Wenn Popkritiker ins Schwärmen geraten: Patrick Bahners schreibt über die Band „Low“ (Lesung)

Die FAZ bleibt mein Quell ewiger Freuden, und wenn es nur wegen der manchmal monty-python-haft anmutenden Absurdität der in ihr enthaltenen Artikel ist.

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Wie jeder normale Mensch lese ich die FAZ in folgender Reihenfolge: „Deutschland und die Welt“, „Feuilleton“, Sportteil“, und dann gar nicht mehr. Vor ein paar Tagen stieß ich auf eine Kritik eines Konzertes der amerikanischen Mormonenband „Low“ im Frankfurter „Sinkkasten“, vielleicht deswegen, weil die Schlagzeugerin auf dem Bild so geheimnisvoll ins Mikrophon haucht. Nun weiß ich als in Frankfurt Aufgewachsener, dass Konzerte im „Sinkkasten“ eher selten in die überregionalen Seiten der FAZ kommen, es musste sich also hier um etwas ganz Besonderes handeln.

Nun ist ja das Leid, der Klassik/Neue-Musik-Kritiker, dass sie eigentlich gerne so locker und flockig frei wie die Popkritiker schreiben würden, es aber nicht dürfen, da sie ja ständig über hochintellektuelle Meisterwerke schreiben müssen (was ja auf Dauer auch ein wenig öd sein kann). Die Popkritiker wiederum würden eigentlich gerne endlich mal all ihre fundamentalen musikphilosophischen und existentialistischen Erkenntnisse über ihre Leser ausschütten, nur meistens verstehen diese Leser dann leider gar nicht wovon sie reden, denn die wollen eigentlich nur wissen, ob das Konzert nun dufte war oder nicht. Es ist also alles eine Frage des falschen Zielpublikums, auf beiden Seiten.

Nun muss es sich bei dem Konzert der fundamentalistisch mormonischen Band Low wohl tatsächlich um ein dufte Konzert gehandelt haben, so dufte, dass der FAZ-Kritiker Bahners hier eine dermaßen abgehobene Hymne darüber verfasst hat, dass man meint, Brigham Young persönlich sei ihm erschienen, und hätte ihm das Buch Mormon auf einem Schifferklavier kopfstehend rückwärts vorgespielt. Oder so ähnlich. Man vermeint eine Kritik über Stockhausens „IRGENDEIN Tag aus Licht“ oder mindestens über ein bahnbrechendes Werk von Luigi Nono zu lesen, aber nein, es geht um die „Lowcore“-Songs der (übrigens tatsächlich duften) Band „Low“, wie gesagt, Mormonen aus Minnesota, zu Gast im Frankfurter Sinkkasten, dem Nabel der zivilisierten Musikwelt.

Da diese Kritik tatsächlich so abgefahren gaga ist, dass daraus zitieren gar nicht reicht, habe ich sie als Hörspiel „Wenn man nur wüsste wo man hingehört“ eingesprochen. Ich muss wohl nicht darauf hinweisen, dass ich keinen einzigen Satz des Originals verändert habe. Für 2,-EUR kann man den Text hier mitlesen: Im Hintergrund sind übrigens zwei Songs der Band zu hören, aber ich hab’s so leise gestellt, dass ich keine GEMA zahlen muss. Glaube ich zumindest.

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Die Kritik ist überschrieben mit „Wenn man nur wüsste, wo man hingehört“. Und das sagt eigentlich alles, lieber Patrick Bahners. Ich hatte auf jeden Fall sehr viel Spaß mit Ihrem Text!

Moritz Eggert

Low

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26 Antworten

  1. peh sagt:

    lady gaga hat ein feuilletonistisches pendant! danke moritz! kann sich noch jemand an die mozart-kugeln von bahners aus salzburg erinnern?

