Kerne – Aufruf zu einem Musiktheaterfonds München, gerade wegen der Biennale!

Die Münchener Biennale neigt sich zum Ende hin. Das wäre konkludierend zur Festivalausgabe 2010 beinahe der inhaltliche Kernsatz gewesen. 2012 ist man weit davon entfernt: Egal wie die Opern von Sarah Nemtsov, Eunyoung Kim und Arnulf Herrmann gefielen, jemand auf- oder etwas anstiessen, nicht unbedingt immer Neues wagten, zeigten sie aber zusammen deutlich, dass das Musiktheater immer wieder die Köpfe ihrer SchöpferInnen bewegt und bei entsprechender Gelegenheit zu respektablen Ergebnissen oder ersten Andeutungen eigener personaler Ansätze führen kann. Sofern man jetzt schon eine Presseschau wagen kann, bevor das Festival am Samstag wirklich vorbei sein wird, zeichnet sich wieder die Tendenz ab, das erste Stück mit vielen Fragezeichen zu versehen, das zweite fröhlicher als das erste anzusehen, dennoch mit einer Neigung zum Verriss zu formulieren, sich v.a. über die Konzerte zu freuen, das lokale Beiprogramm zu ignorieren, in diametralen Erfolgskontrast zum Hauptprogramm zu setzen oder noch krasser zu beschiessen als die grossen drei Opern und die letzte der grossen Opern dann wiederum besser als die vorangegangenen Stücke  zu finden, um das Festival nicht total infrage zu stellen. Ähnliches Mäandern der Presse erlebte man bisher bei jeder Biennale der letzten zehn Jahre. Ein Hauptgrund für das so oft geunkte Scheitern liegt aber woanders: Betrachtet man ein Festival als Experimentierfeld, so weiss jeder, dass dabei die Irrtümer vor dem Wegweisenden überwiegen dürften. So konnte man die 2. Biennale 1990 mit ihren vierzehn Stücken garantiert persönlich als erfolgreicher verbuchen, als die aktuelle 13. Biennale mit ihren gerade mal 5 2/3 Musiktheatern. 1990 feierte man relativ einhellig 63: Dream Palace, Absences, Le Précepteur, Seid still und Patmos. Jetzt einigt man sich zögerlich auf Wasser von Arnulf Herrmann. So lässt sich ganz einfach sagen: Will man mehr erfolgreiche Opern, so muss man mehr in Auftrag geben lassen.

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Einen solchen Mehrwert versprach man sich dieses Jahr von der Reihe „Nucleus“, initiiert und gegen viele Widerstände durchgeführt vom Leiter der Musiksparte des Schwere Reiter Karl Wallowsky, künstlerisch durchdacht von der Dramaturgin und Tänzerin Angela Dauber, für die Gesamtpräsentation zusammengeklammert von der Regisseurin Birgitta Trommler, welche auch die Inszenierung bei einigen der Nuclei übernahm. Nucleus als Kern:„Anfang, Neubeginn – schlummernde Möglichkeit, die unter günstigen Bedingungen aufkeimen, sich entwickeln und entfalten kann? Oder Ende eines Prozesses, Quintessenz sozusagen und winziges Endprodukt der Reifung mit der Potenz zur Erneuerung?“ So der Grundgedanke des Projekts. Im Ergebnis lieferten wir, das sind Michael Emanuel Bauer, Minas Borboudakis, Nikolaus Brass, Manuela Kerer, Thomas Meadowcroft, Stefan Schulzki, Eva Sindichakis und auch ich Stücke, die vor den grossen Opern im Foyer oder einem Nebenraum derer Aufführungsorte ihren Platz fanden. Im Foyer des Carl-Orff-Saales sehr prominent samt Philharmonielaufkundschaft, im Muffatwerk auf einer leider etwas abgelegenen Nebenbühne. Die Künstlerische Leitung der Biennale fand wohl v.a. an der von Angela Dauber klug formulierten ästhetischen Fragestellung den grösste Reiz, wie kleine und kleinste Kompositionen ein grösseres Musiktheater aus dem reinen Spiritus der Musik vorahnen liessen. Denkt man an Luigi Nono, der in seinen ersten Opern reihenweise alte Stücke einfliessen liess, wie später auch sein Schüler Helmut Lachenmann mit seinem Mädchen mit den Schwefelhölzern, wäre dies durchaus ein theoretisch sinnstiftender Ansatz, wenn man jene Arbeitsweise abstrahieren und überhöhen würde. Nun ist aber allgemein bekannt, dass Nono und Lachenmann das Gros ihrer Werke, welche in ihre Opern hineinkamen, erstmal als unabhängige Stücke planten. So wundert es nicht, wenn unsere Nuclei erstmal nicht den reinen Kern für ein grösseres Werk in sich bargen.

