Verbotene Früchtchen

Verbotene Früchtchen

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Neulich fragte mich Kollege Harald Muenz per Twitter, wer mir dann verboten hätte, meine Musik so zu schreiben wie ich es möchte. Anscheinend hatte ich mich auf diese Weise in einem Deutschlandfunk – Interview geäußert, keine Ahnung in welchem Zusammenhang.

Das war für mich Anlass über die Natur von kompositorischen Verboten nachzudenken. Oberflächlich betrachtet gibt es natürlich keinerlei Verbote heutzutage. Niemand wird einem Quintparallelen verbieten, niemand wird einem verbieten ein Stück für 6 Alphörner, Heavy Metal – Band und Skateboardfahrer zu schreiben. In dem Moment in dem ich einsam vor dem Notenblatt sitze, ist eigentlich alles erlaubt. Das Problem ist nur, dass wir das manchmal vergessen, und es sich erweist, dass die unausgesprochenen Verbote eigentlich viel schlimmer sind als die ausgesprochenen. Gegen letztere kann man rebellieren, sie erzeugen kreative Energie, sie bieten Widerstand. Die unausgesprochenen Verbote dagegen sind deswegen so hinderlich, da sie im Unterbewusstsein wirken, d.h. wir merken gar nicht mehr, dass wir sie befolgen, sondern sie sind auf unheimliche Weise Teil unseres Arbeitsalltags geworden.

Es ist leicht, Beispiele für kreativ wirksame ausgesprochene „Verbote“ zu finden. Man denke nur an Pierre Boulez, der zum Beispiel das Diktum aufstellte, dass alle Komponisten, die nicht nach der seriellen Methode arbeiteten, eigentlich gar keine Komponisten seien. Man kann diesen Ausspruch historisch ganz gut verstehen – Pierre Boulez sagte viel später in einem Interview, dass er die 50er Jahre selber als eine Zeit großer Unsicherheit in der Musik empfand. Es brauchte also solche starken Sprüche, um der eigenen Arbeit ein Fundament zu geben.

Erstaunlich viele haben sich an sein Diktum gehalten, letztlich war aber schon im Aussprechen dieses Diktums seine eigene Negation und letztliche Überwindung enthalten. In Gang gesetzt wurde also ein schmerzhafter, schwieriger, aber am Ende kreativer Prozess.

Als Lars van Trier zusammen mit Kollegen seine „Dogma“-Regeln aufstellte (an die er sich selber auch nur sehr kurz hielt), war einerseits Ironie, gezielte Publicitywirkung wie aber auch ein echtes Problem mit der durch die Entwicklungen in der digitalen Filmtechnik unglaublich künstlich und abgeschmackt gewordenen Filmästhetik im Spiel. Gegen die öden Pixelklonkrieger und Green-Screen-Orgien eines George Lucas zum Beispiel wollte man wieder authentisches, ungeschöntes Erleben setzen. Das war nicht falsch, und dennoch ist auch „Dogma“ nur eine vorübergehende Angelegenheit gewesen. Aber die ästhetischen Impulse waren gewinnbringend.

Wir sehen also: ausgesprochene Verbote werden immer irgendwann überwunden, unausgesprochene dagegen halten sich länger.

Es gibt eine Menge dieser unausgesprochenen Verbote, viele sind uns in Fleisch und Blut übergegangen. Ich rate zum Beispiel Studenten, die etwas bei einem Wettbewerb einschicken, auf jeden Fall darauf zu achten, dass keine Vorzeichen in der Partitur vorkommen, selbst wenn es sich um modal komponierte Passagen handelt, bei denen Vorzeichen Sinn machen würden. Ich weiß einfach aus eigener Juryerfahrung, dass solche Partituren gerne von den Kollegen ohne genauere Betrachtung weggelegt werden. Ein relativ harmloses Verbot, sicher, aber Neue-Musik-Partituren brauchen eben einen gewissen „Look“. Wenn ein Stück – aus welchen Gründen auch immer – von diesem „Look“ abweicht, erntet es zuerst einmal Misstrauen, das ist eine Tatsache.

Ich habe Kommilitonen erlebt, die während meines Studiums in der Kantine zu leer aussehende Partiturseiten mit sinnlosen Details und Nebenstimmen „auffüllten“, einfach damit es besser aussah. Ich selber habe sicherlich auch schon oft – manchmal vielleicht gänzlich unbewusst – komplizierter komponiert, als es eigentlich nötig gewesen wäre, jeder Kollege der wirklich ehrlich ist wird einen solchen Moment erlebt haben.

Und das sind nur wenige von vielen Zwängen – viel subtiler sind die ästhetischen Zwänge, die eine Zugehörigkeit zu einer „Gruppe“ oder Richtung symbolisieren. Diese waren bis in die 80er Jahre hinein ein Riesenthema – wer erinnert sich nicht an den berühmten Streit von Lachenmann und Henze über „happy music“, oder das Zerwürfnis von Boulez und Cage über Fragen der Aleatorik? Für Henze war es ein lebensverändernder Moment, als sein von ihm bewunderter Freund Nono eine Henzesche Aufführung im Zorn verließ.

