Offener Brief an Mathias Spahlinger

Lieber Mathias Spahlinger,

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Ich bin schon immer ein Bewunderer Ihrer Musik und Ihrer starken Worte gewesen. Auch jetzt bin ich von Ihrer Haltung einen „direkten Angriff“ auf Ihre „Selbstachtung“ abzuwehren, sprich: nicht zuzulassen, dass ein Kompositionshonorar der Ernst-von-Siemens-Stiftung auf Ihr Konto überwiesen wird, zutiefst beeindruckt. Der Vorgang ist hier nachzulesen, auch findet man dort Ihr Schreiben dazu an das Festival usisonore, das das Geld für Sie  bei der Siemens-Musikstiftung beantragt hatte und jetzt zurückgeben soll, denn Sie – sehr geehrter Herr Prof. Mathias Spahlinger – wollen, können, dürfen sich nicht von kapitalistischen Ausbeutern vereinnahmen lassen.

Daher haben Sie ja auch jegliche Zusammenarbeit zum Beispiel der Bayerischen Akademie der Schönen Künste mit der Berliner Akademie der Künste kategorisch abgelehnt, denn die Bayerische Akademie der Schönen Künste wird von der Bauer-Stiftung unterstützt, und das geht ja gar nicht, denn die sind ja auch böse Kapitalisten. Wie eigentlich alle in Deutschland.

Genauso konsequent ist es auch, dass der Zusammenschluss der Ost-und Westberliner Akademie 1993 als für Sie überhaupt kein Problem zu sein schien – die problematische Vergangenheit der Ostberliner Akademie verleitete damals immerhin prominente Kollegen wie György Ligeti und Hans-Jürgen von Bose zum Austritt, aber der große Arbeiter-und Bauernstaat DDR verfolgte ja trotz der Verwendung vieler Hilfsgelder aus dem Westen (ohne die die Mauer schon viel früher gefallen wäre) zwar Dissidenten, politische Gegner und Mauerflüchtlinge, aber eben keine „kapitalistische Wirtschaftsweise“. Nun ja, das wäre noch einmal ein ganz eigenes Thema, zugegeben.

Wie schon mein Kollege Alexander Strauch anmerkte, wäre es jetzt natürlich noch konsequenter, das Auftragshonorar für Ihr großes Werk „doppelt bejaht“ für ohne Dirigenten spielendes Orchester in Donaueschingen 2009 doppelt zu verneinen und ebenfalls zurückzugeben, denn diese wurden mit 120.000,-EUR von der Siemens-Musikstiftung unterstützt, wie hier nachzulesen ist. Ein paar von diesen Euro werden sicherlich in ihr Stück geflossen sein, daher auf jeden Fall zornig zurückgeben! Der SWR war damals glaube ich ganz froh, dass dieses Carepaket kam, sonst hätte man ihr tolles Stück, bei dem sie den Orchestermusikern extrem detailliert und überaus penibel auflisteten, wie genau sie frei werden können, nicht lauschen können.

Aber wenn wir schon dabei sind, sollten Sie vielleicht auch das Honorar sowie die Fahrtkostenrückerstattung der „Hamburger Klangwerktage“ zurückgeben, denn dort wurde am 27.11.2010 ihr Werk „Farben der Frühe“ für 7 Klaviere uraufgeführt, und Sie diskutierten öffentlich mit dem „Mahler“ (???) Bernd Zimmer. Und wer hat diese Veranstaltung mitfinanziert? Natürlich die Siemens-Musikstiftung, siehe hier. Die Quittungen finden sich bestimmt.

Und wir müssen schon genau sein: Am besten verbieten Sie auch dem (hervorragenden) Ensemble Mosaik, Ihr Stück „musica impura“ zu spielen, zu sehen in deren Repertoireliste hier. Von wem die unter anderem gefördert werden? Siemens-Musikstiftung.

