Schlechte Stimmung im Konzertsaal (III)

Die sieben letzten Thesen zum musikalischen Kulturpessimismus

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In einer kleinen Folge von Artikeln – Teil I und Teil II erschienen vor ein paar Tagen – mache ich mich hier auf die Suche nach dem Grund für die verregnete Atmosphäre vor klassischen Konzerten. In weniger als zwei Stunden bin ich beim diesjährigen Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker. Klar, da wird die Stimmung wieder gut sein, ob der bevorstehenden Jahresendfeiern. Warum aber sich nicht im Februar, im Mai, im September auf klassische Konzerte freuen, als könnte das Konzert ein einmaliges Erlebnis werden (und das ist doch gar nicht so unwahrscheinlich…)? Warum schauen viele Besucher klassischer Konzertabende also häufig so trübsinnig drein?

These 2: Adorno ist schuld
Der große Musikphilosoph Theodor W. Adorno hat uns die Freude über die ernste Musik aber auch wirklich nicht einfach gemacht. Sein Kulturpessimismus gilt als „typisch deutsch“ – und folglich, sagen Einige, verhalten wir uns dementsprechend spaßbefreit im Konzertsaal. „Kritisch ist cool“ – und die symbolisch und auch nach Innen wirkenden verschränkten Arme haben die bekannten Folgen auf unsere griesgrämige Mimik. Adornos Musikphilosophie diente einzig dem Zweck, den totalen Griesgram auf jegliche „ernste Musik“ zu übertragen, unerfahrene Hörer auszuschließen und niemand an den heiligen Gegenstand „Klassik“ heranzulassen. Klassik ist wahnsinnig kompliziert! Ihr Nicht-Musiker da draußen werdet sie nicht verstehen, nie durchdringen! Ohne zu wissen, was ein Dominantseptnonakkord ohne Grundton und mit tiefalterierter Quinte ist, lohnt es sich nicht, die Philharmonien dieses Landes zu betreten. Ihr müsst erst jahrelang in die Lehre – und wehe, ihr wagt es, ohne Adorno unter dem Arm unsere sinfonische Spielwiese zu betreten! Klassik ist intellektuell. Und ihr nicht! Also seid ihr nicht Klassik! Denn das sind ja wir schon!

These 3: Klassische Musik ist anstrengend
Vielleicht zeichnet sich auf den Gesichtern der meisten Klassik-Konzert-Besucher deshalb keine Vorfreude ab, weil sie sich dem Anspruch, der Länge, der Dichte des Erklingenden gewahr werden: „Das wird anstrengend!“ – zumal, wenn vor der Pause gar ein zeitgenössisches Werk auf dem Programm steht. Ja, klassische Musik ist eine Herausforderung – oder, wie es Holger Noltze in seinem Buch „Die Leichtigkeitslüge“ ausdrückt: „Zweifellos ist Zimmermanns Bratschensonate anders zu hören als ein Drei-Akkord-Gewitter von Green Day.“ Bleiben wir aber mal bei traditioneller, tonaler Abonennementssinfonik: Auch angesichts einer über 70-minütigen Bruckner-Sinfonie etwa scheint es standesgemäß zu sein, sein Gesicht in Sorgenfalten zu werfen, um den kommenden Qualen kreisend-überleitender Holzbläser-Passagen, schmerzerfüllt-kriechender Streichergefühligkeiten und stolz-hymnischer Choral-Blechbläser mimisch vorauseilend adäquat zu begegnen. Richtig so! Bruckner ist die Musik gewordene Ödnis, die klingende Leere! Kein Wunder, dass sich kein Mensch ernsthaft drauf „freut“.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

6 Antworten

  1. Thomas sagt:

    Ich komme nicht umhin Ihre Beobachtungen für eine neurotische Projektion zu halten. Ich bin selber regelmäßig in Konzerten sogenannter Klassischer Musik und Neuer Musik und kann aus meiner Erfahrung Ihre Beobachtungen nicht im geringsten teilen. Ganz im Gegenteil, die Stimmung im Konzertsaal ist eigentlich entspannt wie nie. Dass etwa „Falschklatscher“ zwischen den Sätzen streng angezischt werden, wie man es früher oft erlebt hat, gibt es heute kaum mehr.

    Auch bin ich immer wieder irritiert über das Adorno bashing, von dem Sie wie Ihr Kollege Eggert offenbar nicht lassen können. Adorno, den ich übrigens sehr bewundere und immer wieder mit größtem Interesse lese, ist zwar Teil des deutschen Kulturschicksals, aber eben von vorgestern. Das ist so als ob sich Strawinsky über Hanslick beklagen würde. Dass Sie so hartnäckig an überkommenen Feindbildern hängen, ist ein bedenkliches sklerotisches Symptom.

