Der große Kulturexpertencheck

Die Musikwelt ist in heller Aufregung, denn gerade verkündeten die „führenden Kulturexperten“ Haselbach, Knüsel, Opitz, Klein im „Spiegel“, die Kultur in Deutschland müsste auf die Hälfte reduziert werden. Wir hätten eh zu viel Opernhäuser, Museen und Orchester, da könnten wir auch mit der Hälfte auskommen. Und das Geld wäre viel besser in „gegenwartsbezogener kultureller Bildung“ angelegt, die uns „amerikanische Kulturindustrie“ und „chinesischen Nationalismus“ näher bringt (Originalzitate aus dem Beitrag im Spiegel, der das Buch „Der Kulturinfarkt“ promotet).
Toll, da können wir ja noch richtig was lernen.

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Mich hat als führenden Blogexperten nun einfach mal interessiert, wer die Menschen hinter dieser Aktion sind. Wer sind die sympathischen Herren Hasenbach, Knüppel, Oppitz und Groß und was wollen sie eigentlich mit dieser Aktion bezwecken? Sägen sie sich nicht den Ast ab, auf dem sie sitzen? Als „führende Kulturexperten“? Was ist überhaupt ein „führender Kulturexperte“? Wie wird man dazu gemacht? Kann man das studieren? Und warum braucht man 4 davon, um ein Buch zu schreiben? Ist das so ähnlich wie mit den Blondinen und den Glühbirnen?

Schauen wir uns doch einmal die Autoren und ihren Background an. Fangen wir mit „Prof. Dr. Dieter Haselbach“ an. Er steht dem aus Film-, Funk-und Fernsehen bekannten „Zentrum für Kulturforschung“ vor, einem natürlich vollkommen unabhängigen, unbeinflussbaren, neutralen Institut, das….ach, aber schauen wir doch einfach mal auf deren Internetseite.
Dort empfängt uns zuallererst einmal die Nachricht
„Wir arbeiten derzeit an einem neuen Internet-Auftritt. Wir bitten um Verständnis, dass daher vorübergehend nur eine verkürzte Version zur Verfügung steht.“ Aha, da wird schon mit gutem Beispiel vorangegangen und gespart!

Aber der Link zur „Unternehmensvorstellung“ funktioniert noch. Und da steht:

„Seit mehr als 40 Jahren hat das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) die interdisziplinäre, empirisch gestützte Forschungs-, Dokumentations- und Beratungstätigkeit in den verschiedenen Praxis- und Politikfeldern von Kultur, Bildung und Medien zu einem eigenständigen Fachgebiet entwickelt.“

So weit, so nichtssagend. Aber welche vollkommen unabhängige und wohlmeinende, überhaupt keine Eigeninteressen verfolgende Macht hat dieses Institut ins Leben gerufen? Wer wird es gewesen sein?

„Das ZfKf geht auf private Initiativen zurück: Ursprünglich ab 1969/70 beim SPIEGEL-Verlag in Hamburg angesiedelt, wurde das Institut 1972 von den damaligen Projektleitern Karla Fohrbeck und Andreas Joh. Wiesand zunächst in freiberufliche Trägerschaft übernommen. In diesem Jahr erschien auch die erste große Enquete für den Dt. Bundestag („Der Autorenreport“). Damit und in späteren Projekten sowie durch oft unkonventionelle Methoden bei ihrer Realisierung (Aktionsforschung) definierte sich das ZfKf als Teil der kulturellen Öffentlichkeit und als Alternative zu staatlichen oder akademischen Institutionen sowie kommerziell orientierten Beratungsfirmen.“

Hmmm, Nachtigall ick hör Dir trapsen – wenn der „Spiegel“ einen unabhängigen „Kulturexperten“ will, dann holt er sich den quasi aus dem eigenen Stall. Und kostet das nicht eine Menge Geld, so ständig intensiv über Kultur nachzudenken? Könnte man nicht auch mit der Hälfte und so? Also, ich meine ja nur….