  2. Klaus sagt:

    A propos Stockhausen: Der hat mir letzte Nacht mein geliebtes ARD-Radio-Nachprogramm versaut. Anstatt wie gewohnt Bach, Mozart, Beethoven, Mahler oder einige Vergessene des Renaissance oder Barock …dudelte das Radio nur Unanhörbares, Schreckliches. Und woanders gab’s andauernd nur „When My Guitar Gently Weeps“. Alles wg. Todestagen.
    .
    Zum Obigen noch was: Bahners war mal PräsidENTE des D.O.N.A.L.D. und hat einiges dafür getan, dass die „altehrwürdige“ FAZ etwas Humor bekommt. Will sagen: Der Mann hat mehr Humor im kleinen Finger als…

  3. @Klaus: Ich halte es durchaus für möglich, dass es sich hier um ein humoristisches Experiment von Patrick Bahners handelt, dass er an der FAZ-Redaktion vorbeigeschmuggelt hat. Wenn es so ist: großartig!

  4. Zippo sagt:

    Um die Ausführungen meines Vorredners noch etwas zu ergänzen: PaTrick Bahners hatte zusammen mit seinem Radaktions- und Donaldisten-Kollegen Andreas Platthaus immer wieder Donald-Duck-Zitate ins FAZ-Feuilleton geschmuggelt. Als der Spiegel die donaldistische Unterwanderung enttarnte (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-16269686.html), führten die beiden das Ganze mit „Die Ärzte“-Zitaten weiter: http://www.youtube.com/watch?v=-8YoE1JNxOQ

    Viele Grüße von Zippo!

  5. Sui sagt:

    Woher stammt eigentlich diese Info mit der Mormonerei, auf der hier so intensiv rumgeritten wird („Mormonenband“ „fundamentalistisch mormonischen Band“, „Brigham Young persönlich“ etc)?

    Ich mag die Musik von Low recht gerne und habe auch mal irgendwo gelesen daß zwei Bandmitglieder Mormonen sind, aber so what? Nennt man BAP deswegen „Katholikenband“ ? Oder Staind eine „Judenband“ ? hört man selten.

    Oder versuchen Low bei Konzerten, ihr Publikum zu missionieren? Mir ist jedenfalls das fundamentalistische bisher entgangen. Muss wohl mal bei den Texten besser hinhören.

  6. KlaWe sagt:

    „Bargeld liest Hornbach“ reloaded… :D

  7. Stein sagt:

    Der Mormonen-Gitarrist und die auf Bildern in Mikrofone hauchende Schlag-Mormonin haben mal mormonisch geheiratet. Dadurch können die in alle Ewigkeit keinen Ton mehr fabrizieren, der nicht von fundamental-mormonischem Gedankengut durchtränkt ist.

    Glaubt jedenfalls Moritz „Bruhaha“ Eggert.

    Ich hatte das Vergnügen, Low ende Mai in Berlin zu sehen, und es war eines der angenehmsten Konzertereignisse meines Lebens. Und nein, da wurde selbstverständlich kein bisschen missioniert.

  8. Young and nice sagt:

    Schlimmer als pathetische Texte sind beispielsweise (eingesprochene) Texte, die Pathos ironisieren wollen.

  9. Guntram Erbe sagt:

    Schlimmer als pathetische Texte sind beispielsweise (eingesprochene) Texte, die Pathos ironisieren wollen.

    Hm, habe ich da etwas missverstanden? Ist Bahners Text etwa kein Text, der Pathos ironisiert?
    Ich denke, dass Moritz dem Bahner ganz einfach auf den Leim gegangen ist.

    Guntram Erbe

  10. Guntram Erbe sagt:

    Ups!

