Selbstbedienungsladen kontra Grabenkämpfe? Ein Gastartikel von Martin Grütter

Nachdem Alexander über die Frage philosophiert hat, ob die junge Komponistengeneration heute überhaupt noch mit Tönen umgehen kann, sollten wir genau diese Generation lieber mal direkt zu Wort kommen lassen. Der folgende Gastebeitrag stammt vom Martin Grütter. Im Rahmen eines Seminars bei der Ensemble Modern Akademie gab ich ihm die Aufgabe einen Text zum Thema „Neue Musik im Zeitalter Neuer Medien“ zu schreiben, und heraus kam ein eigenwilliger Text, der wie ich finde sehr gut die ästhetische Position der jüngeren Generation beschreibt. Mit freundlicher Genehmigung von Martin veröffentliche ich ihn hier.

Martin studierte bei so unterschiedlichen Komponisten wie Dieter Acker, Hanspeter Kyburz und Brian Ferneyhough, was Stipendiat der Akademie „Musiktheater Heute“ (die ein immer einflussreicherer Schmelztiegel junger Talente zu sein scheint). Über seine Musik schreibt er: „…(sie) beschäftigt sich mit Virtuosität, Übermenschlichkeit, Ironie, Irrsinn, Performanz, Rhythmus und Sprache. …Kompositionen umfassen Solo-, Ensemble- und Vokalmusik, Musiktheater sowie elektronische Musik“. Martin ist auch Performer und tritt als Pianist und Keyboarder auf, auch in den Grenzbereichen zu improvisierter Musik. Er lebt und arbeitet in Berlin. Seine Videos auf youtube sind Fall sehenswert, seine Musik von großer Radikalität.

Moritz Eggert

Rezeption Neuer Musik im Zeitalter Neuer Medien – Chance oder Verschwinden im Überfluss?

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In den Zeiten, als die Welt noch behaglich war (also, aus unserer heutigen Sicht, denn ansonsten lag Europa ja in Schutt und Asche und war moralisch Matthäi fini), also: in den vielgeliebten und vielgeschmähten 50er Jahren, da nannte sich in unseren schönen deutschen Landen die literarische Avantgarde „Gruppe 47“, die journalistische Avantgarde „Der Spiegel“ und die musikalische Avantgarde „Serialismus“. Da konnte man sich mit eiserner Hand zum Gralshüter des Fortschritts aufschwingen, gesamtgesellschaftliche Relevanz einfordern und – mirabile dictu – sogar zugebilligt bekommen. Man konnte missliebige Quertreiber wie Celan verspotten, sie würden reden wie Goebbels, und man konnte über Bernd Alois Zimmermanns Cellokonzert „Canto di speranza“ lästern, der Begleitsatz sei zwar recht artig avantgardistisch-punktualistisch, aber drüber, Gott bewahre, vollführe das Cello einen Singsang, der, pfui Teufel, Tschaikowsky alle Ehre machen würde.

Dann kam Ligeti, dann kam Handke, dann kamen die 68er, dann kam die Wende, dann kam die Globalisierung, und zuletzt kamen YouTube und ThePirateBay. Darauf, die Neue Musik als Gewissen der Nation in Anspruch zu nehmen, käme heute niemand mehr. Nicht mal der Literatur billigt man das mehr zu, und der „Spiegel“ sucht die Illusion lediglich noch aufrechtzuerhalten, indem er alle halbe Jahre den Hitler aufs Cover druckt. Stattdessen können wir im Netz alle Quertreiber, von Aristocratic Metal bis Beethoven Ambient Crossover Lounge, von Anarchokapitalismus bis Nordkoreanostalgiefanclub in einer Geschwindigkeit finden und rezipieren, die für Hans Heinz Stuckenschmidt und Hans Werner Richter das nackte Grauen bedeutet hätte.

Nun bringt das uns Neue Musiker in die fatale Situation, dass wir zwar gehört werden, aber nur noch als Special Flavour zwischen all den anderen Abgefahrenheiten, die sich im Long Tail der durch das Internet verfügbar gewordenen Nicht-Mainstream-Erzeugnisse nebeneinanderreihen. Richtig? Ja. Vielleicht aber auch nur halb.

Richtig ist jedenfalls, dass das geschichtsteleologische Pathos der 50er heute kaum mehr genießbar ist. Wenn es, wie von manchen Komponisten forciert, auf Teufelkommraus weiterpropagiert wird, wirkt es bestenfalls naiv und irgendwie süß. Trotzdem sträuben wir uns dagegen, uns so nahtlos einzureihen zwischen die zahllosen „Kling-wie-sonstwie“-Charakterisierungen der Abermillionen MySpace-Formatiönchen. Haben wir nicht unsere Geschichte? Haben wir nicht zehntausend Jahre abendländisch-kritischen Musikdiskurs? Haben wir nicht eine Ahnenreihe bis Perotin und nachgerade Orpheus, und ästhetisch-dialektische Heroenkaskaden à la Beethoven-Brahms-Schönberg-Lachenmann, flankiert von Theoretikern wie Adolph Bernhard Marx bis hin zu Adorno und Dahlhaus? Auch richtig. Aber was machen wir damit?

Aus der Bibel stammt das Wort, „an ihren Früchten solt ihr sie erkennen“. Anders gesagt: uns nützt der hehrste Anspruch nichts, wenn wir nicht einlösen, was wir beanspruchen. Wenn die Avantgardeband „klingt wie Red Hot Chili Peppers meets Spider Murphy Gang“ aufregender klingt als das neue Ensemblestück von Wolfgang R. (59), dann ist all der Beethovenbackground für die Katz. Dann diskreditiert er sich womöglich von selbst: wenn die Götter nicht helfen, dann sollte man sie gleich rausschmeißen.

Aber zum Glück ist dem ja nicht so. Zumindest nicht immer. Erfreulicherweise gibt es diese Momente, wo die integrativ-analytisch-historisch-fundierte-ästhetisch-kritische Kraft der Neuen Musik nicht nur große Reden schwingt, sondern begeistert. Das geschieht allerdings nur, wenn man die Dinge unaufgeregt angeht. Höchstleistungen entstehen nur in den Augenblicken, wo man nicht daran denkt, eine Höchstleistung erbringen zu müssen, sondern sich ganz dem Erbringen dieser Höchstleistung widmen kann. Und in diesen Augenblicken geht es eben nicht um Abgrenzung. Die Frage, ob Neue Musik nur ein Flavour im ästhetischen REWE des Informationszeitalters ist, spielt dann plötzlich keine Rolle mehr. Auch Beethoven wollte sich nicht gegenüber dem Bauerntanz profilieren. Er nimmt ihn sich einfach und macht etwas Unglaubliches draus.

Und dann bekommt Neue Musik womöglich wieder gesamtgesellschaftliche Relevanz. Vielleicht. Keine Ahnung. Einfach mal losmachen. Geht es denn überhaupt darum?

Nochmal zurück zu den werten Patriarchen der 50er Jahre. Würde man ihnen nicht gönnen, sie hätten auch schon von unserem reichhaltigen Tisch kosten können? Dann hätten sie nicht (wiederum – ist aber Zufall) Bernd Alois Zimmermann dazu zwingen müssen, seine 1950 entstandene brasilianische Fantasie Alagoana um 10 Jahre zurückzudatieren, wodurch das vermeintlich reaktionäre Machwerk, nunmehr 1940 im inneren Exil entstanden, urplötzlich zu einem beeindruckenden Dokument ästhetischen Widerstands wurde. Dabei haben die Herren ja durchaus gewusst, dass es Jazz gab, dass es Schlager gab, dass es südamerikanische Musik gab. Aber sie konnten das gut ignorieren. Sie konnten das ausblenden, ohne dass man sie deshalb vollkommenen Realitätsverlusts hätte zeihen müssen. Wer hingegen heute sagt, es gäbe kein Internet, und die Welt sei hinter der Säulen des Herakles vorbei, der ist ein Fall für den Psychiater. Wer sagt, den Zweiten Weltkrieg habe es nicht gegeben, ist ein Fall für die Klapsmühle, wer sagt, den Holocaust habe es nicht gegeben, ist ein Fall für den Staatsanwalt. Sagt Michel Friedman. Wer sagt, den Michel Friedman gäbe es gar nicht, ist ein Idealist. Und wer sagt, die Neue Musik gäbe es gar nicht, den muss man womöglich gar nicht einsperren. Er will vielleicht gar nicht das Volk verhetzen, sondern hat sich nur die falschen Files runtergeladen. Vielleicht ist es einfach so einer, der sich dazu bekennt, „eigentlich alles“ zu hören („Mein Musikgeschmack“) und der dann zielsicher genau das downloadet, was schon 20 Millionen andere, die „eigentlich alles“ hören, auch schon downgeloadet haben. Mit anderen Worten, es handelt sich hier schlicht und einfach um Kevin Normalconsumer, der zu Patriarchenzeiten Otto und noch früher Wilhelm Kaisertreu oder Johann Allerweltsleben hieß. Solche Leute hat es immer gegeben, das sind oft nette Menschen, manchmal sind es auch unsympathische Menschen, sie haben oft einen Beruf, den unsereins für langweilig halten könnte, und sie mögen dann halt abends noch ein bisschen Musik. Da is nix Böses dran. Und dann gibt es die anderen, die keinen Beruf haben oder ihn ständig wechseln oder einen haben, der ihnen kein Geld bringt, oder einen haben, der ihnen sehr schnell sehr viel Geld bringt, die jedenfalls den ganzen lieben langen Tag Zeit haben, um nach neuer Musik (die mit dem kleinen „n“) zu suchen. Einfacher gesagt: Die Leut sind halt teils neugierig, teils nicht. Gestern, heute und in Ewigkeit, daran ändert die digitale Revolution nichts, allenfalls daran, dass sie ihre Neugierde nunmehr schneller und exzessiver befriedigen können. Wuchs einst der Hunger monatelang ins Unermessliche, bis die nächste Notenlieferung von Bote & Bock eingetroffen war, welchselbige dann mit dem treuen Freunde am Fortepiano vierhändig durchexerziert wurde, so steht heute hemmungsloser Völlerei nichts mehr im Weg. Im Gegenzug haben wir auch mehr Menschen auf der Welt und können auch Chinesen und Chilenen rezipieren, sodass unterm Strich die Entdeckungsquote gleich bleibt. Circa alle Vierteljahre eine wirklich umwerfende Neuentdeckung, so mein höchst subjektives Resümee. Und, ja: Neue Musik ist auch dabei.

Martin Grütter

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42 Antworten

  1. Der obige Text soll scheinbar provozieren, wirkt auf mich aber eher kleingeistig bis reaktionär. Warum?

    Wer sagt, den Zweiten Weltkrieg habe es nicht gegeben, ist ein Fall für die Klapsmühle, wer sagt, den Holocaust habe es nicht gegeben, ist ein Fall für den Staatsanwalt. Sagt Michel Friedman. Wer sagt, den Michel Friedman gäbe es gar nicht, ist ein Idealist. Und wer sagt, die Neue Musik gäbe es gar nicht, den muss man womöglich gar nicht einsperren.

    Welchen Sinn machen derartige Gedanken in einem Blog über Zeitgenössische Musik? Ich kann hier nur Vermutungen anstellen: Wahrscheinlich geht es mal wieder um die (eingebildete) Allmacht der Politischen Korrektheit (hier personalisiert durch Michel Friedman – ein Jude, dessen Eltern im Holocaust umgebracht wurden), die, ja was denn nun?, etwa dem aufstrebenden Komponisten „Neuer Musik“ hierzulande Kompositionsverbote erteilt oder was?

    Gleich auf der Eingangsseite der von Moritz Eggert verlinkten Homepage zählt Martin Grütter seine „… heroes …“ auf. Neben Anton Bruckner und Johann Strauß finden sich dort Humoristen wie Helmut Qualtinger und Martin Sonneborn, aber auch, hoppla, Franz Josef Strauß, Wladimir Putin und, äh, Leni Riefenstahl.

    Grütters 20minütige Klavier-Impro aus dem Jahr 2008 klingt für mich erstmal hauptsächlich kraftmeierisch „atonal“ (so wie sich Grütter vorstellt, dass sich „Kevin Normalconsumer“ Atonale Musik vorstellt?!), unterbrochen von entweder ironisch/zynisch oder sentimentalisch gemeinten Reminiszenzen an Hotelbarmusik des 20. Jahrhunderts (die ich sehr schätze und oft spiele) bzw. vage Rachmaninow’sches.

    Von mir aus kann Martin Grütter ja gerne seiner „Heldin“ Leni Riefenstahl bsp.weise eine Klaviersonate widmen, Michel Friedman wird ihn wohl kaum daran hindern. Er kann auch z. B. ein Requiem auf Franz Josef Strauß schreiben, oder vielleicht auch eine Putin-Oper (obwohl es die vermutlich schon gibt).

    Ist das dann die Art neuartiger „Neuer Musik“, die Grütter anstrebt? Bekommt dann „Neue Musik womöglich wieder gesamtgesellschaftliche Relevanz“, wie Grütter sagt (Wieso „wieder“? Wann hatte sie die denn jemals?)?

    Es wäre dann tatsächlich eine „Musik von großer Radikalität“, wie Moritz Eggert eingangs sagt. Vorausgesetzt, man findet die Verehrung autoritärer Machtmenschen (Strauß, Putin) und nationalsozialistischer Hofschranzen (Riefenstahl) radikal, was ich ja nun weder von Martin Grütter noch von Moritz Eggert glaube!

    Aber ok, ok, ich will hier nicht den Georg Diez geben (vgl. die aktuelle Debatte um Christoph Krachts Roman „Imperium“) – vermutlich handelt es sich ja bei Grütter um einen musikalischen Sonneborn, einen Humoristen der Neuen Musik, der mit seiner „Radikalität“ lediglich verkrustete Denkweisen etc.

    Aber ich find’s halt nicht witzig.

  2. Erik Janson sagt:

    Ich schließe mich da größtenteils dem Urteil von Stefan Hetzel an. Aber dazu dennoch ein paar eigene Gedanken/Ergänzungen. Zunächst zur Improvisation (Link): Sie wirkt auf mich ein wenig gequält (sorry), Polystilistik gepaart mit Neoromantik bei Dämmerung und Kerzenschein. Es sind nur die Konturen des Genius zu erkennen, der da improvisiert. Absicht? Oder ist das alles gar algorithmisch ausgeklügelt (weil er ja immerhin – hört hört – bei KYBURZ studieren durfte!). Egal, aber ob das das Ergebnis, was an die Ohren dringt, deswegen anspruchsvoller macht? Ich könnte mich nun auch hin setzen, stundenlang hemmungslos an meinem Klavier irgendwelche Schinken bei Kerzenschein improvisieren, diese bei Youtube hochladen. Aber wer hat was davon? Gut: es schadet auch keinem…

    Jaja, das Internet. Es bietet halt grenzenlose Möglichkeiten. Wer sagt, er brauche das nicht, bzw. wer sich da in seiner Präsentation bescheidet, der ist vielleicht in den Augen dieser jungen, wilden Generation, die alles, immer und überall von sich preis geben muss, hoffnungslos zurück geblieben (oder auch ein Fall für die „Klapse“?).

    Aber, wenn man schon selbst ein wenig (wie durch schimmert) des „Verschwindens im Überfluss“ (der Internetmedien) überdrüssig zu sein scheint. Muss man dann selbst alle diese Möglichkeiten nutzen oder geht man nicht besser mal in sich und überlegt oder reift erst mal (mit oder ohne Leni REIFEN- äh Riefenstahl)? Kurzsichtig und eindimensional erscheinen mir überdies seine Verlautbarungen über Bernd Alois Zimmermann. Seinen Ausführungen über z.B. Beetthovensche Bauerntanz-Inspirations-Unbekümmertheiten ist indes durchaus etwas ab zu gewinnen. Und auch der Frage „Was machen wir aus unserer Tradition“?