Nun zu Armin Klein. „Er war Dramaturg in Frankfurt am Main, nun ist er Professor für Kulturmanagement in Ludwigsburg.“. Laut seiner Facebookseite hat er 40 Freunde, darunter ein gewisser Dieter Haselbach, ach ja, und ein Hinweis auf den „Kulturinfarkt“ darf nicht fehlen. Folgen wir dem Link zum Facebookauftritt des „Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg“, so lernen wir „367 like this. 4 talking about this. 2 were here“. Also nur 2 Studenten? Ist das nicht ein bisschen wenig? Und eine treffend benannte „Jette Schädlich“ schreibt eilfertig auf der „Wall“:

„Die Presse, Kulturpolitiker und Einrichtungen bekommen jetzt schon einen „Kulturinfarkt“ wegen des neuen Buches ;)…ich würde mich über Diskussionen hier freuen. Ich werde das Buch auf jeden Fall lesen und bin sehr gespannt! Viele Grüße aus Ulm“

Gespannt, Frau Schädlich? Sollten sie als Kulturmanagerin dieses Buch nicht meiden wie der Teufel das Weihwasser? Stellen Sie sich vor, sie suchen einen Job, z.B. bei einem Opernhaus. Sie stellen sich als eifrige Kulturmanagerin vor, die die Kultur mal so richtig managen will. Aber dann: „Es tut uns sehr leid, Frau Schädlich, wir leiden an Kulturinfarkt und mussten die Hälfte unserer Stellen streichen, da dachten wir, wir fangen mal mit denen an, die mit Kunst eigentlich nichts mehr zu tun haben – daher haben wir leider keinen Job mehr für Sie!“.

Geht man zur Website des Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg, liest man dort unter dem von Armin Klein mitverfassten „Mission Statement“ des Instituts:

Unsere Vision:
Räume für Kunst und Kultur. Unter allen Umständen.

Auch unter anderen? Ja was nun, Herr Klein – gerade diese Räume schlagen sie doch gerade vor zu schließen? Und was machen dann Ihre Studenten? Sollen die betteln gehen (siehe oben)? Ist das nicht auch schädlich für Frau Schädlich? Sie schicken doch gerade 50% dieser Studenten in die bittere Armut, denn man muss sie sich ja erst einmal überhaupt mal leisten können, und wenn nur noch die Hälfte da ist, nun ja….Unsere ach zu satte Kulturgesellschaft leistet sich doch genau solche schwurbligen Institute wie das Ihrige, in denen man mehr über Marketingkonzepte und „kulturelle Dienstleistungen“ lernt, als über die Kultur selber. Und genau darin liegt ja auch das Problem, dass man vor lauter Marketing und Kulturmanagement gar nicht mehr weiß, was man da eigentlich so genau vermarktet und managt. Und warum man es mal gemacht hat, zum Beispiel als man beim Theater im Turm der Dramaturg war, der das Drama drama (für die Dialektunkundigen: hessisch für „dreimal“) durch las, wie es so schön heißt. Aber ach, Klein, die Zeiten sind vorbei als man noch in der Theaterkantine nett mit den Schauspielern beisammen saß und versuchte, Kunst zu machen.
Vorbei, bei, Junimond.

Auch hier also Rätsel über Rätsel. Die komplexe Motivation von Armin Klein bleibt…komplex….Aber wenden wir uns Pius Knüsel zu, er hat als „Readakteur für das Schweizer Fernsehen gearbeitet und ist heute Direktor der Kulturstiftung „Pro Helvetia“.

Ok, ein Schweizer also. Das ist ja schon mal per se seriös. Warum sagt uns aber ein Schweizer, wie wir in Deutschland Kulturpolitik machen müssen? Gibt es da vielleicht ganz andere Hintergründe als man es ahnt? Liest man nämliche die „Ziele der Auslandsarbeit“ von Pro Helvetia:

„Ziele der Auslandarbeit

Kunst und Kultur aus der Schweiz in ihrer Vielfalt bekannt machen
Wichtige Regionen und Märkte für Schweizer Kulturschaffende erschliessen
Kulturschaffenden vertiefte berufliche und kulturelle Erfahrungen ermöglichen“

Aha, dann ist die Mitarbeit an dem Buch „Der Kulturinfarkt“ vielleicht so begründet: Erst den „Kulturinfarkt“ in Deutschland mitverursachen, um dann mit eidgenössischer Kunst in die entstandene Lücke zu stoßen um „wichtige Regionen für Schweizer Kulturschaffende zu erschließen“. Nicht, dass die Schweizer Theater auch immer voll wären – wenn aber plötzlich Millionen Deutsche aus lauter Verzweiflung über die Grenze kommen, um sich endlich wieder gutes und nicht um die Hälfte gekürztes Theater anzusehen, boomt der Schweizer Stückemarkt und Schweizer Künstler können sich ihre Villen im Tessin finanzieren. So läuft der Hase also! Skandal! Wehret den Anfängen dieser ganz perfiden Schweizer Invasion!

