Pianoscheiss mit Piano Guys

Manchmal stellt man sich die Frage: Was bleibt eigentlich von Neuer Musik (wenn es sie denn noch gibt)?

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So ziemlich alle ästhetischen Entwicklungen der Vergangenheit finden ihre Niederschlag in der Popularkultur. Ohne Organum keine Barbershopchöre. Ohne Debussys funktionslose Akkordrückungen keine fortgeschrittene Jazz-Harmonik. Der Beispiele gibt es viele.
Tatsächlich ist es immer wieder ein spannender Prozess, wie sich die Hoch-und Popularkultur im besten Falle gegenseitig befruchten und voranbringen.
Eigentlich etwas Schönes.

Was aber bleibt von den Entwicklungen der Neuen Musik? Was z.B. von den fortgeschrittenen Spieltechniken, die lange Zeit eine fast exklusive Domäne der Darmstädter Schule waren? Was wurde man außerhalb dieser Zirkel schief angeguckt, wenn man im Flügel rumzupfte oder dem Cello kreischende Töne entlockte! Wie konnte man damit noch Klavierstimmer und alte Damen im Publikum schocken!
Doch all das ist mehr oder weniger Schnee von gestern, heute finden all diese Dinge ganz frei Verwendung in Videos wie diesem:

Das Innere eines Flügels: Zwei Hände erscheinen und zupfen darin rum. So weit so gut, nur dass es irgendwie so aalglatt und gestylt klingt (was jeder, der mal in einem Flügel rumgezupft hat, als ein Ding der Unmöglichkeit erkennt). Dann erscheinen lauter smarte junge Männer um den Flügel herum, ein Mann mit haarigen Armen setzt sich hin und spielt irgendeinen kitschigen Scheiß mit den abgedroschensten Akkordsequenzen auf den Tasten, während die anderen um den Flügel rumhampeln, auf den Rahmen schlagen (wozu dann der Sound einer Bassdrum erklingt), die Saiten zupfen (wobei vollelektronische Samples zu hören sind, die vollkommen anders klingen) und allerlei Dinge anstellen, die man ansonsten in zum Beispiel dem letzten Stück von Mark André (Kollege Strauch berichtete) auch sehen würde.

So sieht der Ausverkauf der Neuen Musik aus: eine Band namens „Piano Guys“. Es handelt sich um irgendwelche Mormonen aus Utah um den Pianisten Jon Schmidt herum, die momentan das Flaggschiff von Sony Classical darstellen. Youtube ist voll mit ihren Videos – Jon Schmidt spielt Klavier am Strand, ein Cellist spielt eine abscheuliche Version von „Somewhere Over The Rainbow“, ein Cellokonzert von Vivaldi als Medley mit der Filmmusik von „Das Bourne Vermächtnis“, Pachelbels Kanon darf auch nicht fehlen, Filmmusik, Classic Light – mit diesen clever und perfekt produzierten Videos sind die Piano Guys berühmt geworden. Fans loben ihre „Familienfreundlichkeit“. Ihre Musik ist so 08/15, so unglaublich durchschnittlich und aalglatt, da eckt man nirgends an. Auf Amazon wird ihre CD ausschließlich mit 5 Sternen bewertet, alle Kommentare kriegen sich gar nicht mehr ein vor Begeisterung – das ist entweder das größte „shilling“ in der Geschichte der Menschheit oder (leider) ernst gemeint.

Achtung: Es geht hier keineswegs um die gerne als „Neiddebatte“ titulierte Kritik an kommerziell erfolgreichen „Künstlern“ wie André Rieu oder Eric Whitacre. Es gibt haufenweise Künstler, die im Gegensatz zu z.B. diesen beiden tatsächlich etwas taugen UND viel Geld verdienen, und das gönnen wir ihnen von Herzen. Nein, es geht einfach um das schlechte Gefühl dabei mitansehen zu müssen, wie bestimmte Stilmittel, um die lange gerungen und gekämpft wurde, plötzlich ohne Nachzudenken als billiger Gimmick eingesetzt werden (anstatt sie intuitiv und phantasievoll weiterzuentwickeln, wie es immer das Recht und die Stärke der Popularmusik ist). Nein, hier regiert Freund Mammon: Man will genau den schlechten Geschmack befriedigen, den man mit Videos wie diesem erst erzeugt. Und dann diesen Bedarf erfüllen.

