MAM. Oder: Wie man es machen kann.

Die "Manufaktur für aktuelle Musik"

Es beißt die Maus keinen Faden ab: Das größte Problem ist oft gar nicht die Musik selber, sondern wie sie präsentiert wird. Es ist klar, dass diese Problematik in den letzten Jahren zunehmend in den Vordergrund gerückt ist bei der Konzeption und Durchführung von Konzerten.

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Was man nicht schon alles versucht hat: Konzerte in ehemaligen Industrietempeln wie dem Kraftwerk von Vockerode, Konzerte in Clubs wie dem „Berghain“, Konzerte unter Wasser, auf dem Wasser, in Hubschraubern, Heißluftballons, Bordellen und wahrscheinlich auch U-Booten. Und das sind nur die Konzerte, in denen die äußeren Bedingungen bewusst geändert wurden.
Natürlich gibt es aber auch: das inszenierte Konzert. Konzerte mit aufwändigen Videos oder Lichtinstallationen. Konzerte mit Kunst. Konzerte mit Literatur. Konzerte für Schwangere. Konzerte für Verliebte. Konzerte für Singles.

All diese Versuche – ob nun erfolgreich oder nicht – zeigen zumindest eins: Es gibt ein wachsendes Unbehagen, zeitgenössische wie klassische Musik mit den Ritualen des 19. Jahrhunderts zu präsentieren. Und wenn man ehrlich ist: Es sind noch nicht mal die Rituale des 19. Jahrhunderts (da waren die Konzerte wesentlich länger und die Programmreihenfolge nach heutigen Maßstäben wirr und abenteuerlich) die wir normalerweise erleben, sondern eine Art destillierte Museumsversion, wozu natürlich auch die Auf-und Abtrittsrituale gehören, die endlosen Verbeugungen, die langweiligen Fräcke, die Blumengaben, die Programmhefte mit langen Texten, etc..

Wie kann nun das Konzert der Zukunft aussehen, wenn man die üblichen RItuale vermeiden will, gleichzeitig aber auch nicht in die Falle des „Events“ oder der Illustrierung verfallen will?

Dieses Wochenende war ich zu Gast beim neuen Festival für zeitgenössische Musik „Schönes Wochenende“ in der Düsseldorfer Tonhalle, initiiert vom neuen leitenden Dramaturgen Uwe Sommer-Sorgente . Wie so oft versuchte man hier auch, einiges anders zu machen – das fing schon beim Festivalmagazin an, dass sich durch Design und erstaunlich freche Interviews schon einmal positiv vom üblichen Einerlei abhob. An drei Tagen gab es hier einen wahren Sturm von Konzerten zu sehen, nicht nur ein „schönes“ sondern auch ein sehr „volles“ Wochenende.

Bei diesem Festival war auch das Ensemble Manufaktur für aktuelle Musik (kurz: MAM) aus Frankfurt, das von ehemaligen Studenten der Ensemble Modern Akademie gegründet worden ist. Der Titel ihres Programms, „Motion – rauschende Dichte“ ließ mich jetzt nicht unbedingt aufhorchen, da er klang wie ein typischer Neue-Musik-Stücktitel, aber dennoch wollte ich dieses Ensemble einmal in Aktion erleben.

Mit leider zu wenigen anderen Menschen erschien ich also Samstag Abend im Schumann-Saal, einem nicht kleinen und eher klassisch frontal gestalteten Konzertsaal mit guter Akustik aber nicht direkt ungewöhnliche, Ambiente. Auf der Bühne waren nur minimale Aufbauten zu sehen: ein Flügel in der Mitte, darunter ein Staubsauger, ein Keyboard, Notenpulte, weit auseinander, ein Notenpult im Publikum links vor der Bühne – das war alles, und recht unspektakulär.

Dann traten die Musiker ohne viel Aufhebens auf und begannen zu spielen. Der Beginn des Konzertes verhieß nichts Gutes. Zu den Klängen des Ensembles bewegte sich eine Tänzerin (Nina Vallon) durch den Raum, gefährlich nahe an dem, was man schon oft unter „Ausdruckstanz“ oder „Eurythmie“ erlebt hat. Und das ist nicht immer gut.