Und Stephan Opitz? Er gründete das „Nordkolleg“ in Rendsburg und „leitet heute das Referat für Kulturelle Grundsatzfragen im Bildungs-und Kulturministerium von Schleswig-Holstein“. Wahrscheinlich eine Art Zufluchtsort für den Kulturinfarktgeplaten Dr. Opitz, denn nirgendwo in Deutschland gibt es so wenig Theater, Opernhäuser und Museen wie in Schleswig-Holstein! Zumindest gefühlt…
Und gegen dieses Referat ist Kafkas „Schloß“ ein Witz, das sage ich euch. Erst hartnäckiges und stundenlanges Operieren mit verschiedenen Suchbegriffen fördert Herrn Opitz’ wichtiges, unter „Abteilung 5“ (steckt M.I.5 dahinter???) zu findendes „Referat für Kulturelle Grundsatzfragen“ zutage. Wird dieser Name einmal in die Geschichte eingehen? Wird dort im Geheimen die Endlösung der Kulturfrage angestrebt? Dort ist auch passenderweise eine Internetmaske, bei der man Direktnachrichten Herrn Opitz eingeben kann. Ich habe die einfach mal genutzt und folgendes eingegeben:

„Sehr geehrter Herr. Dr. Opitz,
beim Besuch Ihres schönen Bundeslandes fiel mir neulich etwas Schlimmes auf: es gibt einfach zu wenige Museen, zu wenige Theater, zu wenige Opernhäuser. Und die Callas kam auch nie nach Kiel, so viel ist klar. Vielleicht in Kiel, aber das ist eine andere Geschichte. Überall wo man hin schaut nur flaches Land und Nordfriesisches Wattenmeer. Ich fände es schon schön, wenn sich ein paar mehr Kulturtempel erheben könnten. Muss ja nicht gleich so viel kosten wie in Hamburg.
Und jetzt kommen Sie ins Spiel – können Sie das nicht einmal einfordern? So einfach mal als Slogan, der den Menschen in Schleswig-Holstein so richtig ans Herz geht? Zum Beispiel einfach mal sagen „Das Doppelte“? Dann wäre doch mal so richtig was los in Holstein, und die Touris würden nicht immer nur nach Sylt fahren und schöne Städte wie Eckernförde und Husum immer links liegen lassen. Also ich fände das ganz dufte.
Natürlich nur, wenn die Schleswig-Holsteiner-Jugend nicht an der Tanke betteln muss und weiterhin genug lernt über Chinesischen Nationalismus und Amerikanischen Imperialismus! Das halte ich nämlich nach wie vor für unheimlich wichtig, genauso wie auch den total unterschätzten Beruf des führenden Kulturexperten. Denn die brauchen wir heute so dringend wie noch nie.
Vielen Dank im Voraus,
Ihr
Moritz Eggert“

Er hat mir leider noch nicht geantwortet.

Moritz Eggert

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13 Antworten

  1. wechselstrom sagt:

    Interview dazu gibt es hier
    Zitat: „“Doch alle Statistiken – und es gibt viele davon – beweisen, dass ….“ — — sind das die Sarazenen – oder hat sich Sarrazin reproduziert?

  2. Sehr geehrte Kulturexperten,

    Ihr Ansinnen unser Land noch weiter verrohen zu lassen, noch mehr unsere kulturelle Entwicklung dem freien Mark, insbesondere der amerikanischen und chinesischen Unterhaltungsindustrie zu überlassen, zeugt lediglich von Verantwortungslosigkeit unserer Gesellschaft und unserem Lande gegenüber. Abbau von kultureller Substanz führt neben den Schäden für die Menschen auch zu wirtschaftlichem Abbau- ich empfehle eine Reise in die neuen Bundesländer!

