Die wunderbare Vielfalt der Klaviermusik

Heute treffen wir den wichtigsten Konzertagenten für Pianisten weltweit, den Deutschamerikaner Gerhard von Lippi, im Hotel Vier Jahreszeiten, München.

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Herr von Lippi ist erschöpft, hat er doch gerade die Welttournee der jungen chinesischen Pianistin WeiShi-sheng (mit Werken von Brahms, Schumann und Bach) begleitet, mit Konzerten in allen großen Metropolen dieser Welt. Jetzt rührt er mit dem Löffel sorgfältig in einem Cappuccino und gönnt sich eine Packung Mozartkugeln. „Die habe ich immer dabei, Mozart geht immer“ sagt er lachend.

Herr von Lippi hat schon viel gesehen und erlebt. Er hat die frühesten Anfänge von Thomas Dorfland (mit Werken von Schubert, Schumann und Beethoven) begleitet, und die Weltkarriere des koreanischen Pianisten Kim Su Pong (mit Werken von Mozart, Brahms und Beethoven) unterstützt. Ebenso beteiligt war er an dessen legendären Gesamtaufnahme des Wohltemperierten Klaviers von Bach, die als die hunderttausendste Einspielung dieses Werkes ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen wurde. Gerade bereitet er eine neue Konzertreihe mit Werken von Schumann, Mozart und Brahms im Münchener Herkulessaal vor, an der die berühmtesten Schumann-, Mozart- und Brahms-Interpreten der Welt teilnehmen werden. Darunter natürlich auch Harry Montana (Brahms-Gesamteinspielungen 1997 und 2004, Goldener Preis der Schallplattenkritik für die Brahms-Gesamteinspielung 2011, er bereitet gerade seine vierte Brahms-Gesamteinspielung für Sony Classical vor), sowie der als exzentrisch bekannte Mozartinterpret Heinrich Gumpenhauser, Spezialist auch für Schumann, aber eben auch Brahms. Meistens aber für Mozart.

Wir suchen den Einstieg in das Gespräch und fragen Herrn von Lippi über sein aktuelles Projekt aus.

Bad Blog: Herr von Lippi – Schumann, Brahms, Mozart. Diese Namen stehen ja für Qualität, etwas Exzentrik und vor allem viel Genie, wie sind sie auf diese sagen wir mal ungewöhnliche Kombination gekommen?

Von Lippi
: Nun, das ist eine lange Geschichte. Früher war es ja immer „Bach, Beethoven, Schumann“, „Bach, Beethoven, Schumann“, „Bach, Beethoven, Schumann“….ich konnte es einfach nicht mehr hören. Da dachte ich mir eines Tages: Gerhard, Du musst mal etwas anderes versuchen. Du musst den Leuten die Augen öffnen, ihnen einen neuen Einblick in die klassische Musikgeschichte geben. Eines Morgens kam es mir dann: Schumann, Brahms und….Mozart! Mozart! Bam, bam, bam. Das geht einfach gut rein, ist ein wenig radikal, aber auch nicht zu sehr, das lockt an, macht neugierig. Beethoven wäre natürlich auch gegangen, aber ich hatte ja schon die großen Schumann, Brahms, Beethoven-Zyklen in der Carnegie Hall und in der Züricher Tonhalle…oder war es Brahms, Schumann, Beethoven? Ich weiß es nicht mehr so genau….Aber wie gesagt: Mozart geht immer. Das ist der Kick, das Tüpfelchen auf dem i…..

BB: Sie gelten ja als Bilderstürmer und Revolutionär auf dem Klassikmarkt, spätestens seit sie in einem Konzert in London die taiwanesische Pianistin Su-chin Chang ein Werk von…wie heißt er noch einmal….äh….

VL: Debussy, sie meinen Debussy. Nun, ich dachte: den Londonern kannst Du durchaus auch mal Moderne Musik zumuten. Immerhin ist Debussy ja jetzt schon 100 Jahre tot. Das geht so gerade. Aber natürlich nur „Clair de Lune“. „Clair de Lune“ geht immer. Was gar nicht geht ist experimentelle Musik oder Avantgarde, Prokoffieff oder so. Da läuft den Konzertveranstaltern das Publikum in Scharen davon. Und GEMA kostet es glaube ich auch. Hörtnagel sagte einmal zu mir „Bevor ich GEMA zahle, friert die Hölle zu“. Haha, komisch, nicht? (nimmt eine Mozartkugel).

BB: Für etwas Verwirrung sorgte ja ihr Brahms/Schumann-Zyklus im letzten Jahr in Leeds.

VL: Naja, das war doch alles nur ein Missverständnis. Auf dem Programm des Klavierwettbewerbes stand ja damals Schumann, Beethoven und, ich glaube… Brahms. Vielleicht auch Bach. Da sagte man mir: die Leute wollen das nicht hören, da fehlt was. Scarlatti oder so. Oder was von Schubert. Aber ich habe damals gesagt: Schumann! Brahms! Das sind solche Gegensätze, ich meine auch stilistisch und so, da tun sich doch Welten auf, Welten, sage ich Ihnen! Das reicht doch aus! Der Erfolg gab mir damals recht (nimmt eine weitere Mozartkugel).

BB: Wie beurteilen Sie die heutige Klassikszene, Herr von Lippi? Es ist ja immer wieder von Schwierigkeiten die Rede, die Säle sind nicht mehr so voll wie früher, die Klassik habe ein Vermittlungsproblem….wie sehen Sie das?

