Spaltprodukt fünf Musikhochschulen oder können Badener und Schwaben noch miteinander reden?

Die kreativste Region Deutschlands ist nicht mehr Berlin. Baden-Württemberg läuft der Bundeshauptstadt gerade den Rang ab. Kreativität allerdings nur in Bezug auf eine chaotische Musikpolitik, um kein Jota anders in ihrer Kommunikationskatastrophe wie dereinst Stuttgart 21: letztes Jahr bot uns der SWR zuerst die Orchesterfusionsplanungskomödie, gefolgt von der Fusionsbeschlusskomödie samt Freiburger Standortnekrolog. Pünktlich zum Beginn des südwestdeutschen Sommerloches öffnete der dortige Landesrechnungshof seine Pandorabüchse und kippte prompt die trügerische Siestaruhe ins Katastrophische. Die Forderung „Weniger Studienplätze an Musikhochschulen“ rüttelte wohl noch den letzten Angehörigen der fünf betroffenen Musikhochschulen Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Trossingen aus seinen Urlaubsträumen, die man nach den anstrengenden Prüfungsrunden der letzten Wochen hegte. Die Zahl der Studierenden soll langfristig auf 2525 zurückgefahren werden, was eine Reduktion um ein Sechstel der vorhandenen Plätze ausmachen würde, wohl auf längere Sicht auch den Wegfall von Arbeitsplätzen den betroffenen Institutionen bedeuten würde. Zudem sollen Nicht-EU-Bürger, besonders asiatische Studierende, deutlich erhöhte Studiengebühren zahlen müssen und ihre Studienplätze auf 345 im ganzem Lande begrenzt werden. Der wirkliche Wermutstropfen jenseits von Bachelor und Master, also berufsbegleitende Weiterbildungen, wäre nach den „beratenden Vorschlägen“ des Rechnungshofes, die hundertprozentig kostendeckende Finanzierung dieser weiterführenden Angebote zu Lasten der Studierenden. Das ist für sich bereits schwer zu verdauen und in nächster Zukunft zu bewältigen, zu bekämpfen, auszugleichen. Ein Trost ist immerhin das Lob der „gelungenen Profilbildung“, der „effizienten Verwaltung“ und der „umfangreiche Beitrag zum regionalen Kulturleben an den fünf Standorten“. Dies hätte bei den Betroffenen wohl nur schwache Freude ausgelöst, wäre aber eine Brücke für gegenseitiges Verständnis gewesen, was im Zuge von Verhandlungen zur Abmilderung und Umsetzung dieser geratenen Einschnitte unbedingt für alle Seite vonnöten sein würde.