Und wenn wir schon bei Kapitalismuskritik sind: Haben Sie schon mal die Website des Ensembles Chronophonie angeklickt (vielleicht benutzen Sie Hardware-Geräte der Firma Siemens beim Internetzugang, vorsicht!)? Wenn man da auf der Linkliste Ihren Namen anklickt landet man – Sapperlot – ausgerechnet auf einer dubios-kapitalistischen Spam-Website, auf der momentan Artikel über Autohäuser in Austin, Texas zu finden sind, sicherlich kein Ort, der das antikapitalistische Herz höher schlagen lässt. Verbieten, unbedingt! Und natürlich auch den Link zu einer gewissen Ernst-von-Siemens-Musik-Stiftung, der sich direkt in Nachbarschaft zu Ihrem Namen befindet, wahrscheinlich weil auch das Ensemble Chronophonie schonmal von dieser gefördert wurde.

Wenn Sie das nächste Mal Armin Köhler treffen, sollten Sie ihm auch ganz dringend ins Gewissen reden, denn der hat Sie ganz schön reingelegt: Sie machten (wie viele andere namhafte Komponisten) an der von ihm initiierten Sendereihe „Erlebte Musik“ mit, die vom SWR produziert wurde. Vielleicht haben Sie ja diese Sendung auf irgendeinem Tonträger, denn sollten Sie ganz schnell vernichten, denn wer hat diese Sendereihe ermöglicht und wem wird ausführlich von Armin Köhler am Schluss dieses Artikels untertänigst (Scardanelli) dafür gedankt? Dreimal dürfen Sie raten: Es fängt mit Ernst an und hört mit Musikstiftung auf….

Auch ein Buchprojekt gilt es doch noch einmal sehr zu überdenken – gerade eben erschien Band 155 der altgedienten Reihe „Musik-Konzepte“, ein Band der ganz Ihrer Person und Ihrer wunderbaren Musik gewidmet ist. Die Herausgabe dieser Reihe war finanziell nicht immer einfach, da könnte uns der große Heinz-Klaus Metzger sicherlich viel drüber erzählen, würde er noch leben. Zum Beispiel könnte er auch über die Gelder der Siemens-Musikstiftung reden, die seit 2003 diese Reihe immer wieder unterstützen (nachzulesen hier) und damit auch ihr Buch ermöglicht haben, denn diese Reihe gäbe es sonst gar nicht mehr. Und wer bietet Ihr Buch bei dem obigen Link überhaupt an? Weltbild.de – kapitalistischer geht’s nimmer. Einstampfen scheint hier die einzige kompromisslose Lösung zu sein….

Und erinnern Sie sich noch an Ihr Konzert in Moskau am 22.2.2003? Man spielte Ihre 4 Stücke für Sopran und Kammerensemble von 1975, ein ganz tolles Stück. Nur leider wurde auch dieses Konzert ermöglicht von einem gewissen Herrn Ernst-von-Siemens, posthum allerdings, und man liest das auch nur ganz versteckt, unten, am Ende der Seite. Ich weiß nicht, ob Sie zu dem Konzert eingeladen wurden, aber die Fahrtkostenquittungen finden sich sicherlich auch und lassen sich zurückerstatten.

Auch sollten Sie vielen Ihrer ehemaligen Schüler mal ganz dringend ins Gewissen reden. Ganz, ganz viele von Ihnen haben sich nämlich trotz Ihres hervorragenden Unterrichts zutiefst korrumpieren lassen, und den Ernst-von-Siemens-Musikförderpreis angenommen. Zum Beispiel Sebastian Claren, Clemens Nachtmann oder auch Markus Hechtle, um nur einige der vielen Verräter zu nennen, alles übrigens sehr begabte Kollegen. Vielleicht hätten Sie strenger sein sollen? Ungezogene Blagen!

Die Akademie Schloss Solitude betreibt auch stetige Angrife auf Ihre Selbstachtung, denn einerseits setzt sie sich immer wieder dezidiert für Ihre Musik und Ideen ein, so zum Beispiel im Symposion „Was heißt (heute noch) Kritisches Komponieren?“ „Ausgangspunkt für das Symposium bildet der als »kritisches Komponieren« bezeichnete kompositorische Ansatz der Generation zwischen Luigi Nono und Mathias Spahlinger.“
Und was liest man weiter unten? „Eine Veranstaltung der Gesellschaft für Musik und Ästhetik in Zusammenarbeit mit der Akademie Schloss Solitude mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung und der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg.“
Doppelter Kapitalismus! Auch die Banken sind involviert! Verrat! Schloss Solitude dürfen Sie nie, nie wieder betreten, und man darf Sie dort nie aufführen, das, nur das kann die Konsequenz sein.

