Klassik-Stars 2012 – ein Überblick

Wenn man heute Werbebroschüren der großen Musikagenturen durchblättert (wie ich neulich auf der Musikmesse) merkt man schnell, dass sich seit den Zeiten von Alfred Brendel (sieht aus wie ein Schweizer Bankbeamter) und Luciano Pavarotti (sah aus wie übergewichtiger italienischer Opernsänger) einiges geändert hat. Man kann es nicht genau beschreiben, aber es weht ein neuer Wind in der Promotion, oder sollte man vielleicht Pornotion sagen? Die Art wie Bilder ausgesucht werden, was in den Biografien steht, in welchen Posen die Künstler präsentiert werden – es herrscht ein neuer Stil. Warum? Kann ich auch nicht genau sagen.

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Urteilt selbst: hier sind die gerade angesagten Künstler unter Vertrag bei Sony Classical (eigentlich „Sony Masterworks“):

Cat Busty

Die junge und dynamische Pianistin ist in Wisconsin geboren und begann im Alter von 3 Jahren mit dem Klavierspiel. Schon wenige Monate später feierte sie ihr Konzertdebüt in der Carnegie Hall, wo sie bei einem Talentwettbewerb die kompletten Etüden von Chopin zur Aufführung brachte. Nach einem sensationellen Erfolgsjahr, bei dem sie die ersten Preise in 23 großen internationalen Wettbewerben einheimsen konnte, begann sie sich ernsthaft für das Klavierspiel zu interessieren, das vorher für sie nur wie ein unterhaltsames Hobby gewesen war. Ihr Repertoire umfasst eine unglaubliche Bandbreite, von Werken der Romantik (besonders liebt sie die großen Klavierkonzerte von Rachmaninoff) bis zu Werken der radikalsten Moderne hin (Prokoffieff: Sonate No.1, langsamer Satz). Seit einigen Jahren ist sie bei Sony Classical unter Vertrag – schon nächstes Jahr erscheint ihr neues Livealbum „Encores und One-Night-Stands“, das schon jetzt bei itunes vollkommen ausgeklickt ist.

*Pissy* Pigalle

Die junge gutaussehende armenische Geigerin heißt eigentlich Pachinka Pachinkojewitschskiwitsch und wuchs in einem Kinderheim in Rumänien auf. Dort wurde sie von einem übergewichtigen pädophilen Agenten von Sony Classical entdeckt, der sie daraufhin zusammen mit der schwulen Amme von Ivo Pogorelich vor dem sicheren Hungertod rettete. Aus alten Zigarettenkisten bastelte sie sich eine Stradivarigeige, die vor kurzem in Wisconsin für 2 Millionen Dollar versteigert wurde. Zeitweise war sie Lebensgefährtin von Charlie Sheen, doch der kann sich daran nicht erinnern. Die äußerst dynamische Geigerin spielt seit sie 3 Jahre ist Geige und interessiert sich für alle musikalischen Genres, vor allem für die Capricen von Paganini und die Geigensonate des radikalen Modernisten Sergei Prokoffieff. Seit sie denken kann komponiert sie und improvisiert auf Themen, die ihr das Publikum auf dem Arsch vorpfeift. Dazu fällt ihr immer etwas ein, das sie auf ihrer Geige (Stradivari) leicht bekleidet zum Besten geben kann. Check out her new web presence at: *pissy*seeHERLIVEWEBCAM@ru.com

Gühel und Sühel

Die beiden braungebrannten und heißen (nicht zu vergessen: äußerst dynamischen) türkischen Pianisten treten gemeinsam auf, seit sie sich vor 2 Monaten in einem Saunaclub von Sony Classical kennengelernt haben. Sie sind bekannt für ihr ausgefallenes Repertoire, darunter auch eine Bearbeitung der 2. Sonate von Prokoffieff für 2 Glieder und 2 freie Hände. Sie sind jung und wie gesagt äußerst dynamisch und spielen seit ihrem 3. Lebensjahr Klavier, Ballett und Badminton. In einer beispiellosen Karriere gewannen sie alle Wettbewerber die es jemals in der Türkei gab, aber es war nicht genug. Sie sind heiß aufs Publikum und wollen ganz groß raus. BECOME THEIR FAN ON FECESBOOK! Click Like….here!!!
Scharf auf mehr/are you hot? New CD out soon: “Brahms in da Darkroom”

XXXChestyXXX Blow

Die taiwanesische Dirigentin und Webdesignerin nahm Klarinettenunterricht bei Carolin Widmann und gilt als heißeste Braut der Klassikszene. Sie für eine Nacht besitzen und benutzen zu können ist der Traum nicht nur ihrer 40 Millionen Fickbook-Freunde sondern auch der Traum ihres Plattenproduzenten, der mit 80% an allen ihren Einnahmen beteiligt ist. Mit nur 3 Jahren nahm sie zum ersten Mal eine Klarinette in die Hand, zwei Wochen später etwas anderes. Gut blasen konnte sie beides, sehr zur Freude ihres Plattenproduzenten. Wenige Tage später unterzeichnete sie ihren ersten Plattenvertrag bei Sony Classical und trat in der Carnegie Hall von Wisconsin auf. Berühmt wurde sie durch ihre Einspielung des langsamen Satzes der 5. Prokoffieff-Sonate (eigentlich für Cello, aber egal). Sie spielt eine Klarinette von Beate Uhse, böhmisches „System“. Wer so dynamisch (und jung) ist wie sie, kann sich vor Wettbewerbssiegen kaum retten, daher hat sie mit Martin Stadtfeld zusammen auch ein Duo gegründet, das schon jetzt 5 Miiiliarden Klicks bei itunes hat (es werden stündlich mehr)

