Wagner Reloaded

Wagner reloaded

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Inzwischen ist ja eigentlich alles „reloaded“. Die Matrix ohnehin, was schon mal ein ziemlich schlechter Film war. Und nun halt eben auch Wagner.

Ich bin in Leipzig und schaue mir die Generalprobe von „Wagner reloaded“ an, einem Riesenspektakel des Choreografen und Tänzers Gregor Seyffert, zusammen mit dutzenden von Tänzern und Statisten und 4 Edelstatisten von der Heavy-Metal-Cello-Coverband „Apokalyptika“. Das Ganze findet in der Arena Leipzig statt, wo ansonsten Sportveranstaltungen die Halle füllen. Dieses Mal sind es vor allem die Besucher des tollen Wave-Gotik-Treffens, über das ich an anderer Stelle schreiben werde.

Vor dem großen Spektakel kommt eine lange Einweisung: Wir sitzen nämlich direkt um die Bühne herum, da wo sonst Sportler auftreten, und zwar auf hübschen kleinen Pappkartons. Diese sollen nun unsere „Utensilien“ sein, denn anscheinend muss man immer wieder mal aufstehen, weil ein riesiger Bühnenwagen vorbeirollen muss. Der Ansager betont: „Wenn es brennt, denkt daran: Nehmt auf jeden Fall als allererstes eure Pappkartons mit! Und schön aufräumen am Schluss!“. Nun gut, man könnte vielleicht auch an kleine Kinder oder die beste Ehefrau aller Zeiten denken, aber ok, bei Feuer haben billige Pappkartons natürlich Vorrang bei der Rettung, wo kämen wir sonst hin?

Es geht los: Sofort kommen die ersten martialischen Wagen hereingerollt (hunderte von Grufties nehmen brav ihre Pappkartons in die Hand und machen gesittet Platz), gezogen und geschoben von Statisten die aussehen wie aus einem Mad-Max-Film. Die Statisten müssen sich nach getaner Wagenzieharbeit militärisch aufstellen und die über die Arme gekreuzte und gebeugte Faust nach vorne strecken, was ein bisschen aussieht wie eine Mischung aus einem Hitlergruß und einer „Fuck you“-Geste, und deswegen wohl auch in allen Musikvideos auftaucht, in denen bedrohlich vermummte militärische Typen rumlaufen. Einige der Statisten vergessen gerne Mal, dass sie die Faust recken müssen, sie sehen dann erst einmal ganz harmlos aus, bis sie sich an die Regieanweisung erinnern und wieder ganz, ganz böse sind.

Mit den Wagen werden vier kostümierte Wikingertypen hereingefahren, das sind wohl die Jungs von „Apokalyptika“, denn die Wikinger haben Cellobögen als Schwerter in der Hand. Wenn man daraus Pflugscharen macht hält der Pflug nicht lange, das sage ich euch! Und sind das nicht eigentlich Finnen?

Hinten auf der lang gestreckten Hinterbühne steht ein riesiger Kinderkopf, den man aber von unseren Plätzen kaum sehen kann, da immer eine gereckte Faust im Weg ist. Plötzlich geht der Kopf irgendwie auf, und es sitzt ein schreiendes Kind mit Schiebermütze da. Nun gut, es ist keine Schiebermütze, sondern diese komische Wagner-Mütze, die man immer mit dem großen Meister assoziiert. Anscheinend hatte er die schon von Kindesbeinen, sie war mit ihm verwachsen! Oder sie ist ein außerirdischer Symbiont, der einfach nur so aussieht wie eine Mütze.

Das nervig greinende Wagnerbaby wird begrüßt von lauter Zombies in grauen Anzügen, die plötzlich auf die Bühne laufen. Sind es Zonen-Gabi und ihre Zonenzombies? Nein, es sollen….Orchestermusiker sein. Da wäre ich jetzt ehrlich gesagt nie drauf gekommen, wenn es mir nicht später jemand gesagt hätte. Es handelt sich hier also um eine kritische Beleuchtung des heutigen Orchesterbetriebes, wer hätte das gedacht!

Das Ganze wird unterlegt von einer MIDI-Version des Rheingoldanfangs, die ungefähr so klingt, als hätte sie ein Kompositionsstudent mal schnell mit den Standard-Sibelius-Sounds an seinem Aldi-PC abgespielt. Anscheinend sollte das (wie bei der Uraufführung, die schon letztes Jahr war) mal das grandiose MDR-Orchester unter Kristjan Järvi spielen, aber das war diesmal wohl zu teuer.

Da ist man richtig froh, dass die „Apokalyptika“s nun spielen. Sie gehen zur Sache, wie man es von ihnen kennt. Inzwischen sind es ja nur noch drei, und der vierte wurde durch einen (ziemlich guten) Metal-Drummer ersetzt. Und es ist gleich viel besser, weil live!