Und genau diese Standortfrage stellte zwei Tage später das für universitäre Bildung und Kunst zuständige Ministerium in Frage: „Nicht akzeptabel und abzulehnen ist der vom Rechnungshof vorgeschlagene, nivellierende Kapazitätsabbau an allen Standorten: Mit Ausnahme von Stuttgart würde keine der Musikhochschulen mehr die Mindestgröße erreichen, die für Exzellenz und Qualität notwendig sind; drei Standorte (Karlsruhe, Mannheim und Trossingen) wären aufgrund der dann notwendigen Kürzungen im Personalbereich in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt.“ Trossingen und Mannheim sollen nicht nur Laub und Äste verlieren, sie werden bis auf den Stumpf zu Rumpfhochschulen herabgestuft: „Mannheim konzentriert sich auf Jazz, Popmusik und Tanz. Die Popakademie wird in die Musikhochschule Mannheim integriert und erhält Hochschulstatus. Trossingen konzentriert sich auf Alte Musik und Elementare Musikpädagogik.“ Das schlug ein wie eine Bombe und erzeugte vehementen Protest seitens der Musikhochschulen in Trossingen und Mannheim, obwohl das Ministerium an anderer Stelle gleichzeitig balsamisch verkündet, dass alle fünf Musikhochschulen dieses Konzept mitentwickelt hätten: „Vorschläge Im Dialog entwickelt – Dem Konzept ging ein intensiver Diskurs voraus. Seit Februar 2013 stand das Ministerium mit den fünf Musikhochschulen (…) im Dialog über die strukturelle Weiterentwicklung.“ Der Mannheimer Hochschulpräsident Rudolf Meister ruft eine Petition zum Erhalt seines Hauses ins Leben, da er seitens der verschonten Hochschulen in Freiburg, Stuttgart und Karlsruhe „keine Bereitschaft zur Solidarität“ mehr sieht und möchte zum Grunderhalt nur im Sinne des Rechnungshofes sparen statt komplett die Profile der Hochschulen zu verändern und in seinem Falle zu beschneiden. Die Rektorin Elisabeth Gutjahr der Trossinger Musikhochschule verkündet zu den Plänen des Ministeriums: „Ich gebe nicht meinen Namen dafür her.“ Ihr springt der künstlerische Leiter der Donaueschinger Musiktage Armin Köhler zur Seite, der mit Trossingen sein Education-Projekt seit mehreren Jahren bestreitet, genauso erklärt sich der Generalsekretär des Deutschen Musikrats Christian Höppner verbunden. In der ländlichen Musikhochschule stösst besonders das Gerücht auf, dass im Ministerium jemand die Arbeit des Hauses mit „Bespassung der Region“ herabsetzte.

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Wen erinnert dies nicht an die berüchtigte, den deutsch-französischen Krieg auslösende Emser Depesche? Leider hatten die Unterzeichner der Erklärung der Freiburger, Stuttgarter und Karlsruher Musikhochschule keine Emser Pastillen zur Hand, um vielleicht noch einmal nachdenklich diese lutschend, den spalterischen Wortlaut ihres Statements ins grundsätzlich solidarische zu wenden. Vielmehr könnte man dies nun eine Kriegserklärung nennen. Das besondere dabei: die Karlsruher Musikhochschule wurde ja seitens des Ministeriums auch als nicht-überlebensfähig bei Umsetzung der Empfehlungen des Rechnungshofes deklariert. Umso mehr schwingt hier ihr Rektor Hartmut Höll seine Tastatur wie die Steinschleuder Davids: „Der Meinung der Mannheimer Hochschulleitung in aller Schärfe widersprochen werden.“ Bei Umsetzung der Profilpläne des Ministeriums würde seine Institution ja gerade noch überleben. Als wären nun die studentischen Freikorps zur Fahne gerufen, das Land von der napoleonischen Besetzung zu befreien, fordert die Trossinger Studentenvertretung sofort den Rücktritt Hölls vom Posten des Vorsitzenden der Rektorenkonferenz der baden-württembergischen Musikhochschulen. Wie ein einsamer Rufer in der Wüste erscheint da der Appell des Komponisten, emeritierten Professors, GEMA-Aufsichtsratsvorsitzendem und Präsidenten des Deutschen Komponistenverbandes Enjott Schneider an die höchste Stelle der Exekutive, an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann höchstpersönlich, die bisher eigentlich gar nicht so schlecht, sondern eher als vorbildlich zu bezeichnende Musikhochschullandschaft zu erhalten. Emser Depesche, Befreiungskriege – kommt als nächstes ein „ab drei Uhr wird zurückgeschossen“? Hoffentlich nicht.

