Kulturförderung mindert soziale Ungleichheit

Oder:

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    Warum es gar nicht genug Opernhäuser in Deutschland geben kann

Am Montag geht es wieder los. Die Sommerpause ist zu Ende, selbst in Baden-Württemberg, und allein die Bayern genießen noch für ein paar Tage die stillste Zeit des Jahres, die, nein, eben nicht Weihnachten, sondern der Sommer ist, zumindest für Menschen, die dem Kulturbetrieb nahe stehen und die nicht für ein Sommer-Festival arbeiten.

Das Gute an der Arbeit ist, dass man dann keine Zeit mehr dafür hat, sich über gewisse Dinge aufzuregen, wie beispielsweise einen solchen Schwachsinn, wie ihn die FAZ Wirtschaftsredaktion sich nicht entblödet, auf ihrer Homepage zu veröffentlichen.

„Zu viele Opern in Deutschland“ steht da seit dem 1. September 2013, verfasst von einem Patrick Bernau, der ein halbes Jahr jünger ist als ich, seine Karriere beim wunderbar alliterierenden Böblinger Boten begonnen hat, anschließend richtigrichtigen huch!journalismus studiert und sich anschließend bis zum „verantwortlichen Redakteur für Wirtschaft Online“ hochgedient hat.

Man sollte meinen, dass ein verantwortlicher Redakteur auch irgendwie verantwortlich mit Zahlen und Daten umgehen kann. Denn während man die Überschrift ja noch irgendwie aus journalistischen gründen gut finden kann – macht neugierig im Sinne von: „ha, da wird sich bestimmt irgendein popeliger kulturbetriebler angepupst fühlen und die anderen geben mir recht, weil ich ausspreche, was sie ohnehin die ganze zeit denken“ – ist der Rest, der danach kommt, einfach nur eine solche ausgemachte Dummheit, dass man es nicht aushalten kann.

Was wird hier an Fakten referiert.

– „In Deutschland gibt es mehr als 80 feste Opernensembles, fast so viele wie im gesamten Rest der Welt.“
Faktencheck: Ok.

– „Nur Finnland subventioniert seine öffentlichen Bühnen großzügiger als Deutschland“.
Faktencheck: Wie kann das sein? Die Zahl der Bühnen in Finnland ist, ähm, kleiner? Außerdem haben die finnischen Opern empfindliche Kürzungen hinnehmen müssen. Also: Belege bitte, sonst können wir darüber nicht reden.
http://yle.fi/uutiset/arhinmaki_national_opera_and_national_theatre_funding_to_be_cut/6287368

– „All diese Subventionen helfen den Armen kaum, denn die gehen selten in die Oper.“
Faktencheck: Hier liegt ein grundlegendes Missverständnis vor: Subventionen von Kunst und Kultur dienen nach bisherigem politischen Verständnis nicht dem Abbau der Armut in der Bevölkerung, sondern der Ermöglichung von Kunstproduktion. (Nach der Lektüre dieses Artikels wird sich das ändern!) Genau so gut könnten Sie übrigens schreiben: All diese Polizisten helfen den Christen kaum, denn sie gehen nicht ins Fußballstadion. Aber das mit der Armut: super, idee. Arm und Reich. Bonzen und Bettler. Das ist super-Journalismus!

Es folgt eine Reihe rhetorischer Fragen, die in den Kommentarspalten der FAZ schon weitgehend beantwortet bzw richtig gestellt worden sind. Sie sind nicht relevant, denn sie dienen nur der Vorbereitung der putzigen Platzpatrone, die Herr Bernauer im Köcher hat: „Zwei Forscher stellen jetzt in einer Studie eine ganz andere Erklärung zur Diskussion: Es liegt daran, wie die deutschen Städte finanziert sind. Es liegt – kurz gesagt – an den Vorlieben der gebildeten Deutschen und an der Gewerbesteuer.“ (Ein Wunder! Gebildete Deutsche finanzieren mit ihren Steuergeldern Vorlieben der gebildeten Deutschen!)

