Von Blasen und Anträgen

Alexander Comitas ist ein holländischer Komponist, der wie alle seiner Kollegen in Holland einen Großteil seiner Aufträge durch Anträge an den gleichermaßen geliebten wie gehassten „Fonds voor de Scheppende Toonkunst“ finanziert, einem nationalen Fond zur Förderung zeitgenössischer Musik, der für das holländische Musikleben enorm wichtig ist.

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Das funktioniert so: ähnlich wie z.B. früher in der DDR schreibt man als Komponist Anträge, die beschreiben, was für Stücke man schreiben oder welche Stücke man schon geschrieben hat und nachträglich gefördert bekommen möchte. Dann entscheiden meistens andere Komponistenkollegen darüber, ob dieses Projekt gefördert wird oder nicht.

Dieses Modell klingt erst einmal gut, da der staatliche Fond gewährleistet, dass Komponisten auch ohne Aufträge des freien Marktes z.B. Kammermusik realisieren können. Grundsätzlich steht auch jedem Komponisten frei, was für Projekte er beantragt oder angehen möchte. Die holländischen Musikinstitutionen greifen möglichst ineinander, so werden z.B. oft nicht nur Aufträge sondern auch Aufführungen ermöglicht und Musiker bezahlt, ja ganze Tourneen finanziert, was viele deutsche Kollegen sehr beneidenswert finden. Denn einerseits ist zwar das deutsche Musikleben im Vergleich zum Rest der Welt unglaublich reich an Möglichkeiten, aber andererseits gibt es bei der Finanzierung von Kompositionsaufträgen gerade für noch nicht so etablierte Komponisten immer wieder Probleme, da einem außer der (unabhängig agierenden) Ernst-von-Siemens-Musikstiftung nicht so wahnsinnig viel einfällt, wenn man zum Beispiel ein Streichquartett schreiben will und einen Auftraggeber sucht. Im Gegensatz zum Ausland werden in Deutschland Aufträge an Komponisten eher selten direkt von den Ensembles oder den Musikern bezahlt, man versucht sie über Finanzierung von außen zu realisieren (was natürlich erfreulicherweise auch oft gelingt).

Die Schattenseiten des holländischen Systems liegen aber auf der Hand: wenn Kollegen über zum Teil finanziell hohe Aufträge von Kollegen entscheiden, wird persönliche Gunst und Politik immer eine viel größere Rolle spielen als bei einer freien Marktsituation (bei der sich automatisch verschiedene Lager und Strömungen bilden, was eigentlich gesund ist), selbst wenn die Jurys (wie in Holland) ständig wechseln. Ja, das Auswechseln der Jurys bringt so gar ein ganz eigenes Phänomen mit sich, nämlich „eine Hand wäscht die andere“, d.h. wenn Kollege B gerade einen Auftrag in der Jury an Kollege A vergab, freut sich B später sehr, wenn A in der Jury sitzt und sich revanchiert.
Das funktioniert übrigens auch so bei dem in den USA so beliebten „composer in residence“-System, bei dem Komponisten über die Dauer eines oder mehrerer Jahre mit einem Orchester fest verbunden werden, und am Ende Kollegen als Nachfolger mitbestimmen. Heraus kommt das berüchtigte „composer in residence circuit“, bei dem irgendwann mal jeder bei jedem zu Gast war.

So lange man also gut mit allen kann, geht es einem gut. Wenn man aber zum Beispiel dauerhaft Probleme mit einer Institution wie dem „Fonds voor de scheppende Toonkunst“ bekommt, ist man in Holland so isoliert wie nirgendwo sonst, davon kann z.B. der Komponist (hier zu hören mit einem sehr schönen Klavierstück) John Borstlap ein Lied singen:

Trotz eines zunehmenden Interesse im Musikleben können Borstlap’s Aufträge nicht bezahlt werden, und er lebt heute in Armut und Isolation in Amsterdam, wo ihm nicht anders übrig bleibt als die Amsterdamer ‘Harz IV’, wo man ihm schon informiert hat dass man ihn, nun er gesellschaftlich ‘misslungen’ sei, auf Arbeit bei der lokalen Strassenbahn oder Parkanlagen stellen will. So können abweichenden Kunstideeen von einer Staatsbürokratie abgestrafft werden, wie in der DDR unerwünschte Intellektuellen und Künstler mit gezwungenen Arbeit bei der Müllabfuhr ‘unschädlich’ gemacht wurden. Im freien Holland scheint man eine totalitären Staat gar nicht zu brauchen um ein vergleichbares Resultat erreichen zu können.

(John Borstlap in eigenen Worten in einer Mail an Wolfgang-Andreas Schultz)

In seiner Mail erwähnt Borstlap auch den Fall Comitas, womit wir wieder am Anfang dieses Artikels und der Erklärung seines Titels wären.