Was ist dann das Nächste? Justin Bieber röchelt und lispelt auf Schnebelsche Manier Schnulzen ins Mikrophon? Roberto Blanco übt sich in Obertongesang? Die Original Egerländer Dingsbumskapellen nehmen ihre Instrumente auseinander wie in Lachenmanns „Mouvement – vor der Erstarrung“? Die Windecker Herzbuben präparieren ihre Bäuche und klopfen darauf „Herzilein“? Multiphonics bei Stefan Mross? Ach, der kann ja gar nicht wirklich Trompete spielen habe ich gehört.

Wenn ich so richtig drüber nachdenke: vielleicht haben wir genau all das verdient.
Und jetzt gehe ich erst einmal abkotzen.

Moritz Eggert

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24 Antworten

  1. …musikmoralisch fein bewertet. Da kotz ich auf der Stelle gern mit Dir mit…

  2. Dave sagt:

    Ich verstehe die Wehklage nicht so ganz … Hier wird einerseits ein „Rip-Off“ von Spieltechniken der Neuen Musik durch die Popmusik beklagt. Im gleichen Atemzug wird allerdings „Obertongesang“ als Gut der Neuen Musik proklamiert, der allerdings auch lediglich einem anderen Kulturkreis „geklaut“ wurde – von wegen „lange gerungen und gekämpft“ – haha … Auch Vertreter der Neuen Musik wie z. B. Johannes Kreidler bedienen sich „schamlos“ im Stilmittelrepertoire der Popmusik.

    Entscheidend ist doch nicht, wer wie lange um ein stilistisches Element gerungen und gekämpft hat. Eine solche Debatte erinnert doch zu sehr an die Werbung eines schweizer Kräuterbonbons („Wer hat’s erfunden?“). Entscheidend ist doch, ob mit dem Vorrat an Stilmitteln etwas Substanzielles hervorgebracht wird. Und das einzige, was man in diesem Fall der Neuen Musik zu Gute halten kann, ist, dass wenn es ihr einmal an Substanziellem mangelt, nicht unbedingt das Diktat des Mammon dafür verantwortlich gemacht werden kann. Allerdings: Ist das wiederum wirklich ein Punktsieg für die Neue Musik?

    Eigentlich kann man es doch positiv sehen: Endlich spielt die Neue Musik auch außerhalb ihrer Lobbykreise eine einflussreiche Rolle …

    • Beethoven sagt:

      Danke! Danke für dieses positive Statement.

      Ich muss doch wirklich sagen, ich empfinde das Gejammer des Autors dieses Artikels als wirklich lächerlich.
      Gut, der Artikel ist nun schon ein paar Jährchen alt, aber das möchte ich trotzdem noch gesagt wissen.

      Musik ist doch gerade etwas, das in weiten Teilen frei von Konventionen sein sollte. Sie soll Gefühle vermitteln, sie soll ergreifen, sie soll Spaß machen – nicht nur dem, der sie hört, sondern auch dem, der sie macht.

      Was den Klang des Saitenspiels angeht, so habe ich das gerade mal am eigenen Instrument ausprobiert. Mit Erfolg. Ich darf sogar behaupten, dass es den im Video erzeugten Klängen sehr, sehr nahe kam. Allerdings hatte ich so spontan nur zwei Hände zur Verfügung.

  3. Bernd Lauert sagt:

    „“

    Nur so als Anmerkung: Der Link im Quellcode ist falsch eingefügt worden.
    Hier das Video, auf das der Artikel Bezug nimmt:

    http://www.youtube.com/watch?v=0VqTwnAuHws&w=560&h=315

    [Ist mittlerweile korrigiert, danke! MH]

  4. Nehmt mir den Dave ernst. Mir ging ähnliches durch den Kopp. Was er beschreibt ist einerseits doch genau das, was man von der Beziehung Filmmusik zur „Neuen Musik“ sagt und sagte. (Altes Filmmusikbuch von Eisler und Adorno.)

    Mich wundert es eher, dass nicht ein Haufen von Leuten angetrabt kommt, die sagen: Was wollt ihr denn? Ist doch ein prima Vermittlungsprodukt. Auf dem Weg zu „Inside Piano“ – und wenn damit nur eine Seele von den 19 Millionen-YouTube-Abrufenden gerettet wäre.

