Vorbereitung der Atopie. Ein Text in 6 Teilen. Dritter Teil: Lebwohl, mein Liebling

LEBWOHL, MEIN LIEBLING

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Aber was muss dieser Ritter noch alles erledigen?

Im Theater spricht man gerne den Satz „Kill your Darlings“, wenn es darum geht, sich von einer geliebten Idee zu verabschieden, die aber in einem bestimmten Kontext – zum Beispiel der Bühne – nicht so funktioniert wie ursprünglich intendiert.

In unserem Musikleben gibt es sehr viele Darlings, die wir mit gutem Grund lieben, die aber schon lange nicht mehr so funktionieren, wie sie eigentlich sollten.

Wir haben in Deutschland die wunderbarsten Opernhäuser, die feinsten Orchester, und Musikhochschulen in fast allen großen Städten, und sogar in kleinen, wie Trossingen. Aber irgendetwas scheint nicht mehr zu funktionieren, denn diese Institutionen – die wir uns eigentlich locker leisten könnten – sind unter beständigem Beschuss. Orchester fusionieren links und rechts, was wiederum bedeutet, dass der Konkurrenzdruck für Musikstudenten noch höher wird, denn wenn inzwischen eine Flötenstelle frei wird, kann man eigentlich gleich einen Lottoschein ausfüllen, denn eher gewinnt man da, als dass man die Stelle bekommt.

Als kleine picklige Schwester der klassischen Musik betrifft dies auch Neue Musik mit großem „N“. Zahllose Festivals oder Konzertreihen wie Donaueschingen oder musica viva sind von der Kooperation mit Rundfunkanstalten abhängig, die nach wie vor nach Modellen agieren, die in den 50er Jahren perfekt und modern waren, heute aber immer fragwürdiger sind. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das alles selbst abschafft, aber die meisten tun so, als gehe es ewig so weiter.

Es ist relativ sinnlos, hier Schuldige anzuprangern. Die Gründe für diesen schleichenden Niedergang (und er kann durchaus noch ein paar Jahrzehnte weiterschleichen, denn immerhin sind wir ein recht reiches Land im Moment) sind so vielseitig, dass sie nicht nur mit einer neuen und extrem ungebildeten Politikergeneration zu tun haben – obwohl es diese Politikergeneration definitiv gibt!
Viele von uns kämpfen leidenschaftlich gegen diesen Verfall, und auch ich tue dies gerne und mit Überzeugung. Aber manchmal frage ich mich, ob es nicht richtig wäre, sich von ein paar liebgewordenen Gewohnheiten zu verabschieden. Dazu gehört auch eine Hinterfragung des klassischen wie auch Neue-Musikbetriebes, wie er im Moment funktioniert.

Damit meine ich übrigens nicht, dass dieser durch die öffentliche Hand gefördert wird. Dies finde ich im Sinne unseres großartigen europäischen Erbes absolut sinnvoll und richtig. Ohne Förderung des Staates gäbe es keine griechische Philosophie, keine Sixtinische Kapelle, keinen Johannes Sebastian Bach. Man muss nicht ständig eine Kosten-Nutzenrechnung aufstellen, wenn es um größere Dinge geht, man muss nicht ständig darüber diskutieren, wie viel jetzt ein Platz in der Oper den Steuerzahler kostet. Aller möglicher Scheiß kostet den Steuerzahler etwas.

Kinder stellen keine steuerlich absetzbare Quittung für die Liebe zu ihren Eltern aus, und wir sollten auch nicht ständig von allem, was wir lieben, einen finanziellen Nutzwert erwarten. Das C-Dur Streichquintett von Schubert hat keinerlei Geldwert, aber jeder, der es einmal gehört hat, ist für immer ein anderer Mensch geworden. Darum geht es doch. Echter Wert kann nicht in Geld gemessen werden. Geld ist ein reines Tauschmedium, es ist tatsächlich weniger real als eine Mazurka von Chopin. Geld hat nichts mit mir zu tun, es geht mit jedem mit, der gierig genug ist. Die Mazurka von Chopin hat aber mit mir zu tun, mit meinem Innersten. Das ist wahrer Wert.

Ich bleibe dabei – jeder Euro den ein Staat für Kultur und Bildung ausgibt ist gut ausgegeben, und genauso essentiell wie jeder Euro, der für Ernährung und Gesundheit ausgegeben wird. Denn wenn wir nicht mehr wissen, wofür wir leben, ist das Leben selber fragwürdig, und wir sind nur noch Räder in einer Produktionsmaschinerie die keinen individuellen Ausdruck, keine Exzentrik, keinen Humor, keine Abweichung duldet. Wir müssen uns den Raum der Phantasie, diesen wilden, unermesslichen Raum ohne Grenzen, immer wieder leisten, denn ohne ihn sind wir überhaupt keine Menschen sondern nur noch Räder im Getriebe. Es ist die Pflicht jeden Staates, diesen Kulturraum zu bewahren.