Vielmehr überhöhten wir recht unterschiedlich aber doch durchgehend die Idee eines Kerns von Musiktheater an sich, der wiederum ein kleines, feines ins sich geschlossenes Werk im Einzelfall zu Wege brachte. So legte sich Thomas Meadowcroft öffentlich zum Schlafen hin, nachdem er in einem öffentlichen Wachtraum von einer schönen, fast undenkbaren Oper träumte. Eva Sindichakis ließ einen Chor aus dem Publikum entstehen und zurückfallen, der wie aus dem Nichts den uralten monteverdischen Nymphentraum jazzartig anstimmte. Stefan Schulzki macht aus einem Lied über Sex, Verfall, Tod, Böses und Gott einen Parforceritt durch den humanen Lebenszyklus. Ich liess zwei Vorstadtmädels aufgereizte Jugend, Kleinkriminalität, Urlaubsträume, Erstarren in sie fast tötenden Beziehungen, Putzjobdilemma und Ermüdung, die bessere Träume abwürgt durchleben. Minas Borboudakis schickt seine Sopranistin auf schlafwandelnde Erkundung zwischen Glucksen, Sprechen und Noch-Nicht-Singen. Manuela Kerer entlarvt elektrische Zahnbürsten nach gnadenlos still-komischer Kollektivanamese als bessere Oralobertontrommel. Nikolaus Brass lässt einen Überlebenden einer holocaustischen Katastrophe in den Zwiespalt seines geteilten Ichs fallen. Michael E. Bauer stellt Mini-Hommagen an Schlingensief, Kagel, Bausch, etc. lose nebeneinander.

Wie man sieht, ein sehr vielfältiger Umgang mit der Frage nach dem Kern! Und zugleich das Scheitern an der Frage nach dem Grossen aus diesen Kernen, da man den Kern selbst inhaltlich auflud. Manche der Ansätze könnten sich durchaus als Szenen aus einem Musiktheater deuten lassen. Da aber der Bezug zu diesen in der jetzigen Form ausgeblendet ist, lässt sich da auch kaum Prospektives vermuten. Aber wie sich eine Abstraktion des schlichtweg praxisgeschuldeten Opern-Patchwork-Arbeitens Nonos und Lachenmanns verbietet, ist dies hier schlicht utopisch. Das nahm dem Unternehmen aber dann doch den Wettstreit, in welchem sich z.B. die Teilnehmer all der Stufenwettbewerbe für Opern befinden.