    Wo ist denn der Unterschied zwischen den Wise Guys und den Piano Guys?

    PS: Zur Materialfrage. Ich dachte, das wäre in den 80er Jahren geklärt worden: Anything goes!
    PPS: Ich kann mir sowas wie da auch nicht ansehen. Aber ich glaube, man muss den Haken anders reindrehen.

  5. querstand sagt:

    Wenn’s eine Art „Harlem Shake“ wäre (Laien, Fans, die jenem Shake ihre begeisterte Reverenz erweisen)… Isses aber nicht! Es ist eine nette Show, ein hübscher Trailer für nette Sunny-Boys auf ihrer netten Tour. Kann man ja mal heimlich nett finden, damit einem die letzten verbliebenen Normalos im Freundeskreis nicht total doof finden. Am Ende aber eben doch: „Pianoscheiss“! Werbemassnahme für einen Yamaha-Flügel mit Silberdeckel. Wie darin der Einsatz von avantgardistischen Spieltechniken des Klaviers, gar en groupe, zu bewerten sind? Zweitrangig angesichts der netten Kampagne. Sie sagen nur aus, dass irgendwas lustig ist, das Teamfähigkeitsabfragen gar nicht so schlimm sind. Und letztlich: jene Spieltechniken an sich sind längst keine Avantgarde mehr. Da muss man schon was draufpacken, um die Techniken zu toppen oder ihnen eine „Aussage“ aufzubürden, die in einen hinterfragenden oder provozierenden Kontext der Neuen Musik einzuordnen wäre. Oder hätten die Jungs wenigstens einen eigenen Song erarbeitet statt nur breit gecovert. Nochmals zum Pianoscheiss: André z.B. hat ja einen „eigenen Song“ serviert. Und hat nach Massstäben der Neuen Musik mit S 21 doch nur gecovert, von der Haltung, über die Spieltechnik bis zur Faktur. Der Spruch „wer Cello schreibt, schreibt ab“, ist wohl anders zu fassen: wer für Flöte, Klarinette, Klavier und Schlagzeug schreibt, schreibt noch mehr ab. So schlimm ist dies wiederum nicht, wenn wenigstens auf weiteren Ebenen charakteristisches herausspringt, eben das Kontextuelle. Das eigentliche Problem am „Pianoscheiss“: Das Klavier steht so sehr für „avanciert“ par excellence seit seiner Existenz in jeder der entspr. Epochen, so dass v.a. der für das Publikum sichtbare und dann erst vllt. hörbare Einsatz als Indikator dafür dient, ob da was grell Neues benutzt wird oder eben nicht. Wenn es dann noch das Klischee des Virtuosenhaften bedient, wird der letzte zweifelnde Laie zum Seehund und klatscht mit seinen Flossen nach mehr Fischen. Aber mal „Butter bei de‘ Fisch“ (oder „Kruste am Braten“?!?!): Das kann es nicht gewesen sein. Wirklich „Neue Musik“ wird in nächster Zeit wohl zuerst mal das Klavier abschaffen müssen bzw. all diese geläufigen Betrachtungsmuster der Kiste. Hiermit verurteile ich jeden Pianisten zur fff-Hämmerung von in einer Hand greifbaren Intervallen zw. g2 und noch höheren Registern. Wenn Ihr es dann schafft, die so sehr gut zu hörenden Kombinationstöne zu einer „eigenen Musik“, auch für Eure Seehunde, zu machen, kann man den Klavierzirkus wieder ernst nehmen…

  6. Hufi sagt:

    Stimme dem fast komplett zu, Querstand. Ich kann als Außenstehender allerdings nur dazu raten, nehmt euch die Sache nicht so sehr zu Herzen. Es ist eben nur Pianoscheiss – so wie viele Movies eben Hollywoodkacke sind.

    Ich habe gestern eine wunderbare Aufnahme von der Ballade op.10 von Johannes Brahms gehört. Ging mir gut damit.