    Dennoch: So genial und messerscharf denkend oder außergewöhnlich wie angepriesen finde ich Martin Grütter, zumindest in diesem vorgelegten Artikel, nun nicht. Er wirkt auf mich eher ein wie Sammelsurium an kraftmeierischen, ungeordneten, schnell hin geworfenen, abschweifenden Gedanken, das den Leser fragend zurück lässt (vielleicht Absicht? Ein Zeichen von Genialität? Aber ich habe da meine Zweifel.) Eher ein wenig jener postmodern-zynische Schreibstil, der das Nur-Keine-eigene-Position-Beziehen bzw. die Haltung des unbeschwerten Drauflos-Wurschtelns im allgemeinen Anything Goes und „Alles ist Geschmackssache“ glorifiziert, den man x-fach heute antrifft; somit: ein bisschen mainstream).

    Es fällt schwer zu ergründen, was er eigentlich SELBST ästhetisch oder geschweige denn kulturpolitisch sagen will, bzw. ob er in zum Meer der 1000 Möglichkeiten irgendeine eigene Position einnimmt.

    Einzig diesen Satz Grütters kann ich mit empfundener Sympathie unterschreiben:

    Einfacher gesagt: Die Leut sind halt teils neugierig, teils nicht. Gestern, heute und in Ewigkeit, daran ändert die digitale Revolution nichts, allenfalls daran, dass sie ihre Neugierde nunmehr schneller und exzessiver befriedigen können.

    Aber gut. Das wissen alle mittlerweile.
    Aber welche Konsequenz zieht man selbst in seinem Denken und Komponieren daraus? Genau da wird es spannend.

    Guten Abend allerseits, Erik J.

  3. Goljadkin sagt:

    @ Erik Janson:

    Ich habe nirgendwo gelesen, daß Grütter als „Genie“ angepriesen wurde, finde also diese Vorverurteilung ungerecht.

    Des weiteren ist mir die Forderung nach „Unaufgeregtheit“, wie man sich denken kann, grundsätzlich erstmal sympathisch. Warum Grütter sich allerdings ausgerechnet auf die „Heroen“ der 50er / 60er Jahre des letzten Jh.’s eingeschossen hat, will mir nicht so recht einleuchten. Die meisten sind schon nicht mehr unter uns, und die anderen entweder als Komponisten gar nicht mehr wahrzunehmen oder auf die eine oder andere Weise irrelevant geworden. Zimmermann muß gegen niemanden mehr in Schutz genommen werden, das hat die Zeit von ganz alleine erledigt. Es scheint also eine Art Stellvertreter-Dissen zu sein, das Grütter hier vollführt. Vielleicht will er keinem Zeitgenossen auf die Füße treten, oder (und das fände ich irgendwie verständlich) er findet keinen ausreichenden Widerhaken bei einem der Zeitgenossen. Es gibt ja Naturen, die nur gegen geglaubte oder tatsächliche Widerstände kreativ anspringen (ich nehme mich da nicht aus, allem „Stoizismus“ zum Trotz…). Wenn man diese Widerstände in der Zeitgenossenschaft nicht zu finden meint, müssen halt die Alten herhalten.

    Zum „Draufloswurschteln“: Das wiederum halte ich überhaupt nicht für verkehrt. Ob es nun eine ratzfatz hochgeladene Improvisation sein muss, das sei mal dahingestellt. Aber möglichst vorurteils- und ideologiefrei, also bis zu einem gewissen Grad naiv oder wenigstens unbeschwert ans Werk zu gehen, das ist doch allemal erstrebenswert.

    Goljadkin

  4. Erik Janson sagt:

    @ Goljadkin,

    Gut, als „Genie“ wurde er nicht gerade hochgejubelt. Aber ein wenig Überspitzung/Übertreibung schien mir erlaubt, sorry wenn ich da jemanden mit verletzt haben sollte. Aber ich denke, das wird nicht so gesehen bzw. war durchaus nicht meine Absicht.

    Aber man lese mal Moritz Einführungs-Formulierungen zu dem Gastartikel: Z.B.

    heraus kam ein eigenwilliger Text, der wie ich finde sehr gut die ästhetische Position der jüngeren Generation beschreibt.

    Oder:

    was Stipendiat der Akademie “Musiktheater Heute” (die ein immer einflussreicherer Schmelztiegel junger Talente zu sein scheint).

    Oder:

    seine Musik von großer Radikalität.

    Und: Die Stipendien, die er jüngst erhielt 2011/12, da
    sind schon Schwergewichte und kleine Ritterschläge dabei, wie man zugeben muss [selbst wenn einen die großen Namen wie Deutsche Bank Stiftung im stoischen Sinn, immer mehr kalt lassen… ;-)].

    Was man ihm natürlich zu Gute halten muss: er ist noch jung. Es stecken sicher noch viele Potentiale in ihm. Vielleicht dürfen, ja MÜSSEN die Jungen auch noch unbekümmert sein (bzw. sich heute längst nicht mehr relevante 50er und 60er-Jahre Phantome/Strohpuppen nehmen, auf die sie eindreschen und die sie als „ungenießbar“ titulieren…). Vielleicht sind wir älteren ja auch durchaus pingelig, stellen an Junge (nur weil sie mal ein paar Jahre gefördert werden) Ansprüche, die wir vor uns selbst nur schwer oder nicht erfüllen könnten, stünden wir selbst so im Rampenlicht. Vielleicht ist das aber gerade wegen jener etwas indifferenten Haltung oder Nicht-Haltung (bzw. der Weigerung, klarer Position zu beziehen, sich von Dingen abzugrenzen), warum ein Komponist wie z.B: Martin Grütter gerade so gefördert wird und angesagt ist. Weil eine solche Haltung heute eben angesagt ist und als politisch korrekt gilt.

    Buona notte, Erik

  5. Martin Grütter sagt:

    also… Leute, darf ich die Diskussion mal ein bisschen deeskalieren?

    Erstmal: ja, der Text ist schnell geschrieben und erhebt nicht den Anspruch, der Weisheit letzter Schluss oder die ultimative Zusammenfassung dessen zu sein, was ich über Musik denken oder sagen kann. Wer was fundierteres möchte, auf meiner Website gibts z.B. einen langen Text über Virtuosität (das war meine Diplomarbeit), da kann jeder gerne reinlesen und dann auch gerne kritisieren. Unabhängig davon fände ich es aber schade, auf Schnellschüsse oder dadaistische Einsprengsel wie die zu Beginn von Stefan Hetzel zitierten Sätze zu verzichten. So ernst ist das alles doch auch wieder nicht. Auch wenn ich darum noch lange nicht der Sonneborn der Neuen Musik werden muss (allerdings gäbe es in meinen Augen weit schlimmeres, was man mir vorwerfen könnte).

    In die erwähnte Youtube-Impro hab ich zwar etwas mehr Zeit und Ambitionen gesteckt als in obenstehenden Text, und ich bin auch nicht der Meinung, dass ich dort „einfach irgendwas“ spiele (auch wenns keine Algorithmen gibt:), aber trotzdem bin ich nun mal in erster Linie Komponist. Wer meine Musik kritisieren will, gerne, aber die komponierten Stücke sind dafür sicher ein besserer Anhaltspunkt als eine Impro, in der es eher um speziellere Fragen geht.

    Als politischer Komponist sehe ich mich nun tatsächlich nicht. Schon gar nicht als einer, der klare politische Botschaften verkünden würde. Neben Frau Riefenstahl (die man filmhistorisch allerdings tatsächlich kaum unter den Tisch kehren kann, auch wenn ihre politische Botschaft fatal war) findet sich übrigens auch Laibach unter den „heroes“. Jene slowenische Industrial-Gruppe also, die durch provokativ-subversives Spiel mit Nazi-Klischees bekanntgeworden ist. Man kann natürlich auch das verurteilen und gefährlich finden. Nur wäre es unzulässig, deshalb zu schließen, Laibach seien Nazis („wir sind Nazis, wie Hitler ein Maler war“, sagen sie dazu). Oder ich sei ein Reaktionär, weil es auf der Website ein Bild von FJS gibt.

    Ebenso, wenn ich in rhetorischer Überspitzung auf die Serialisten eintrommel, heißt das noch nicht, dass ich denke, von ihnen gäbe es keine guten Stücke oder die 50er Jahre seien musikalisch für die Katz. Das ist eben der Vorteil der historischen Distanz, dass die Konturen schärfer werden und man klarere Antithesen zeichnen kann. Auch das kann man verurteilen, natürlich. Aber gerade deshalb, weil es für mich die Großväter sind und nicht die Väter, geht es eben nicht darum, mich jugendlich-provokativ gegen sie zu profilieren, sondern tatsächlich um ästhetische Fragen.

  6. olehuebner sagt:

    schade, dass der text hier so durchfällt. ich finde ihn fantastisch. einfach, weil die neue musik hier in ihrer rolle im kontext von zeit(-geist) und gesellschaft sehr realistisch und sachlich betrachtet wird. die neue musik ist eben nicht das, als das man es in den 1950er-jahren betrachtete, das war es damals nicht und heute schon gar nicht. und selbstverständlich ist der serialismus mit schuld daran, dass die neue musik heute so uninteressant für das publikum ist bzw. sogar mit abscheu betrachtet wird. das ist ja ein großes problem: das publikum (aber auch viele musiker) sind bezüglich neuer musik durch die spaßlosigkeit des serialismus voreingenommen und sehen dadurch gar nicht, inwieweit sich die neue musik seit dem serialismus fortentwickelt hat bis heute. das ausklinken aus der gesualdo-bach-beethoven-mahler-schönberg-tradition ist, glaube ich, für die junge generation mehr denn je ein wichtiges thema, gerade vor dem hintergrund des internets und all der anderen musik, mainstream und nicht-mainstream, die durch das internet verfügbar und eine bereicherung auch für uns komponisten geworden ist. wie hirnrissig wäre es da für die neue-musik-szene, sich abzuschotten und das internet zu meiden. viel sinnvoller ist es doch, sich mit dem internet zu verbrüdern und all den tollen musikangeboten, die es dort gibt. daran kann doch die musik nur wachsen und sie gewinnt – das allgegenwärtige thema, nicht nur hier im blog, aber es gehört auch zu den allerwichtigsten – an lebens-/realitätsnähe und klarsicht. und so verstehe ich auch martins text.
    nun wird ihm für diesen text mehreres vorgeworfen, etwa reaktionismus. die begründung: gedanken über menschen, die das internet, den zweiten weltkrieg oder den holocaust leugnen, hätten in einem blog zu neuer musik nicht zu suchen. äußerst schade. denn musik, die dies tut, gibt es ohne ende. das ist keine musik, die das internet oder den holocaust bewusst leugnet. aber es ist musik, die einfach zeitgeschichte ignoriert. eine neue musik, die weder im internet präsent wäre noch die fundgrube internet in irgendeiner form nutzte, würde das 21. jahrhundert genauso „leugnen“ wie jeder komponist oder tonsetzer oder was auch immer, der im jahre 2012 (nach 1. weltkrieg, weimarer republik, weltwirtschaftskrise, 2. weltkrieg, holocaust, kaltem krieg, deutschem herbst, fall des eisernen vorhangs, 11. september 2001, irak-krieg, weltfinanzkrise …) adagii in g-dur im stile von anton bruckner schreibt. das ist nicht mehr und nicht weniger als leugnung von realität. und das hat in einem blog über neue musik etwas zu suchen, aber hallo. auch wenn kaum ein komponist sich öffentlich hinstellen und sagen wird, das internet gäbe es nicht. genug leute tun es mit ihrer musik.
    anderen kommentaren kann ich entnehmen, sofern ich sie richtig verstehe, martin sollte sich mal nicht so anstellen. sondern er sollte sich mal lieber ein bisschen abgrenzen von all dem zeitgeist. und der bösen pop-musik. etwas dogmatismus täte ihm auch gut. (ich übertreibe, aber so ist es doch gemeint, oder nicht?) nun, dazu sage ich nichts weiter, weil ich es ganz und gar entsetzlich finde.
    ich konnte martin übrigens vor knapp zwei wochen in köln mit einem seiner werke erleben. ein stück für flöte, klarinette, klavier und drumset. ein fantastisches stück, eine echte entdeckung. ein feuerwerk von komplexität, energie, trash und körperlichkeit. auf diese musik lasse ich nichts kommen.

    lieber moritz, danke für diesen artikel!
    gute nacht
    ole

  7. Alexander Strauch sagt:

    Macht mal halblang, Leute! Der Erkenntnisgewinn aus Martin Grütters ist keine Neue Ideenlehre. Er gibt vielmehr einen Eindruck, wie heute über Musik, Neue Musik gedacht wird. Die Probleme mit dem Verständnis von mit dem Adjektiv „neu“ und „Neu“ oder gar „NEU“ versehener Musik, den verschiedensten Meinungen der vox populi, was dies sei, das ist leicht zu ergoogeln. Und das Internet? Das dient selbst den rückständigsten Musikfans als Info, sobald DSL und Rechner funktionieren. Ja, sucht man Musik, so findet man sie in vielen Fällen bzw. kann sie vorhören und antik postalisch bestellen. Dabei ist das einzige Ärgernis, dass der Bote immer dann die Neue Musik CD zustellen möchte, wenn man ausser Hause ist und die Abholwege immer weiter werden. Ich für meinen Geschmack bevorzuge tatsächlich ganz schnell als mp3 oder Stream verfügbare Musik, am Besten gleich mit einigermassen zu entziffernden Notentexten, man will ja gleich die Notationsmethode erfahren. Und natürlich lausche ich der Musik gerne auch ohne Noten, nur: Was soll ich lügen. Wenn das Stück umfassend verfügbar ist, dann wird es gleich umfassend angehört oder konsumiert oder angesehen und manchmal auch studiert. Meist sind es die Zufallsaktionen, die nach Grütterscher Quartalsuhr zum Ergebnis führe, manchmal gilt Strauch- oder Buschzeit im Entdecken – welche Längeneinheiten das übersetzt auch bedeuten mag.

    Es gibt eben Alles nebeneinander: Softpop, Hardrock, Filmmusik (z. Zt. höre ich gerne Italo-Western-Socres…), unbekanntere Klassik (wer kennt die Danaiden von Salieri?), noch unbekannteres Neues (wer kennt Bocourechliev – KEIN frz. Musik-Bocuse!), usf. Man informiert sich über Ruth Berghaus Inszenierungen, ohne gleich umfassend sämtliche ihrer DVDs zu bestellen. Der Zugang ist unglaublich breit, das Spezielle manchmal leider nicht auffindbar, die Verweildauer oft ein wenig kurz. Wenn es aber funzt, ist man genauso mit der Aufmerksamkeit dabei, als habe man endlose prall gefüllte Karteikästen in Bibliotheken durchforstet, karge verschlüsselte Angaben gelesen und nichts oder erst nach langer Zeit überhaupt das Gesuchte gefunden zu haben. Im Internet bekommt man so zumindest selbst vom Überflogenen, vom falschen Ergebnis etwas mit. Das ist dann oft nur ein Bröckchen von Bildung, aber besser überhaupt eines als keines.

    So findet man Bruckner neben Grütter: Übrigens habe ich bisher nur Bruckner-Sinfonie-Adagios mit mind. 4 Kreuzen oder 3 B’s gefunden… Hört man nun Grütter fällt auf, dass tatsächlich verschiedenste Stilistiken ineinandergreifen, als Mini-Versatzstück im grösseren Zusammenhang. Und jene Impro? Ich höre in dem Fall lieber Komponiertes, würde gerne annähernd so Klavier spielen können. Aber das wird nix mehr, da ich Tastenmusik für meinen Geschmack eher meide denn liebe. Was andererseits wieder gar nicht stimmt, sobald ein Orchester dazu tritt – ich liebe jede Art von sinnloser oder sinnvoller oder aufbrechender Klavier-Orchestermusik. Ohne Orch. – da fehlt mir was… Aber was soll dieses Playlistgedöhns! Ich wünsche mir noch manches von Grütter mal zu hören und ich hoffe, dass er seine spürbare Kraft nicht zu oft verschüttet, sondern sie noch krasser massiert oder auch mal Lust zu Leere walten läßt. Erstaunlicherweise haben da pianistische Komponisten immer eine Angst, wenn der Klang mal zu lang verstummen könnte. Als Streicher-Kompi tut man sich da immer etwas leichter!! Oder salbadere ich vor mich hin? Wurstomat! Wer genau im Netz hinsieht findet wirklich so Konträres wie Katzenstreicheln oder Massenexekutionen! Da wird einem Angst und Bange, da kann man aber auch Kraft daraus ziehen – nicht aus den Tieren oder den Tötungen, nein aus der Reaktion darauf, aus einer inneren Wut, dies nur oder Gott sei Dank nur am Rechner zu sehen. Und so gibt es heute weniger die Frage nach 7 oder 77 Tönen, sondern nach selbst gesehen, gut informiert fremdgesehen, mit Scheuklappen gesehen, gar nicht gesehen, wobei gesehen mit gelesen und gehört vertauscht werden kann. Amen.
    A.S.