Ab den 90er Jahren machte diese offene Streitkultur einer neuen politischen Korrektheit Platz, die nun bewirkt, dass niemand mehr wagt, irgendetwas zu sagen, aus Angst die eigene Karriere zu gefährden. Man will sich möglichst viele Türen offen halten, nirgendwo anecken, kein Stipendium verpassen. Dieses unausgesprochene, aber von den meisten eingehaltene Verbot ist vielleicht das schlimmste aller Verbote, denn es lässt das nicht zu, was die Musik am meisten braucht: eine innere Freiheit, die kompromisslos, wagemutig und bedingungslos ehrlich sein muss, und die sich vor allem nicht darum scheren darf, ob es den Kollegen gefällt oder ob es sie beeindruckt.

Insofern wäre man eigentlich ganz froh, wenn mal wieder jemand käme, der in der Musik Verbote ausspräche: es würde einfach endlich wieder Spaß machen, sie zu ignorieren!

Was ohnehin kompositorische Ehrensache ist.

Moritz Eggert

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3 Antworten

  1. Hallo Moritz,

    du verwendest den Begriff „politische Korrektheit“ hier in einer mir unklaren Art und Weise. Ich verstehe (mit Wikipedia) darunter einen Sprachgebrauch bzw., erweitert, ein Verhalten (und damit – letztlich – eine Ästhetik), die „durch eine besondere Sensibilisierung gegenüber Minderheiten gekennzeichnet ist“. Punkt.

    Was du als lähmenden Auswuchs eben dieser Haltung beschreibst (Duckmäusertum, Opportunismus, ästhetische Feigheit), kann eigentlich logisch nur dadurch zustande kommen, dass die o. a. „Minderheiten“ mittlerweile die „Mehrheit“ dominieren und terrorisieren, indem sie sie zu einem/r Sprachgebrauch / Verhalten / Ästhetik zwingen, die ihr, der Mehrheit, eigentlich gegen den Strich geht.

    Bezogen auf das Soziotop „Neue Musik“ kann damit eigentlich nur etwas gemeint sein, was Andreas Bick in seinem Blog silent listening letztes Jahr treffend so analysierte:

    Another funny aspect of the new music scene is its self-perception as an opposition against the mainstream pop music and the commercialization of the cultural industries: major-minor tonality, repetitive rhythms and catchy melodies have to be avoided at all costs, and again in doing so new music is completely dependent from popular music.

    Sollte deine Polemik gegen eine „politisch korrekte“ Ästhetik so gemeint sein, dann bin ich auf deiner Seite.

    Es gibt allerdings noch eine zweite Interpretationsmöglichkeit. Sie identifiziert, wie das bsp.weise der Künstler Jonathan Meese oder auch hier im Blog der Komponist Martin Grütter tun, das legitime, zivilisatorisch notwendige Streben nach einer/m möglichst diskriminierungsarmen Sprache / Verhalten / Ästhetik ohne Umschweife mit einem „Terror der Minderheiten“ und landet dann, nach mehr oder minder gewundenen Abschweifungen, letztlich immer bei einem inständigen Wunsch nach der „harten Hand“. Diese heißt bei Meese Adolf Hitler, bei Grütter Wladimir Putin. Bei dir klingt das so:

    Insofern wäre man eigentlich ganz froh, wenn mal wieder jemand käme, der in der Musik Verbote ausspräche

    Damit stößt du letztlich in das gleiche Horn wie der Schriftsteller Martin Mosebach in seinem FR-Artikel Vom Wert des Verbietens.

    Beste Grüße sendet

    Stefan Hetzel

  2. @ Stefan: …lag wohl tatsächlich an der Erwähnung von A.H., aber jetzt ist Dein natürlich total legitimer Kommentar online.
    Also, ins selbe Horn zu stoßen wie ausgerechnet Mosebach wäre mir fern. Ich selber würde nie ein künstlerisches Verbot aussprechen wollen, finde es aber sehr spannend, gegen eines zu rebellieren (sic!), weil die Rebellion oder Entgrenzung in der Kunst immer eine sehr spannende Form des Ausdrucks ist.

    Interessant wiederum finde ich aber ein selbstaufgestelltes „Dogma“, im Sinne von Strawinsky und seinen geliebten „selbsterrichteten“ Mauern, d.h. eine bewusst selbst auferlegte Beschränkung, die die eigene Sprache „aufräumt“ und verdeutlicht. Das geschieht m.A. nach zu wenig, alle scheinen irgendwie froh, möglichst viele Noten schreiben zu können, und befeuern damit nur den selbstgefälligen Betrieb.

    Politische Korrektheit hat selbstverständlich ihren Ursprung im Schutz von Minderheiten, und anfangs war das auch eine wichtige Sache, gerade im Ursprungsland des Begriffs, USA, wo ja verschiedene Ethnien irgendwie miteinander auskommen müssen, ohne sich ständig zu beleidigen. Wir Deutschen haben das sehr eilfertig aufgegriffen, auch aus unserem monumentalen schlechten Gewissen heraus, und schießen gerne über das Ziel hinaus.
    Provokation und die Möglichkeit zur Provokation hat etwas sehr Gesundes, wenn diese Möglichkeit wegfällt, darbt die Kunst. Leider hat das nun zur Folge, dass einige Künstler mit rechtem Gedankengut kokettieren, weil das so ziemlich das Einzige ist, mit dem man das Feuilleton noch zum Kochen bringen kann. Ich finde das eher widerlich, es gibt auch andere Wege die allgemeine Scheu vor leidenschaftlicher Diskussion irgendeines Themas (und damit meine ich jetzt nicht die alles lähmenden und unsäglichen „Wutbürger“, die sich über Nichtigkeiten aufregen und die wichtigen Sachen liegenlassen) zu überwinden.

    Moritz Eggert

  3. @Moritz: Danke für die klärenden Worte :-)