    Christoph von Weitzel-Mudersbach

  3. Wolfgang Ponader sagt:

    Lieber Moritz Eggert,

    fantastisch geschrieben und gemacht. Meine (unmassgebliche) Hochachtung! Toll!

    Beste Grüße

  4. Kopfgeldjäger sagt:

    Lieber Moritz,
    dein Artikel ist mindestens genauso unterhaltsam, wie die vier Herren, auf die du dich beziehst. Denn ich denke ja, dass es sich hier um einen neuen Spaß von Hape Kerkeling handelt – Hape hat sich mal wieder verkleidet (sind da nicht Ähnlichkeiten…?)
    Grüße…

  5. Herr Prof. Dr. Dieter Haselbach hat schon reagiert und seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Zentrums ausgesetzt:

    http://www.kulturforschung.de/

    Das war es also, was die Bearbeitung der Website verborgen hatte.

    „Ich möchte nicht, dass dieses Institution Schaden nimmt.“ schreibt er dort reumütig. Aber vielleicht will er einfach nur selbst keinen Schaden nehmen?!?

    Die Schließung der Hälfte aller kulturellen Einrichtungen wird uns auch nicht vorwärts bringen.
    Die Beträge die eingespart werden, sind mittlerweile dank jahrzehntelanger Stagnation der Gehälter der dort Angestellten und der Fördersummen in der Kultur im Allgemeinen so gering, dass man vermutlich nicht einmal die drei kürzesten Autobahnen Deutschlands, die A252 (Hamburg), A255 (Hamburg) und A831 (Baden-Württemberg) – je zwei Kilometer Länge – damit unterhalten könnte.

  6. Übrigens, das Beispiel „Italien“ zeigt, dass die Bevölkerung billigend hinnimt, wenn die Kultur wegfällt. Solange die übrige Bevölkerung keinen Willen zeigt, gegen solche Forderungen zu protestieren, sind Überschriften wie beispielsweise „Kulturschaffende bestürzt über Kürzungsforderung von Autoren“ im Abendblatt genauso wenig hilfreich wie „Schlecker-Mitarbeiter wollen in drei Bundesländern demonstrieren“. Ich würde das „Kultur-Insolvenz“ nennen und das kann uns allen schneller blühen, als uns lieb ist und wir mit unserem Brett vor dem Kopf wahr haben wollen.

  7. Max Nyffeler sagt:

    Lieber Moritz,
    ich glaube, Du machst es dir hier ausnahmeweise einmal etwas zu einfach mit Deinem Text. Mit satirisch angehauchter Personenkritik kommt man hier nicht weiter.

    Die Problematik scheint mir ziemlich kompliziert zu sein, es sind die alten Frontlinien, aber in aktualisierter Form: Hochkultur gegen Breitenkultur, Institutionen gegen fluktuierende Strukturen (Internet), Etablierte gegen Piraten (Urheberrecht!), Klassik gegen „Jugendkultur“ (was auch immer das sein mag – Pop? Playstation?). Das jetzige System der Kulturförderung stammt aus den 70er Jahren, als es noch keinen Computer und kein Internet gab, und wenn sich nichts ändert, brechen dann irgendwann eben die Widersprüche auf.

    Das Buch, das ich bisher nur aus einigen Pressemeldungen und kurzen Interviews kenne, scheint mitten in diesen ganzen Komplex hineinzustechen. Ob die Forderungen und Folgerungen gut oder schlecht sind, kann ich deshalb nicht beurteilen. Ich habe aber den Eindruck, dass man nicht umhin kommt, darüber ernsthaft zu diskutieren.

    Apropos Zentrum für Kulturforschung: Ich kenne dieses Institut seit den 70er Jahren. Andreas Wiesand und Carla Fohrbeck, die es gegründet haben, waren damals Pioniere der Kultursoziologie, ihr „Autorenreport“ war ein Meilenstein in der ERforschung der sozialen Lage der Autoren. Die Künstlersozialkasse hätte man vermutlich ohne diese gründliche Feldarbeit nicht ins Leben rufen können. Die Forschungsarbeiten des ZfK gaben viele Anstöße für die (sozialliberale) Kulturpolitik in Kommunen, Ländern und Bund in der Ära Brandt/Schmidt/Genscher. Das Institut war zu Beginn noch vom Spiegel bezahlt, doch später, als es dann seine wichtigen Reports veröffentlichte, war es selbstständig und finanzierte sich durch seine Projekte. Also nicht gleich Alarm rufen.

