Ich mag Beck. Nein, den anderen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich Neue Musik immer wieder am „Phänomen“ der Popmusik aufreibt. Ich erinnere mich gut daran, wie ich mal beim Besuch der Universität von Tampa (Florida, USA) erstaunt war, mal die Ankündigungen für die Vorlesungen der Kompositionsabteilung zu sehen: gesprochen wurde dort nicht etwa über Schönberg oder Boulez sondern über „Fibonacci-Strukturen in den Songs von Eminem“ und „Thematisches Arbeiten in der Musik von Prince“ (kein Witz). So etwas ist in Deutschland noch eher unüblich, aber es wird sicherlich dazu kommen. Und es gab auch hierzulande interessante Ausnahmen, wie zum Beispiel Hans-Christian Dadelsens legendären „Melos“-Artikel über komplexe Zyhlenmystik in der Musik von Bob Dylan.

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Das wunderbare Blockflötenensemble QNG plant ein Album mit „Popsongs“, Wolfgang Mitterer hat schon mal vorsorglich eines herausgegeben, und Ensembles wie Brandt Brauer Frick präsentieren schon jetzt gelungene Synthesen aus Ideen der zeitgenössischen Musik und des Elektro-Pop.

Aber arbeitet sich die andere Seite auch an uns ab? Das ist vielleicht die große unbeantwortete Frage, denn die Zeiten in denen sich Megapopbands wie die Beatles in Stücken wie „Revolution Number 9“ mit Stockhausenschen Kollagetechniken auseinandersetzten, sind definitiv vorbei, zumindest im sogenannten „Mainstream“-Pop. Was wiederum den „Independent“-Pop angeht, so bilden sich inzwischen ähnliche Strukturen heraus wie in der zeitgenössischen Musik: dedizierte Festivals, eingeschworene Fangemeinden und ein bisschen Schmoren im eigenen Saft (auch wenn dieser sehr interessant und sympathisch klingen kann). „Unkommerziell“ sind beide: Neue Musik und „Indie“-Musik. Zumindest meistens.

Beck Hansen ist da so irgendwo dazwischen: kommerziell immer wieder sehr erfolgreich („I’m A Loser, Baby“), dennoch Künstler genug, sich nicht vollkommen an die Marketingmaschinerie zu verkaufen. Tatsächlich hat sich Beck immer wieder selber erfunden, und gezeigt, dass er es musikalisch ernst meint, immer eine der sympathischeren Erscheinungen des Pop-Business.

Sein neues Projekt, das Werk „Song Reader“, scheidet nun die Geister, wie man an der oft sehr negativen Pop-Berichterstattung darüber sofort merkt (hier noch ein etwas wohlmeinenderer Artikel) Was genau hat Beck getan, das die Gemüter so erregt?

In einer der vielleicht radikalsten Aktionen in der Geschichte der auf Tonträgern vertriebenen Popmusik einfach nur dies: Beck hat ein „Album“ herausgegeben, das keines ist. „Song Reader“ gibt es nämlich nicht als CD, und wird es (hoffentlich) auch nie auf CD (oder Vinyl) geben: die 20 Lieder dieses Albums sind exklusiv und ausschließlich nur als Noten erhältlich (herausgegeben bei Faber). Ja, ihr habt richtig gelesen: ganz traditionelle Noten, so richtig mit Notenlinien, so richtig gedruckt. Das Ganze ist eine liebevolle Hommage an die „Album“ – Notenausgaben zu Anfang des letzten Jahrhunderts (Beck entstammt einer alten Musikerfamile und weiß wovon er spricht und schreibt), die oft nur auf 2 Seiten und in einfachen Klaviersätzen notierte Lieder enthielten, dennoch aber von Millionen von Menschen gekauft und zuhause musiziert wurden, so wie weiland die Klavierauszüge von Wagner. Komisch, dass man bei Wagner sofort auf altmodische Wörter wie „weiland“ kommt…

Beck hat verschiedene Künstler beauftragt, die Titelbilder zu gestalten, und hat – quasi als versteckte Zugabe – sogar noch weitere Lieder erfunden, auf die er auf der Rückseite der einzeln gebundenen Alben hinweist, zum Teil mit ironisch überhöhter Anpreisung („The Greatest Love Ballad Ever Written“) und mit erfundenen Komponistennamen. Manche anderen Stücke wiederum beziehen sich eindeutig auf Erik Satie und enthalten kleine Geschichten und außermusikalische Texte, die die Noten literarisch erweitern. Manche Lieder sind traditionell für „Band“ ausgesetzt und enthalten Einzelstimmen, manche wiederum gibt es nur als „Real Book“-Version mit Akkordsymbolen.