Wer nur ein bisschen Kulturpolitik mal am Rande miterlebt hat, weiß schon einmal, dass die Opern in Deutschland GANZ SICHER NICHT aufgrund der Städtefinanzierung großzügig subventioniert werden. DIE KOMMUNEN HABEN KEIN GELD! Jeder, der irgendwie kann, flüchtet sich zum Land, oder gleich zum Bund, wie in Berlin, um irgendwie die nötigen Subventionen zu erhalten, die die Städte aus den Opernhäusern immer weiter abziehen.

Mit der Gewerbesteuer-Luftblase bezieht sich Bernauer auf eine These des Autorenduos – im Artikel als „Forscher“ bezeichnet – Thiess Büttner (Nürnberg) und Eckard Janeba (Mannheim), die im Rahmen der Jahrestagung der deutschen Ökonomen in Düsseldorf vorgestellt worden ist. http://www.econstor.eu/dspace/handle/10419/79838.

Die These dieser Autoren geht, in meiner eigenen Zusammenfassung, so: Nach ihrer Meinung unterstützen deutsche Städte gelegentlich öffentliche Einrichtung in einem – nach Dafürhalten der Autoren – zu hohen Maße, da sie hoffen, dadurch für einkommensstarke „residents“ attraktiv zu sein. Wenn die Städte aber die Möglichkeit hätten, die Gewerbesteuer individuell zu gestalten, dann sähe alles ganz anders aus. Soweit die These. Wenn man zu den Menschen gehört, die glauben, eine Stadt sei so etwas Ähnliches wie ein Industriegebiet in dem zufällig noch ein paar Menschen, pardon, Dienstleister wohnen, dann ist das natürlich eine tolle Sache. Steuern sind ja auch viel flexibler als Opernhäuser und lassen sich viel einfacher anpassen!

Aber lassen wir diese These unangetastet. Der Hammer ist nämlich bereits, auf welcher Voraussetzung die These beruht. Die Autoren haben sich nämlich erst dann in einem theoretischen Modell mit der Frage der Auswirkungen von Subventionen des Kultur-Sektors auseinandergesetzt, nachdem Sie herausgefunden haben, dass die Annahme von Städten, dass sie mit der Kultursubvention etwas bewirken – attraktive Stadt und so – tatsächlich zutrifft! Eine Ursache hat eine Wirkung! Als Geisteswissenschaftler hätte ich so etwas ja gar nicht mehr für möglich gehalten. Aber gut, nehmen wir’s hin, denn der wahre Wahnsinn kommt erst noch!

Denn was haben die „Forscher“ vorher herausgefunden? Dass die Kulturförderung Auswirkungen hat auf die Lohnverteilung zwischen Arm und Reich. Dass die berühmte und so stark bekämpfte Einkommensschere in Städten, die viel Geld für Kultur ausgeben, geringer ist als in Städten, die nicht viel Geld für Kultur ausgeben. Hallo? Politiker? Das ist doch einmal eine These, mit der sich Staat machen lässt Kulturförderung mindert soziale Ungleichheit . (Nachzulesen alles hier: https://www.econstor.eu/dspace/bitstream/10419/79838/1/VfS_2013_pid_969.pdf).

Nachdem wir das herausgefunden haben, könnte uns der Bernauer eigentlich vollkommen egal sein, aber machen wir nun, euphorisiert durch dieses Ergebnis, weiter:

-„Dort [d.i. die Kulturförderung] werden vergleichsweise große Summen bewegt.“
Faktencheck: Ich weiß nicht, was Herr Bernauer nun als Vergleich nimmt. Finanzkrise? Landwirtschaft? Flohmarkt? Flaschensammler?

