Kennt unser Land überhaupt seine Rundfunkorchester und Radiochöre?

Erinnern wir uns. Letzte Woche las man in der BILD-Zeitung im Artikel „Wutwelle gegen GEZ“ (11.01.12): „Allein die Orchester der ARD beschäftigen fast doppelt so viele Mitarbeiter wie die gesamte Sendergruppe Pro7Sat.1. Mit 1100 Musikern und 200 Sängern vergeigt die ARD in elf Orchestern (neun Sinfonie-, zwei Rundfunkorchester), vier Big Bands, fünf Chören die Gebühren.“ Das besonders perfide ist der Personalvergleich mit der privaten Pro7Sat1-Sendergruppe – hat die nicht selbst immer wieder Finanzierungsprobleme und macht dadurch noch plattere Programme? Tina TV-Musterfrau könnte daraus den Schluss ziehen, dass der Kulturauftrag des gebührenfinanzierten Funks doch für die Katz‘ sei, wo doch ihre privaten Sendungen soviel günstiger seien. Wie auch immer, es folgte prompt und vollkommen berechtigt eine gegnerische Stellungnahme des Deutschen Musikrats und der Deutschen Orchestervereinigung, entdecken die öffentlich-rechtlichen Kulturjournale – hier das des NDR – das Thema. Allerdings wird dabei der dem obigen BILD-Zitat anschliessende Satz latent ausgeblendet: „Bitter: 55 Prozent der Zuschauer wussten laut Umfrage vor einem Jahr gar nicht, dass es diese Orchester und Chöre überhaupt gibt.“ Im Beitrag des NDR-Kulturjournals sagt gegen Ende der Chefdirigent des hauseigenen Sinfonieorchesters: „Wenn man Kritik an ARD und ZDF äußern kann, und ich habe das durchaus, dann ist das diese, dass wir uns oft als öffentlich-rechtliche zu sehr an der Quote und den Privaten orientieren.“ Dem kann man nur beipflichten! Eifern ARD und ZDF auf ihren Hauptkanälen nicht mit dem Mix aus Unterhaltung, Film und Sport den Privaten nach, mag auch die eine oder andere Talkrunde mal besser gelingen als die von RTL&Co.? Beschränkt sich das Erscheinen von Orchestern und Chören nicht auf die Spezialkanäle, dort auch eher sehr früh oder sehr spät im Programm zu sehen? Sieht man im Hauptprogramm zu Weihnachten, Neujahr, Waldbühne und sonstigen Festen die Unrundfunkensembles „Berliner Philharmoniker“, „Sächsische Staatskapelle“ oder gleich nur André Rieus Blödel-Arrangement-Klassikband? Die Funkensembles mögen zwar in Schulen Defizite des prekären Musikunterrichts ausgleichen, dies machen allerdings auch all die Staats-, Landes- und Stadtorchester. Ein Lösungsansatz wäre, die Mehrzahl der Festkonzerte im TV doch lieber mit hauseigenem Personal zu gestalten, selbst in platteren Unterhaltungssendungen auftreten zu lassen, ja sogar bei Eröffnungen von übertragenen Sportevents dieses einzusetzen. Ich erinnere mich hoffentlich richtig, dass selbst in „Verstehen Sie Spass“ zweitweise die SWR-Big-Band spielte. Mag es eine zu lösende Kostenfrage sein, aber eines ist klar: Die Sender der ARD haben die Pflicht, für all das viele Geld der durch den neuen Rundfunkbeitrag zur Zwangsabgabe verpflichteten Martha-Mustermann-Haushalte ihre Orchester und Chöre öfters im Fernsehen zur Primetime zu zeigen und einzusetzen, ja, auch auf öffentlichen Plätzen kostenlos zugänglich zu machen als daraus wieder eine elitär abgeriegelte Veranstaltung zu machen. Dann dürften wohl mehr als 55% der Bürger diese Klangkörper kennen und selbst die Boulevardpresse hätte besseres zu berichten.

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