Alle Songs sind von Beck, aber er hat keinen dieser Songs (bisher) selbst aufgenommen, stattdessen verlässt er sich komplett auf seine große Fangemeinde, Videos und Versionen dieser Songs ins Netz zu stellen, was bisher auch ganz großartig funktioniert hat. Wer youtube besucht und „Beck Song Reader“ eingibt, findet gleich hunderte von Videos, manche davon sehr aufwändig und liebevoll produziert wie dieses hier, manche erschütternd amateurhaft, manche bewusst (oder unbewusst) trashig (hier jeweils der Song „Old Shanghai“, einer der besten des Albums). Eines haben diese Versionen alle gemeinsam: sie sind vollkommen selbst gemacht, kein Major hat hier seine Hand im Spiel oder verdient daran (zumindest wenn Beck sich nicht entscheidet, die Urheberrechte an den Songs bei youtube einzufordern).

Worüber sich manche Popkritiker aufregen, liegt auf der Hand: Die Entscheidung, die Songs nur als Noten zu veröffentlichen, schließt die Mehrheit der „User“ aus, nämlich all diejenigen, die nicht Noten lesen oder ein Instrument spielen können. Und deren Zahl dürfte heute deutlich höher sein als im Jahr 1900. Aber wäre es nicht schön, wenn es wieder ein paar mehr notenlesende Menschen gäbe? Und vielleicht auch einige durch den „Song Reader“ darauf Lust bekommen, eben weil sie so große Beck-Fans sind? Für viele dürfte die Aktion schon jetzt eine Art Erweckungserlebnis gewesen sein, denn das eigene Erspielen der Songs schafft eine ganz neue Bindung an den Komponisten und bindet die Kreativität der Hörer auf eine ganz neue Weise ein….aber Moment mal, ist das wirklich „neu“?

Natürlich schmunzelt hier der Klassikkenner: denn was Beck hier betreibt unterscheidet sich nicht im Geringsten von dem, was wir so genannten „Tonsetzer“ ohnehin schon immer tun, nämlich Musik in Noten aufzuschreiben, sodass andere es nachspielen können. Ist das Ganze also des Kaisers Neue Kleider? Oder findet hier in der Neuen Musik und in der Popmusik gleichzeitig eine Bewegung statt, die beide Genres immer mehr von ihrem Ausgangspunkt entfernt, ohne dass sie sich aber in der Mitte treffen? Denn in der Neuen Musik ist es durchaus immer üblicher, Elektronik auf eine so komplexe Weise einzusetzen, dass sie nicht mehr adäquat traditionell notiert werden kann, also dem immer näherkommt, was in der Popmusik dem „Studio-Sound“ entspricht. Während die Popmusiker immer mehr auf Back-To-The-Roots setzen und gerne vollakustisch auftreten um zu beweisen, dass sie ja doch noch ganz normale Musiker sind und auch ohne Knöpfchendrehen was taugen.

Zugute halten muss man Beck, dass die ganze Aktion nicht vorgibt, etwas anderes zu sein als eine Rückbesinnung. Die Rückbesinnung auf das Selbstgemachte, Selbsterlebte als Gegenentwurf zum vorgefertigten und industriellen Hörerlebnis.

Und das ist jetzt nicht so der allerschlechteste Vorsatz für das Neue Jahr.

Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. Christof Tisch sagt:

    Lieber Moritz

    Schön, das du Beck erwähnst, der zu einer meiner liebsten Musikern gehört. Ich habe mir wirklich überlegt, für dieses Album meine ziemlich verschütteten Klavierkentnisse von damals wieder hervorzukramen und meinen Beck zuhaus zu intonieren. Aber auch die vertonten Werke von Beck sind es wert wahrgenommen zu werden.

    Gruß Christof

  2. Zwei Fakten zu Beck, die ich erwähnenswert finde:

    1. Er ist der Enkel von Al Hansen, einem der „wesentlichen amerikanischen Protagonisten der Fluxus-Kunst.“ – „Al Hansen brachte ihm viel über seine Kunst bei und sollte Beck später sehr inspirieren. “ (Wikipedia)
    2. Er ist seit 10 Jahren bekennender Scientologe und auch mit einer Scientologin verheiratet (Marissa Ribisi).