    Nachlieferung:

    s

  11. Indie-Pop als Vehikel mehr oder weniger kryptoreligiöser Botschaften ist halt generell im Schwange, dazu muss dann eben auch das FAZ-Feuilleton „irgendwie“ (und der Bahners-Text ist eben hauptsächlich „irgendwie“, d. h. er vermeidet Meinung durch Anbieten vielfältigster Wissenspartikel) Stellung nehmen. Ein besonders krasses Beispiel „ironischer“ Verwendung religiösen Liedguts in der Independent-Welt ist übrigens dieses Duo von Michaela Meise und Dirk von Lowtzow von „Tocotronic“ (Dank an Guido Zimmermann für den Hinweis). Moritz, Bahners weiß tatsächlich nicht, wo er hingehört und rettet sich ins Delirieren, was einmal mehr „witzig“ (=cool, postmodern, abgeklärt) wirken soll und wieder mal nur zur „Witzischkeit“ (=verkrampft, gezwungen, künstlich) reicht.

  12. Guntram Erbe sagt:

    Inzwischen kostet das Ansehen des Textes nur noch 1,00 €.
    Schätzungsweise in der nächsten Woche kostet es nichts mehr. Und zu Weihnachten bekommt man 1,00 € gutgeschrieben, wenn man den Text nicht nur ansieht, sondern auch liest. Dann aber schnell ran, bevor der Euro abschmiert und man sich beim Lesen nicht mehr vor den Tausendern retten kann.

    G.E.

  13. strieder sagt:

    Ich habe zwar längst den Faden verloren, möchte aber anmerken das es Indie-Zeitschriften gab (und gibt?), bei denen die Reviews durchweg solcher Art sind.

  14. Patrick Bahners sagt:

    Herzlichen Dank für die metakritische Aufmerksamkeit und die Rückverwandlung der Kritik in Musik. Lustig, dass ausgerechnet im schumannesken Gelände einer „neuen“ Zeitung für Musik ein Philistertum blüht, das von spekulativer Hermeneutik nichts wissen möchte, jedenfalls bei „niederen“ Gegenständen. Meine Devise: Lieber überinterpretieren als unterinterpretieren.

  15. Bekehrter sagt:

    Ja, wo gehört man eigentlich hin? Ich dachte ja immer, „ernste“ Musik wäre der Elfenbeinturm und Indie bodenständig, womit die Sache sonnenklar zu sein schien. Aber anscheinend verhält es sich ja genau andersherum.

  16. strieder sagt:

    @Bekehrter: Genau! Nur wusste ich das schon immer!

  17. Guntram Erbe sagt:

    Wow, lieber Patrick Bahners, dann war das also tatsächlich ernst gemeint?
    Gut, ich habe schon am 29.11. einer quicklebendigen, innovativen Band für ihr nächstes Stück folgende Empfehlung gegeben:
    „Ihr bringt einfach Urmelodiematerial vor jeder rhythmischen Gliederung. Der erste planvoll hervorgebrachte Ton ist kein Einschnitt, sondern leitet einen Prozess der Steigerung, Erweiterung und Rückversicherung ein.“
    Ich warte seither vergebens auf diesen ersten Ton.

    Beste Grüße
    Guntram Erbe

  18. Guntram Erbe sagt:

    Tja, Schumann und die Philister!
    Wie hätte er auf Bahners‘ Kritik reagiert?
    Wahrscheinlich einfach so:

    Wenn man nur wüsste, wo man hingehört

    28.11.2011

    Und hätte dann – dessen eingedenk – Patrick Bahners seine Kritik so geschrieben, wie er sie geschrieben hat?

    In diesem Zusammenhang ein weiteres nettes Paradoxon:

    Hätte Beethoven seine Klaviersonaten anders komponiert, wenn er vorher Scherings und Riemanns Auslassungen dazu gelesen hätte (oder gar Thomas Manns weitschweifige Tiftelei zu op. 111 in „Doktor Faustus“?)

    Guntram Erbe

  19. HCB sagt:

    Was ist denn hier los? Toll!

    Herr Bahners, geben Sie Moritz Eggert doch einen Bad-Blog-Platz in der FAZ: Sie werden sich vielleicht jede Woche ärgern, aber es käme endlich Leben in die Bude beim Neue-Musik-Diskurs.