    Was mich aber vollends echauffiert ist, dass ausgerechnet ihr Komponisten – Ihr Kollege Eggert singt ja gerade jetzt auch wieder das Lied des larmoryanten Kulturpessimisten – solche Jammerlappen seid. Ihr habt kein Recht zu jammern! Ihr seid die, die die „neue“ Musik machen. Wenn alles den Bach runter geht, dann ist das eure Schuld.

  2. Eberhard Klotz sagt:

    Sie haben gerade mit Ihrem letzten ironisch gemeinten Satz Recht lieber Arno.
    Wir haben auf unsere „Klassiker“ – und ich verstehe unter diesem Begriff alles vor 1950 was im Repertoire überlebt hat oder Wert wäre zu überleben – einen falschen Blick, was sich schon im Begriff „Ernste Musik“ ausdrückt. In Deutschland vielleicht auch noch ein Überbleibsel des Nationalsozialismus, in dem Konzerte mit klassischer Musik immer tiefernst, dunkel – pathetisch und „heroisch“ zu sein hatten. Dass die „Klassiker“ – und hier ist Bruckner keine Ausnahme – natürlich das ganze Spektrum der menschlichen Seele in Töne gesetzt haben, wird dabei oft übersehen. Wieviel überbordende Fröhlichkeit, ja sogar Spass, gibt es bei Bruckner neben allem Tiefsinn, man muss die Stellen nur zu hören verstehen.

    Allerdings kann ich diese Dinge auch still für mich im Konzert genießen und muss deshalb nicht gleich lachend oder pfeifend in den Konzertsaal laufen. Das heisst, mein äusseres Erscheinen im Konzert muss nicht meine innere seelische Bewegtheit für alle sichtbar machen.

    Die enstesten Gesichter in schlechter Laune sieht man übrigens in gewissen Kirchenkonzerten oder in Konzerten mit Neuer Musik. Humor oder Fröhlichkeit scheint es in ihr nicht zu geben und auch ihr Kommentar, lieber Thomas, scheint in diese Richtung zu gehen: Sobald es einer wagt Kritik zu üben, wird er gleich bierernst als „Nestbeschmutzer“ des hermetisch abgeriegelten Zirkels angegriffen.
    Wie jede Epoche der Musikgeschichte hat auch die Neue Musik ihre Zeit (gehabt).
    Ob sie sie zu nutzen weiß (wusste), bleibt fraglich.

  3. Eberhard Klotz sagt:

    Hier ein interessanter Link zum Thema auf youtube:

    Theodor W. Adorno Das Altern der Neuen Musik:

    http://www.youtube.com/watch?v=KlkBcck3g4U

    Interessant auch ab 25:30 wo er davon spricht, dass die auf dem Papier perfekt konstruierten Partituren nur graphisch für das Auge perfekt sind, nicht aber die Dynamik der Dimension „Zeit“ berücksichtigen, die für die musikalische Architektur, analog zur Sprache, ausschlaggebend ist. Das heisst, wenn etwas genau gleich wiederkehrt ist es in der Musik eben nicht gleich im seriellen Sinn, denn der Faktor Zeit – und das was in dieser Zeit geschah – lag dazwischen.

  4. Dream Theater hören oder FreeJazz hören ist auch anstrengend. Das kann es nicht sein. Ich musste mich auch erst in ‚Iron Maiden‘ reinhören. Die Musik ist zuallererst nicht gefällig. Ich glaube ja, man muss die meisten Genre hören lernen oder hören üben.

  5. Strieder sagt:

    @Klotz: Wir haben’s kapiert, Du findest Neue Musik scheisse. Das musst Du nicht unter jeden noch so unpassenden Artikel kommentieren.

    @Meurer: Genau! Sogar innerhalb eines Stils/Genres … wenn man Pantera mag, heisst das noch lange nicht das einem Ulcerate gefällt (beides Metal, aber grundsätzlich anders zu hören).

    @Werauchimmer: Ausgelassene Jugendliche, die man nicht gezwungen hat in’s Konzert zu gehen: https://www.youtube.com/watch?v=L9WWRjhJd0I

  6. Mag sein, bester Herr Strieder, dass ich zu Alter Musik bessere Zugänge habe – darum höre ich auch gerade „Ein Überlebender aus Warschau“.

    Aber Leute wie Sie, mit ihrem kommunikativen, phantasievollen Vokabular sind sicher bestens geeignet, mir zu helfen Neue Musik endlich zu verstehen…