  8. Peter Schöne sagt:

    Ich gebe hier übrigens mal zu bedenken, daß bei diesem Buch wie überall die Frauenquote missachtet wurde. Vielleicht hätte man die Kulturexpertinnen dieser Republik auch mal zu Wort kommen lassen sollen. So sieht das Ganze wieder nach „Altherren-Verein“ aus. Schön am Stammtisch zusammengeschrieben.
    Vielleicht haben die Damen nämlich auch eine ganz andere Meinung?!?

  9. Alexander Sandman sagt:

    Liebe Moritz Eggert,

    toll geschrieben und recherchiert. Aber mal ehrlich. Möchten Sie wirklich allen Menschen die Kompetenzen ansprechen, die sich zum Thema Kultur äussern? Wer darf dann noch etwas dazu sagen? Olaf Zimmermann etwa? Der hat noch nicht mal den Artikel im Spiegel zu Ende gelesen, da war die Presseerklärung schon veröffentlicht. Die Viererbande sägt an ihrem eigenen Ast auf dem sie Dank unserer unüberschaubarer Kulturförderung sitzen. Allein dies verdient doch schon einmal Achtung. Damit verlieren auch Sie ihre Sachlichkeit. Und alleine darum sollte es doch gehen. Ich kenne Experten für Jazz, die noch nie ein Instrument gespielt haben oder in irgendeiner Einrichtung gearbeitet haben. Und trotzdem vertraue ich ihrem Urteil.
    Wenn dank diesem Buch eine Diskussion entbrannt und alles auf den Prüfstand kommt, wurde doch schon viel erreicht. Oder sollen wir nur weiter den Status Quo erhalten?

  10. wechselstrom sagt:

    Liebe alle – kenne das Buch auch nicht, deshalb hier mein Bauchgefühl: Hochkultur/Spitzenkultur nach herkömmlicher Definition spielt sich in Salzburg und Bayreuth ab. Die haben eine hervorragende Auslastung, brauchen prozentuell weniger öffentliche Mittel – aber eben nur prozentuell – in absoluten Zahlen dreht sich das Verhältnis um – und könnten sich, meiner Meinung nach, auch gänzlich selbst finanzieren – Es ist auch im Sinne von Bildungschancen nicht weiter vermittelbar, warum z. B. Bayreuth subventioniert wird. Zwar bekommt jeder eine Karte, wenn er/sie 10 Jahre lang regelmäßig einen Antrag stellt, dennoch sehe ich bei jeder Bayreuth-Premiere Thomas Gottschalk (o.k. er ist in Bamberg geboren, vielleicht genießt er da ein gewisses „Heimatrecht“). Es gibt selbst für kleinste Geldbeutel klassische Kultur (also die Aufführungen der Toten Dichter und Komponisten) incl. hervorragender Inszenierungen der diversen Musentempeln auf allen erdenklichen Datenträgern – also, dass dadurch jemandes Kulturbedürfnis zerschnitten wird, weil das wegbricht oder das Live-Erlebnis kostspieliger wird scheint wenig glaubhaft. Aber im Buch werden ja, soll man der Kolportage glauben, gerade diese „Heiligen Kühe“ der Hochkultur/Spitzenkultur verschont.

    An anderer Stelle habe ich die Eintrittspreis Opernhaus/klassisches Konzert mit Pop/Rock-Konzert verglichen. Letzteres leisten sich die Leute auch und stehen dabei unter freiem Himmel im Fusballstadion und ev. im Regen und zahlen das 3-10 fache. Und da sind wahrlich nicht Leute darunter, die besonders wohlhabend ausschauen.