  7. Xenia Narati sagt:

    degustibus non est disputandum

  8. Willi Vogl sagt:

    Liebe Popgemeinde,

    nicht 19 sondern 19 Millionen(!) Youtube-Klicks regneten auf die Piano Guys herab, und nicht nur die Wüste um Salt Lake City herum ist bedeckt von leuchtenden Blumen der Popmusik. Halleluja! Wenngleich viele leiderprobte und bußfertige christliche Musikhörer die elementaren Botschaften der Piano Guys (noch) nicht wahrnehmen können, hat Gott seinen Propheten Jon Schmidt erhört. Halleluja!

    Gott verkündet dem Propheten und damit unserer Gemeinde seine neuen ästhetischen Gebote:
    1.) Du sollst keine eigenen Stücke komponieren! (Für eigene Erfindungen habe ich Dir zu wenig Fantasie gegeben.)
    2.) Du sollst erfolgreiche Stücke mit einer Länge von maximal 4 Minuten adaptieren! (Längere Stücke würden strukturelle Raffinesse erfordern und zudem einen über Generationen antrainierten Wahrnehmungsfokus außer Acht lassen.)
    3.) Du sollst die Hörer nicht durch plötzliche Wechsel in den Bewegungsmustern verunsichern!
    (Das Wohlempfinden der Gemeinde hängt entscheidend von einer allzeit überschaubaren, zielführenden Rhythmik und Metrik ab.)
    4.) Du sollst grundtondominierte Vorlagen bevorzugen! (Klare Aussagen schaffen Flowerpower in jeder noch so musikfernen Wüste.)
    5.) Du sollst dich in attraktiven Klängen mitteilen! (Der Vordergrund schlichter melodischer Schönheit erfährt erst damit seine tiefere Bedeutung.)
    6.) Du sollst deine perfekt gestylte Musik mit ebenso perfekt gestylten Videoclips kombinieren!
    (Der Mensch lebt nicht vom Klang allein, es muss auch was fürs Auge sein.)

    Liebe Popgemeinde, wir lieben unsere Klassiker und wir wissen zu schätzen, dass der Prophet die oft kryptischen Verlautbarungen eines Neue-Musik-Gottes genussfreudig zu portionieren versteht. Lassen sie uns ziehen aus dem Tal der mühseliger Wahrnehmung von allzu persönlichen ästhetischen Standpunkten! Halleluja!
    Lassen Sie uns die 20 Millionen, ach was sage ich, 100 Millionen vollmachen!
    Auf dass wir das verdienen, was uns gebührt: Einzuziehen in das Land fingerschnipsender Unbeschwertheit, in das Land das von ewigem Wohlklang und motorischem Wohlbefinden überfließt. Halleluja! Amen!

  9. Erik Janson sagt:

    ist doch ganz O.K. Wieso sollten die Popleute nicht mal bei uns „klauen“?

  10. @Moritz: Das Video beweist lediglich, dass erweiterte Spieltechniken eben auch nur genau das sind: Techniken. Sie sind nicht (bzw. offenbar nicht mehr) an eine bestimmte Ästhetik gelötet.

    Es ist der Lauf der Dinge: In elitären Kreisen werden esoterische Novelties entwickelt, die dann zwangsläufig irgendwann exoterische Allerweltstools werden. Und sehr schnell verblasst im allgemeinen kulturellen Gedächtnis, woher das mal kam. Es spielt für den Durchschnittshörer auch keine Rolle.

    Es ist also wirklich vollkommen sinnlos, sich über ein derartiges Video aufzuregen.

    Das Video trägt allerdings auch nichts zur Popularisierung Neuer Musik bei, denn den Durchschnittshörer interessiert ja weniger, wie der Klang erzeugt wurde, als wie er klingt (bzw. ob das Teil „groovt“, „fett abgeht“, „chillt“ etc.).

    Als Komponist bestärken mich derartige Trends darin, Musik ganz ohne Verwendung erweiterter Spieltechnikenzu schreiben und sie trotzdem „Zeitgenössische Klassische Musik“ (wenn auch nicht: „Neue Musik“) zu nennen. Darin scheint mir eine größere Herausforderung zu liegen als im Versuch, die Verwendung bereits ein wenig, pardon, abgefuckter erweiterter Spieltechniken weiter zu optimieren (wie das im Mainstream der „Neuen Musik“ weiter geschieht).