Alexander Comitas arbeitete 2001 an einem von Shakespeare inspiriertem Orchesterstück, als einer seiner kleinen Söhne das Zimmer betrat und wild auf dem elektronischen Eingabekeyboard herumimprovisierte. Comitas nahm diese Improvisationen aus einer Laune heraus mit seinem Notenprogramm auf (was – wie jeder Notenprogramme benutzende Mensch weiß – nicht allzu schwer ist). Zusammen mit dem kleinen Bruder entstanden auf diese Weise haufenweise zufällige Noten, sinnlos dahinimprovisiert, ohne jegliche künstlerische Ambition oder irgendeinen Hintergedanken.

Comitas speicherte das alles ab – einige Zeit später startete er ein brisantes Experiment, das er ausführlich in diesem Video beschreibt. Er nahm das aleatorische aufgenommene Material und arbeitete es in reiner Fleißarbeit in eine typische Neue-Musik-Partitur für Ensemble um, zufällig die Notenwerte und Tonhöhen auf irgendwelche Instrumente verteilend und willkürlich Taktstriche ziehend, dabei aber stets darauf achtend, keinerlei kreative Idee in den (sehr mühsamen) Prozess einzubringen, sondern vollkommen nüchtern die sinnlosen Tonfolgen in eine scheinbar spielbare und handwerklich saubere Partitur für Ensemble umzuwandeln.

Die entstandene Partitur nun reichte er beim Fonds voor scheppende Toonkunst ein, mit Bitte um die Finanzierung eines Kompositionsauftrags. Was passierte? Nicht nur wurde Comitas mit einem nachträglichen Kompositionsauftrag bedacht, er wurde sogar besonders dafür gelobt, dass ihm – der eher als Komponist traditionell orientierter Musik bekannt ist – endlich mal etwas „Neues“ gelungen sei, und dass dies doch ein spannender Weg sei (da die Briefe des Fonds von Kollegen geschrieben werden, ist es üblich, persönliche Kommentare einzubauen).

Übersetzt heißt das natürlich: „Endlich ist das mal gescheite zeitgenösische Musik, brav, daher geben wir Dir ausnahmsweise mal Geld, weiter so, Du kommst noch auf den richtigen Weg!“.

Comitas scheute sich nicht, die Hintergründe dieses Experiments offen zu legen, und bekam deswegen natürlich eine Menge Ärger. Aber die Diskussion die daraus folgte, war durchaus interessant – der „Fonds voor scheppende Toonkunst“ argumentierte, dass es sich trotz des Zufallsmaterials ja dann doch um viel Arbeit gehandelt hätte, und dass man die Verwendung eines „objét trouvee“ (wie z.B. auch die Kloschüsseln im Werk von Duchamp) ja als absolut „zeitgenössisch“ bewerten könnte. Comitas hält dagegen, dass er ganz bewusst jeglichen kreativen Prozess bei der Arbeit ausgeklammert hätte und es ihm vor allem darum ging, komplette Sinnlosigkeit möglichst als Kunstwerk auszugeben, was diese Arbeit aber lange nicht wirklich zum Kunstwerk macht. Er betont also, dass er ganz bewusst kompletten Schrott komponiert hat, allerdings so kalkuliert, dass er auf eine finanzielle Unterstützung hoffen konnte.

Das Ensemblestück hieß übrigens „Bubbles“, in Anspielung auf den blubbernden Hexenkessel in „Macbeth“ oder auch den Schimpansen von Michael Jackson, der in einem Tierheim einen ruhigen Lebensabend verbringt.

Die Frage die sich hier natürlich stellt, ist die: Comitas hat das Experiment öffentlich gemacht – wie oft passiert es aber, das genau dasselbe getan wird, aber niemand darüber redet? Ich hatte schon oft Partituren in der Hand, bei der ich mir genau dies dachte, und vielleicht ist es euch auch schon einmal so gegangen.

Einen schönen Sonntag wünscht euch

Moritz Eggert

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4 Antworten

  1. Nix gegen Aleatorik – aber sie darf halt nicht zufällig sein ;-)

  2. DURCH DIESE METHODE WIRD EINE STILRICHTUNG – EGAL WIE MAN ZU IHR STEHT – INS ABSEITS GEDRÄNGT. DADURCH WIRD IN HÖCHST UNDEMOKRATISCHER WEISE KUNST UND MUSIK AUF EIN ABSTELLGLEIS GESCHOBEN.

  3. wechselstrom sagt:

    „Sounds are the bubbles on the surface of silence“
    (John Cage)

    „The Sound of Silence“
    (Simon & Garfunkel)

  4. Max Nyffeler sagt:

    Nomen est omen: Scheppernde Tonkunst.