Sprüche aus der Ferne 2

Das Internet ist eine riesige Verwahrkasse! Irgendjemand spricht über etwas, wie zum Beispiel, ob Online-Konzerte die Konzertpräsentation der Zukunft sein werden, jemand anderes kann vorher, zeitgleich oder später dazu von sich geben. Am schönsten live oder per Zuschaltung, wenn sich mehrere zur entsprechenden Veranstaltung treffen. So wäre es auch am besten um die Musik bestellt, die in einer mit dem Internet verbundenen Aufführungsform stattfindet: simultan spielen irgendwo auf der Welt an diversen Plätzen online vereint Menschen miteinander, nehmen einen Klangroboter dazu. Um gleich mitten in die Problematik hineinzukommen: es geht dabei immer um möglichst große Synchronizität bei möglichst kleiner Latenz. Am einfachsten gelingt das bei Aufführungen, die für Klangereignisse einen weiten Zeithorizont anbieten.

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So war es 2001 eigentlich ganz einfach, bei damaliger höchster Beanspruchung der Technik, per Chat, Grafik und Sprachbefehl, aus aller Welt übertragen, die Musiker in Eggerts „Variations IV.XX“ nach John Cage ihre musikalischen Aktionen umsetzen zu lassen. Indem im Gros keine anderen tausende Kilometer direkt mitmusizierten, war es letztlich ein normales Konzert, nur dass die Ereignisse eben nicht hyperfixiert getimt sein mussten. Andere Beispiele waren später Konzerte von Pianisten, die am anderen Ende der Welt ihr Spiel sensorisch vermessen ließen und dann diese vergleichbar wenigen übertragenen Daten synchron ganz woanders in ein anderes Klavier eingespeist wurden. Bild- und Tondaten komplexer verarbeitend waren darauf Veranstaltungen, wo gar verschiedene Ensembles an verschiedenen Orten über das Internet miteinander verbunden Musik machten.

Der Ereignisrahmen für gleichzeitig erklingende Ereignisse wird also immer enger. Momentan sind es wohl eher langsame Stücke, wenn sekundengenau aufeinander abgestimmt die Klang- und Bildübertragung funktionieren soll. Mal gelingt es, mal spielt nach wenigen Minuten der Arbeitsspeicher verrückt und die Latenz wird immer grösser. Wenn dazu das Publikum, vielleicht ebenfalls an mehreren Orten, diesen mehr oder minder gemütlichen Stücken zuhört, die auch gut in den verzögernden Hallraum einer Kirche passen würden, erlebt man immer wieder die sakrale Aura von reinen Live-Elektronikkonzerten, wie man es 2013 z.B. mit den flashig angestrahlten Lautsprechern zu Hèctor Parras
„I have come like a butterfly into the hall of human life“, nicht ganz unfreiwillig komisch darin, auf den Donaueschinger Musiktagen erleben durfte. Wo es nach ein wenig Eingewöhnung ganz gut funktioniert, ist gemeinsames Proben per Onlineübertragung.

Wie man sieht, geht es immer um die Interaktion: sind die Musiker getrennt, sind es bei wenigen Spielern und gemütlichen Stücken bzw. nicht irre schnellen, genau aufeinander abgestimmten Figurationen ist es inzwischen sehr praktikabel, sind es exakt zu befolgende Partituren, wird das klangliche Ergebnis kaum konzertant ausreichen, es sei denn, die Probensituation als solches oder das Onlineinteragieren per se wird ohne Ansprüche an Interpretationstiefe affirmativ ausgestellt. Sind nur Musiker und Publikum voneinander getrennt, dann liegt eigentlich keine neue Aufführungssituation vor, dann ist es statt einer Übertragung eines Konzertes durch TV und Radio eine über das Internet, egal ob die Zuhörer eine grössere Gruppe bilden oder der Nutzer allein daheim konsumiert. Wenn wie bei Eggert/Cage dann die Zuseher musikalisch zu erfüllende Erwartungen aussprechen dürfen, quasi ein direktes Wunschkonzert, oder über Möglichkeiten entscheiden dürfen oder aus verschiedensten Angeboten statt die Musik für ein Haus eine für den eigenen Rechner zum Zeitpunkt der Übertragung zusammenstellen dürfen, steuert man auf andere als bisherige Aufführungsformen zu.

Aber ist Interaktion wirklich Alles? Hängt es bei solchen im bisherigen Nur-Live-Kontext von der erfolgreichen kompositorischen und interpretatorischen Umsetzung solcher Strategien ab, tritt hier die Übertragungstechnik hinzu. Ist der Zuhörer daheim allein und steuert durch die Angebote der Aufführung, ist gelangweiltes Zapping nicht fern, wenn nicht die Entscheidungen des Hörers wieder in die Aufführung online rückgekoppelt werden. Im Zustand des Experiments ist dies natürlich alles möglich und generiert höchstwahrscheinlich eine riesige Vielfalt.

Erfolgssteigernd hat dies bisher eigentlich nur Eric Whitacre mit seinem Virtual Choir umgesetzt, wo er den in den heimischen Rechner singenden Teilnehmern quasi privat per Netzvideo das Stück vor dirigiert und dieses tausendfache Homerecording zusammengeschnitten als Ganzes, softes Machwerk seinen Weg ins Netz findet. Eine weitere Interaktion wäre demnächst nicht so sehr über Online-Live-Aufführungen nachzudenken, denn allerorten entstehen nun DigitalConcerthalls. Nein, dem Komponisten per Webcam a la Big-Brother nicht nur beim Duschen, Schlafen und Smalltalk, sondern auch beim Komponieren selbst zuzusehen, vielleicht sogar mal einen Wunsch zu einer Wendung des entstehenden Werkes äussern zu dürfen. Denn wer weiß, ob uns nicht bereits öfters als uns lieb ist ein Geheimdienst beim Schreiben so zu sieht, aber in Unkenntnis dieser exotischen Materie Neue Musik bisher sich nicht traute, einen musikalischen Wunsch uns ins Kompositionsprogramm zu schreiben?

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