Die Kunst der Provokation

Will man mal so richtig wahrgenommen werden, ist es immer clever in einem Interview en passant eine kleine Provokation einzubauen. Wir erinnern uns an „das war doch das größte Kunstwerk aller Zeiten“ zum 11. September (Karlheinz Stockhausen). Und auch Jürgen Flimm gelang gerade die Kür mit „Zum Preis von zwei kleinen Kreuzberger Theatern“ (Kollege Arno Lücker berichtete).

Werbung

Über solche Sätze wird viel geredet, sofort finden sich Leute, die sich entweder unglaublich darüber aufregen, oder auch Partei für den Provozierenden ergreifen. Eine gewisse Irrationalität schadet dabei überhaupt nicht: Mathias Spahlinger zum Beispiel schreibt in seinem offenen Brief zur Ablehnung von Auftragsgeldern der Siemens-Stiftung „die leute mögen es nicht mehr hören und hören einem auch nicht mehr zu“, der recht lange Brief ergeht sich aber dann genau darin, detailliert all das zu erklären, was angeblich keiner mehr hören will, und natürlich hören dann auch alle zu und mögen das dann auch, denn so ein kleines Skandälchen ist immer nett.

Die Lust an der Provokation wächst umso mehr, je größer die generelle Zurückhaltung oder – sprechen wir es ruhig aus – die politische Korrektheit ist. Eigentlich will ja niemand irgend etwas Falsches sagen, man könnte sich ja Chancen verbauen. Umso mutiger findet man dann, dass es ab und zu Leute tun, entweder aus rheinischer Schnoddrigkeit (Flimm), Verwirrtheit gepaart mit einem Schuss echter Einsicht (Stockhausen) oder aus Prinzip (Spahlinger). Skandale – kleine wie große – bleiben im Gedächtnis, denn Frechheit siegt bekanntlich. Manchmal kann die Provokation auch wieder zu einem Kunstwerk werden, so beschreibt zum Beispiel der Autor Helmut Krausser sehr unterhaltsam in einer Kurzgeschichte, wie er einmal einen großen Teil seines Münchener Kulturförderpreises in einem illegalen Casino in Berlin verspielte. Hierbei ist eigentlich die größte Provokation, dass das Geld nach Berlin ging (für die Münchener).

Provokationen außerhalb des Kunstwerks, quasi um das Kunstwerk herum, sind auch deswegen so interessant, weil es immer schwieriger geworden ist, allein durch das Kunstwerk selber zu provozieren (Klischeebeispiel Stravinskys Sacre). Manchmal ergibt sich die Provokation auch allein durch die Präsentation des Kunstwerkes am falschen oder zumindest ungewohnten Ort. So schocken die Fotografien von Robert Mapplethorpe in einer New Yorker Szenegalerie keinen, in einem Buchladen mitten im Bible Belt dagegen schon.

Die größte Provokation scheint also das Unerwartete zu sein. Man stelle sich folgendes vor: irgendein Musikantenstadl-Konzert mit Silbereisen und anderen Zombies, plötzlich treten die Ardittis auf und spielen „Reigen seliger Geister“ von Lachenmann. In voller Länge. Man kann sich die Reaktionen des Publikums leicht vorstellen: erst Unglauben, dann Ablehnung, dann Zorn, dann totale Aggression. Eigentlich wäre das eine tolle Sache, man könnte sehr viel darüber schreiben und „diskutieren“, und es wäre tausend Mal interessanter als der „Nipplegate“– Skandal um Janet Jacksons kleines Brüstchen beim Superbowl.

Oder man deklariere ein Konzert der Berliner Philharmoniker zur „großen Operngala der schönsten Opernarien“, fährt haufenweise Rentner in Bussen heran, und gibt dann die schönsten Momente aus Helmut Oehrings Musiktheaterwerken gesungen von Salome Kammer. Aufmerksamkeit sowie Herzinfarkte sind garantiert!

Zu Zeiten großer Sparsamkeit (und mal ehrlich: gab es im Nachkriegsdeutschland jemals eine Zeit in der nicht alle empfanden, es ginge einem zwar ganz gut, aber man mache sich schon Sorgen um die schwindenden Gelder) ist aber letztlich der Hinweis auf die unpassende Verwendung von Geldern (Flimm) immer noch der Provokations sicherste Bank. Darauf sollte man seine kleine gebastelte Provokation auf jeden Fall basieren.

Hier zum Beispiel ein Vorschlag, lokal auf München angepasst, „wir basteln uns einen Skandal“:

Ein Konzert mit dem Orchester Jakobsplatz (deutsch-jüdisches Versöhnungsorchester) ankündigen, aber erst kurz vor dem Termin bekanntgeben, was gespielt wird, nämlich die Kantate „Von deutscher Seele“ (Hans Pfitzner), einem Komponisten der die jüdische Gemeinde in München schon mehrmals aufbrachte und Programmänderungen verursachte. Auf der Pressekonferenz im alten 60er Stadion (Kenner werden verstehen, warum das provozieren würde) dazu dann ein Palästinensertuch tragen und verkünden „wir haben Gelder verwendet, die eigentlich für das Münchener NS-Dokumentationszentrum bestimmt waren (Eröffnung 2014), die uns aber in einer spontanen Entscheidung von Oberbürgermeister Ude zuerkannt wurden. Dabei Champagner und Kaviar servieren nicht vergessen. Voilà – Skandal komplett! Man ist im „Gespräch“!

Eigentlich wirklich ganz einfach, die Kunst des Provozierens.

Moritz Eggert

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

Eine Antwort

  1. Teleskop sagt:

    gibt dann die schönsten Momente aus Helmut Oehrings Musiktheaterwerken gesungen von Salome Kammer

    Das geht aber einfacher.
    Wann immer ich ein Plakat sehe für einen Abend mit „den schönsten Melodien aus…“, dann stelle ich mir vor, ich wäre Theaterkapellmeister und hätte von der Intendanz so ein Konzert reingedrückt bekommen; in Gedanken lasse ich mir dann die Orchesterstimmen aller angesetzten Nummern bringen, und dann streiche ich rigoros alles heraus, was nicht Melodie ist – jede Begleitfigur, jeden Harmonieton, jede Terz- und Sexten-Parallelführung (wenn ich großmütig sein will, lasse ich eventuell einige mitgeführte Oktaven stehen) und jedes Tsching-Bumm vom Schlagwerk. Und das wird dann genauso einstudiert und vor dem erlauchten Publikum ohne einen einzigen Takt Kürzung durchgeschlagen.