  8. Goljadkin sagt:

    @ Martin Grütter:

    Anscheinend muß ich in meiner Aussage doch etwas zurückrudern. So einfach kann man es sich nun doch nicht machen. Ich bin immer gerne bereit, das Werk vor den Künstler zu stellen und kleinere oder auch größere politische Fehleinschätzungen, Ungeschicklichkeiten oder schlicht Dummheiten zu übersehen, wenn denn das Werk eine entsprechende Qualität hat. So interessieren mich Weberns poltitische Ansichten herzlich wenig bzw. kann ich sie bewußt ausblenden, ebenso die von Schönberg, von Wagner; und auch nicht diejenigen von Frisch, Brecht, Eisler und vielen anderen. Aber solche Statements:

    Jene slowenische Industrial-Gruppe also, die durch provokativ-subversives Spiel mit Nazi-Klischees bekanntgeworden ist. Man kann natürlich auch das verurteilen und gefährlich finden. Nur wäre es unzulässig, deshalb zu schließen, Laibach seien Nazis (“wir sind Nazis, wie Hitler ein Maler war”, sagen sie dazu).

    sind für mich das Eingeständnis künstlerischen Bankrotts. Jegliche Art von Nazi-Vergleichen oder Nazi-Anspielungen (v.a. ja beliebt bei den politischen Parteien) scheinen mir immer dann herangezogen zu werden, wenn einem nun wirklich gar nix anderes mehr einfällt. Das ist weder provokativ, noch „gefährlich“ sondern einfach nur doof. Zumal der Satz: „wir sind Nazis wie Hitler ein Maler war“ überhaupt keinen Sinn ergibt: Dilettieren sie als Nazis, so wie Hitler als Maler dilettiert hat? Wären sie gern bessere Nazis, so wie Hitler gern ein besserer Maler gewesen wäre? Wären sie gern berühmtere Nazis, so wie Hitler gern ein berühmterer Maler gewesen wäre? Wollen sie ihr nicht als ausreichend empfundenes Nazi-Sein durch größenwahnsinnige Kunst kompensieren, so wie Hitler sein als nicht ausreichend empfundenes Künstler-Sein durch größenwahnsinniges Nazitum kompensieren wollte? Ich verstehe das nicht…

    Ratlos

    Goljadkin

  9. Martin Grütter sagt:

    @olehuebner:

    ich konnte martin übrigens vor knapp zwei wochen in köln mit einem seiner werke erleben.

    ah schön, das freut mich!

    @Goljadkin:
    also, Laibach künstlerischen Bankrott vorzuwerfen, finde ich schon eher amüsant…

    @Alexander Strauch:
    ja, die Lust zur Leere: das stimmt, da habe ich wirklich ein Defizit. Dass das an meiner pianistischen Herkunft liegt, hab ich mir noch nie überlegt, ist aber ein interessanter Gedanke. Ich hab einfach immer ein Problem mit der niedrigeren Informationsdichte in „leeren“ Teilen. In einer Minute langsamer Musik passiert halt soo viel weniger als in einer Minute schneller Musik, wie will man das vergleichen und musikalisch sinnvoll damit umgehen? Aber vielleicht ergibt sich das jetzt in dem Musiktheater, das ich grad schreibe, durch die Szene ganz von selbst.

  10. Erik Janson sagt:

    @ Lieber Martin Grütter
    (wenn ich mir zur Deeskalation diese Anrede erlauben darf ;-),

    Bezüglich Deiner Kompositionen und Texte habe ich mich inzwischen genauer auf Deiner Website umgehört bzw. gelesen, soweit es meine knappe Zeit zulässt (weil ich nun aufgr. e. Krankheit noch viel an Komponieren etc. nun aufholen muss werde ich da leider nur sporadisch in nächster Zeit weiter lesen können) und muss sagen: beeindruckend (z.B. Tiefflug) und auch eine sehr professionelle, reif wirkende Präsentation! Da können sich viele Websites älterer Komponisten (inklusive meiner!) eine Scheibe von abschneiden.

    Bezüglich Deiner Diplomarbeit z.B.: Bin gespannt die zu lesen aber brauche dazu noch Zeit.

    Ich habe ja auch geschrieben: viel Potential. Dennoch habe ich so meine Probleme (generell inzwischen) mit diesen inflationären, relativ schnell dahin geschriebenen (das meine ich nicht nur auf Dich bezogen!) „Statements“ zu „Neue Musik und Medien“ etc. oder diesem „Was-denkt-wohl die-jüngere-Generation-dazu“ und habe vielleicht DESWEGEN was genervt bis bissig reagiert. Klingen solche Statements nicht alle irgendwie wie etwas zwischen Resignation, Ohnmacht und Ratlosigkeit, strahlen aber zugleich auch eine gewisse Indifferentheit bis affirmative Haltung gegenüber allem und jedem aus? [nicht dass ich ein Kulturpessimist wäre, aber o.g. fällt mir halt auf].

    Bzw.: brauchen wir noch viel solcher Texte [in dem Fall also eher eine Frage an Deinen „Aufgabensteller“]? Bzw. wie viele davon werden wohl noch geschrieben werden, bevor sich wirklich mehr konkret ÄNDERT?
    Es ist doch so: zu allem und jedem gibt hier in Deutschland mittlerweile jeder seinen Senf dazu, immer und überall. Es wird gelabert, gejammert, sich lustig gemacht, gedisst, dann wieder schön geredet was das Zeug hält. Aber WAS ÄNDERT sich? ZU WENIG bis zuweilen (oft genug): NUSCHT!

    Irgendwann kann man es nicht mehr hören…
    Geht Dir das nicht auch manchmal so?

    Dann lieber Diplomarbeiten über Virtuosität schreiben, mehr komponieren als improvisieren ( ;-) ), jeder MACHT sein Ding. Gerne: mehr davon !!!

    @

    Als politischer Komponist sehe ich mich nun tatsächlich nicht.

    Dazu finde ich: man kann nicht nicht-politisch sein, gerade wenn man von sich sagt, man sehe sich nicht politisch, dann ist man (auch) politisch … Und: warum ist das heute wohl so beliebt, dass die meisten Komponisen/Künstler von sich sagen „ich bin nicht politisch“/“will nicht politisch sein“ oder „ich kann dazu nichts sagen“ oder „ich bin ich“ … o.ä.? Ist es nicht auch so, dass man ansonsten aneckt, wenn man nicht so ist: sei es als „Moralapostel“ als „ewig Gestriger“ oder dass man dann direkt als „Außenseiter“ oder „böser Kapitalismuskritiker“ oder ähnliches in eine Ecke gestellt wird?

    Schon gar nicht als einer, der klare politische Botschaften verkünden würde.

    Ich ahne warum: Weil man natürlich nicht gerne in eine bestimmte Ecke (ganz gleich ob links oder rechts oder bürgerlich-konservativ) geschoben werden möchte. Aber dennoch: was wäre (i. Einzelfall) so schlimm daran, wenn mal wieder mehr Komponisten ihre Ansichten über Politik und Gesellschaft klarer zu erkennen geben würden bzw. könnten…(ich meine natürlich NICHT – plakativ – IM WERK bzw. mittels didaktischer Propagandamusik o.ä., das versteht sich von selbst). Aber: politisch denken, Farbe bekennen: Nono hat es gemacht, andre haben es gemacht. Und ist dieser Geist wirklich tod bzw. unumkehrbar „obsolet“ geworden heut zu Tage (für die alten wie die jungen)? Ich denke nicht. Da muss wieder irgendwann eine Renaissance kommen (vielleicht ist sie ja auch schon im Gange) – obwohl Du ja die „Renaissance“ auf Deiner Website auf der Seite jener Dinge stehen hast, die Du scheinbar nicht so magst…

    @ Ole Hübner: Das ist ja eine flammende „Verteidigungsrede“, die Du zu Martin Grütters Musik hier schreibst (siehe Schlusssatz ;-)). Schon gut, Ihr „jungen Wilden“, lasst die Schlagringe stecken. Und ich behaupte: dies BRAUCHT der gar nicht, lieber Ole, weil er 1. selbst weiß was er kann und auch andere hier im Blog wissen und hören können, was er kann.

    Und @

    eine neue musik, die weder im internet präsent wäre noch die fundgrube internet in irgendeiner form nutzte, würde das 21. jahrhundert genauso “leugnen” wie jeder komponist oder tonsetzer oder was auch immer, der im jahre 2012 (nach 1. weltkrieg, weimarer republik, weltwirtschaftskrise, 2. weltkrieg, holocaust, kaltem krieg, deutschem herbst, fall des eisernen vorhangs, 11. september 2001, irak-krieg, weltfinanzkrise …) adagii in g-dur im stile von anton bruckner schreibt. das ist nicht mehr und nicht weniger als leugnung von realität. und das hat in einem blog über neue musik etwas zu suchen, aber hallo.

    Dem Vergleich kann ich nicht zustimmen. Man kann nicht einfach von der Art der Präsentation von Musik/eines Komponisten [z.B. ob er das Internet/Youtube als MEDIUM nutzt oder nicht, ob er demgegenüber skeptisch ist oder eher positivistisch] auf „Realitätsleugnung“ schließen, oder dies einfach so vergleichen, als sei das ähnlich wie vermeintlich in „realität-konformen oder non-konformen Musikstilen zu komponieren. Welch eine Kurzsichtigkeit. Oder anders gesagt: Bruckner, auf Schellak-Platten gehört ist und bleibt genauso geil wie auf Youtube angehört… Aber hallo!

    Goljadkin: ich ertappe mich nun dabei, wie ich Ihrem letzten Statement @ dieser Grütter-Facette (?) UNEINGESCHRÄNKT ZU STIMME.

    Schönen Tag @ all,
    Erik

  11. strieder sagt:

    „[…] und selbstverständlich ist der serialismus mit schuld daran, dass die neue musik heute so uninteressant für das publikum ist bzw. sogar mit abscheu betrachtet wird. das ist ja ein großes problem: das publikum (aber auch viele musiker) sind bezüglich neuer musik durch die spaßlosigkeit des serialismus voreingenommen […]“

    Korrektur am Rande: Nicht durch den Serialismus, sondern durch das Einzige, was von ihm erhalten ist: Die Vorurteile von anno dazumal.

  12. @Martin Grütter: Ok, es geht also um „ästhetische Fragen“, der Rest war „Dadaismus“. Schön und gut.

    Darf man Sie dann wenigstens einen „rechten Komponisten“ nennen? Ich selbst bezeichne mich übrigens als linksliberal.

  13. Goljadkin sagt:

    @ Martin Grütter:

    Zur künstlerischen Bankrotterklärung vergleiche man das:

    http://www.laibach.nsk.si/l3.htm

    mit dem:

    http://wtc.laibach.org/

    Pseudo-irgendwas-consciousness-Gelaber vs. nacktes Merchandising wie bei jeder Lady Gaga, Madonna, Justin Bieber, you name it…

    Also was ist nun das „provokativ-subversive Spiel mit Nazi-Klischees“? Nicht vielleicht doch bloß eine „geschickte“ Vermarktungsstrategie? Stehen die Nazi-Elemente doch nicht umsonst in dem „Manifest“, oder was auch immer das sein soll, direkt neben disco … ist ja eh alles dieselbe Soße.

    Goljadkin

  14. strieder sagt:

    Ein paar Gedanken zu den Comments …

    „Internet nicht ignorieren“ … was bedeutet das genau? Ein Stück für 3 MySpace-Accounts? Ein Stück über MySpace? Ein Stück gegen MySpace? Schade nur, wenn kein Hahn mehr nach MySpace kräht, weil alle auf facebook sind ;) Oder dem nächsten grossen Ding, wenn schon keiner mehr weiss, was „MySpace“ war … oder „Compuserve“ … Natürlich kann und sollte jeder machen was er will, aber doch nicht gleich wieder behaupten dass alle, die es nicht so machen, schlechte Komponisten wären oder Komponisten von vorgestern … dieses gegenseitige bashing geht mir sowas von auf den Keks, das glaubt ihr gar nicht (o.k., ich habe jetzt auch ein bisschen gebasht) ;)

    „Wer den Serialismus in seinen Kompositionen ignoriert, ist nicht relevant.“
    „Wer das Internet in seinen Kompositionen ignoriert, ist nicht relevant.“

    Alles austauschbar …

    Was mich auch verwundert, ist, das man als Komponist in der Neuen Musik unbedingt dazu gezwungen wird, Pop-Musik gut or relevant zu finden – warum dürfen allerdings die Death Metaller, Noise Industriellen, Breakcoreler usw. usf. denn ungeschoren davon kommen und Pop als für als völlig irrelevant für ihr Leben und ihren Livestyle empfinden? Nur gut, das ich Death Metal-Liebhaber bin, so bin ich wenigstens höchstens nuuur halb im Unrecht, wenn mir 99% der jew. im Radio schleife laufenden Stücke nicht gefallen … (wobei der Erfolg der Pop-Musik für mich nur ein angeblicher ist, denn wenn in allen Medien ausschliesslich Pop gespielt wird, bedarf es ja schon einer erheblichen Anstrengung alleine es nur für denkbar zu halten, es gäbe noch etwas anderes … Den Kubismus kann man ja auch nicht vermissen, es sei denn man ist Picasso oder Braque und erfindet ihn selbst.)

    Desweiteren wird so gerne Argumentiert, das man nicht ignorieren könne, wie die eigene Generation nun mal ist, und in was für einer Erlebniswelt sich diese befindet usw. usf. … also da ist mir meine eigene Individualität aber lieber …!

    Und in wie weit war Bruckner denn in mitten seiner Generation? Der war doch ein völliger Aussenseiter, und was in seiner Musik politisch motiviert war, ging wohl voll daneben [zumindest habe ich das mal so gelesen – man möge mich korrigieren und entschuldigen, aber Bruckner war für mich nie von grossem Interesse, wie auch sonst alles vor 1909 (Schönberg op. 11) bzw. 1910 (Mahlers Zehnte) bzw. 1911 (Skrjabin op.61) …] – das ist ja auch die Gefahr, das man wie Beethoven den Namen „Napoleon“ ausradieren muss.

    Wohl dem, der keine Wulff- oder Guttenberg-Sinfonie geschrieben hat …

  15. Erik Janson sagt:

    Uff – Es zerfaselt hier gerad mal wieder…

    @

    man möge mich korrigieren und entschuldigen, aber Bruckner war für mich nie von grossem Interesse, wie auch sonst alles vor 1909 (Schönberg op. 11) bzw. 1910 (Mahlers Zehnte) bzw. 1911 (Skrjabin op.61) …] – das ist ja auch die Gefahr, das man wie Beethoven den Namen “Napoleon” ausradieren muss.

    Na dann: bitte nachsitzen, Mr. Heavy Metal ;-)

  16. Erik Janson sagt:

    @ Martin Grütter:

    Ich hab einfach immer ein Problem mit der niedrigeren Informationsdichte in “leeren” Teilen. In einer Minute langsamer Musik passiert halt soo viel weniger als in einer Minute schneller Musik, wie will man das vergleichen und musikalisch sinnvoll damit umgehen?

    Antwort: Ausprobieren.
    Mir ist allerdings eine solche Haltung und eine solch ehrliche Antwort 1000 mal sympathischer als jenes – zum Glück langsam obsolete – Gefasel und Geblupse der Stille-Terroristen und Geräuschklischee-Fetischisten. Die könnte ich immer noch zum Mond schießen.