-„Für jeden Euro, den Opern und Theater an Eintritt und Sponsorengeldern einnehmen, zahlt die öffentliche Hand laut der jüngsten Theaterstatistik vier Euro Förderung obendrauf.“
Faktencheck: (Ich habe das nicht nachgerechnet, könnte mir jedoch vorstellen, dass das stimmt, zahlen gibt’s beim Deutschen Bühnenverein. http://www.buehnenverein.de/de/publikationen-und-statistiken/statistiken/theaterstatistik.html)

-„Spötter sagen: Für das Geld, mit dem manches Opernticket bezuschusst ist, könnte man seinem Besitzer ein Flugticket nach Mailand schenken, ein Ticket in der „Scala“ kaufen und ein Abendessen bezahlen – es bliebe trotzdem noch Geld für die Armen übrig.“
Faktencheck: Spätestens hier hört die Spaß auf. Denn was der Autor hier so kokett den „Spöttern“ in den Mund legt, ist genau der Punkt, wo für mich die Diskussion über Oper aus wirtschaftlicher Sicht zu Ende ist.

Zunächst einmal wird hier unterstellt, dass Oper das sei, was an der Mailänder Scala gemacht wird. Richtig. Die Mailänder Scala ist ein Opernhaus. Ein richtig großes Opernhaus mit einer richtig großen Tradition. Aber das, was in Mailand gemacht wird, hat mit der Oper in Stuttgart, der Oper in Hagen oder der Oper in Oldenburg ungefähr so viel zu tun wie die Produkte eines alten, abgehalfterten Ikonenschnitzers mit der Arbeit von jungen Design-Agenturen. Man ist bezogen auf eine gemeinsame Tradition. Aber das, was gemacht wird, lässt sich jenseits von Oberflächenähnlichkeiten unterschiedlicher kaum denken. Um genau zu sein, mir fallen eigentlich keine zwei Opernhäuser in Deutschland ein, die sich wirklich miteinander vergleichen ließen. Denn genau so wenig wie es Sinn macht, zwei Städte jenseits von Einwohnerzahlen, Arbeitsplätzen oder der Lage in den Bergen oder am Fluß zu vergleichen, genauso wenig macht es Sinn, Opernhäuser zu vergleichen: Oper entsteht nicht nur IN Städten, sie entsteht auch FÜR Städte. Was nützt eine Oper in Mailand, wenn sie Oper für ein Schickimicki-Jet-Set-Publikum macht, wenn es ihr aber nicht gelingt, ein Angebot für Menschen, die in Gelsenkirchen, Köln, Braunschweig oder Regensburg zu gestalten?

Immer diskutieren Menschen wie Herr Bernauer über die Anzahl der Opernhäuser und die Höhe der Subventionen. Aber der Gradmesser für ein Opernhaus muss doch sein, ob es einem Opernhaus gelingt, ein besonderes Programm für den besonderen Ort zu kreieren und damit auf die besonderen Fragen eines Ortes und einer Zeit zu reagieren. Die Debatte wäre also nicht ökonomisch zu führen, sondern ästhetisch und kultursoziologisch!

Zurück zum Text. Berni fragt:

– „Warum geben sie [die Kommunen] so viel Geld aus für ein Programm, das nur von einer reichen Minderheit wirklich genutzt wird?“
Antwort: Weil es die soziale Gerechtigkeit steigert, wie wir nun wissen.

– „Wenn man Armen den Zugang zur Oper ermöglichen will, warum reduziert man die Ticketpreise nicht speziell für sie?“
Antwort: Die Ticketpreise sind speziell ermäßigt für Empfänger behördlicher Leistungen, da gibt es keinen Nachbesserungsbedarf. Woher kommt eigentlich ihre Obsession mit den „Armen“? (Mt 5,3 wurde als motiv in den Kommentarspalten schon erwähnt.)