Es bietet sich eine ganz andere Schlussfolgerung an! Natürlich könnte man jetzt für jeden von uns einen Biennaleauftrag als Konsequenz fordern. Das mag sogar geschehen. Dennoch wird auch dies die Ausbeute an erfolgreicherern Biennalen nicht erhöhen, da ja grundsätzlich deren Produktionsanzahl nicht erhöht wird, was automatisch zu mehr erfolgreichen Stücken führen könnte. Wie die Stadt München die Biennale verpflichtete, in ihrem Rahmen diese Nuclei und weitere kleinere Musiktheater wie die von Moritz zuletzt beschriebenen Projekte oder auch Helga Pogatschars „mystery“ leidlich zu verankern, verpflichtet das Ergebnis die Stadt München ihr Musiktheaterförderungskonzept zu überdenken. Bisher gab es da nur Förderung über die Biennale, das Projektstipendium für Neue Medien/Musik oder die Theaterförderung. Im regulären Musiktopf fehlt eine Musiktheaterförderung selbst kleinerer Formate mit 2-3 Musikern, 2-5 Sängern. Nur mit viel Glück und eine Umdeklarierung der Projekte in Konzertformate lässt sich da was bewirken. Stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit? Und diese ist schnell beantwortet: Früher pflegten beide Staatsopern – Nationaltheater wie Gärtnerplatz – die Förderung solcher kleinerer Opernformate. Das starb bereits langsam zu Beginn der Neunziger Jahre aus, als letztmalig am Nationaltheater vermehrt bayerische Komponisten kollektiv oder auch einzeln eine Plattform erhielten. Es gibt zwar immer wieder mal einen und eine von uns, die dort eine Gelegenheit bekommt. Das lässt sich aber nicht mal an einer Hand seit 2000 ablesen. Sieht man aber allein die acht Nucleus-KomponistInnen, aus München oder der Stadt sehr eng verbunden, wie eben die Tirolerin Kerer oder der Berliner Meadowcraft, rechnet man Helga Pogatschar, das Umfeld des ensemble possibile hinzu, denkt man an die letztjährigen Musikstipendiaten Neli Bejar, Arash Safaian, die ADEvantgarde-Opernkomponisten Schachtner, Schmitt, Seloujanov und Nickel, die Kollegen Reiserer, Babel, die immer wieder Musiktheater oder gar Oper betreiben, an die microoper von Cornelia Melian, an das metatheater von Axel Tangerding, an Cornelie Müller, Manfred Killer, an den alten Hasen Hirsch, die weiteren Youngster Anna Korsun, Steffen Wick und viele weitere, ist die Relevanz schnell beantwortet. Nachdem München in Bayern auf weiter Flur alleine dasteht, sich hier Orchester viril ballen wo sie und die Theater in NRW ausbluten, lässt sich aus dem Nordwesten aber ein Konzept übernehmen: Ein Fonds für Musiktheater! Aber als Fonds für die Freie Szene, durchaus auch in Verpflichtung der Staatstheater und der Aufgabe, auch Rosenheim und Weilheim mit Aufführungen zu bedenken.

So ist die Biennale kein Ersatzforum und auch kein Ausschlussgrund für weitere, neue Fördermodelle. Sie ist vielmehr mit den Staatsopern zusammen der Grund, wieso sich hier ein so fruchtbares Musiktheaterproduzieren trotz Tarnförderung entwickeln konnte. Und hatte man den Mut, nach den Henzeschen Anfängen der Förderung Münchner SchöpferInnen nun endlich 2012 den Nucleus zu stemmen, so resultiert daraus eine noch grössere moralische Verpflichtung, die für das Musiktheater eine angemessene Förderung der Komposition und Produktion erfordert. Die wird auch mit einer Integration in ein Kreativquartier nicht erledigt sein, was ja nur einen weiteren problematischen Spielort schafft. Nein, es geht um die Förderung der Macher und Macherinnen, besonders der KomponistInnen, die durchaus immer mehr auch als Produzenten in Erscheinung treten oder sich mit produzierenden RegisseurInnen zusammen tun. Lasst uns Alle hier in einen neuen Diskussionsprozess treten! Und so wird München dauerhaft nicht nur über die Biennale neue Massstäbe setzen, sondern v.a. über seine eigene Musiktheaterförderung und damit deutschland- wie europaweit ganz anders strahlen als nur durch kurze Olympiaden.

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