  17. strieder sagt:

    @Erik: Habe schon nachgesessen und mich gezwungen, aber das Interesse ist eben einfach wieder komplett verschwunden ^_^; Es gibt auch einfach zu viel Zeug NACH 1909 zu entdecken, das ich eben viel toller finde und mir auch viel mehr Spass macht zu hören (auch den Boucourechliev! Miroir 2 – Toll! Oder kennen denn alle hier das geniale Streichquartett von Ruth Crawford-Seeger? Wenn nicht – nachsitzen!) …

  18. olehuebner sagt:

    und jetzt herzlichen glückwunsch an martin grütter, so kontrovers ist hier ja schon lange nicht mehr diskutiert worden. hut ab!

  19. Martin Grütter sagt:

    oh Leute, ich glaub ihr überfordert mich gerade mit dieser Textflut! Ich versuchs trotzdem mal der Reihe nach…

    @Erik Janson: danke für die weitere Deeskalation und das Urteil über den Tiefflug! Ja klar: natürlich wird sehr vieles (vielleicht zu vieles) schnell geschrieben, und gerade im Internet flimmern einem dann die verschiedenen Halbgarheiten um die Augen und das nervt einen irgendwann. Das verstehe ich gut. Ich wollte nur darauf hinaus, dass ich das umgekehrte Extrem („alles was ich schreibe oder veröffentliche, muss 150% durchdacht und druckreif sein“) auch nicht so sinnvoll finde. Als Ideal würde mir (für theoretische Äußerungen gleichermaßen wie auch fürs Komponieren) eine kalkulierte Mischung aus fundierter, stringenter Argumentation/Konstruktion einerseits und unreflektiert-unbekümmertem Drauflosmachen andererseits vorschweben.

    Zum Thema „politischer Komponist“: ja, irgendwie politische Konnotationen schwingen natürlich oft mit. Ich habe natürlich auch konkretere politische Meinungen zu vielen Themen, aber ich möchte vermeiden, dass meine Musik dann gleich in Hinblick darauf gehört wird. Denn über Politik lässt sich halt (in Foren, in Kritiken, im Kompositionsunterricht) viel leichter kommunizieren als über innermusikalische Strukturen. Von daher besteht immer die Gefahr – wie ja auch zu Anfang in diesem Thread – dass die politische Dimension gleich alles andere subsumiert. Das möchte ich gerne vermeiden – gerade weil das politische, wie Du sagst, „sowieso“ immer latent dabei ist.

    @Stefan Hetzel:

    Darf man Sie dann wenigstens einen “rechten Komponisten” nennen?

    falls Sie „rechter Komponist“ verstehen als „richtiger“, „vollständiger“ Komponist, im Sinne von „rechter Schlawiner“, dann gerne. Ansonsten nicht. Jedenfalls nicht zutreffend.

    Ich selbst bezeichne mich übrigens als linksliberal.

    hmpf, hatte ich mir beinahe gedacht… :)

    @Goljadkin
    auch hier bin ich der Meinung, dass man Laibach lieber nach ihrer Musik beurteilen sollte als nach ihren Internetauftritten – wobei mir nichtmal klar ist, ob die Merchandisingseite wirklich von Laibach selbst ist. Einer meiner Lieblingstitel der Band ist Geburt einer Nation. Das ist eine Coverversion von Queens „One vision“, in der sie den englischen Text ins Deutsche übersetzen, woraufhin der sich plötzlich unglaublich faschistisch anhört. Aus „One flesh, one bone, one true religion, one voice, one hope, one real decision“ wird z.B. „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube, ein Ruf, ein Traum, ein starker Wille“. Sinnfälliger habe ich die latent faschistoiden Funktionsweisen von Popmusik selten entlarvt gesehen.

    @strieder: ja, ich finde auch nicht, dass man als Neue-Musik-Komponist Mainstreampop nun unbedingt für relevant halten muss. Jedenfalls nicht mehr oder weniger als ein Death Metaller oder ein Alte-Musik-Experte. Ich denke nur es gibt einen Unterschied zwischen einem selbstgenügsamen, in seine Welt eingeigelten Spezialisten und einem neugierigeren Geist, der dann vieles trotzdem schlecht oder uninteressant finden kann, aber trotzdem prinzipiell offen für das Unerwartete bleibt.

    und zu guter letzt

    @olehuebner

    so kontrovers ist hier ja schon lange nicht mehr diskutiert worden.

    na das ist ja schön! – und dass es jetzt (anders als ich zuerst befürchtet hatte) doch kein reines Grütterbashing geworden ist, freut mich auch…

  20. Alexander Strauch sagt:

    Kontrovers? Soll ich lachen?! Ein wenig über „Ankündigung eines Superkomponisten“ geredet, ein wenig ein Historikerstreitlein entfacht und wieder ausgetreten… Das sind vielleicht gegensätzliche Stellungnahmen, in unserem Diskursbrei ist es für mich maximal „nicht-identisch“. Ich muss wohl ein wenig Öl ins Feuer giessen: Dass es um „Unaufgeregtheit“, „gute Musik im Moment des Nicht-diesem-Phantom-Hinterherlaufens“, „Klischees und Vexierspiele damit“, „Allverfügbarkeit im Netz“ geht, ist ersichtlich. Nur, sind das nicht Allgemeinplätze, über die man sich ein wenig gegenseitig aufkratzt und dann wieder „wir sind lieb zueinander“ beschwört? Die Frage „politisch/unpolitisch“ ist nicht durchgewalkt worden – was durchaus o.k. sein mag.

    Nur: Würde Georg Diez tatsächlich sich an den z.T. nur-konservativen bis fast-nazionalsozialistischen/faschistischen Heroen auf Grütters Homepage „satt sehen“, den Blog-Text und Grütters erste Kommentare lesen, dann flögen hier wirklich Kracht-Fetzen, dass es kracht. Wobei: Was will der Diez eigentlich?

    Hier wird mit Ironie am Abgrund argumentiert, kommt aber über Prime-Time-Aufreger im deutschen öffentlich-rechtlichen Infotainment nicht hinaus! Sich ein wenig über Nazis oder die erzkonservative Bonner Republik mal so lustig zu machen, das „rrr“ besonders deutsch-österreichisch schauspielerisch-pathetisch zu rollen oder Boulez‘ Dienerglocke samt französischen „Schöfferhoferakzent“ zu imitieren, dass führt zu gar nichts. Das ist in manchen Runden garantiert auch mal witzig – aber mehr wird nicht verhandelt. Ich kann dem Text überhaupt keine Vision ausser einer Zustandsbeschreibung der Jetzt-Zeit entnehmen!

    Es ist sogar sehr legitim sich auf slowenische Faschisten-Veräppler-Rocker zu beziehen. Aber was soll uns das mehr sagen, als diese Musiker uns sowieso schon sagen? Ich sehe nur diese Aufzählung der Heroen – ich sehe aber keine ansatzartig begründete Begeisterung, deren Erklärungs- und Annäherungsversuch, es sein denn man bezeichnet die allgemeinplatzhafte Jetztzeit-Beschreibung als Annäherung. Dies ist dann aber so schwächelnd, wie tatsächlich unsere ECM-Stille-Heinis manchmal so langweilen.

    Vielleicht bin ich wirklich ein wenig blind, dumm, doof? Ich habe Ihren Beitrag und alle Kommentare dazu ca. sechsmal gelesen, ich finde aber nicht des Pudels Kern!

    Ich vermisse:
    – Warum v.a. diese „rechten“ Heroen? Wo bleibt eine so schillernde Gestalt wie D’Annunzio, den ich selber auch nicht zum Heroen erklären würde. Aber so schillernd, politisch und ideologisch-religiös rechts und links durchlebend, also unglaublich politisch, aber doch wohl v.a. egomanisch, also letztlich un-politisch, ausser Politik ist massenbegeisterndes Zeitgeistvehikel.
    – Warum nicht so ein Wahnsinniger wie Ernst Toller? Der hat eine Revolution als einer der wenigen ernstzunehmenden Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitgestaltet, verantwortet, verlassen, gebüsst, bezahlt! Letztlich sind diese Leute, die mit Juchhei sich und andere in den potentiellen oder tatsächlichen Tod führen, getötet werden oder töten letztlich qualitativ auf derselben Menschenverachtung, liegt das Quantitative in erdrosselt oder selbst aufgehangen – Todessehnsucht trieb und treibt sie Alle um! Immerhin ist Toller mitunter einer der Gründe, warum Dachau auf seinen Namen im 20. Jahrhundert ein wenig, ein klitzekleines bisschen stolz sein darf ausser als kuschliger Vorort Münchens mit Alpen- und Frauenturmpanorama: Toller führte die einzig erfolgreiche Schlacht, eher wohl Scharmützel, der Räterepublik gegen die von der Mehrheits-SPD zu Hilfe gerufenen Freikorps an.
    – Warum diese Friedman-Wortspielchen? Warum nicht die Grundzüge eines Opernplots, der die obersten Nazietagen so richtig durch den Kakao zieht, richtig geschmacklos, echt widerlich – aber eben wohl auch mal nötig, nach all den ernsten, kitschlastigen Holocauststücke? Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, wirklich ein Spiel mit den immer noch – sehr wohl auch zurecht – betroffenheitsbelasteten Haltungen der aktuellen Berliner Republik? Ein Leni-Riefenstahl-Grusical, deftiger als es Kresnik je sein könnte?

    Damit würden Sie tatsächlich den Laden sprengen. Allerdings traut sich heute kein Opernhaus, selbst den Ring Wagners oder heftige Plots der klassischen Götter- und Heldenstoffe wirklich politisch, jetztzeitig zu deuten: Es treibt nicht die Ausdrucks- und Aussagekraft der Künstler die Häuser um, sondern nur die Angst vor weiteren „Misserfolgen“, „Skandalen“, die wirklich Krach machen würden!

    Was machte denn die letzten Jahre Krach?! Z.B. der Skandal Eggert-Schlingensief um Freax, letztlich eine Angst des Regiesseurs bzw. ein individuelles Nichtzusammenpassen von Musik und Regie. Immerhin fetzte und krachte es in der Diskussion darum so richtig. Nicht dass ich das jetzt unbedingt möchte – obwohl… Oder der Streit um das Dror-Feiler-musica-viva-Stück, das sich als Lärmposse ersten Ranges erwies, ein wenig aufgeladen… Sonst? Die üblichen gnadenlos selbsteferentiellen Musikbusiness-Aktionen, immerhin richtig alltagspolitisch, wenn ich jetzt mal das hohe Ross ergreifen darf. Aber sonst? Nettigkeiten der Arrivierten, hochkulturelle Psychologisierungen immer gleichen Musters am laufenden Meter.

    Natürlich verteidige ich dies erstmal lieber, als ich dies zugunsten von Zuschauerquotengeilheit einstampfen würde. Und natürlich gibt es immer wieder kleine Juwelen zu entdecken, egal ob ganz neu oder ältere Neue Musik oder sonstige Musik. Ja, besonders durch das Netz vereinfacht! Nur um kurz zum „flavour der Neuen Musik“ im sonst gleichgedaumten Button-Up&Down-Welt: Sie steckt ja im Netz. Die sie suchen, finden sie, die sich von auch immer abenteuerlustig zu ihre heranklicken, wunderbar! Das mag vorerst mal genügen.

    Dennoch vermisse ich die Lust der Musiker, der Komponisten, richtig musikalisch um sich zu ballern, eben doch aufzuregen, zumindest auf der verflixten Opernbühne, oder doch mal wieder wahnsinnige Computerzyklen oder verrückte Sinfonien. Eben nicht nur das Bedürfnis, Ereignisdichte v.a. aus Angst vor der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit der eigenen Stille abzufackeln. Da wird gerne immer wieder ach so breite U-Musik oder Mozart ins Feld geführt, das Wuseln durch Stiletikettlein. Aber interessiert man sich doch nicht letztlich für die Extremzustände, für Komturszene oder Idomeneostürme oder d-Moll-Klavierkonzert oder andererseits Figaro-Akt-II-Finale oder wirklich mal rasende, holpernde Finali, womit man wieder bei der letzten g-moll-Sinfonie wäre? Oder eben lieber doch die Neunte und Achte Bruckners, ja die Zweite und Linzer Erstversion als den ganzen Rest?

    So aber erscheint mir dieses vorsichtige Kopfeinziehen, Nettsein, bei gleichzeitiger real-existierender Maximalbrutalität und Perversität im oberen Fünftel der Neue-Musik-Szene? Es erinnert an die Zeit, als Schumann beklagte, dass eine Epoche letztlich doch goodfeel und Easy-Listening auf allen Ebenen betrieb, so radikal die damals auftrumpfenden bürgerlichen Ur-Virtuosen waren – aber das Terrain betrete ich lieber nicht – und sich der Geschmack auf dem Niveau von Gebet einer Jungfrau bewegte? Wo ist neben all der perfekten komponierten Form und Effektbeherrschung, wie ich es Ihnen aus meiner Pompadour konzediere, der wirklich sichtbare und nicht nur versteckte Inhalt? Will sagen: Ich liess mit 23 auf der Bühne Darmspülungen und Kreuzigungen stattfinden, liess Schmeling gegen Louis boxen, stecke jetzt mitten in einem Netzprojekt und seinen real tödlichen Folgen, liess einigermassen Hitler&Eva singen – in ziemlichen Banalitäten, aber es wird wirklich Zeit für brutalste Komödien über diese Zeit: Da ergab sich dann doch ein Problem, das jeden mit dem „rrrr“-Feuer Spielenden treffen kann: Mein Librettist setzte sich durchaus kritisch mit Ernst Nolte auseinander, wird aber dann doch nicht nur konservativ, sd. am Rande zum Extremismus vereinnahmt. Dennoch gehört bewusstes Risiko gefragt und nicht nur Freunde imponierendes Zündelspielen!! Also: Wo ist Ihre Lunte, die Sie zünden würden und Ihre Reissleine, die Sie vor dem wirklichen Abdriften ziehen würden?

    Mal drüber schlafen, und morgen auf Antwort, oder auch Schweigen, gespannt.
    Gruß und Nix für Ungut für meine etwas drastischen Worte – aber es MüSSTE dann doch kontroverser werden, als diese risikoarmen Scharmützel aller Beteiligten,
    A. Strauch

  21. Alexander Strauch sagt:

    Eine der Quartalsentdeckungen beim Durchforsten alter Badblog-Seiten: Bob Ostertags „sooner or later“, von Johannes K. gepostet, unangenehm und berührend, den Vouyeur in mir entlarvend, keine andere Haltung zulassend, sonst müsste ich das Stück abschalten, simpel und doch im Inhaltlichen komplex genug, zu lang und zu kurz – schlicht apollinisch wie dionysisch. Das führt an eine Diskussion von künstlerischer Näherungsart an echtes, eigenes oder vorgefundenes Material im Netzzeitalter, wie ich oben sagte:

    „Und so gibt es heute weniger die Frage nach 7 oder 77 Tönen, sondern nach selbst gesehen, gut informiert fremdgesehen, mit Scheuklappen gesehen, gar nicht gesehen, wobei gesehen mit gelesen und gehört vertauscht werden kann.“

    So, und schilt mich einen Narr, einen Bärendienstler, einen Egomanen, einen Doofie, einen Wichtigtuer. Aber bitte, biiittteee – mehr Relevanz und Gehalt als diese ewigen Selbstironien im Umgang mit dem Leben…

  22. wechselstrom sagt:

    hier gehts ja wieder zu …

    @ Martin Grütter

    Das ist eben der Vorteil der historischen Distanz, dass die Konturen schärfer werden und man klarere Antithesen zeichnen kann.

    Ich behaupte mal das Gegenteil … das sich genau so „beweisen“ lässt:

    „Das ist eben der Nachteil der historischen Distanz, dass die Konturen verschwimmen …“

    Und hier sind wir beim eigentlichen „Problemchen“:

    Sie wollen kein politischer Künstler sein, setzen aber FJS ins Zentrum (und im Breitleinwand-Format) Ihrer Heroen-Liste; fein – Dada? – hmm oder Vermarktungsstrategie? – oder wie oder was …?