Wagner hat sich inzwischen noch einmal verwandelt und ist plötzlich….Gregor Seyffert, ein durchtrainerter muskelbepackter und topfitter Tänzer, der ja auch noch der Regisseur und Erfinder des Ganzen ist. Bescheidenheit pur! Man erkennt, dass er Wagner ist, da er immer noch die Mütze auf hat. Ein riesiges Bett wird hereingerollt, auf dem eine rothaarige Gruftie-Dame hockt. Wenn es sich um Cosima handeln soll, hat sie auf jeden Fall einen neuen freaky style. Die Absicht Wagners/Seyfferts ist klar – jetzt wird erst einmal gepoppt! So radikal ausgedeutet hat man die grundsätzliche inherente künstlerische Motivation des Wagnerschen Schaffens noch nie auf der Bühne gesehen. Mein lieber Schwan!

Aber da sind wir noch gar nicht – nachdem gepoppt wurde kommt nämlich eine Videoprojektion einer Achterbahn. Oder ist es ein Zug? Ist es etwas….DER ZUG NACH AUSCHWITZ? Nein, es entpuppt sich als eine Achterbahn in Form eines Violinschlüssels, dazu spielt jetzt wieder „Apokalyptika“. Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob Cellomusik am besten durch einen Violinschlüssel dargestellt wird, da dies ja nun wohl der seltenste Notenschlüssel beim Cellospielen ist. Aber einen Tenorschlüssel hätten wohl nur wenige im Publikum erkannt, und als Achterbahn transformiert hätte der mehrere Sackgassen. Der Bassschlüssel wiederum wäre als Strecke sehr langweilig und hätte zwei Fallgruben am rechten Ende. Die hätte man aber wieder als Ticketbuden für die Achterbahn interpretieren können, aber dazu reichte das Geld bei der Videoanimation nicht.

Nun kommen wieder die Zombies hereingelaufen, haben aber jetzt Judensterne an, was den Schluss nahelegt, dass der Achterbahnzug DOCH in Richtung Auschwitz unterwegs war. Die MIDI-Musik von Wagner wird nun kollagiert mit Schtetl-Musik a la Klezmer, was ja schon auf eine schöne Weise schräg ist. Immer wenn die Schtetlmusik kommt, tanzen die Zombies fröhlich, immer wenn de Wagnermusik kommt, schauen sie wieder traurig drein. Kann ich total verstehen.

Irgendwann nervt das dann den Wagner, der sich inzwischen in eine duale Persönlichkeit aufgesplittet hat (a la Doktor Richard und Mister Wagner, oder auch Siegfried und Roy), und der schießt dann mit Kanonen auf die Spatzen…äh Zombies. Wobei Zombies ja eigentlich nicht mehr intelligent sind, vielleicht kann man also tatsächlich von Spatzenhirnen sprechen. Deswegen haben die ja auch immer so viel Hunger nach Hirn! Wagner als Revolutionär, das kannte man. Aber Wagner als revolutionärer Schtetl-Zombiekiller, das ist neu, das muss man Seyffert lassen. Wagner reloaded seine Kanone einige Male, dann ist der letzte Zombie dahingerafft. Was nun, Siegfried und Roy?

Es kann übrigens gut sein, dass ich die Dinge hier schon chronologisch etwas durcheinander bringe. Denn Seyffert will auf keinen Fall, dass sein Publikum sich langweilt, und fährt so ziemlich alles auf, was die Bühne hergibt. Alle 5 Minuten wird wieder ein neuer Wagen hereingefahren, ein Bett oder eine Tür herein- oder herangerollt, oder Wagner springt akrobatisch und purzelbaumschlagend über die Bühne oder ein Video wird abgefahren. Alle gefühlten 10 Minuten darf dann „Apokalyptika“ spielen, aber leider immer nur sehr kurz. Sie schwenken dann immer so schön ihre langen Haare beim Headbangen. Überhaupt sehen die Jungs so aus, als ob sie mehr Zeit im Fitnessstudio als in der Übezelle verbringen. Der 3. Cellist hat Oberarme, die mindestens dreimal so dick sind, wie der Cello-Hals. Na, wenn der sich mal keine Sehnenscheidenentzündung antrainiert!

Holla, mit großem Hurra werden nun Riesen hereingerollt, die mit ihren Füssen in die Luft treten, als bearbeiteten sie einen unsichtbaren Ball. Das ist entweder eine geniale WM-Anspielung oder eine Allegorie auf das, was mit dem Arsch des Proletariats geschieht, wenn die bösen Kapitalisten es uns so richtig besorgen. Zwischendrin wird es aber auch immer wieder mal ruhig und beschaulich, dann spielen die „Apokalyptika“s im Terzett und werden einmal um die Arena gerollt, wobei sie ein bisschen traurig (oder gelangweilt) dreinschauen.

Nach vielen Explosionen entsteht etwas, was man als das Finale bezeichnen könnte. Wagner poppt sich selbst, ein echter „Mindfuck“, und das Bett gebiert unerlässlich neue Zonenzombies, die unten aus der Matratze rausflutschen. Auf dem Video sieht man dann Wagner, wie er immer wieder in einen mit Milch gefüllten Pool springt. Das ist auf Dauer nicht gesund, und einer der Wagners ist dann auch irgendwie tot. Aber dann auch wieder lebendig, nur hat er jetzt so hängende graue Flügel an, was vielleicht bedeutet, dass er nun ein böser Dämon ist. Dass die kleine Extraportion Milch diese Wirkung hat, war bisher noch nicht bekannt.