Kees van der Neuken a.k.a. „Cory Jay“

Der junge holländische Komponist hat in Amsterdam Klostergesang und Andriessen studiert, bis er im aufregenden Finale von „Holland sucht den Superstar“ die Jury mit einer avantgardistischen Komposition („Hommage a Prokoffieff“) ganz aus dem Häuschen bringen konnte. Kees ist überall dort tätowiert, wo man es nicht sieht, und bringt dies auch in seine Kompositionen mit ein. Forget Nico Muhly – Kees ist der neue (junge und dynamische) Superstar der Szene und hat alleine in Wisconsin 5 Milliarden Fans. Man kann ihn nicht nur für eine Nacht besitzen und benutzen, nein, er kann auch komponieren. Der dynamische und junge Holländer hat schon jetzt einen ganz eigenen unverwechselbaren Ton und hat daher sein Lebenswerk an Sony Classical vermacht. Seine neue Oper „!Pierce me! F****er!!!!@vanderneuken.com“ wird bald an der Englischen Nationaloper ENO aufgeführt werden, und ein riesiger Erfolg werden, da Kees schon jetzt mit allen Kritikern Englands geschlafen hat. Wenn er nicht gerade wieder einen internationalen Wettbewerb gewinnt, ist er mit seiner besten Freundin XXXChestyXXXBlow unterwegs und besorgt es uns so richtig.

Est!!!her

Die 15-jährige Mezzosopranistin wurde in Wisconsin bei einem internationalen Chopinwettbewerb entdeckt. Schon im Alter von 3 Jahren hatte sie mit dem Klavierspiel begonnen, entschied sich aber dann doch sehr zum Leid ihrer Eltern für eine internationale Gesangskarriere mit wechselnden Liebhabern. Sie wird ständig von ihrem Photoshopexperten begleitet, der sie auch privat managt und an ihren Einnahmen beteiligt ist. Eigentlich heißt Est!!!her Dolly Buster und war ein berühmter Pornostar, aber heute ist sie eine junge, dynamische Koloratormezzistin, die noch einen weiten Weg gehen wird. Ihr Album „spread my legs and fly“ hat schon jetzt alle Verkaufsrekorde bei itunes gebrochen, daher wird sie auch bald für Sony Classical auf Tour gehen. Besonders liebt sie die großen Arien der Romantik, zum Beispiel diejenigen, die aus der Werbung bekannt sind. Diese singt sie rauf und gelegentlich auch runter. Sie ist außerdem glückliche Besitzerin des schönsten Arschgeweihs zwischen Hesselohe und Münster.

Schon jetzt sagen Experten all diesen Künstlern eine große Karriere voraus.

Moritz Eggert

5 Antworten

  1. hahahahahahahahahahaha……….
    War das nicht schon immer so? Ich erinnere mich an einen schönen Versuch von Studenten der Musikhochschule Hannover, der die Dominanz des Visuellen über das Auditive belegbar machte. Spielten da nicht ca. 10 verschiedene Pianistentypen ein und dasselbe Chopin-Stück (war es ein Walzer?), darunter 2 ernste, 2 Blondinen, 2 lächelnde etc… und jeder, der das Video sah, schwor, dass alle „höchst unterschiedlich“ interpretiert hatten. Als dann aber die Versuchsanordnung aufgedeckt wurde, erfuhr man, dass keiner der gefilmten Personen gespielt hatte, sondern ein bierbauchiger und bärtiger Klavierdozent mit Rauschebart……

  2. Erik Janson sagt:

    Wie sagt man so schön? Das AUGE hört mit…
    Nur: einige haben es wohl mit den Brustimplantaten übertrieben. Anders gesagt: im Aufmerksamkeits- und Model-Hype und Kampf um´s Überleben darin verwechselt man neuerdings sogar die Klassik-Jungstar-Branche mit der Deutschen Erotikmesse ;-) Die war hier im Mode- Düsseldorf und ist aber schon wieder vorbei…

  3. Sehr geehrter Herr Eggert,
    zunächst besten Dank für die ebenso tiefe wie breite Analyse unseres Artist-Development-Programmes. Ein wenig schmerzt, dass Sie die hohe Risikobereitschaft unserer Repertoire-Crew dabei außen vor lassen. Wenigstens bei Kees van der Neuken a.k.a. “Cory Jay” wäre der Hinweis angebracht gewesen, dass angesichts seiner avantgardistischen Komposition („Hommage a Prokoffieff“)- übrigens in C-Dur – sich der Mut zum Experiment eines immer wieder als „konservativ“ diffamierten Labels aufs Schönste dokumentiert.
    Mit kollegialen musikjournalistischen Grüßen
    Theo Geissler
    Embedded Marketing Councelor
    Head of foggy Viral Employment
    Sony Classical – Heckler & Koch Music Division

  4. Da sage ich nur noch: „EEEEERRRRLLLLL-KÖÖÖÖÖÖÖÖNNNIIIIIIIICH!“

  1. 2. April 2012

    […] mal hat Moritz Eggert  mit einem Blog-Eintrag zugeschlagen. Künstler-Interesse und […]