    Die alte Leni geht ja noch durch – es gibt sicher keine Foto/Film-historische Rückschau, die an Ihrem Werk vorbeikommt … richtig. Es gibt auch keine historisch ernstzunehmende Rückschau der Deutschen Historie, die an FJS vorbeikommt. – Aber er hat ein rein politisches Werk hinterlassen – und kein künstlerisches …

    Also doch politischer Künstler? – Bei FJS im Zentrum der Heroren auf jeden Fall – und auch mit einer eindeutigen politischen Botschaft.

    Schade, dass Sie sich der CSU so eilfertig ans Bein schmieren, denn Sie haben zweifellos künstlerische Talente, die es Ihnen ermöglichen, das Kriechen auf vier Pfoten zu unterlassen.

    – wechselstrom –

  23. wechselstrom sagt:

    p.s:
    was war jetzt nochmal der Vorteil der historischen Distanz – und wie nutzen wir ihn?
    Dass wir den einstmaligen Zweifel durch Heroisierung übertünchen – es ist zum Verzweifeln …

  24. Erik Janson sagt:

    @ Martin Grütter,

    und dass es jetzt (anders als ich zuerst befürchtet hatte) doch kein reines Grütterbashing geworden ist, freut mich auch…

    Vorsicht, der Rheinländer im allgemeinen (und ich im besonderen) kann jeder Zeit wieder los „bashen“… ;-)

    Was heißt das?:
    Vielleicht: mehr durchdachte (reflektierte) UNBERECHENBARKEIT [aber dabei doch sich treu bleiben, nicht verstanden als „Fähnchen im Wind wechseln“], sowohl im Umgang mit Noten als auch mit Worten in der Öffentlichkeit.

    Du fragtest Dich ja, wie man z.B. mit Stille bzw. mit langsameren Partien mit geringerer „Informationsdichte“ umgehen kann. Bzw. – anders gesagt – es ist doch die spannende Frage als Komponist, wie man den Dreh raus bekommen kann zwischen viel „Informationsdichte“ und Stille bzw. wenig(er) Ereignisdichte. Der Umgang mit Zeit, mit Wahrnehmung etc. Und dieses so moderne, gewaltige Wort „Informationsdichte“, das drängt ja die Frage auf: wie wichtig sind einem dann noch einzelne Töne, Intervalle, Ordnungsprinzipien, Ruhepunkte, Dramaturgie? Wo Alexander ja zu Recht gebetsmühlenartig hier Junge wie Alte immer wieder drauf stößt und nach fragt… Vielleicht liegt DA gerade (bzw. bei diesen genannten Aspekten) der Hase im Pfeffer…

    @ Alexander:

    Hier wird mit Ironie am Abgrund argumentiert, kommt aber über Prime-Time-Aufreger im deutschen öffentlich-rechtlichen Infotainment nicht hinaus!

    Ich stimme Dir voll zu, aber das sind ja von DIR auch ganz neue Töne. Einige Male, musst Du zugeben, hast Du hier auch Flämmchen entfacht, virtuos-wortgewandt und Feuerwerke von musikhistorischem und analytischen Wissen abbrennend (das muss man Dir immer lassen, Hut ab!) das Fingerhakeln angefangen; aber dann wurden Flämmchen oft zu schnell wieder ausgepustet (oder auspusten (ge)lassen) oder ein neues Fasserl wurde/wird wieder aufgemacht. Das betrifft mich leider auch (ist gerade das Problem des Facebook-Zeitalters – nix „Revolution“…) obwohl ich ab und an versuche/versuchte, hier Hauptthemen, die mir immer wieder auf den Nägeln (z.B. Trockenlegung des Verfilzungs-Sumpfes, von Protektion etc. in der Neuen Musik, mehr Selbstreflexion, Selbstkritik und LAnGSAMKEIT (mithin Formbewusstsein) beim Komponieren) immer wieder aufs Tapet zu bringen (obwohl es dann immer wieder schnell hieß von verschiedenen Leuten: Der „selbsgefällige“ ja in Wirklichkeit gar nicht „altruistische“ Kapitalismuskritiker Janson“ mit seinem „Genörgle“ „nervt“ wieder … einfach (nicht) ignorieren… ;-))

    Also DOCH? Badblog in der Krise? In der „Alles-ist-interessant“, „Jeder-darf-mitreden“- und „Wir-bashen-uns -und-haben-uns-gleich-wieder-lieb“-FALLE? Sind wir also doch alle nicht besser als Günter Jauch, Anne Will, Frank Plasberg und Co. oder gar GOTTSCHALK?

    DER (Gottschalk) übrigens (hab gestern auch mal Plasberg gesehen, weil es da um Internet, dessen Oberflächlichkeiten, Mobbing etc. ging) äußerte gestern sinngemäß gegen Ende der Sendung, es sei eigentlich ein Unsinn, dass heute jedem, der das Internet (noch) nicht mehr oder weniger nutze unterstellt werde, er lebe am Leben vorbei…

    Recht hat er! (Ob er es nun so daher sagte, um seine Quote zu steigern oder mal kritisch daher zu kommen oder es ehrlich meinte). Dies könnte glatt als kritische Antwort auf Ole Hübners Internet-Positivismus hier [wer das Internet nicht nutze/ignoriere, der ist realitätsfremd / lebe an der Realität vorbei] durch gehen.

    Nochmal zum Thema politische Haltung
    @

    Ich habe natürlich auch konkretere politische Meinungen zu vielen Themen, aber ich möchte vermeiden, dass meine Musik dann gleich in Hinblick darauf gehört wird.

    Diese „Gefahr“ gibt es natürlich. Aber: nur deswegen bestimmte gesellschaftspolitische Meinungen als Komponist nicht Preis geben?
    Und z.B. NONO u.v.a. Komponisten, da wurde/wird die Musik auch nicht nur im Hinblick auf konkrete politische Implikationen hin gehört oder analysiert. Gut, es gibt natürlich auch zu Hauf solche Ansätze. Aber selbst WENN: was wäre so schlimm daran?

    @

    Denn über Politik lässt sich halt (in Foren, in Kritiken, im Kompositionsunterricht) viel leichter kommunizieren als über innermusikalische Strukturen. Von daher besteht immer die Gefahr – wie ja auch zu Anfang in diesem Thread – dass die politische Dimension gleich alles andere subsumiert.

    Das wäre aber traurig und ein Armutszeugnis, wenn das so wäre (zumindest bzgl, KOMPOSITIONSUNTERRICH /-Gruppenunterricht), dass man dort besser/leichter über Politik diskutieren kann als über Innermusikalisches. In diesem Thread wurde auch deswegen sich zuerst auf bestimmte Punkte „eingeschossen“, weil halt der Essay, den Moritz hier veröffentlichte anscheinend dazu heraus forderte. Es war ja der Artikel Ausgangspunkt. Oder Du (oder Moritz) hättet halt Deine Musik zum Ausgangspunkt machen müssen. Also eigentlich einfach: Wie man in den Wald ruft …

    Schönen Tag, Erik

  25. Alexander Strauch sagt:

    Bashing! Würde es „Besching“ oder „Bäsching“ geschrieben, wäre es eine bayerische Ortschaft. Leider ist es weniger freundlich. Aber darum soll es hier im Blog doch gar nicht gehen. Kontroverse ist angesagt! Mag man dies „Grabenkampf“ nennen, um sich dem nicht stellen zu müssen, kann man ihr vordergründig elegant aus dem Wege gehen. Sollen sich doch die Anderen schlagen: Wie zum Beweis geschah es hier zuerst so. Und bekommt bashingartige Züge auf einem Nebenkriegsschauplatz, was noch mehr jegliches Grabenkampftheorem untermauert. Aber weder Bashing im engeren Sinne, also Verbalausfälle, noch eine Kontroverse um das eigentliche Thema, die Allverfügbarkeit von Musik im Internet und das Problem Neuer Musik damit, konnte entbrennen, weil im engeren Sinne kein kontroverses Thema des Ausgansgtextes vorliegt, ausser den Friedman-Allusionen Seitensatz. Das Spannendste ist das Heroenstudium auf der Homepage bzw. das Anhören der Musik auf derselben Homepage oder die durchaus ernstgemeinte Attitüde des „Unpolitischen“, in Schräglage zum Doch-Politischen des Seitensatzes im Ausgangstext, besonders in der Heroenpaarung, die aber wohl gar nicht so heroisch sein sollen, verehrt, angebetet werden sollen, ausser den Künstlern unter ihnen, da Kunst wiederum von der Politik zu dissozieren sei. Merkwürd’ger Fall!

    Dies bestätigt von anderer Seite meiner Friede-Freude-Eierkuchen-These von den Opernhäusern und ihrer Tendenz zur Harmlosigkeit, besonders bei harten ideologischen Nüssen wie Neue Musik oder Wagnertheater, und erst Recht von den Befriedungen nach den ersten Kommentarwogen. Da wird Neue-Musik-Polit-Kabarett betrieben, welches über Anführungsstriche-Ironie nicht hinaus kommen will, da schwingen doch mächtig spürbar deutliche politische Haltungen mit, ohne dass diesen von Grütters Seite Inhaltlichkeit verliehen wird. Es stimmt natürlich all zu sehr, dass Politisches Künstlerisches in Debatten in den Hintergrund drängt, das tut es hier im Blog immer auch im Urheberrechtsdissens, Finanzierungs- und Subventionszirkus. Dabei läßt sich Kunst und ihre Aussenwirkung doch immer wieder besonders handfest finanziell bemessen und beschreiben, was genauso wenig erstmal den künstlerischen Kern freilegt, ihn aber zumindest von der Finanziererseite besehen läßt: Was konsumierbar ist, wird bezahlt! Das gilt für die Neue Musik natürlich genauso.

    Denn es gibt wohl Gründe, dass lieber Rihm als Riehm gehört wird – lustigerweise dreht sich das „e“-Verhältnis auf Komponistenseite, diese als Hörer, schnell und gerne um, lieber Riehm als Rihm, wie: Rihm ist in seiner romantischen Verhaftung akzeptabler für hochkulturelles, bergaffines Publikum als Riehm, der nicht minder weltabgewandt sein kann, darin aber immer wieder zu mehr als nur Psychologisierung oder direkter Betroffenheit gelangt. Denken wir an „Tränen des Gletschers“, ist darin mehr enthalten als nur der musikalische Beipackzettel zu tiroler oder norditalienischen Eismeeren: Generell wohl musikalische Verfügbarkeit und damit Vertonungsmaterial für alle Arten von glazialen Aggregatsmomenten und deren menschlicher Wahrnehmung. Gleichzeitig kann man darin aber auch ein durchaus ökologisches Stück betrachten angesichts des dramatischen Gletscherverschwindens, ja, ein patriotisches Stück hinein interpretieren, denkt man an das Herzblut, das Riehm an die Berge vergiessen dürfte, so die spindeldürre Hinterfragungsterz nach den letzten grossen Septen des Blechs, die das zehrende und schmerzende Bewusstsein der Matthäuspassion evozieren können. Dick aufgetragen! Somit ist das Stück allein durch seine Massierungen schon kraftmeierisch, kritisiert dies aber wiederum mit seinen Leerstellen. Und es ist politisch, vielleicht sogar „sogenannt linksradikal“ (wie jenes Blasorchesters Riehms und Heiner Goebbels‘!), sogar eigenartig national-ökologisch?

    Zurück zu Martin Grütter! Da gibt es sein Stück „Tiefflug“. Man könnte es dem Stücktext folgend als Hommage an Prokrustes und den afghanischen General Dostum bezeichnen. Prokrustes, der Streckbank-Wegelagerer, Dostum, der Verteidiger des afgahnisch-usbekischen Nordens, Talibanbesieger und dennoch ein Diktator, Frontenwechsler, Taktierer: Was ihm zur kurz, macht er lang, ist er zu groß, duckt er sich in die Hinterzimmer weg, doch immer auch an der Macht dabei als Steigbügelhalter. Grütter schrieb darüber:

    „Prokrustes war ein Held, und General Dostum war ein Held. Ihre Kampfjets flogen tiefer, riskanter, brutaler als alle. Und sie überlebten. Wir sind keine Krieger. Die buntwuchernden Blüten zerreißen wir nicht, sondern lassen uns bestürzen von ihrem sekundenkurz vorbeirauschenden Duft. Das Fensterglas, welches die Überwinder in Form schneiden, blitzt uns sonnenspiegelnd ins forteilende Auge. Es gibt keine Rettung aus dem Tiefflug als die Rettung. Wir sind todgeweiht. Wir sind Engel.“

    Zusammengefasst geht es somit wohl um zwei umstrittene, risikofreudige und riskante Menschen, die aus ihrer Kühnheit ihre Vorteile zogen und ziehen. „Wir“ Normalmenschen seien wohl keine Riskierenden, blicken verehrend zu diesen Menschen auf, da sie überleben, wo „wir“ wohl scheitern. Die beiden also „Übermenschen“! Die letzten zwei Sätze des Zitats lassen sich gleichsam „klingonisch“ deuten:“Heute ist ein guter Tag zum Sterben!“ Mit Blick auf den griechisch-mythologischen Bezugspunkt Prokrustes kann man auch von „thanatophil“ sprechen. Nietzsche lasse ich simplifizierend ausser Acht!

    Hört man sich auf Grütters Homepage den kleinen ausgewählten Ausschnitt aus diesem Bläsern und Schlagwerk sowie Klavier, Harfe und Kontrabass besetzten Stück an, hört man eine im weitesten Sinne „free-jazz“-artige Musik mit Bläserdehnungen und Stauchungen, perkussiven Attacken. Das wirkt kraftvoll, wie solch eine Besetzung eben kräftig ist. Dazwischen kurze und längere sehrende Horn- und Holzbläserterzen. Das wirkt melancholisch, retrospektiv, wie kleine Terzen eben so allgemein wirken können. Das wird ereignisdicht und ereignisplan kalkuliert oder musikantisch ausgestaltet sein. Man kann es als handwerklich gut gemacht, partiell sogar sehr gut, bezeichnen. Dem Charakter nach, ein „frech und genügend gefälliges“ Stück eines jungen, dezidiert „bayerisch“ titulierten, also im Deutschen „bajuwarischen“ Komponisten, wie eine französische Kritiknennung auf Grütters Seite sinngemäß davon spricht. Das meint eine gewissen sympathische Querköpfigkeit. Und das ist es auch: solide bearbeitetes Material, das an die jazzartigen Momente im freitonalen wie seriellen Schaffen Bernd Alois Zimmermanns erinnert. Ein windschnittiger Flug über die Schrebergärten des Nachkriegsdeutschlands aus der Sicht des wiedervereinten Landes. Riskant ist vielleicht der Flug gemeint, die Landschaft ist es nicht, es sei denn, man sieht in ihr die Internationaler Frühschoppen-Schwarzer Kanal-Löwenzahn-Kika-Welt die implizierten väterlichen und grossväterlichen Grabenkämpfe.

    Aber wie es eben lärmend wie Blasmusik tut, die eben so ist, wirkt es wie die Helikopterreise eines gerade noch jugendlichen englischen prinzlichen Thronfolgers zu seiner damaligen Verlobten und, seit letztem Jahr, jetzigen Ehefrau. Dazu tritt nun der Text, der Verehrung für Menschen ausdrückt, die lieber zu schnell Köpfe rollen lassen, als darüber nachzudenken. Das ist eine Welt frei nach dem Motto, „wenn ich König von Deutschland“ wäre. Das ist das Klischee eines stärkeliebenden Spartas, Allusion an die Heroisierungen von Gewalt eines bauchmuskelgefotoshopten Filmes namens „300“. Aber es ist nicht die Trauer eines „kommst Du nach Sparta“ Mahnmals. Es ist so, als sei für Grütter eher das System Heinrich VIII. das Vorbild, als das friedliebende moresche Utopia, welches vorsichtig das harsche Regime und System H-8 im ersten Teil kritisierte. Und entsprechend eröffnet das Hörbeispiel auch keine weitere Einsicht, als dass da ein Komponist mit einer gehörigen Portion Begabung unterwegs ist, zu riskanten, schillernden, gefährlichen, vorsichtig zu behandelnden Personen selbst der aktuelleren Zeitgeschichte nur „Wow“ zu sagen versteht. Interessant wäre, ob der weitere Kleinterzstrang zumindest requiemfähige Stränge geht, was eine Hinterfragung der Heroen implizieren könnte. Oder ob es auf der zwar frechen, aber dies wieder aushebelnden „gefälligen“ Ebene verweilen würde.