    Mal polemisch weitergedacht: Sollte sich „Neue Musik“ tatsächlich auf die Formel „Verwendung erweiterter Spieltechniken außerhalb funktionsharmonischer Sequentialität“ reduzieren bzw. reduzieren lassen, hätte sie tatsächlich schlicht ihren Anspruch als „Kunst-Musik“ verspielt! Denn klar ist doch: Die Anwendung bestimmter Techniken allein ist (noch) keine Kunst, sondern – bestenfalls – gelungenes Kunsthandwerk. Und genau so hört sich die meiste „Neue Musik“, die mir heute zu Ohren kommt, eben auch an (was nicht „schlimm“ ist, aber: – öd.)

  11. Henrik sagt:

    Nun möchte ich mich auch mal an der Diskussion beteiligen. Wenn mir hier etwas Bauchgrimmen bereitet so sind das weniger die verlinkten Videos, als die Art und Weise, mit der hier diskutiert wird. Wo bleibt denn hier das Augenzwinkern, der Humor. Der scheint wohl den meisten abhanden gekommen zu sein angesichts von 19 Millionen Klicks. Keine Sorge… die Piano Guys werden sicher nicht die Subventionen für Neue Musik antasten.

    Ein wichtiger Aspekt in der Beurteilung dieses Popphänomens scheint mir hier aber ausgeklammert worden zu sein. Nachdem ich nun ein bißchen durch diverse Youtube Videos dieser Truppe geplenkelt bin muss ich eher folgendes feststellen: Woraus diese Musiker ihre Wirkung beziehen ist nicht so sehr die Einbeziehung verschiedener Spieltechniken, sondern die Variation bekannter Melodien. Sei es Star Wars, Mission Impossible, diverse Popsongs. Da ist es doch eher angebracht zu fragen, warum die Kollegen nicht ein Stück der Neuen Musik variieren. Welches Stück der Moderne wäre denn wohl charakteristisch genug, dass es eine Variation in der Weise aushält? Welches Stück der Avantgarde bietet dem Hörer genug Verankerungspunkte ist überhaupt bekannt genug? Die Melodie ist ja in den meisten Fällen über den Jordan gegangen. Da fällt mir höchstens noch der Anfang von Klavierstück IX Stockhausen ein, aber es dürfte wohl kaum bekannt genug sein. Wenn die Avantgarde in so einem Zusammenhang zitiert wird dann wohl doch eher nur als eine Stilistik. Und dann auch immer nur mit dem breiten Pinsel gemalt (Filmmusik). Aber warum sollte das den jeweiligen Musikern, die sich in dem Haifischbecken der Popularkultur tummeln, jemand verdenken.

  12. Max Nyffeler sagt:

    Das ist die Heino-Diskussion: Dürfen diese simplen Populisten einfach unsere durch jahrzehntelange Entsagungsrituale geheiligten Mittel übernehmen? Ich finde, Stefan Hetzel hat recht: Im Klavier herumfummeln hat mit Kunst erst einmal noch nichts zu tun. Es ist ein Allerweltstool und sonst nichts, wie ein Schraubenzieher oder Staubsauger, und kann von jedermann benutzt werden.

    Was die fünf Typen hier machen, müsste ein Befürworter der Materialmusik übrigens in klanglicher Hinsicht durchaus innovativ finden: Sie erweitern die Spielmöglichkeiten des Klaviers in einer Weise, wie es bisher kein Neuemusiker gemacht hat. Spahlinger braucht sieben Klaviere und bringt doch nur den üblichen Klavierklang zustande. Kagels feinsinniger „Transición II“ von 1958 fehlt noch die popmusikhafte Gruppendynamik, Cage macht mit seinen Strings buddhistische Andachtsmusik. Die 5 Typen hier machen, indem sie diese alten Effekte wie eine Popgruppe anwenden, klanglich und auch vom Sozialverhalten her etwas Neues. Nichts anderes haben auch die Boygroups in Donaueschingen 2012 mit ihren Computern aus dem Mediamarkt gemacht.