– „Warum gehört es zu den Konstanten der öffentliche Debatte, dass eine ernstzunehmende Stadt öffentlich subventionierte Bühnen braucht, am besten gleich mehrere?“
Antwort: Weil es die Menschen, die in einer Stadt leben – wohlgemerkt, Stadt, nicht industriegebiet, schon mal von Renaissance gehört? https://it.wikipedia.org/wiki/Città_ideale Sorry, ist Kultur. Ich kann halt nicht anders. Lesen Sie Richard Sennett Fleisch und Stein! – BEWEGT? Ihre rhetorische Frage – übrigens, hab ich mal im Schreibkurs gelernt, nie mehr als zwei am Stück, Sie benutzen das Stilmittel ziemlich häufig! – insinuiert, dass heute solche Häuser noch gebaut würden. Nein, die gibt es schon und zwar viele aus der Zeit um 1910 als DIE BÜRGER sich selbst diese Häuser gebaut haben.

Am Ende ihres Artikels kommen Sie schließlich doch noch zu dem Punkt, dass auch sie die These der beiden „Forscher“ verstanden haben: In Städten mit hoher Kulturförderung verdienen die schlechter verdienenden ca. 4 Prozent mehr als in anderen, während die Besserverdienenden sogar weniger verdienen als sie das anderswo könnten, weil sie AUFGRUND DER LEBENSQUALITÄT, die mit vielen kulturellen Angeboten einhergeht, zu Einkommenseinbußen bereit sind.

Und welche Schlussfolgerung referieren sie dann? „Am Ende verlieren die Reichen aber mehr Geld, als die Armen gewinnen, und die Stadt zahlt auch noch dafür – nach einem guten Geschäft klingt das nicht.“

Berni, Berni, Berni: Wenn es Dir tatsächlich ein bisschen um die Armen ginge: Dann hättest Du Dich da jetzt ein bisschen gefreut. Stattdessen versteckst Du Dich hinter Haltungslosigkeit. Oh mann. „Nach einem guten Leitartikler klingt das nicht.“

Lieber Herr Bernau, bitte kommen Sie in unsere Oper: ab dem 15. September ist unser Haus wieder für Sie geöffnet. Oder bleiben Sie wo Sie sind, ich komme zu Ihnen, zu Ihrer Oper. Wir haben ja genug davon! Ich lade Sie ein! (Kaufkarte! Selbst bezahlt!) Inklusive Pausensekt. (Nicht öffentlich subventioniert!) Und dann reden wir anschließend darüber, was Sie erlebt haben. All die Normalverdiener und ermäßigt eingelassenenen Hartz IV, Studierende, Schüler, sonstwie Ermäßigungsberechtigte (in Ihrer Diktion „Arme“), die werde ich dann natürlich eigens für Sie mit der Statisterie-Abteilung herbeigeholt haben, um ihnen einen geschönten Eindruck zu vermitteln. Wissen Sie, ich habe die Hoffnung, dass nach einem Erstkontakt mit der Oper auch Sie nie wieder einen solchen Blödsinn verfassen werden wie im Sonntagsökonom vom 01.09. Und wenn doch? Da kann man halt nichts machen. Das ist der Gang der Welt. Und Menschen, die denken wie Sie, sind halt „verantwortlich“.

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Musikjournalist, Dramaturg

4 Antworten

  1. Dave sagt:

    Danke für diese sehr guten Argumentationsgrundlagen im täglichen Kampf gegen Subventionskürzungen!

  2. Janosch Korell sagt:

    Das ist ja nicht zu fassen. Kulturbashing ist nun Mode, aber dass sich die sinnlose Hasserei so leicht zu entlarven ist, ist sehr schade.
    Dachte er, er könne wie die Piraten und die Theresia Bauer mit seinem Stammtischthema noch ein paar Fans gewinnen?

  3. Büttner sagt:

    Ich freue mich über die Auseinandersetzung, möchte aber empfehlen, in Zukunft zwischen der Forschungsarbeit und der Wiedergabe in der Presse deutlicher zu unterscheiden.

    Mit freundlichem Gruß
    T. Büttner

  4. peh sagt:

    vielen dank, herr büttner, für den kommentar. sind ihre thesen in der presse nicht richtig wieder gegeben? über jede weitere präzisierung an dieser stelle freuen wir uns sehr.

    patrick hahn