    Problematischer ist das Tonbandstück „Irak-Impressionen“: extrem gestauchte trashige-Computeroboe und Maschinengewehrsalven. Als Blick eines alltagsgenervten Infotainmentkonsumenten mag es genau den Blickwinkel in extremer Kürze reflektieren, den ein Westler zu seit Jahren nicht mehr abreissenden täglichen Attentatsmeldungen einnimmt. Geht man von der Frage künstlerischer Authentizität im Internetzeitalter aus, also die Frage des beobachtenden Blickwinkels – wenn man das Netz als absolute für Kunsthervorbringung zwingend erforderlich Faktizität betrachtet – , ob man etwas selbst erlebte, medial breiter oder enger informiert miterlebte oder eben gar nicht. Unter diesem Blickwinkel ist es legitim, lässt aber das Grauen links liegen und bringt nicht wirklich zum Lachen oder lässt dieses im Halse stecken. Es hat zwar die Geste des Witzes, ist aber zu sehr selbst Witz, vielleicht einfach zu kurz, um seinerseits mit der Sicht des Enervierten zu nerven. Immerhin ist es Bestandteil eines grösseren Werks:“Die Sprache der Jongleure“, das sich wohl mit deutscher Aussenpolitik, bekanntermassen in der Berliner Republik bisher kein Meisterstück ausgewogener Diplomatie:

    „(…) da wird’s der Artist wohl auch heute noch vorziehen, seine Kunstfertigkeit an fünf (oder meinetwegen auch hundert) Kugeln zu demonstrieren, gesetzt nur sie seien griffig & handlich & alle gleich groß. Drum hatte Bismarck Erfolg mit seiner Politik und heutzutage geht alles in den Graben.
    Also, lieber Wort-Jongleur, zurück zu klassizistischem Ebenmaß? Da sei Gott vor: Dann lieber in den Graben.“

    War vorher die Rede vom englischen Thronprätendenten Nummer Zwei, so könnte man den rothaarigen Thronprätendenten Nummer Drei zum Beweis anführen. Der zog tatsächlich nach Afghanistan ins Feld und provozierte auf Geburtstagsfeiern mit Auftritten in Nazi-Uniform. Das hat natürlich allemal was Ehrlicheres als die Helikopterminne des älteren Bruders. Ist man nicht Hemingway oder bewaffnete Handstreiche ausführender d’Annunzio, bleibt dem in seiner Musik mit Politik hantierenden Künstler nur die Gefahrenminne, Gefährlichkeit der Musik selbst zu erzeugen. Hört man nun „Die Sprache der Jongleure“ hinein, dann ist es tatsächlich beeindruckend, was allein der Text Alles zusammendichtet, wie die Musik um sich schlägt.

    Mir selbst ging es letztes Jahr mit einem „Politisch Lied“ ähnlich. Das wollte tatsächlich nicht mehr, als eine Distanz zum Treiben des Politzirkus zu setzen, kumulierte auf meine Art „lustig“ all die Schlagworte des Politalltags, durchaus nicht sehr gefährlich. Der gefährliche Gegensatz dann ein Hölderlinfragment, das Stille ob des Polittreibens seiner Zeit, die napoleonischen Kriege, propagiert, ein krasser Widerspruch zum vordergründig harmlosen Alltag unserer Demokratie, was ja bekanntlich durchaus katastrophale globale Folgen hat bzw. diese kaum noch in den Griff bekommen kann. Grütter verfolgt vielleicht eher eine mittelkumulierendere Musikvision als ich in meinem letztjährigen Machwerk. Dennoch werde ich den Gedanken nicht los, daß der Inhalt Grütters seinem Stück hinterhinkt, es eben bei einem Bonmot bleibt, was er doch so gerne vermeiden möchte. Mein Stück versuchte den Aufschwung zum Rückzug… Wer bitte zerpflückt nun endlich mich, mein unerträgliches Gestichel?!?

    Gruß,
    A. Strauch.

  26. @Alexander Strauch: Danke für deine ausführlichen Analysen des Grütterschen Schaffens!

    Dank deiner etwas idiosynkratischen Ausdrucksweise verstehe ich zwar nicht alles, aber doch genug, um mich in meinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu sehen, was die politische Ausrichtung des jungen Mannes betrifft. Darüber ist mir jetzt erst mal die Lust vergangen, mich näher mit seiner Musik zu beschäftigen.

    Die Neue-Musik-Szene muss sich wohl damit anfreunden, dass es zumindest einen Komponisten gibt, der sich zwar der künstlerischen Mittel der „Neuen Musik“ bedient (die politisch immer „links“ kodiert waren, soweit ich weiß), aber politisch deutlich rechts von der Mitte steht.

    Immerhin – die Kombination „atonal komponieren und dabei ‚Junge Freiheit‘ lesen“ ist mir so noch nicht begegnet: Hier ist Grütter wirklich ein Neuerer und wird ganz sicher Bewunderer und Nachahmer finden!

    P.S. Nur, damit niemand meint, ich würde hier „denunzieren“: Noch zwei von Grütters … heroes … erregten meine Aufmerksamkeit: Corneliu Zelea Codreanu, rumänischer Nationalist und Antisemit, sowie Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Vordenker der „Neuen Rechten.“

  27. wechselstrom sagt:

    Das hier wird mir doch zu sehr und schleichend das Forum der „Jungen Freiheit“, der Neuen Konservativen etc.
    Dass einer der Betreiber Mitglied einer Studentenverbindung ist, darf man hier nicht sagen, ohne gesperrt zu werden …

    Und jetzt noch der Grütter —
    Offene politische Diskussionen mag ich ja gerne – hier wird aber bewusst verschleiert – Schlingensief neben F.J.Strauß oder Codreanu – alles DADA, schischi, ein wenig Impro, ein bisschen BlaBla, hier und da eine hübsche Verzierung oder darf es eine „nette“ Schote sein?
    Immer mit dem Bemühen das „richtige Deutsch“ zu sprechen, auch wenn man dann in der eigenen Diplomarbeit ausrutscht – – ach ja das Genie … und Böll war sowieso ein mittelmäßiger Schriftsteller … Die „richtige“ Mischung aus logischen Denken und Alltagsgefasel oder anders ausgedrückt:

    eine kalkulierte Mischung aus fundierter, stringenter Argumentation/Konstruktion einerseits und unreflektiert-unbekümmertem Drauflosmachen andererseits

    das ist das Ideal!

    JA, was ist denn das Kalkül dieser Mischung aus „fundierter Konstruktion“ und Naivität … wiederum eine Konstruktion oder einfach nur Naivität oder schlichte Dummheit —

    Schließen wir das Buch und schauen uns an, wie die kommenden Darmstädter oder Donaueschinger Musiktage das nächste Schwein durchs Dorf treiben.

    – wechselstrom –

  28. Goljadkin sagt:

    @ Martin Grütter:

    Ich verstehe schon, es geht natürlich gar nicht um politische Meinungen, Ausrichtungen oder sonst was. Ihre Heroen sind, wenn man’s mal auf einen Nenner zu bringen versucht, allesamt Typen, die, jeder auf seine Weise, erstmal in die Vollen langen. Erst schießen, dann fragen. Ist vielleicht auch eine Art Autosuggestion, sich die Pinnwand mit den Starschnitten anzusehen, bevor’s an’s Komponieren geht. Damit man möglichst in der entsprechenden genialischen Stimmung ist. Zufällig (oder um sich und den anderen zu beweisen, daß man keinerlei Denkschranken hat) sind halt auch ein paar, sagen wir mal, eher rechts stehende Figuren des politischen Lebens dabei. Gut, alles schön und gut. Laibach wollen eben mit ihren Nazi-Allusionen die „faschistoiden Funktionsweisen“ von Popmusik entlarven. Wunderbar. Das war dringend nötig. Wenn man etwas aus dem „dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte“ lernen kann, dann auf jeden Fall, daß Popmusik faschistoid funktioniert. Und daß Queen versteckte Nazis waren. Wir haben unsere historische Lektion gelernt, kann man da nur sagen. Und alle stimmen im Chor mit ein …
    Ach nein, ich vergaß, es ist alles ja letztendlich nicht so ernst gemeint. Und überhaupt steht ja die Musik im Mittelpunkt (hab‘ ich ja sogar selbst weiter oben gesagt). Also hör‘ ich mir die Musik an. Ihre natürlich erstmal, denn darum geht es ja wohl. Sehr schön, ein Typ, der erstmal in die Vollen langen (will). Erst schießen, dann fragen. Sehr stimmungsvolle Irak-Impressionen (ich hab‘ gehört, im Frühling soll die Mandelbaumblüte in Bagdad wundervoll sein), aber dann wurde ich echt betroffen, weil Ihr Stück ja vom Krieg dort handelt und so. Schlimm, so ein Krieg. Nur gut, daß wir da ein Stück drüber gemacht haben. Damit man mal mitkriegt, wie schlimm das ist, das mit dem Krieg. Als meine Betroffenheit sich wieder gelegt hatte, hab‘ ich mir Ihre anderen Kompositionen angehört. Und war von der Radikalität und Übermenschlichkeit wirklich angetan. Also der Titel. Die Neue Musik an sich fand ich irgendwie Neu und irgendwie Musikalisch. Was natürlich unerwartet für mich kam, denn ich hatte gedacht, ich werde hier wie bei nicht-radikaler und nicht-übermenschlicher (also untermenschlicher) Neuer Musik nur wieder mit den immergleichen Klischees traktiert. Pustekuchen. Solche unerwarteten Holzbläser-Girlanden und Blech-Liegetöne und Schlagzeug-Geschlage habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. In Neuer Musik.
    Dann hab‘ ich mir noch Ihre Diplomarbeit angesehen und war erstmal angetan, wie gut Sie das können, das mit den Worten, na wie heißt das noch, ach ja: Schreiben. Sie sind ja ein ganz ein frecher. Hoppla, hier kommt der Grütter. Nach zehn Seiten erlahmte mein Interesse, denn unerwarteterweise und von großer Radikalität geprägt ging das dann so in einem fort. Man könnte auch sagen: übermenschlicherweise. Aber ich rede hier ja schon wieder von Texten, dabei ist doch die Musik das eigentlich wichtige.
    Also hab‘ ich mir Ihre Lieblingsband angehört (nicht auf Youtube, nein, ich bin ein ernsthafter Künstler und bestelle die Wachsrollen für mein Welte immer noch beim Antiquar meines Vertrauens): Laibach. Schöne Bilder von Soldaten beim Afrikafeldzug (in Afrika soll im Frühjahr 1941 die Dattelblüte …); ein wundervoll fotografiertes Video im Stil der Reichsparteitage, untermalt von sinnfällig entlarvenden Fanfaren und Getrommele; eine herzzerreißende Ballade, herrlich schwelgende Streicheruntermalung, ich nehme mal an, eingespielt von einem der Big Five (dem Timbre nach zu urteilen eher Boston als Wien), leider hab‘ ich den Text nicht so gut verstanden, aber irgendwie gings wohl entlarvenderweise darum, daß irgendjemand nicht ohne irgendjemand anderen zahlen gehn wollte oder konnte, auf jeden Fall war’s sinnfällig und entlarvend.
    Dann hatte ich keine Lust mehr und hab‘ mich hergesetzt und mir überlegt, was in Nietzsches Namen die ganze Aufregung eigentlich soll. Zuerst wollte ich (auch um den Janson zu ärgern), wieder einen von Epiktets klugen Sprüchen hinschreiben, von wegen Gelassenheit und sich nicht über Sachen aufregen, die man eh nicht ändern kann. Aber dann hab‘ ich gedacht, scheiß doch auf den Epiktet, der hat ja auch noch nie einen Finger krumm gemacht für dich und aus zweitausend Jahren Entfernung redet es sich auch einfach. Und während ich mich jetzt über Epiktet aufgeregt habe und seinen ganzen doofen Stoizismus und über den Janson, der mir das Ganze madig gemacht hat, da hat sich in mir der Gedanke langsam festgesetzt, daß der Grütter vielleicht einfach bloß hier und da zündelt, um mal zu sehen, ob Rauch rauskommt. Und siehe da, es kommt Rauch aus allen Löchern. Auch aus meinem. Und dann kam in aller Radikalität und Sinnfälligkeit die Selbsterkenntnis: Waren wir nicht alle ein bißchen Grütter? Früher, als das Leben noch vor uns lag? Und wenn nicht, warum eigentlich nicht? Weil der Strauch und der Hetzel und der Janson und der Goljadkin sagen, daß man das Spielen sein lassen muß, um endlich mal erwachsen zu werden? Erwachsensein ist doof und keiner will es wirklich sein. Und wer es wirklich sein will, der hat vergessen, wie schön es als Kind war. Als man noch überall rumgezündelt hat, um zu sehen ob’s brennt. Danke, Martin Grütter, für diese Erkenntnis.

    Goljadkin

    P.S.:

    @ Stefan Hetzel:

    Daß die Kunstmittel der Neuen Musik von vorneherein „politisch links kodiert“ sein sollen, halte ich für, gelinde gesagt, Quatsch.

  29. Erik Janson sagt:

    Bravo Alexander, für diese ausführliche und, wie ich finde, treffende Analyse von „Tiefflug“.

    Ich rätsel(t)e (auch): WARUM dieser (pesudo)-provokante Heroen-Programmtext zum Stück? Warum ausgerechnet noch zusätzlich solches Kampfjet-Heroentum als Hintergrundgeschichte von „Tiefflug“? Der Programmtext gehört zum Werk, bzw. das lässt sich nun nicht mehr wegdiskutieren.

    Ich könnte vielleicht nun ein GEGEN-Stück komponieren als Hommage an das Käsmann-Zitat „Nichts ist gut in Afghanistan“… Wo man dann – Dank Zitaten aus dem neuen geistlichen Lied – deutlich meinen „Naiv-Pazifismus“ heraus hören könnte – schon der musikalische Laie (UND natürlich auch der Fachmann) und wo das alles dann am Ende von fratzigen Clustern platt ge-fortissimot“ wird – was natürlich dann die „Fratze des Krieges“ symbolisiert ;-) Und natürlich würde ich dann sofort als LINKER da stehen, als Propaganda-Komponist, der ganz „didaktische“ und un-intellektuelle Holzhammer-„Programmusik“ zimmert [drum mach ich sowas auch nicht, ich bin ja kein Dilettant und habe Angst vor Repressalien ;-)].

    Aber zurück zu Grütter: Man fragt sich schon: Was soll das alles (bzw. konkret „Tiefflug“, ich will fair bleiben)? Mir kommt es ein wenig so vor, als wäre hier im Nachhinein nach einer die Aufmerksamkeit für das Werk zusätzlich steigernden „Story“ gesucht worden (wie so oft), die zeigen soll, dass sich der Komponist nicht etwa z.B. nur mit „billigen“ Assoziationen oder Phänomenen beschäftige.

    Bzw. WARUM sonst diese „Heroengeschichte“/Thematik. Es drängen sich für mich Fragen auf:
    – Weil der Komponist innerlich denkt, dass seine Musik selbst eine solche Aufmerksamkeits-Aufwertung braucht?
    – Weil der Titel „Tiefflug“ vermeintlich (ohne die Hintergrundgeschichte der Heroen Prokustes und Dostum) zu „banal“ wäre oder es zu sehr in Richtung „Programmusik“ gehört/gedeutet werden könnte?
    – Oder will Grütter durch seine Kampfjetpiloten-Heroengeschichte die Leute aufschrecken, schockieren, verstören, irritieren, meint das aber in Wirklichkeit gar nicht so..? (aber dazu passt dann die FJS-Anbiederung [siehe Wechselstroms Beitrag oben] nicht so recht…)

    Jedenfalls will mir partout das Grütters Ausspruch nun nicht mehr so recht aus dem Kopf, ob man diesen noch wirklich ernst nehmen kann:

    Zum Thema “politischer Komponist”: ja, irgendwie politische Konnotationen schwingen natürlich oft mit. Ich habe natürlich auch konkretere politische Meinungen zu vielen Themen, aber ich möchte vermeiden, dass meine Musik dann gleich in Hinblick darauf gehört wird.