  20. strieder sagt:

    Das Ganze erinnert mich auch daran, wie ich als 12jähriger Reviews in Techno-Magazinen gelesen habe (Frontpage usw.) und mir anhand derer die allertollste Musik vorstellte – um dann immer wieder enttäuscht zu werden von der jew. tatsächlichen Musik, die viel weniger toller und viel konventioneller war. (In anderen „Sparten“ später genau dasselbe Spiel.)

    Bei Low gibt’s beispielsweise leider auch kein „Urmelodiematerial“ (was auch immer man sich darunter vorstellen mag), statt dessen western-european dominance equal temperament random diatonic.

  21. @Patrick Bahners: schön, dass Sie sich melden!

    Also, ich muss hier mal ein paar klar Dinge klarstellen:

    1) Ich finde „Low“ eigentlich ziemlich gut (habe mir sogar aufgrund Ihres Artikels die Musik tatsächlich besorgt, er hat also seinen Werbeeffekt erzielt), und auch keineswegs „niederes Gelände“

    2) Obwohl mir Schumann-Gelände von Herzen sympathisch ist, ist die NMZ nicht mit der „Neuen Zeitschrift für Musik“ verwandt, die zwar auch nicht mehr so viel mit Schumann zu tun hat, aber auf ihn zurückgeht (und inzwischen mehr Magazin als Zeitschrift ist).

    3) Ihr Text war für mich deswegen interessant da er Vokabular benutzt, das eigentlich ständig in Neue-Musik-Kritiken verwendet wird, hier aber eben durch das andere Subjekt (nicht „niedere“ Musik, aber sicherlich andere Musik) in einem neuen Licht erscheint. Was wiederum einige dieser Formulierungen – die die meisten unserer Blogleser aus einem anderen Kontext kennen – sehr komisch erscheinen lässt, was mich dann zu dieser Lesung angeregt hat – was Sie mir hoffentlich nicht übelnehmen, denn ich bin der letzte, der sich über echte Begeisterung mokieren würde, siehe oben. Das Ganze ist also eine Diskussion von Sprachlichkeit, keineswegs von Absicht.

    Aufgabe wäre es nun, eine „Neue-Musik-Kritik“ zu finden, die im Stil einer Popkritik verfasst ist – das fände ich dann auch sehr komisch. Ich bin eigentlich absolut sicher, dass es das gibt! Und – ich kann es nur immer wiederholen – Parodie ist die innigste Form der Hommage.

    Viele Grüße,
    Moritz Eggert

  22. Patrick Bahners sagt:

    @Moritz Eggert
    ad 3) Interessant! Dann müssen zwanzig Jahre gelegentlicher Aushilfsredigate von Neue-Musik-Kritiken ihre Spuren bei mir hinterlassen haben.
    ad 2) Zeitung ist nicht Zeitschrift, klar. Darum hatte ich von schumanneskem und nicht vom schumannschen Gelände geschrieben.
    ad 1) Sie sagten ja im Text, dass Sie „Low“ dufte finden. Nach meiner Erfahrung kann aber die Hochschätzung eines Gegenstandes durchaus und sehr gut mit dem Affekt gegen Interpretation einhergehen, eben bei den vermeintlich niederen oder populären Kunstbemühungen. Begegnet mir als F.A.Z.-Redakteur etwa immer wieder in den Reaktionen auf unseren Gastronomiekritiker Jürgen Dollase: „Ich gehe ja auch gerne zu Wissler/Raue/Bühner, aber mir schmeckt’s ohne Akkordanalyse…“ Verräterisches Wort bei Ihnen: „abgehoben“.

    @Guntram Erbe
    Ist also das Gelingen einer Kritik daran zu messen, ob man sie in Rezepte für Nacheiferer umformulieren kann? Die von Ihnen variierten Sätze waren der Versuch, schon die Musik von „Low“ und nicht nur die Texte als Allegorie der Kosmologie der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nachzuerzählen (keine Creatio ex nihilo, Einheit von Materialität und Spiritualität). Die von Ihnen ausprobierte pädagogische Anwendung wäre also bestenfalls bei einer mormonischen Nachwuchsband sinnvoll.