Die Situation ist nun binnen zehn Tage so aufgeschaukelt und festgefahren, dass keiner mehr an einen Konsens denken kann, zieht man die Erfahrungen zu Rate, die man die letzten Jahre bei hochkonfrontativen Themen mit der baden-württembergischen Landesregierung hatte, egal welche Parteien die zuständigen Ministerien besetzt hielten. Es erinnert irgendwie auch an die riesige Aufregung und Mobilisierungen von erster bis dritter Hand bei den Kämpfen um die neuen GEMA-Club-Tarife: rufschädigende und unsolidarische Worte und Taten, um die Massen aufzubauschen, obwohl es bei kühlerem Hinschauen gar nicht so existentiell sein kann, wie von allen Seiten behauptet. Das beschämende bei der Kontroverse um die südwestdeutschen Musikhochschulen ist, dass die harten aber nicht jeglichen Rahmen sprengenden Ratschläge des Landesrechnungshofes, ungeachtet seiner wohlwollenden Worte für die Leistungen der musikalischen hochschulischen Bildungsstätten – im Gegensatz z.B. zu seinen vernichtenden Urteilen zum dortigen Landespolizeiorchester – vom Kunst- und Hochschulministerium wie den nach dessen Plänen einigermassen zu erhaltenden drei Musikhochschulen Freiburg, Stuttgart und Karlsruhe instrumentalisiert werden, um einen vom Ministerium, hier und da noch als Dialog verkauften, aber momentan gescheiterten Diskurs um die Strukturen und Profile mit allen Mitteln an die Öffentlichkeit zu zerren und dabei den jeweiligen Gegner, ob aus unnötigem Angriff wie im Falle Hartmut Hölls oder berechtigter Verteidigung, nachhaltig zu desavouieren. Als Externer fragt man sich zurecht, ob all diese Schwaben und Baden noch alle Tassen im Schrank haben? Oder handelt es sich um bisher massiv versäumte Ausgleichsbemühungen zwischen den in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts künstlich zu einem Bundesland zusammengeschweissten Landesteilen? Wenn man Konflikte nicht mit Waffen oder anderen demokratischen Mitteln austragen kann, verletzt man das Wertvollste des Gegners, nämlich dessen Kultur, die ja gerade auf Länderebene in Deutschland das höchste Gut derer begrenzter Autonomie ist. So geht mancher vielleicht doch sinnvoller Ansatz einer möglichen Musikhochschulreform unter.

Um die Aufregung der Mannheimer und Trossinger Rektoren zu verstehen, muss man sich ihre institutionellen Kastrationsängste erst einmal klar machen. Ein Positionspapier aus Mannheim erklärt das ziemlich deutlich, analog zu einer Struktur- und Profilreform der Musikhochschulen in Bayern. Demnach muss eine Musikhochschule künstlerische und pädagogische Fächer in folgenden Sparten anbieten können: alle Orchesterinstrumente, Solo- und Chorgesang, theoretische Fächer sowie Dirigieren und Komposition. Das Papier sieht nur im Bereich der theoretischen Fächer Möglichkeiten zum Beispiel Professoren durch akademische Mitarbeiter preiswerter zu ersetzen und die Schulmusik nicht an jeder Hochschule anzubieten. Durch die wegen der Einführung von Bachelor und Master die neugeordneten Studiengänge und zuvor schon legten sich die baden-württembergischen Musikhochschulen besondere Profile zu: in Karlsruhe das Lernradio, in Trossingen die Alte Musik und in Mannheim der Jazz, wobei sich die beiden letzten darin mit anderen Hochschulen des Landes überschneiden und nun nach den Plänen des Ministeriums darauf reduziert werden sollen. Die grossen Anstrengungen des Bolognaprozesses werden nun nicht als weiterführende Exzellenz, was sie ja sein sollten, sondern als der Kern der zukünftigen Studienangebotsreduktion gewertet.