Bildung – und dazu gehört auch kulturelle Bildung – macht uns nicht zu besseren Menschen, aber vielleicht zu klügeren Menschen, und der klügere Mensch fragt nach, bevor er gegängelt wird, geht nicht so gerne im Gleichschritt der dumpfen Propaganda, versteht vielleicht auch den Andersdenkenden, fürchtet weniger das Fremde. Dazu trägt auch Musik bei, denn Musik kennt keine Grenzen. Mit Musik können wir in jedes Land reisen, und jedes Land kommt zu uns, nicht nur die „Neue Welt“ von Dvorak.

Aber dennoch: muss alles so weiterwurschteln wie bisher? Brauchen wir immer komplexere Tarifverträge für Chöre und Orchester, so lange bis jegliches Arbeiten unmöglich wird? Brauchen wir Musikhochschulen, die nichts anderes tun, als ihre Studenten darauf vorzubereiten, ihre Rolle in einem Spiel zu spielen, das seit den 50er Jahren absolut gleich gespielt wird, obwohl wir schon längst nicht mehr in den 50er Jahren leben?

Irgendwann wird es ganz sicher fast keine Rundfunkorchester mehr geben, und auch keinen Rundfunk mehr wie wir ihn kennen. Irgendwann werden Opernhäuser in der Form wie sie momentan existieren nicht mehr aufrecht erhalten werden können, zumindest nicht mehr in der großen Zahl wie jetzt. Ein Großteil der kommenden Generationen wird klassische Musikkultur überhaupt nicht mehr kennenlernen, da sie weder im Fernsehen (das es auch bald so nicht mehr geben wird) noch in anderen Massenmedien mehr präsent ist. Es würde ihnen gefallen, aber sie wissen gar nicht mehr, dass es so etwas gibt. Klassische Musik ist dann ein Spartensender oder zur Begleitmusik verkommen. Schon jetzt spielen die wenigen Klassiksender vor allem unsägliche Scheiße von Hans Zimmer und behaupten, es sei irgendwie „Klassik Radio“.

Nur noch eine verschwindend kleine Zahl von jungen Menschen aus gutem Hause wird überhaupt noch etwas von klassischer Musik mitbekommen, die zahllosen Menschen mit Migrationshintergrund schon mal gar nicht, denn die behandeln wir aus irgendeinem Grund nach wie vor wie Gastarbeiter, obwohl sie ganz sicher hier bleiben werden und dies auch schon seit Generationen tun.

All dies ist kein Grund aufzugeben, ganz im Gegenteil. Wir müssen uns aber von dem Gedanken verabschieden, dass Klassik so zu funktionieren hat, wie sie bisher funktioniert hat. Ein radikaler Abschied ist nötig, ganz viele aufgeschwemmte und degenerierte Darlings müssen dran glauben, da hilft nichts. Wir müssen wieder auf die Straße, wir müssen wieder Erlebnismöglichkeiten für tolle Musik schaffen, wir müssen kämpfen, wir müssen frech sein.

Es wird eine Art Krieg gegen die Ignoranz und die Dumpfheit sein, aber es ist ein guter Krieg, ein Krieg ohne Opfer, sondern mit lauter Überlebenden, nein, aus tiefem Schlaf erweckten. Diesen Krieg kämpfe ich gerne. Scheiß auf all die anderen Kriege.

Aber welche Rolle spielt hier die Neue Musik mit großem „N“?

(Fortsetzung folgt)

Moritz Eggert

farewell

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4 Antworten

  1. knopfspiel sagt:

    Ich finde den Niedergang nicht überraschend – eher bin ich überrascht, dass es überhaupt dazu gekommen ist, dass Kultur in dem Maß gefördert wurde (/wird).

    War es der Stolz der absolutistischen Herrscher, die sich auf ihre Kultiviertheit etwas eingebildet haben – war es der weitergegebene Stolz des Bürgertums, die das ermöglicht haben? Das sind die ersten Sachen, die mir einfallen.

    Das Problem der Kulturförderung ist ein Problem der Demokratie generell. Der Fortschritt der Menschenrechte bewirkt, dass der Schutz von Minderheiten in eienr Demokratie passieren kann, in dem sich die Mehrheit nicht dafür interessiert.