VL: Ach, da wird immer so viel verklärt. Klar, Brendel füllte damals den Herkulessaal dreimal hintereinander mit Schubert, Haydn, Beethoven…äh, ich glaube Schubert, Beethoven, Haydn. Ja, das war’s, dreimal hintereinander! Schubert, Haydn, Beethoven! Haydn! Die Leute waren verrückt nach Haydn! Heute geht wieder eher Mozart mit Beethoven, oder eine Kombination aus Mozart und Haydn, aber auf keinen Fall mehr Haydn allein. Das muss man auch wissen, wenn man Konzertprogramme anbietet. Der Publikumsgeschmack ändert sich. Aber man muss einfach mit der Zeit gehen: Brahms, Bach, Beethoven – das ist heute ganz normal und niemand regt sich mehr darüber auf. Aber früher, ich sage Ihnen: früher, da hätte man mich für verrückt erklärt!

BB: Gut, aber ich würde die Frage gerne noch einmal wiederholen: Hat die klassische Musik heutzutage ein Vermittlungsproblem?

VL: Vermittlung, Vermittlung, ich höre immer nur Vermittlung! Wenn ich die Vermittlung will, dann rufe ich von meinem Zimmer in der Rezeption an, höhö!

BB: Aber das Bildungsniveau….

VL: Das Bildungsniveau ist doch gar nicht mehr relevant. Es ist doch klar: die Leute wollen eine Marke, wenn sie in ein Klassikkonzert gehen. Es muss einfach nach Klassik klingen, und eben nicht nach Techno oder Soul oder so. Man will etwas gediegenes, etwas was der Schwiegermutter gefällt. Und: Studien haben ergeben, dass man sich nirgendwo so gut entspannen kann, wie in einem Klassikkonzert. Alle sind ruhig, vorne klimpert jemand, und wenn zu viel gehustet wird, geht der Brendel wieder raus, haha! Wo gibt’s das heute noch?

BB: Will das Publikum nicht auch mal was anderes?

VL: Das Publikum interessiert mich einen Schei….also, ich meine, das Publikum interessiert sich einen Scheißdreck dafür, „überrascht“ zu werden. Die wollen genau das, was sie erwarten, und nichts anderes. Mozart geht halt immer. Und wenn gar nichts mehr geht, improvisiert die Montero. Aber es muss wie Mozart klingen, verstehen Sie?

BB: All diese Komponisten, Brahms, Schumann, Schubert, Beethoven…

VL: und Bach.

BB: ja, Bach, und, äh….

VL: Mozart?

BB: genau, Mozart, Danke. Die waren ja alle auch einmal quasi modern, ich meine, also, sie lebten, äh, zu der Zeit in der ihre Hörer lebten…äh….und hatten damit…also….so eine Art direkten Bezug zu der Zeit, in der sie lebten. Und das war für das Publikum damals sicherlich auch….

VL: Verstörend, nicht wahr? Unglaublich, wenn man sich das heute vorstellt. Gottseidank sind wir da heute schon ein bisschen weiter, nicht? Das Wahre, Schöne und Gute muss ja nicht immer neu erfunden werden, das gibt es ja schon. Und es gibt ja immer noch Spielraum: Wer hat denn je mal…nun….Brahms, Mozart (denkt nach)….Liszt….LISZT! zusammen in einem Konzert gespielt! Noch nie! Da geht noch viel (nimmt eine weitere Mozartkugel)….und Mozart ohnehin immer.

BB: Aber für die Menschen damals…

VL: …war das ja ganz normal, dass die Kerle noch lebten. Verrückt, nicht? Die schrieben all diese Stücke und waren tatsächlich auch noch lebendig. Das wäre heute viel zu extrem – wissen Sie, dass Publikum will sich doch heute beim Hören nicht vorstellen, dass der Komponist den sie gerade hören eventuell noch lebt, vielleicht gerade Sex hat oder auf dem Klo sitzt oder so. Das ist doch widerlich! Aber früher, da lebten die halt….Aber meistens ja gottseidank nicht sehr lang (nimmt eine weitere Mozartkugel, kaut genüsslich).

BB: Ja, äh, verrückt. Aber eben irgendwie auch normal. Dennoch: sollten sich die Konzertprogramme vielleicht ändern?

VL: (rührt in seiner Kaffeetasse)

BB: Herr von Lippi?

VL: (sein Handy klingelt). Moment, da muss ich ran. Ah, Tony, wie geht es Dir? Tony, altes Haus! Was macht der Barbican? Du, wir wollten ja über nächstes Jahr reden. Was hältst Du von Bach, Brahms, Beethoven? 12 Konzerte, mit meinen Leuten? BBB, das läuft nächstes Jahr gut, wegen dem Jubiläum. Kein Jubiläum? Egal, das geht immer….(hält den Hörer zu) Hören Sie, Herr….wie war noch mal Ihr Name? Ich habe jetzt leider keine Zeit mehr!

BB: Herr von Lippi, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Als wir die Lobby des „Vier Jahreszeiten“ verlassen, hören wir noch einige Gesprächsfetzen des Gesprächs von Lippis.
„Brahms?“
„Beethoven!“
„Mozart, Schubert“.
Als sich die Drehtür zum Ausgang schließt, ist auch noch ein „Bach!!!“ zu hören aber es könnte sein, dass uns unsere Ohren einen Streich gespielt haben.

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. Genial! …da leider etwas wahres dran ist.
    Ich empfehle an der Stelle auch das – manchmal etwas rumpelig-polemisch daher argumentierende Buch „Musicking“ von Christopher Small ;)