Allerdings müssen sich Trossingen wie Mannheim aber auch die anderen Drei der Frage stellen, ob man doch nicht einige Opern- und Orchesterprojekte oder analog dazu die Dirigentenstudiengänge in Zusammenarbeit von zwei Häusern durchführen könnte, genauso wissenschaftliche Fächer und Promotionsstudiengänge oder Spezialstudiengänge wie Elektronische Komposition. Genügt es nicht, Schulmusik nur an zwei Hochschulen anzubieten, wie es auch im bevölkerungsreicheren Bayern der Fall ist? Gerade die kleineren Institutionen könnten dadurch ihre Studentenzahlen aufbessern. Warum teilt man den pädagogischen und künstlerischen Instrumentalunterricht zwischen Freiburg und Karlsruhe auf? Dies sind simple und doch kompliziert durchführbare Gedanken, die im Kern doch auch was Bedenkenswertes haben könnten: eine viel stärkere Kooperation und Solidarität des Ausgleichs zwischen den betroffenen Hochschulen. Angesichts des harschen Umgangstones und der inhaltlichen Differenzen, der Befeuerung dieser Umstände durch das Nachtreten des Ministeriums im Zuge der Ratschläge des Rechnungshofes scheint dies aber in weite Ferne gerückt. So versucht der eine den anderen zur Strecke zu bringen. Da jammern herausragende Künstler wie die Leiter der Hochschulen über den Materialismus des Kapitalismus und wenden selbst das neoliberale Ellbogenprinzipien an. Gerade wenn das Ministerium solche gravierenden Einschnitte plant, sollte man von einer grösseren Solidarität ausgehen. Irgendwie erinnert das an die Ängste Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts der damaligen einzigen bayerischen Musikhochschulen München Würzburg mit den Konservatorien ihrer Städte zusammengelegt zu werden und neben sich Nürnberg und Augsburg zu Vollhochschulen aufgewertet zu sehen. Man fürchtete das Gros der Lehrbeauftragten nicht wiederberufen zu können, da diese durch die Dozenten der Konservatorien ersetzt werden sollten. Hochschulleitung und Studentenvertretung riefen die Studierenden auf, bei den jeweiligen Landtagsabgeordneten im speziellen dagegen und generell überhaupt gegen die Fusionen zu intervenieren. Wie auch immer kamen die Beteiligten dann doch auch ohne Interventionen ins Gespräch und schufen für alle tragbare Kompromisse, der selbst das Scheitern der Doppelhochschule Augsburg-Nürnberg aushielt: Nürnberg blieb Musikhochschule, Augsburg wurde in das musikpädagogische Angebot der dortigen Universität eingegliedert.

Was soll man nun sagen? Fürchtet Euch nicht und kehrt in den Gesprächsmodus zurück, analog zum durch Armin Köhler beschworenen Wahrnehmungsmodus angesichts der GNM-Aktion gegen die SWR-Orchesterfusion zur Eröffnung der Donaueschinger Musiktage 2012. Die Instrumentalisierung der Öffentlichkeit und das dortige befeuernde Aufschaukeln der Konfrontation steht weder den Kulturbeamten, Musikfunktionären noch Hochschulleitungen besonders gut ins Gesicht geschrieben. Von diesen hochgebildeten und bestbezahlten ist mehr Fingerspitzengefühl und Kommunikationstalent zu erwarten, als sie jetzt an den Tag legen. So wichtig eine demokratisch breit geführte Diskussion um den Kultur- und Hochschulstandort sein mag, so unabdingbar ist es, dies gerade von beiden Seiten der Profis besonnen und unbedingt ergebnisorientiert zu führen. Denn wie man am Beispiel der Orchesterfusion sieht, wird die engagierte Bürgerschaft aufgehetzt, zum mitreden animiert und letzten Endes doch nicht ernst genommen, da die Entscheidungsträger nur das vollzogen, was sie sich als möglich vorstellten. So kann man das Aufbieten der mobilisierten Massen ganz bleiben lassen, wenn man nicht zu Kompromissen mit dieser oder untereinander selbst fähig ist. Und genau das ist der Grund für alle dramatisierten Kontroversen in Baden-Württemberg, dem die Hauptbeteiligten der Musikhochschulkontroverse aufsitzen, als hätten sie die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden: Gesprächsmodi über Alles!

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Eine Antwort

  1. The collusion of the three Rektors to eliminate two other Hochschulen is very interesting. I agree that dialog is helpful, but doesn’t it generally work better before putting a knife in people’s back?