Aber tatsächlich entstand nach einigen Minuten eine seltsame Faszination für das Spektakel, das erst so unspektakulär daherkam. Nach dem Stück bewegen sich die Musiker sofort zu neuen Positionen – das geht so schnell, dass ein Applaus nicht nötig und auch nicht gewollt ist. Plötzlich kommt überraschend ein Vivaldi-Konzert, mit dem Lärm eines Staubsaugers unterlegt. Das ist aber nicht parodistisch gemeint, sondern konzentriert und exzellent musiziert, wie hinter einem Schleier. Musiker gehen links ab, jemand anders kommt rechts herein. Jedes Umstellen eines Notenständers geschieht bewusst und einer Idee folgend. Paul Hübner geht zu seiner Position im Publikum und spielt „Birkhahn-Studie“ von Robin Hoffmann. Klar, das ist ein Stück über ein Lockruf-Instrument. Dann wieder Vivaldi, aber ganz, ganz leise gespielt, nur noch einzelne Klänge, wie eine ferne Erinnerung. Der Cellist (Niklas Seidl) geht nach vorne und spielt ganz leise den ersten Klang von Lachenmanns altem Schlachtross-Stück „Pression“, die anderen machen ganz leise mit. Lange Stille. Dann wieder: der erste Klang von „Pression“, nur ein zartes Rauschen. Das wird nicht nur drei mal sondern vier mal wiederholt, ein endloser Moment , der an die Grenzen des Erträglichen geht. Dann: alle gehen ab. „Pression“ wird gespielt. Und so hat man es noch nie gehört: nun sensibilisiert für die extremste Unterdynamik werden die Geräuschorgien Lachenmanns zum existentiellen Erlebnis. Tatsächlich habe ich dieses Stück noch nie so präzise und auf den Punkt gebracht gehört wie hier. Mittendrin taucht im Hintergrund die Tänzerin mit einer Hasenkopfmaske auf, geht langsam und ominös über die Bühne, verschwindet wieder. Das steht bei Lachenmann natürlich (leider) nicht in den Noten drin, gibt dem Ganzen aber die essentielle Note des Ungewöhnlichen, nicht fern von der Ästhetik zum Beispiel eines David Lynch. Später wird die Tänzerin erneut mit dem Hasenkopf auftreten und ein absurdes Spiel des Verrückens von Notenpulten und Stühlen betreiben, das gleichzeitig provozierend wie irrsinnig komisch ist.

Und je mehr ich mir das alles anschaue denke ich mir: Ja! So kann man es machen!
Mit den simpelsten Mitteln und ohne große Requisiten oder technischen Aufwand schaffen es die vier durchweg exzellenten Musiker (zu nennen sind noch Heather Roche, Klarinette, Daniel Lorenzo, Klavier) und die sanfte musikalische Anleitung von dem auch kompositorisch vertretenen Peter Gahn und wohl gemeinschaftlicher Konzeption den Abend mit Musik von (neben den schon genannten Komponisten) Ablinger, Cassidy, Gahn, Hespos und Hirs zu einem Happening sondergleichen zu machen, das eben doch kein hohles Happening ist, sondern einfach nur ein Versuch, die Intention der Kompositionen auf eine zwingende Weise umzusetzen, die ohne die üblichen Rituale auskommt. Das ist nicht im herkömmlichen Sinne „inszeniert“, sondern einfach nur ein zwingender und fesselnder Ablauf (Kein Applaus bis zum Schluss), der stets die Spannung hält und dennoch immer nur die Musik ins Zentrum stellt. Die Musiker geben nie vor, etwas anderes als Musiker zu sein, dennoch LEBEN sie die Musik, spielen sie nicht nur.

In einem Satz: ein großartiger Abend.

Ganz großes Lob an MAM, und der ganz dringende Wunsch von mir: Weiter so.

Denn so kann man es wirklich machen.

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3 Antworten

  1. @Moritz: Kann mich nicht erinnern, jemals einen positiveren Artikel von dir hier gelesen zu haben: muss ja wirklich doll gewesen sein :-)

  2. Max Nyffeler sagt:

    Super Artikel, Moritz, sehr animierend! Du bist eben ein Künstler und kein trübseliger Vermittlungs-Theoretiker. Da wird das Thema spannend. Ich hoffe, das Konzert war ebenso gut wie Dein Text.

  3. Danke – Ich freue mich auch, wenn ihr mich auf eure eigene positive Konzerterfahrungen hinweist außerhalb der normalen Feuilletonlobhudeleien für die üblichen Verdächtigen :-)