    @ Alexander, danke jedenfalls, dass Du so fair warst, Martin Grütters Bedenken, dass man seine Musik direkt zu „politisch“ hören (analysieren) könnte, wenn er polit. Meinungen verträte, zu zersteuen. Denn Du hast Dich ja zuerst an die Höranalyse bzw. ans Innermusikalische gemacht! Und dann hast Du den Kommentar Grütters zum Werk unabhängig von Deiner Analyse/Höreindruck sprechen lassen.
    Wie es sich auch für den rechtschaffenen Musikwissenschaftler gehört.

    @ Stefan Hetzel: ist dann hier dafür umso „politischer“ geworden und sieht Martin Grütter schon soo politisch (rechts), dass er nun gar keine Musik mehr von ihm anhören mag ;-(
    Aber: Kann man so weit gehen? Darf man so was unterstellen ?

    Denn: was würden dann wohl die Förderer, z.B. Deutsche Bank Stiftung, Ensemble Modern Akademie etc. sagen? Könnte man wirklich einen Komponisten fördern, der ernsthaft Gedanken in sich hätte, die rechts von der Mitte angesiedelt wären…?
    Natürlich: NICHT.

    Ist also alles also doch nur Theater, Pseudo- ….?
    Es scheint wirklich so. Rätsel über Rätsel … und schon ist (alleine dadurch) schon wieder ein neuer Flieger am Neue Musik-Himmel, der zu HÖHENFLÜGEN über andere – massenmedial -präsentativ „ungeschicktere“ Tiefflieger unserer Branche ansetzt…

    Und ab DEM Punkt ist dann DER „Szene“, die den entspr. Komponisten gerade in Über-atmosphärische Höhen katapultiert ganz egal, ob dahinter wirklich ein MUSIKALISCHER Höhenflieger steckt, der z.B. (find ich jedenfalls abwegig) mit einem Bernd Alois Zimmermann vergleichbar wäre… oder vielleicht doch ein nicht-„übermenschlicher“ musikalischer Hobby-Segler…

    So werden die neuen, jungen Popstars der Neuen Musik-Szene heute gemacht oder gebären/inszenieren sich selbst.

    Grüße von einem politisch-„unpolitischen“ Kollegen

    P.S.: Harter Tobak, vielleicht „unfair“ gegenüber dem jungen Komponisten, ich weiß. Jetzt warte ich auf folgende (mögliche) Reaktionen: a) Janson ist „mal wieder nicht ernst zu nehmen“ b) „Neidhammel“ c) „über meinen jungen Kollegen lass ich nichts kommen … “ d) Der „geistige Tiefflieger“ Janson will Grütter persönlich fertig machen/dissen
    und dann sind wir wieder bei Null oder: die Deeskalation wäre perfekt…

  30. Alexander Strauch sagt:

    @ Hetzel: Es sind immer Menschen, die Politisch sind, nie das Material! Es heisst ja auch nicht „politisches Material“, sondern „politisches Wesen“, wie die alten Griechen schon sagten. Einzig Joghurtkulturen sind bekanntlich link- oder rechtsdrehend, ganz unpolitisch.

    Nein, es gibt mehr E-Kpmponisten, gar Schreiber Neuer Musik, die weiter rechts anzusiedeln wären als „nationalliberal“, „ultrakonservativ“, „klerikal“. Durchaus auch solche, die während der Nazizeit Aufführungsverbote hatten: ultrakonservativ, latent mit dem faschistischen Gedankengut liebäugelnd, Alpenstürmer: ANTON (VON) WEBERN war einer jener!!! Dies führte gar zum Zerwürfnis mit seinem treuesten Klavierinterpreten, Eduard Steuermann.

    Aber wie wir heute immer noch wissen und junge Komponisten von sich geben: Werk und Politik haben niemals etwas miteinander zu schaffen, ist das Werk a priori, die Politik nur Menschenmachwerk. Wer’s glauben will…

    @ wechselstrom: Ich sehe mich nicht als Propagandist der Neuen Freiheit. Hauen Sie mir den Morbus Teutonicus gerne um meine Ohren. Dennoch bleibe ich dabei, dass es höchste Zeit wird, Nazis auf der Opernbühne zu verspotten, gerade weil sie im Grausamsten eben niemals „in historischer Mission“ handelten, wie Himmler in seinen Posener Reden zur Judenvernichtung sprach, sondern banal biedermeierlich planten und horrend grausam, ohne ein Quentchen Achtung für die Opfer ihr Morden durchführten. Sie gaben sich aber genauso als Familienväter, Vereinsmeier und Vegetarier „Werte“ hochhaltend, wie auf diesem Pfad heute die NPD handelt, Kindergeburtstage und Frühlingsfeste ausrichtet wie andererseits ihre Schlägerhorden und Terrorkommandos handeln lässt, ja es sogar wagt, auf Demos, hier in München, „Pink Panther“ zu spielen, der Soundtrack der Verhöhnung der NSU-Opfer. Die Münchner Polizei brauchte natürlich eine Weile, bis sie die Mucke abdrehte… Wie man nun an Laibach sieht, kann man die Benutzung von faschischsten Versatzstücken heute als Kritik an Nazis verkaufen. Tabus haben wohl nicht geholfen. So hilft nur kulturelles Eindreschen auf solche bizarren Bands, da hilft nur die Hauptikonen der Nazis als solche zu verspotten. Wie rein und sauber dachten wir unser Land, glaubten, die Rote Armee hätte die Asche Hitlers im Kreml zwischengelagert. Dabei wurde sie heimlich nahe Magdeburg gelagert und letztlich heimlich und bieder, Nomen est Omen, in der Biederitz versenkt. Eines ist allerdings klar: Martin Grütter wird mit seinen inhaltlichen Unklarheiten NICHT beitragen, Grauen dieser Art in der Welt zu verhindern. Nein, Übermenschliches will er, ergo muss es ja was unter diesem geben. Und Eloquenz kann man auch gemein als Propaganda bezeichnen… Mir bleibt schlecht und wird noch schlechter! Viel Spass!!!!

  31. Matze MoMø sagt:

    Hab mich jetzt tatsächlich durch diese ganzen Kommentare gequält. Puh. Dann kann ich ja jetzt noch meinen Quark dazugeben (oder Senf). (Oder Ketchup. Wie wird das jetzt geschrieben? Ketschab? Einen Döner Ketschap bitte!)

    Aaaalso:

    @ Strieder

    nur einige Anmerkungen:

    „Desweiteren wird so gerne Argumentiert, das man nicht ignorieren könne, wie die eigene Generation nun mal ist, und in was für einer Erlebniswelt sich diese befindet usw. usf. … also da ist mir meine eigene Individualität aber lieber …!“

    Ich glaube nicht, dass es Individualität in diesem Sinne gibt, aber es kann ja jeder selbst entscheiden, für wie individuell er sich hält.

    Zu Strieder:

    „Und in wie weit war Bruckner denn in mitten seiner Generation? Der war doch ein völliger Aussenseiter, und was in seiner Musik politisch motiviert war, ging wohl voll daneben [zumindest habe ich das mal so gelesen – man möge mich korrigieren und entschuldigen, aber Bruckner war für mich nie von grossem Interesse, wie auch sonst alles vor 1909 (Schönberg op. 11) bzw. 1910 (Mahlers Zehnte) bzw. 1911 (Skrjabin op.61) …] – das ist ja auch die Gefahr, das man wie Beethoven den Namen “Napoleon” ausradieren muss.“

    und Grütter:

    „Zum Thema “politischer Komponist”: ja, irgendwie politische Konnotationen schwingen natürlich oft mit. Ich habe natürlich auch konkretere politische Meinungen zu vielen Themen, aber ich möchte vermeiden, dass meine Musik dann gleich in Hinblick darauf gehört wird. Denn über Politik lässt sich halt (in Foren, in Kritiken, im Kompositionsunterricht) viel leichter kommunizieren als über innermusikalische Strukturen. Von daher besteht immer die Gefahr – wie ja auch zu Anfang in diesem Thread – dass die politische Dimension gleich alles andere subsumiert. Das möchte ich gerne vermeiden – gerade weil das politische, wie Du sagst, “sowieso” immer latent dabei ist.“

    Politisch Komponieren heißt doch nicht, eine Widmung über das Stück zu setzen und dann war’s das. So ist das bei Beethoven ja auch nicht. Er vollzieht die Revolution in seiner Musik nach. Deshalb ist seine Musik in jeder Hinsicht revolutionär. Politisch Komponieren heißt auch nicht, konkrete politische Lösungsvorschläge vorzutragen, und muss auch nicht einmal heißen, sich konkret politisch zu äußern. Politisch Komponieren heißt einfach, gesellschaftliche Gegebenheiten wahrzunehmen/anzunehmen und davon ausgehend Konsequenzen für das Schaffen zu ziehen. Für Beethoven musste Komponieren nach der Französischen Revolution ein anderes sein, als es vorher war.
    Ich denke, das Musik immer polisisch ist. Und deshalb sollte man so komponieren, dass die politische Haltung in die musikalische Textur eingearbeitet ist. Beim frühen Nono funktioniert das zum Beispiel. Wenn man unter politscher Musik allerdings versteht, ein politisches „Zitat“ auf die Musik draufzukleben dann gehts nicht. So geschehen mit Bruce Springsteens Hit „Born in the USA“, den Reagan als Wahlkampfhymne benutzen wollte, ohne zu bemerken, dass das Lied eigentlich amerikakritisch ist.

    Zu der ganzen Rechtsdebatte:

    Grütter vorzuwerfen, er stehe „deutlich rechts der Mitte“ ist doch nun wirklich Quatsch. Ich hab sofort, als ich die Holocaust-Stelle in seinen Artikel las gedacht, oje, jetzt muss er sich auf viele Kommentare einlassen. Er erwähnt den Holocaust nur! Ebenso wie er die „heroes“ nur aufreiht. Ich finde das schon legitim, den Heldenbegriff zu ironisieren. Es ist viel schlimmer, so zu tun, als übe der Totalitarismus keine Faszination aus.

    (Jetzt hab ich mich auch ganz schön aus dem Fenster gelehnt, auf dass ich nicht kippe!) (Ich persönlich würd auch nicht mit dem Nazizeug kokettieren, nur wenn es absolut nötig ist. Ein gutes Beispiel dafür ist zum Beispiel der Roman „Die Wohlgesinnten“ von J. Litell).

    Leider weiß ich bei Grütter auch nicht so genau, wozu das Kokettieren. Wie ich im Ganzen auch nicht genau verstehe, worauf der Text hinaus will. Wo ich beim letzten Punkt wäre.

    Zu Grütters Musik:

    Ich habe auch das Stück gehört, auf das Ole Hübner anspielte, allerdings in Frankfurt. Es heißt „Zirkelspielchen (Beta-Version)“. Ich muss sagen, dass es mich nicht umgehauen hat, war eher ein bisschen genervt davon. Habe mich hinterher dazu hinreißen lassen zu sagen, es sei ein sexistisches Stück. (Ohne je den Namen Grütter vorher gehört zu haben, geschweige denn irgendwelche Neonazi-Chauvinismus-Sprüche von ihm). Das mit dem Sexismus bezog sich vielmehr auf die merkwürdig orgasmische Form des Stücks, die auf immer neue Höhepunkte abzielte. Das mochte ich nicht. (Bin mitlerweile ziemlich stark gegen Höhepunkte). Ebenso wie ich das, was ich glaube, Moritz ihm als „Radikalität“ auslegt, im Gegenteil eher unentschlossen finde. Aber ich bin auch so ein Reduktionstyp. Na gut, ihr lieben Kommentaristen. Ach so, den langen Kommentar von Goljadkin fand ich noch gut, nur schade, dass er am Ende etwas bitter wird. (Alter schützt vor Torheit nicht, höhö.)
    Ganz pathetisch im Sinne der rechten Sache,
    Matze MoMø

  32. strieder sagt:

    Ich glaube, in meinen locker dahin geworfener Satz bzgl. Bruckner ist wohl hundert mal mehr hinein interpretiert worden, als da stand :S

    Wenn man unter politscher Musik allerdings versteht, ein politisches “Zitat” auf die Musik draufzukleben dann gehts nicht. So geschehen mit Bruce Springsteens Hit “Born in the USA”, den Reagan als Wahlkampfhymne benutzen wollte, ohne zu bemerken, dass das Lied eigentlich amerikakritisch ist.

    Das Beispiel habe ich übrigens nicht verstanden. Wo ist das Zitat, wer hat geklebt? (Die Story ist mir bekannt.)

  33. Matze MoMø sagt:

    Ja, ich gebe zu, Springsteen ist kein gutes Beispiel..
    Ich meine, dass das Politische sich in der Musik ausdrücken soll, und nicht durch irgendwas, das um die Musik herum geschieht. Also nicht, dass das Stück dann irgendwie einen „politischen“ Titel hat, die Musik dahinter aber austauschbar ist. Deshalb ist Springsteen auch ein schlechtes Beispiel, weil es vor allem zynisch gemeint ist (als überpathetische Hymne auf ein Scheißland, könnte man sagen). Trotzdem würde ich sagen, ist Springsteens Musik nicht politisch, seine Texte sind es. Also der Text ist geklebt, die Musik bleibt Rock. Ein politischer Text reicht nicht. Der Kreidler macht das, finde ich, ziemlich gut. Beethoven hat das auch gut gemacht, ist aber heute schwerer zu hören (haben uns schon so dran gewöhnt).

  34. @Goljadkin: Das mit der Linkskodierung der künstlerischen Mittel der „Neuen Musik“ bezog sich auf die bundesrepublikanische Nachkriegszeit (Darmstädter Ferienkurse etc.). Warum wurde denn damals der Serialismus, die Konkrete Musik etc. „erfunden“ und massiv propagiert? Doch um wegzukommen vom musikalischen Erbe, von der „Spätromantik“, aber auch vom „Neo-Klassizismus“ etc. Es ging um Fortschritt, Utopie, Internationalität, Anti-Traditionalismus. Wenn das nicht „links“ war…

    So heterogen die politischen Aussagen der (frühen) Stockhausen, Boulez, Cage oder Xenakis auch gewesen sein mögen, alle waren sie doch zweifellos anti-totalitäre (wenn nicht gar anti-autoritäre) Zeitgenossen. Die Nazis hätten die „Neue Musik“ der Nachkriegszeit jedenfalls als genauso „entartet“ empfunden wie die Arbeiten Hindemiths und Schönbergs.

    Es gibt also, wie implizit auch immer, zweifellos so etwas wie ein weltanschaulich-politisches „Erbe“ der „Neuen Musik“ dieser Zeit: Das (komponierende) Individuum ist frei bzw. sollte frei sein, weil es Teil einer freiheitlichen Gesellschaft ist bzw. sein sollte.

    Der „natürliche“ Gegner dieses Erbes ist der Reaktionär und Kleingeist, der Zivilisation gerne „Zuvielisation“ buchstabiert, jeder Art von „Zerebralität“ misstraut, der homophob ist, dabei aber traditionellen Männlichkeitsidealen nachtrauert bzw. diese verklärt, der eine diffuse „Todessehnsucht“ in sich spürt und dabei endlos auf der Suche ist nach den „Urgründen des Seins“.

    All diese Grundeinstellungen befördern etwas, was ich gerne „Ästhetik des Schwiemeligen“ nenne.

    @Erik Janson:

    Könnte man wirklich einen Komponisten fördern, der ernsthaft Gedanken in sich hätte, die rechts von der Mitte angesiedelt wären…?