All dies ist nur das Ergebnis einer flüchtigen Recherche – wie viel mehr könnte man sicherlich finden, wo Sie – direkt oder indirekt, wissend oder unwissend, irgendwie von der Ernst-von-Siemens-Stiftung profitiert haben, wenn man einfach nur etwas genauer hinschauen würde. Und da hört es ja gar nicht auf – schauen Sie sich mal ganz genau in Ihrer Wohnung um. Sind Sie sicher, dass Sie kein Gigaset von Siemens benutzen, wenn Sie mit dem Festival usisonore telefonieren? Das Modell S455 soll ganz besonders kapitalistisch sein. Ihre Wäsche, wird die etwa mit dieser Siemens-Waschmaschine gewaschen? Aufpassen – bei 180 Grad läuft Schurwolle schnell ein. Da wäre noch viel mehr zu entdecken.

Aber wissen Sie was? Beim Recherchieren dieses Artikels ist mir auch schon ganz unheimlich geworden. Es war schon bizarr: Egal, auf welche Festivalseite ich gehe, egal welche Ensembles ich recherchierte: irgendwo steht es immer, das S-Wort. Irgendwann sind wir alle von Siemens so richtig durchgefördert worden, manche sogar mehrmals. Wir wurden benutzt, missbraucht, geschunden. Das geht nicht mehr so weiter, da gebe ich Ihnen Recht! irgendwie könnte man den Eindruck bekommen, dass es ohne die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung gar keine Neue Musik mehr geben würde, denn sonst würde es von hinten bis vorne nicht mehr reichen. Und was, wenn die nun beleidigt sind und sagen „Neeee, wenn ihr meckert, bekommt ihr einfach gar nichts mehr“. Und alles, WIRKLICH ALLES würde zum Stillstand kommen? Und wir unser Leben zurückgeben müssen, weil das inzwischen auch schon der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung gehört? Wie wahrscheinlich bald das ganze Universum?

Ich glaube ich kann heute Nacht nicht schlafen.

Moritz Eggert

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4 Antworten

  1. Arno Waschk sagt:

    … ich glaube zumindest Gigaset gehört nicht mehr zu Siemens…

  2. Alexander Strauch sagt:

    Gut recherchiert, Moritz! Dies zeigt, wie wichtig die EVS ist, dass man wirklich glauben könnte, ohne sie geht nichts mehr. Einerseits.

    Andererseits: Wer eben nicht gefördert wird, bei dem sieht es noch dunkler aus, bleibt die Frage, ob sich der Staat da so rausziehen darf, warum sich bisher kaum ähnliche Stiftungen bereit fanden, Neue Musik so ähnlich zu schaffen, ein wenig Konkurrenz ins Geschehen zu bringen. Kein Wunder, das man Spahlinger also so oft in Verbindung mit der EVS findet. Bisher schien allerdings niemand die Nennung der EVS in Spahlingers Noten verlangt zu haben. Das ist uns Jüngeren nichts ungewöhnliches. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie der korrekte Schweizer Veranstalter Spahlinger die Förderkonditionen durchreichte und dem die Hutschnur riss. So lebte er ein wenig wie ein sich mit den Umständen arrangierender Salonkommunist, nur war das ihm jetzt zuviel.

    Trotzdem kann man seine Kritik grds. zumind. im letzten Absatz seines Briefs verstehen, wo er die Frage des Gewichts Staat/Private aufwirft. Es ist zwar so, dass die EVS nicht direkt Siemens ist, wird sie aber dennoch vom HQ München aus geschäftsmässig geführt. Und manchmal fragt man sich als Insider, warum eigentlich z.B. 2012 ca. 10% der geförderten Werke so prominent die Komponisten Furrer, Ruzicka, Lachenmann und Rihm featuren, so ein Konzertzyklus mit dreien der Vier in NYC oder das Komplette Quartettschaffen Ruzickas bzw. eine Schrift zu Rihms 60ten? Abgesehen von der üblichen eigenen Schülerförderung, die mit den Mitteln der EVS schnell üppiger ausfällt als die anderer Stiftungen. Man muss auch sagen, dass die Kuratoriumsmitglieder nicht direkt Gelder bekommen, allerdings indirekt doch ihr Ruhm noch ruhmreicher wird – wieder so eine Verzerrungseffekt. Aber das ist ggf. ein ganz anderes Ding, zieht sich aber wie ein roter Faden z.B. durch all die Wettbewerbsdiskussionen hier im Blog.

