Hörfunk, könnten wir uns die ganze Populismusdebatte sparen, denn je popularistischer der Funk wird, um so mehr bedingt das eine weitere Verdrängung zeitgenössischer Inhalte in den Sendern. Und auch das Internet wird dies nicht auffangen, solange die Lufthoheit per Rundfunk ersendet wird.

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