fort schritt, e.h. flammer flamboyant?

Fortschritt, was ist das…?, so ein neues Kompendium der neuen sächsischen Schule, Ernst Helmuth Flammer als Herausgeber und etliche Autoren einer Ringvorlesung an der Dresdner Carl-Maria-von-Weber-Musikhochschule. Wer will, kann bereits Flammers Einleitung lesen. Was sofort auffällt: ein uralter philosophischer Sprachduktus, Moral und Ethik werden angerufen, Kant und Habermas gegen den nicht explizit erwähnten Luhmann in Stellung gebracht, dabei bemüht man fast unbeobachtet doch dessen beobachtenden Beobachter: „Doch was des Einen Fortschritt ist, kann des Anderen – aus einem anderen Blickwinkel – sein Gegenteil sein“. Im gleichen Absatz ein weiteres Highlight:“Schnell wird man dessen gewahr, daß es in diesem Sujet kein Ende gibt, daß es immer nach vorn offen ist als ein schon in linearer Vorgehensweise Kontingentes.“ Und so mäandert es weiter. Was die Lektüre anstrengend werden lässt: Flammers Einleitung ist laut Inhaltsangabe nicht sein einziger Text, nein, er stellt die erdrückende Mehrheit an Beiträgen (s. Inhaltsverzeichnis!).

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Und so fragt man sich angesichts des doch ganz passablen Musikers Flammer, was ihn als musikhistorischen Schüler Eggebrechts – der gestrenge serielle Wendehals, welcher mutmasslich an Spiessrutenläuferspalieren im 2. weltkrieg… ihr wisst schon – antreibt, zumal wenn ein Herr Heinemann mit „„Geschichtsschreibung als der Versuch, dem destruieren- den Charakter von Zeit entgegenzuwirken, benannte schon Herodot als Impetus der Arbeit des Historikers…“ zitiert wird, dem dann der Schlusssatz „Dafür wird nach Heinemann historisches Wissen zur Pflicht“ folgt? Es wird auf die Postmoderne eingedroschen, der bösen gleichmachenden, wohl zu demos-lastigen, zugegeben gefährlich neoliberalen, Polyphonie mal wieder mit Polymorphie aufgebauscht. und ganz unkritisch die eigene Historienlinie komplett ausgeblendet: das akademische Eindreschen auf die Abweichler, heute wohl die Harry-Lehmann-jünger? Nun denn, wenn dies wenigstens mit Zorn und künstlerischer Wut geschähe, ohne Formulierarroganz…

So aber kann man sich angesichts der hier zu erwartenden musikhistorischen Erhabenheit wie angesichts mancher lehmannscher musikhistorischer Leichtigkeiten nur lachend bäuchlings auf den Boden werfen, mit den Fäusten gegen das Pflaster schlagen und als akademienferner Künstler hoffen, so dem Flammerschen Spalier zu entkommen. und auch all den anderen Spalieren, die vorher und nachher herumirrten. Nichts gegen Tonhöhen, aber auch nichts gegen Konzeptuelle und Diesseitige – für den einzelnen ja Alles wunderbar ästhetische Reibungsflächen. Die Lektüre dieses Buches wird aber polymorphe Austreibung, was z.b. Tobias Schicks wirklich interessante Gedanken in einen ungünstigen Zusammenhang stellt. Tja, und warum hier nochmals die Wiederholung von Mahnkopfs Worten zu Kreidler am anderen, irgendwie falschen Platz? Dabei wäre die Antwort auf „was ist Fortschritt“ so simpel, Buchstabendreher vorausgesetzt: Fortschritt ist nichts als ein Froschtritt – so springen sie weit und hoch, und doch wirr auseinander, wenn die Schlange namens Postmoderne Neo-Konzeptualistika heran kriecht, nur spielen will und ein wenig nach Gehalt fragen möchte, nicht aber den Weltgehalt, der hier wehen möchte – wohl versteht mancher honorige, Professor seiende und sein wollende unter Gehalt nur Besoldung…

Oder ganz unreflektiert: Fortschritt geschieht nicht in Symposien, nicht in geschlossenen Spalieren, nein – einfach am Schreibtisch, im Konzertsaal, im Gespräch, eher im Kollektiv denn von Einzelpersonen, im Verhältnis von Material zur Wahrnehmung, im Ankommen in den letzten Subsystemen wieder Zitherszene, die 2010 noch teilweise wie der Rest der Moderne 1910 reagierte. Und das gilt letztlich für Alle. Und das ist gut so. Meine Historienidee: Musiktheorie und Musikphilosophie, klärt Euer eigenes Geschichtswissen. Und fangt nochmals neu, im 21. Jahrhundert an. Und bitte lesbarer, entflammter, Herr Flammer!

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4 Antworten

  1. Ergänzung: Auslöser dieses Artikels – Alexander, bitte korrigiere mich – war ein Facebook-Post Johannes Kreidlers, der einen höchst lebendigen Thread nach sich zog, der noch nicht abgerissen ist. Ich versuch jetzt mal, den Thread direkt zu verlinken: https://www.facebook.com/johannes.kreidler/posts/10203163585717512 [bekanntermaßen muss man Facebook beitreten, um hier mittun zu können, sorry, da ist der Zuckerberg dran Schuld]

  2. Yep. Allerdings waren es weniger Deine zahlreichen dortigen Links auf Deine Lehmannlektüre als mein eigenes Lesen von Flammers Intro. Bin weder Polywerkler noch totaler Konzeptueller, nur langt’s mir auch so schon, um zu bloggen.

  3. Also ich werfe mich da nicht „lachend bäuchlings auf den Boden“….
    sondern weinend.

  4. wenn ich bäuchlings zu boden gehe, lachend – dann ist das garantiert zum weinen. mir bisher einmal passiert, danach tränenreich…