    Das Problem dieser Boygroup hier sind bloß die simplen U-Musik-Muster und ihr ungelenkes Musikantentum; eben ein bisschen Unterklasse – bitte Naserümpfen -, mehr Nashville als L.A. Vorschlag: ein deutscher Festivaldirektor erteilt einem Komponisten, z.B. Enno Poppe, den Auftrag, für sie zu schreiben. Dann nickt das NM-Publikum und kommt sogar mal wieder zu einem – diesmal sogar leicht frivolen – Abenteuer im Wunderland der postmodernen Materialbehandlung. Oh, cool!

  13. Max Nyffeler sagt:

    Noch ein anderes Beispiel, wie einst als avantgardistisch gefeierte Materialstudien und -effekte in den wirtschaftlichen Kreislauf geraten sind: Tan Duns „Paper Concerto“. Die Paper Music von Jo Riedl, um 1970 noch eine Mischung von anarchischer Gaudi und Schock, wird zum netten philharmonischen „Warum-auch-nicht“.
    http://youtu.be/JSdTDkAEnhw

  14. Mona sagt:

    Also ich weiß ja nicht ob du ein absolutes Supertalent bist und perfekt Klavier oder Cello spielen kannst, aber wenn du es könntest würdest du sicher nicht so einen Mist über zwei der talentiertesten Männer unserer Zeit schreiben. Ich spiele sowohl Klavier als auch Cello und ich kann dir sagen –> um so spielen zu können wie Jon Schmidt oder Steven Sharp Nelson braucht man nicht nur Talent, sondern auch Ausdauer. Was die beiden mit ihren Instrumenten anstellen ist einfach faszinierend! Ich hatte das große Vergnügen auf ihr erstes Deutschland-Konzert in Berlin gehen zu dürfen und live klingt die Musik genau wie im Video. Wenn du ein bisschen Ahnung von den Piano Guys hättest, dann wüsstest du auch, dass Steven Sharp Nelson neben dem Cello mit dem Fuß eine Kick-Drum bedient. Alle 5 Piano Guys sind extrem sympathische Menschen, die versuchen mit ihrer Leidenschaft ein bisschen Geld zu verdienen…was ist denn schon daran? Wenn’s dich stört, dann hör dir ihre Musik doch einfach nicht an! Es gibt genügend Menschen, die gute Musik zu schätzen wissen…

  15. peh sagt:

    @Mona: Der Begriff „Supertalent“ wurde quasi für Moritz erfunden. Der kann nämlich perfekt Klavier spielen, auch live im Konzert, und zwar so, dass es klingt wie im Video! Der Hammer! Und schreiben kann er auch. Nicht nur Texte, sondern auch Musik!

  16. David sagt:

    Ich weis zwar nicht was du so für Musik hörst aber wenn das schlecht sein soll, dann hast du einen ziehmlich abartigen Musikgeschmack. Nur weil diese Leute vor allem über das Internet berühmt geworden sind heisst das auch nicht dass jeder Ton gefaket ist. Diese Leute sind absolute Stars in ihrer Branche also ist es sehr unwahrscheinlich dass ihre Musik so schlecht ist. Bei meinem Klavier funktioniert das was die da im Video gemacht haben und klingt auch recht ähnlich. Du fragst dich was von der neuen Musik bleibt? Das ist sie ja! Wenn man nicht offen für neues ist ist dass für mich in Ordnung aber erspare mir bitte diesen unnötigen, mit hass und unbestätigten Vermutungen gefüllten Text.
    Kleiner Tipp: Gehe in ein Piano Guys Konzert, setze dich in die vordeste Reihe und dann siehst du ja wie viel davon nicht echt ist.

    Gruss David

  17. Beethoven sagt:

    Danke David, Mona, Henrik! Dem schließe ich ich an.

  18. Claudia D. sagt:

    Über Geschmack lässt sich eben nicht streiten. Wer natürlich nur sehr anspruchsvolle und komplexe Musik mag, braucht keine Kritik über die Piano Guys schreiben… ich mag sowohl klassische Musik als auch Pop Musik und deshalb liebe ich die piano Guys.
    Übrigens war ich auf einem Konzert und habe mit eigenen Augen gesehen, dass sie die Dinge aus den Videos auch live hinkriegen.
    Aus diesem Artikel spricht meiner Meinung nach der pure Neid. Allein schon dieser “ sachliche“ Titel mir dem Wort Pianoscheiss …
    Eine wirklich fundierte Kritik sieht anders aus.