Jetzt gibt es auch so eine Art Prometheus, ein Frankenstein wird durch die Arena gerollt und wackelt an dem Gerüst, an dem er hängt. Man kennt das von der Geisterbahn auf dem Jahrmarkt. Der Frankenstein fletscht auch ganz böse die Zähne, genau so wie Robert de Niro in dieser schlechten Frankensteinverfilmung von Kenneth Branagh. Vielleicht handelt es sich auch tatsächlich um Robert de Niro, was dem Verlauf seiner Filmkarriere in den letzten 20 Jahren ganz gut entsprechen würde. Nur ist Robert de Niro natürlich inzwischen viel dicker, wogegen die Darsteller bei Seyffert alle durchtrainiert und perfekt proportioniert sind. So war es halt eben im 19. Jahrhundert, als man noch keine Milkshakes und Döner kannte!

Da diese Frankensteinnummer aber auf Dauer nicht sexy genug ist, wird jetzt ein großes Weinglas (oder ist es ein Absinthglas?) hereingerollt, in dem eine Art Dita von Teese sich lasziv räkelt. Das ergibt zwar keinerlei kontextuellen Sinn, ist aber hübsch anzuschauen. Vielleicht ist dieses Glas aber auch der heilige Gral. Ob Indiana Jones diesen Gral gewählt hätte am Ende des „letzten Kreuzzugs“, wenn sich da eine Miniatur-Dita-von-Teese drin geräkelt hätte? Den hätte er doch bestimmt nicht genommen, wenn der ihn so teaset!

Wagner hat sich nun wieder in ein Kind verwandelt, jetzt sind es aber zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Das hat alles die große Unschuld von Dita von Teese oder eben auch der heilige Gral gemacht. Vielleicht ist es aber auch eine völlig beliebige, bizarre und plötzliche Mutation des Wagner-Gens, so wie bei Katharina Wagner.

Jetzt ist aber auch schon Schluss – riesige Kopfteile werden hereingerollt, „Apokalyptika“ darf endlich mal wieder spielen. Die Zombies rennen um die Arena herum und es gibt Explosionen, bei denen immer ganz viel Papier in die Luft fliegt. Das symbolisiert wohl den Verfall des Euros. Die beiden Kinder verschwinden in den beiden Kopfteilen, die zusammengefügt nun einen doppelten Wagner ergeben. Wagner war halt einfach nur ein doppeltes Lottchen, das ist die Message, die hier wohl verkündet wird.

Es ist aus – Applaus! Wir erinnern uns an die Ansage vom Anfang, nehmen unsere Pappkisten und stapeln sie brav am hinteren Ende der Halle aufeinander. Das geht nur in Deutschland – in Italien wäre sicherlich alles liegengeblieben, denn der Italiener an sich ist halt nicht so obrigkeitshörig wie der Deutsche.

Und das hat mich – zum ersten Mal an diesem Abend – dann doch mal so richtig nachdenklich gemacht.

Moritz Eggert

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5 Antworten

  1. @Moritz: Prima und launig geschrieben, gern gelesen (auch den im Grunde verzweifelten Subtext – damit wir uns richtig verstehen). Wie du das Spektakel beschreibst, klingt das wie ein Schlingensief abzgl. Hirn (bzw. Trash, der sich viel zu ernst nimmt).

  2. Schlingensief hätte das handwerklich wohl nicht hinbekommen – rein vom Spektakel her war der Abend von einer großen technischen Perfektion, die viel Disziplin von allen Beteiligten forderte. Schlingensief konnte alles mögliche, aber strukturiert proben war nicht so sein Ding. Ob sich Seyffert hier immer ernst genommen hat, wage ich nicht zu beurteilen, aber es gab durchaus selbstironische Momente im positiven Sinne :-)

  3. @Moritz: Ok, wenn Handwerklichkeit nicht gerade Schlingensiefs Stärke war, worin bestand dann – deiner Meinung nach – sein eigentliches Talent? Wie wäre er an ein derartiges Projekt herangegangen? Ironischer, „trashiger“, chaotischer, politischer? Oder trifft’s das alles nicht?

  4. Schlingensief hatte viele Talente, die aber eher in absurder spontaner Improvisation oder in interessanten Performanceanordnungen bestanden. Als „Happening“-Künstler war er großartig. Wenn es um strukturiertes Arbeiten, Proben und Kommunizieren gingen, tat er sich dagegen schwer, und versuchte es dann auch ins Happening umzukehren. Das funktionierte meiner Ansicht nach nicht sehr gut.

  5. Ok, danke – ja, das klingt nachvollziehbar und deckt sich mit dem Eindruck, den ich von seinen Arbeiten habe.