    Aber was soll es – dass ich durchaus Ärger und Zustimmung zum leicht weltfremden Spahlinger empfinde, sagte ich bereits woanders. Auf Dauer sollte man seine Richtlinien nur etwas transparenter auslegen und eine Nähe von fördernder Person und geförderter Person, den natürlichen, trennen. Und wenn die EVS dankenswerterweise so massiv fördern kann, sollte sie diesen Nebeneffekt beheben, der sich angesichts ihrer Wichtigkeit eben auch schnell potenziert.
    A. Strauch

  3. Erik Janson sagt:

    Und was, wenn die nun beleidigt sind und sagen “Neeee, wenn ihr meckert, bekommt ihr einfach gar nichts mehr”. Und alles, WIRKLICH ALLES würde zum Stillstand kommen? Und wir unser Leben zurückgeben müssen, weil das inzwischen auch schon der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung gehört? Wie wahrscheinlich bald das ganze Universum?

    Moritz, da glaube ich nicht, dass wir uns darum große Sorgen machen müssen. Dazu sind wir/ist die Neue Musik der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung zu wichtig, oder? Und: Es ist doch ausgesprochen „sexy“, wenn man uns politisch-unpolitische oder unpolitisch-politische promintente „Nörgler“ trotzdem fördert. Spahlinger poliert doch mit seinem Protestverhalten sogar das Image des Stiftungswesens eher noch auf als dass seine Aktion den Effekt hätte, dass man über mehr staatliche Förderung wieder nachdenkt (so paradox dies klingen mag): Ich glaube es erhöht das Renomé (Image) der uns Fördernden umso mehr, wenn diese auch mal von uns, die wir davon profitieren an „geklefft“ werden, als wenn man nur Junstars oder Ensembles förderte, die den doppelt bejahenden Diener machen…

    Das ist doch langweilig. Skandale, Widersprüche braucht das Land. Bzw. meine These ist: der Kunst ist/wird heute die Kritik gegenüber den sie fördernden Sponsoren UNMÖGLICH, aber nicht deswegen, weil die Sponsoren diese Kritik nicht dulden oder verbieten (die Gedanken sind immer frei!) sondern deshalb, weil gerade AUFGRUND dieser Kritik sich die Sponsoren umso „großzügiger“ gerieren können [seht, wir fördern sogar Herrn Spahlinger und viele seiner Ja-Sagenden Schüler…].

    Darüber sollte man mal nachdenken zumindest…

    Seien wir doch mal ehrlich: diese Republik ist doch verlogen und korrumpiert bis ins Mark. Überall wird von „neuen Werten“ vom „Wiederauferstehen der Dekokratie“ gefaselt! Die Demokratie ist schon längst Abgeschafft. Und auch so was wie die Occupy-Bewegung ist doch wirklich ein „Quatsch“ (Gauck). Und: Vorteilsnahmen, Profite, solange man nur medial prominent, allseits beachtet und mächtig genug ist, gelten doch als menschlich allzumenschlich [Peanuts, Stellt Euch nicht so an].

    Geht es hier denn in diesem armseligen Deutschland IRGENDWO noch um Werte und Aufrichtigkeit oder Geradlinigkeit? Nein. Nurmehr um Verlogenheiten und Kasperle-Theater.

    Also würde man gerne diesem Land eine echte BILDUNGS- und Wahrhaftigkeits-Frischzellenkur verordnen wollen anstatt flotter Sprüche.

    Alexander: Sie xt? Mein geschundenes Herz(muskerl) is boald wieder „pumperl gsund“, aber Narben in Gehirn, Seele und Galle bleiben angesichts der Entwicklungen immer mehr zurück … ;-)

  4. frappant sagt:

    Oh, wie witzig, das Gigaset und die Waschmaschine, mit Schurwolle. Und dann dieser alberne Anständigkeitsdiskurs. Ja, liebe Neue Musik Sponsorenjunkies, Ihr seid abhängig.