  11. Bekehrter sagt:

    Genau, Junimond: Da war es nun, das weinende Auge von DT64 …

    Im vollen Bewußtsein, damit dem Spiegel-Verlag auf den Leim gegangen zu sein, habe ich doch glatt mal das Hefterl mit aufs Band gelegt, als mir zu Tisch die Notiz der Nachrichtenagentur über die Veröffentlichung auffiel. In der Tat interessant, denn die Nachrichtenagentur hat einiges zitiert, aber auch so einiges ausgelassen.

    Der (…) Kulturbetrieb ist ein Patient, der sich nicht für das interessiert, was jenseits seines Krankenzimmers geschieht – ah-ja, das ist also alles selbstreferentielles Zeug, ohne Bezug zur Wirklichkeit. Verstehe.

    Kunst war, ist und bleibt ein Medium der sozialen Differenzierung, der Abgrenzung und Ausgrenzung – das wissen die Herren sicher deshalb so genau, weil sie selbst zu eben jenem Personenkreis gehören, der die Kunst für diese Zwecke mißbraucht.

    … sind es höchstens die gebildeten und gutverdienenden fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung, die sich für das Hochkulturangebot interessieren – das war der Nachrichtenagentur anscheinend schon zu heiß, denn in ihrer Zusammenfassung zitierte sie nur die angeführte Zahl. Wollen wir das „gutverdienend“ wirklich ernsthaft diskutieren?

    … die Distinktion (…) die den Kunstbürger erst ausmacht – wenn es um die Autoren geht, dann suche ich in der Tat, mich abzugrenzen.

    Ein Rückbau muss kommen – wie wär’s denn, gleich mal im Kieler Kultusministerium damit anzufangen, statt nur davon zu reden und immer nur die anderen zu meinen?

    … nachfrageorientierter zu produzieren – wie die Opernspielpläne dann aussehen würden, kann man sich an zwei Fingern abzählen. Man möchte es sich nichtmal vorstellen.

    … die anders als die Institutionen der Hochkultur eine sozial integrative und kulturvermittelnde Funktion wahrnimmt – hier wäre allerdings wirklich mal etwas anzumerken: Die Opern- und Konzerthäuser sollten dringend schauen, wie sie sich selbst darstellen. Da hat man sich bis hierher nicht immer sehr geschickt angestellt bzw. zu sehr auf die erfolgsträchtigste Klientel konzentriert. Mit Sprüchen wie diesem als Ergebnis.

    … die noch nicht existente Kulturindustrie – hahaha, kleiner Scherz zur Auflockerung, oder was?!

    Ich habe lange gerätselt, wo die ganzen Klischees und Vorurteile über die sogenannte Hochkultur eigentlich herkommen. Die vorliegende Provokation (das Nachrichtenmagazin formuliert selbst „provokante Thesen“) gibt da nun interessante Anhaltspunkte. Das scheint also gewissermaßen von innen heraus zu kommen.

    Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur meinte dann auch noch, „am Rande“ ihrer Spielzeitvorstellung die Dresdner Opernintendantin um einen Kommentar bitten zu müssen. Die sprach ihm etwas von „Krankenhäusern der Seele“ in den Notizblock.

    Und so verhält es sich auch. Daher wird jetzt zurückprovoziert und die These aufgemacht, daß diese Technokraten nicht einmal ansatzweise verstehen werden, was damit gemeint ist.

    Der ganze Vorgang ist nun an sich nicht sonderlich originell, seit zuvor der Herr Tröndle so fast schon verzweifelt versucht hat, Aufmerksamkeit für seine weitgehend ähnlichen Thesen (die Kulturförderung gehört zu privaten Veranstaltern umgelenkt, weil die öffentlich-rechtlichen Häuser einfach ßu doof sind) zu finden. Er zeigt aber eines: Unantastbar ist nichts mehr. Holzauge, sei wachsam.

    Und jetzt das lachende.