    Was Kunst angeht, ist mir Freiheit erst einmal der liebste Wert – also die Freiheit, die Kunst zu schaffen, die ich schaffen möchte, und die Freiheit, diese verbreiten zu können, ohne Angst vor Zensur haben zu müssen.

    Aber Geld für große Orchester? Ja, Orchestermusik ist cool, ich liebe Orchestermusik. Aber mir fällt keine gute Argumentation ein, warum ein Staat Orchester finanzieren sollte, solange auf der Straße Menschen hungern. (Ich weiß, dass dieses Argument missbraucht werden kann, um den Geldhahn abzudrehen, ohne ihn woanders wieder aufzudrehen – aber das ist hier nicht der Punkt)

  2. Eberhard Klotz sagt:

    Lieber knopfspiel,

    bevor das Geld für Orchester, Opernhäuser oder Musikhochschulen gestrichen wird, um hungrige Menschen zu versorgen, sollten in unserem Land erst einmal ganz andere Pfründe abgebaut werden! Der Kulturetat beläuft sich hierzulande gerade mal auf 1 Prozent.
    Dieses Argument ist ein „Totschlags – Argument“, durch welches gesellschaftlich nichts mehr möglich wird: Wie könnt ihr es verantworten, dass bei uns Geld für Schulen und für die Bildung der Kinder ausgegeben wird, wenn in anderen Teilen der Welt Kinder mit diesem Geld vor dem Verhungern gerettet werden könnten? Man hört dieses Argument oft auch etwa bei Orgelneubauten: Soviel Geld nur für ein Musikinstrument? – Wir haben doch in unserer Gemeinde auch bedürftige Menschen, die das Geld viel nötiger hätten etc. etc…Kultur ist auch ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen, denn nur dadurch unterscheidet er sich von all den Bedürfnissen, die er auch mit einem Ochsen gemein hat – auch wenn dies viele Politiker anders sehen.
    Dennoch liegt im Text oben und in Ihrem Kommentar Wahres: Neulich las ich in einer Mahler – Biographie, dass die k.k. Hofoper in Wien sich in dieser Zeit selbst, ohne Subventionen, nur durch die Einnahmen der Vorstellungen, tragen musste. Die Monarchie hielt nur als Namensgeber aus Prestige die Hand über dem Institut. (Vor allem dann, wenn es um Zensuren ging…) Das künstlerisch Niveau war aber trotz dieser harten Bedingungen einmalig hoch. Heute sind, glaube ich, bei den Theatern über 90 % Subvention.
    Das Ungesunde daran ist, dass die Verantwortlichen dann glauben, uns ist alles erlaubt, wir müssen uns „einen feuchten Kehricht“ darum kümmern, was das Publikum denkt, erwartet oder von dem was wir tun versteht – das Geld kommt sowieso, egal was wir machen. Und so sieht man diese Wagner – Inszenierungen, bei denen Lohengrin anstelle auf einem Schwan, wie es der Komponist will, auf einem Moped auf die Bühne fährt und mit dem Taschentuch ins Publikum winkt: „Hallo, hier bin ich…“ Oder Tristan und Isolde im zweiten Akt als Tarzan und Jane, die wie wilde Tiere an Lianen herumzappeln.
    Verliert sich zufällig ein Jugendlicher zum ersten Mal in solche Aufführungen, denkt er, so ist Oper? Da geh ich nich mehr rein…

  3. knopfspiel sagt:

    Dass das Argument missbraucht werden kann, hab ich ja oben auch geschrieben.

    Das ändert nichts daran, dass es eine Argumentation braucht, um Kulturförderung in einer Demokratie langfristig zu legitimieren/etablieren.

    Ich sage auch nicht, dass eine Argumentation unmöglich ist. Aber im Moment gibt es da nicht viel.

    Ist Kulturförderung positiv für die Entwicklung einer Gesellschaft? Ich glaube schon, aber belegen kann ich es nicht – und zudem ist es zu pauschal gesagt, da einfach nicht alle Kunst für alle ist – und meines Erachtens auch nicht sein soll.

    Ich schaffe gerne für eine Nische, die es dann aber auch zu schätzen weiß.

    Natürlich kann ich hergehen, und die Nischen anderer Leute angreifen – ich mag zum Beispiel keinen Cent für Fußball ausgeben, oder für Schlager-Radio, aber das bin halt ich – eine demokratische Gesellschaft braucht bessere Mechanismen, dafür zu sorgen, dass sie Dinge fördert, die ihr insgesamt gut tun.

  4. Danke Moitz für diese Ansage. Du sprichst mir aus der Seele. That is exactly what we fight for.

    Herzlichst Michael