    Wieso „könnte“, Grütter wird doch seit Jahren gefördert! Vielleicht sollten diese Förderer einfach mal einen Blick auf die Homepage Ihres Protegés werfen…

    @Alexander Strauch:

    Es sind immer Menschen, die Politisch sind, nie das Material!

    Fast hättest du mich gekriegt mit diesem sentenziösen Ausruf, doch dann fiel mir auf, dass es ja der Mensch und nur der (komponierende) Mensch ist, der „Material“ überhaupt erst hervorbringt und somit auch verantwortlich ist dafür, wie dieses Material sich anhört und was es mit dem Hörer macht bzw. machen will. Eine „Unschuld“ bzw. „Neutralität“ des musikalischen Materials scheint es mir demzufolge nicht zu geben.

  35. Alexander Strauch sagt:

    @ Stefan Hetzel: Die Töne sind meist vor dem Komponieren schon da. Die Frage der Verbindung, das Komponieren, dies ist zugegebenermassen der Mensch am Werkeln. Allerdings erst ab jenem Moment. Was er mit sich und den Tönen anstellt, ist Ausdruck seiner Haltung zum Material, in dem mehr oder minder auch seine Haltung zur Welt sichtbar wird. Das Klangmaterial an sich genießt ein wenig den Zustand der Jungfräulichkeit, machomäßig gesprochen. Um jetzt keine Sau durchs Dorf zu jagen, bleibe ich bei der Neuen Wiener Schule: Wie freudig vertonten sie durch die Bank Stefan George, wie wichtig war ihnen die Absicherung einer deutschen Kulturvorherrschaft besonders durch die Formulierung der Zwölftontechnik, etc. Man könnte fragen, ob in der Emanzipation der Töne an sich ein neutraler Akt zu sehen wäre, der durchaus nationalistischen Tönen als Vehikel hätte dienen können. Dass sich das Publikum dann nicht so begeistert der Dodekaphonie zuwandte, geschweige sie die Menschen politisch imunsierte, sie verboten wurde, durfte mitunter Grund für manche Haltungsänderung gewesen sein. Bei Webern bewegte sich wenig, Berg ereilte die Gnade des frühen Todes, Schönberg wurde v.a. als Jude aus seinen Hochschulämtern gedrängt. Erstaunlicherweise ging er den weitesten Schritt der drei und emigrierte – v.a. wegen seines dann auch geistig wiederentdeckten Judentums. Das hielt ihn allerdings auch nicht ab, ein Zerwürfnis mit Thomas Mann anzuzetteln, als der seinen Leverkühn die Erfindung der Zwölftontechnik fiktiv zuschrieb: Kleinlicher Streit am Rande als die weitreichende Bedeutung des Doktor Faustus zu sehen. Allerdings sind die späteren Werke neben ganz persönlicher Kammermusik wie dem Streichtrio, politische Musik im Sinne seiner wiederentdeckten Gläubigkeit und Nationwerdung Israels. Dass Nono, Henze sich als Kommunisten fühlten, der erste mit am Materialausbau des Serialismus mitarbeitete, führte dennoch zu grossen menschlichen Problemen zwischen den Beiden. Zudem bedenke man, dass der Erfinder der meisten Techniken Neuer Musik – Stockhausen – keinenfalls als „links“ einzuordnen wäre. Sein Werk ist ja problematisch genug, letztlich noch esoterischer als Cage. Aber deutsche Denker-Esoterik ist ja einer DER kulturellen Exportschlager, neben einer grossen Liebe der Italiener zu Lachenmann, der wohl v.a. Pfarrerskind und dann politisch sein dürfte: Wie lieben die Franzosen ausgerechnet Jünger und Heidegger vor Habermas und Spahlinger… Und wie viele aktuelle Komponisten, auch arrivierte, sind alles andere als links, eher der ödp nahe als den Grünen, und z.T. noch weiter abgedriftet, in der Mischung aus Selbstüberschätzung und liebäugeln mit diffusen Anarchismen, rechtslastigem Männlichkeitsgebaren. Man sollte nie vergessen, wie nahe Komponisten immer dem Staat standen, wie abhängig sie von ihm heute noch/wieder sind, wie das hochkulterelle Establishment gerade unter den Komponisten eher bekräftigt wird, als z.B. Opernregie eher mal nach links tendiert. Und das, obwohl die Komponisten eigentlich gar nicht so von den konservativen Politikern geliebt werden, es sei denn, man spricht dann doch v.a. nur über Wagner, Schumann und Strauss. Selbst Mahler wird ja heute von vielen Kollegen immer noch als „Kapellmeistercompositeur“ diffamiert, genauso wie man ihn vor, während und nach dem 3. Reich minimal diffamierte und natürlich noch viel schlimmer…

  36. Alexander Strauch sagt:

    Stefan 2: Ergo bedeutet Komponieren, Komponist sein, den Tönen zuerst immer erst mal Gewalt antun zu müssen, wenn man sie findet und verbindet. Mag man auch das Gefühl haben, dass sie urplötzlich von allein einem ins Bewusstsein springen, so sind nicht sie es selbst, sondern der Mensch, ein wenig, wie der Täter glaubt, sein Opfer würde doch auch ein wenig Freude am Delikt empfinden. Komponist und Schlachter, durchaus vergleichbar…

  37. Goljadkin sagt:

    @ Stefan Hetzel:

    Selbst in der Einengung auf den Serialismus der Nachkriegszeit halte ich Deine These für einigermaßen problematisch. Davon abgesehen, daß ich den Serialismus und seinen ästhetischen Nährboden sowie seine „Verursacher“ keinesfalls für so anti-totalitär halte wie Du (alle musikalischen Parameter vorzuorganisieren und dann nach irgendwelche Matritzen ablaufen zu lassen scheint mir doch irgendwie „totalitär“, unabhängig davon, daß ich einige der Stücke sehr schätze), ist mir eine solche funktionelle Lesart von kompositorischen Praktiken einfach zu, naja, funktionell. Die Inanspruchnahme von Musik bzw. ihrer Ästhetik für eine bestimmte politische Ausrichtung untergräbt die Souveränität der Kunst. Die „Gegenseite“ kann ja genauso ihre Heroen aufs Schild heben, und alles, worüber wir dann noch reden, ist welcher Komponist denn nun zu welchem Lager gehört. Kunst darf sich selbst solche Beschränkungen nicht auferlegen (lassen). Oder, weniger abstrakt: Der Künstler muß sich selbst erlauben, erstmal alles für denkbar zu halten. Auch, das „politisch-weltaunschauliche Erbe“ des Serialismus für Unsinn zu halten. In diesem Sinne muß er ein Extremist sein, einer, der eine Sache erstmal bedingungslos hochjubelt und im nächsten Augenblick das genaue Gegenteil davon genauso in den Himmel hebt. Vielleicht kreuzt er in dieser Pendelbewegung dann irgendwann mal einen eigenen, originellen Gedanken. Geht er aber den graden Gedankenweg, schon gar den irgendeiner politischen Orthodoxie, dann trifft er den eigenen Gedanken mit Sicherheit nie.
    Wie würdest Du denn die Werke der mehr als explizit politischen Dessau, Eisler, Brecht usw. in Deiner Kategorisierung unterbringen? Allesamt sind sie deutlich links von der Mitte. Bedienen sich aber, v.a. in den politischen Werken, keinesfalls der musikalischen (literarischen) Sprache, die nach Deiner Auffassung für „Fortschritt, Utopie, Internationalität“ steht. Haben die nun was falsch verstanden?
    Noch einen weiteren Einwand will ich kurz ausführen:
    Politische Gedanken sind m.E. Wort-Gedanken. Will heißen, ich kann politische Gedanken ziemlich exakt (wenn ich es denn will, natürlich) in Worte fassen. Stellt sich für mich die Frage, wieso ich diese Gedanken dann noch in ein semantisch viel weniger klares System (Musik) überführen soll? Soll nicht der Inhalt der äußeren Form bzw. dem Medium möglichst genau entsprechen, damit der Inhalt bestmöglich verstanden werden kann? Warum also politische Gedanken in Musik, dem semantisch unbestimmtesten Medium, formulieren? Weil man als „engagierter“ Komponist glaubt wahrgenommen werden zu müssen? Dann soll man doch seinem Engagement in Essays, Aufrufen, Pamphleten usw. freien Lauf lassen. Natürlich könnte ich in einem Stück einen Prozeß komponieren, der beim Hören oder in der Analyse als „Befreiung“ wahrgenommen wird, beispielsweise indem ich banalerweise eine strenge rhythmische Struktur in eine freie Struktur überführe. Aber das ist doch per se keine politische Aussage. Das ist zunächst mal und ausschließlich eine musikalische Aussage. Die Rücküberführung in Worte leistet dann erst die Einordnung solcher Prozesse in begriffliche Kategorien, die dann als politisch oder weltanschaulich wahrgenommen werden können.

    Mir bleibt nur noch die Frage: Welche Sichtweise ist eigentlich politisch naiver: Die politisierende oder die entpolitisierende?

    Goljadkin

  38. strieder sagt:

    Alle mal nachdenken: Wenn plötzlich ein Buch erscheinen würde, in dem eine offensichtlich Euch nachempfundene Person als Geisteskranker, Syphilitiker usw. dargstellt würde, wärd ihr dann nicht auch sauer? ;)

  39. @Goljadkin:

    Die Inanspruchnahme von Musik bzw. ihrer Ästhetik für eine bestimmte politische Ausrichtung untergräbt die Souveränität der Kunst.

    Kunst als ideelle Entität mag per se souverän sein, aber in einer nationalistischen, paternalistischen, totalitären, machistischen Gesellschaft kann sie diese Souveränität ja erst gar nicht entfalten (vgl. die Lage Ai Weiweis in der „Volksrepublik“ China heute)! Propagiert ein Künstler also o. g. „Werte“ (und sei es auch nur im Begleittext zu einer Komposition), wird er, obgleich er sich unglaublich „subversiv“ dabei fühlen mag, frei nach Brecht, über kurz oder lang zum „Kalb, das seinen Metzger selber wählt.“

    Mir ist schon klar, dass, wenn man genau hinschaut, viele Protagonisten der „Neuen Musik“ republikanischem Denken, gelinde gesagt, nicht besonders nahe standen, obwohl exakt dieses republikanische Denken (in Form der Bundesrepublik Deutschland) ihnen doch erst ihre Karrieren ermöglichte! Ich glaube aber kaum, dass diese Generation von Komponisten für diese Tatsache blind war (Selbst Chef-Esoteriker Stockhausen, unterstelle ich jetzt einfach mal, wusste, was er der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ verdankte).

    Natürlich ist „Serialismus“, konsequent zuende gedacht, ein „totalitäres“ Konzept – aber es ist ein Konzept zur Organisation musikalischen Materials – nicht mehr! Es ist dermaßen hermetisch und selbstbezüglich angelegt, dass es sich politisch weder von links noch von rechts instrumentalisieren lässt (dasselbe gilt übrigens für konsequenten repetitiven Minimalismus).

    Die republikanisch-demokratischen Rahmenbedingungen müssen sich also keinesfalls in den durch sie ermöglichten ästhetischen Konstrukten direkt „widerspiegeln“. Die Kunst ist frei. Bei „uns“, wohlgemerkt.

    Die “Gegenseite” kann ja genauso ihre Heroen aufs Schild heben, und alles, worüber wir dann noch reden, ist welcher Komponist denn nun zu welchem Lager gehört.

    So gesehen wäre das natürlich trist, da gebe ich dir recht. Aber komplett im luftleeren Raum bewegen wir uns eben auch nicht.

    Wie würdest Du denn die Werke der mehr als explizit politischen Dessau, Eisler, Brecht usw. in Deiner Kategorisierung unterbringen?

    Mir geht es nicht um „Kategorisierung“, sondern um Freiheit und Transparenz. Nach meinem Kenntnisstand hat niemand Dessau und Eisler gezwungen, sich in der DDR niederzulassen. Auch sie gehörten letztlich zu den o. g. „Kälbern, die ihre Metzger“ etc. (Sorry, das klingt jetzt in dieser Kürze reichlich brutal). In der DDR gab es eben keine Trennung zwischen Staat und Kunst, Kunst hatte letztlich Staatskunst zu sein. Dass das hierzulande nicht so ist, halte ich für eine zivilisatorische Errungenschaft, deren Wert gar nicht hoch genug einzuschätzen ist und die, und jetzt sage ich’s wirklich zum letzten Mal, freies ästhetisches Debattieren wie in diesem Blog hier z. B. überhaupt erst ermöglicht.

    Warum also politische Gedanken in Musik, dem semantisch unbestimmtesten Medium, formulieren?

    Habe ich nie und wollte ich auch nie, gerade weil ich als Musiker um die semantische Unterbestimmtheit der Musik weiß. Musik ist keine Sprache (obwohl sie Züge hat, die einer sprachlichen Äußerung nahekommen – aber eben nur dies). Genau deswegen interessiert es mich eben auch, was Komponisten so allgemein sagen. Dubios wird es nämlich dann, wenn legitimer ästhetischer „Totalitarismus“ plötzlich als Blaupause für den politischen Raum dienen soll. Hier wird der Komponist „übergriffig“. Und das will ich auch benennen können dürfen.

  40. strieder sagt:

    alle musikalischen Parameter vorzuorganisieren und dann nach irgendwelche Matritzen ablaufen zu lassen scheint mir doch irgendwie “totalitär”, unabhängig davon, daß ich einige der Stücke sehr schätze

    [ironie]Und der Xenakis erst, Menschenmassen zu blosser Statistik degradiert, pfui[/ironie]

  41. lilienstern sagt:

    Grütter, Grütter…

    hab mir das nun auch mal durchgelesen was Du hier angerichtet hast. So eine Form von Diskussion hast Du wohl „verdient“ und ich muss ein wenig schmunzeln, wenn Deine Forderung nach dem Recht sich in der Kunst „zum Affen“ machen zu dürfen nun damit bestraft wird, dass man Dich inhaltlich ernst nimmt! :D

    @die Andern: Mich wundert, dass sich noch keiner zum Neandertaler-Video geäußert hat. Vielleicht hilft das ja noch mal um die Grütter’sche Wesensart besser zu verstehen. Schätzungsweise ist die Nennung von „Helden“ wie Putin oder Franz Josef Strauß auf einer Linie zu sehen mit der Anrufung des Pfalzgrafen von Atlantis, Reichsbestienbeschauern oder anderen Herrschern über das Matterhorn.
    http://www.youtube.com/watch?v=G9Jibjz4q0Q

    So wie ich das verstehe geht es um den Versuch einer „Entgrenzung“: Auf musikalischer Ebene durch bizarres Virtuosentum und auf textlicher Ebene in dem man bestehende Diskurse meilenweit über- oder unterbietet, also jenseits von dem was noch Sinn ergeben könnte. Die Ratlosigkeit, die in einem durchschnittlichen Konzertbesucher entsteht, wenn es im Programmtext hauptsächlich um – sagen wir – Heinrich VIII. geht (zusammen mit einer Petition auf „das Recht auf Geschichtsfälschung“) ist geschätztermaßen Teil des Grütterschen Vergnügens. Zu verstehen als ein ziemlich komplizierter Witz, bei dem es dann auch ausgemachte Durststrecken vor der Pointe geben kann, bzw. wo das Ausbleiben der Pointe der Witz ist.
    Und wahrscheinlich ist es desweiteren so, dass jeder der auf etwaige Provokationen anspringt mit reingerissen wird in den Strudel aus Absurdität um dann Teil des Witzes zu werden.

    Deswegen sollte man den Grütter im Namen irgendeiner Freiheit gewähren lassen, wenn es mal nervt aber auch sagen: Das war jetzt nicht besonders lustig, Junge.
    Oder ihn durch Ernstnehmen foltern. Ich glaube der braucht das…

  42. Goljadkin sagt:

    @ lilienstern:

    Welpenschutz für Grütter? Kommt ’n bisschen spät, die Forderung, nachdem er hier (scheinbar erfolgreich) weggebissen wurde. Wahrscheinlich hat er aber ohnehin keine Lust gehabt, sich lang hier im Gruppetto der Neuen-Musik-Szene aufzuhalten …

    Goljadkin