  12. Alexander Strauch sagt:

    Wie entlarvend! Hört man in sich hinein, ganz ehrlich, sieht man Geldmangel um sich herum, sehr bitter, so denkt es immer mal wieder von ganz allein: Lasst uns sanieren durch halbieren! Halbiert soll natürlich nur „der/die/das Andere“ werden. Geht man noch einen Schritt im Denken, im Fühlen, im Instinkt weiter, brüllt es schon ganz anders! Vierteilen, Achteln, Sechzehnteln. Etc.!! Halbieren-Wollen ist somit nichts anderes als der zivilisatorisch gezähmte Instinkt, den Gegner zu Zermalmen, damit man selbst fettere Urständ mit Auerochsragout und Mammutfilet feiern kann. Nun kann man sich genau diese zwei Gerichte leisten, die Leuchttürme des Geschmacks, alle anderen Schnitzel und Braten, Fuss- und Sehnengerichte, das sparsame, alles verarbeitende Teilen endlich vorbei. Na ja, und wie wir wissen: Sind weder die Nachkommen der Gevierteilten noch Mammut und Auerochse noch unter uns.

    Oder moderner: Schliesst die Hälfte der Autobahnen, halbiert die Hochschulen, die Honorare, die Gehälter, etc. Und füttert nur noch die Bildungsleuchttürme. Wozu führte das? Alleinstellungsmerkmal für die Berufung von Lehrpersonal ist neben Titeln und Wissensleistungen v.a. die Referenz der Drittmitteleinwerbung. Und wofür steht unser Kulturmanagerquartett? Höchstwahrscheinlich für ähnliche Referenzen…

    Zugegeben: Nachdenken über Nachhaltigkeit, Qualitätsmanagement, Wiederholbarkeit sollte schon angebracht sein. Das ist aber meist einfacher als man glaubt, wagte so manche Institution den Blick nach innen, würde Termine mit der Konkurrenz absprechen, ein wenig das Verhältnis Verwaltungskopf vs. Künstlermagen im Auge behalten. Wobei mir manchmal in den Sinn kommt, lese ich über Verhältnisse an Opernhäusern, über Orchesterprivilegien und Korrepetitorenleid, dass da auch im Sinne der Kunst Optimierungen angebracht wären, wie grundsätzlich dasselbe Personal in Proben wie Aufführungen, etc. So denkt man bei manchen jener Häuser weniger an Kunst denn Kunstgewerbe…

    Dennoch gehört generell der Spiess für Kultur umgedreht: Wo es mehr Kunst entsteht als noch vor einige Jahrzehnten, sollte mal provokativ über eine VERDOPPELUNG der Fördermittel nachgedacht werden. Wer erforscht endlich mal solche Synergieeffekte, Umwegrentabilitäten, etc. So fragt man sich in Bezug auf all die Freiberufler, ob diese Verdoppelung der Kulturetats nicht viel einfacher zu stemmen wären, als so mühsam ständig die Sozialausgaben für Leistungsempfänger erhöhen zu müssen, was als Pflichtaufgabe immer einen Rattenschwanz an Verhandlungen mit weiteren Sozialträgern mit sich zieht. Dagegen kann man Kultur ganz eigenständig hoheitlich behandeln. Erhöht man also da seine Ausgaben massiv in die richtige Richtung, ohne Andere zu halbieren, wäre unser Künstlerprekariat ggf. mehr in Lohn und Brot und weniger Leistungsempfänger. Da spreche ich zugegebenermassen aus der Sicht eines Bewohners eines momentan pervers wachsenden südlichen Ballungszentrums mit all den unschönen Mietpreiswuchereien: Allein die würden die Verdoppelung wohl schon schnell aufzehren. Dennoch sollte man sich das Denken in die andere Richtung auch erlauben. Kann mir da jemand Literatur nennen?! Schweizer wohl weniger denn Skandinavier?! Also, VERDOPPELUNG als zivilisatorischer Fortschritt der anthropologischen Kulturgeschichte. Huch, fehlt ein betriebswissenschaftliches Wort: Als Beitrag zur Qualitätssicherung optimierten zivilgesellschaftlichen Humankapitals im Sinne eines aufwärtsgerichteten Ausbaus der anthropologischen Kulturgeschichte…
    Gruß,
    Frl. Strauch

  13. frappant sagt:

    Ein Beispiel aus Hamburg: Jährliche Förderung für Projekte (E-Musik), also Geld, das für Musikproduzenten ausgegeben wird: 50 000€ .
    Eine Glasscheibe ( von insgesamt 1000) des „Leuchtturm Projekts“ Elbphilharmonie: auch 50 000€