Ferientagebuch V (Immer noch vorlesungsfreie Zeit! – Kindersinfonie)

Kindersinfonie I

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Neulich war ich im Abschlusskonzert des IEMA-Studiengangs. Es war sehr schön und sehr lang. Neben Stücken von Varèse (Octandre), Stravinsky (Suite aus der Histoire du Soldat), Stockhausen (Edentia aus KLANG), und Ligeti (Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten) gab es auch zwei neuere Werke im Programm: einmal ein völlig belangloses Stück von Anthony Cheung (Enjamb, Infuse, Implode) von 2006 und eine deutsche Erstaufführung von Marko Nikodijevic, „gesualdo abschrift/antiphon super o vos omnes“.

Der Cheung war, wie gesagt, belanglos, obgleich gut gespielt – sparen wir uns also einen weiteren Kommentar. Beim Nikodijevic geschahen einige merkwürdige Dinge. Als die Musiker die Bühne betraten, durchzuckte es mich. Der eine Pianist sah aus wie ein Kind. Konnte es wirklich sein? Da dachte ich mir: Kinder auf der Bühne, das würde zu dem Nikodijevic passen. Das Programmheft entkräftete jedoch meinen Verdacht, dort stand, dass es sich um einen 1980 geborenen erwachsenen Menschen handelte. Ich schämte mich ein bisschen für meinen Gedanken.

Bevor ich weiterschreibe (was ich ja jetzt schon tue, paradox), muss ich noch sagen, dass ich Marko Nikodijevic kenne und schätze. Ich weiß, dass er das hier ließt, was es mir nicht einfacher macht. Ich weiß aber auch, dass er, wie er mir versichert hat, keine Pflanze ist. Außerdem ist er an dieser Stelle auch schon ausführlich gelobt worden.1 Also.

Nikodijevic macht mit Gesualdo folgendes: er dehnt eine Aufnahme von zwei auf zwanzig Minuten und instrumentiert sie dann virtuos spektral aus. Dabei kann man ihm zugute halten, dass er Gesualdo entzaubert hat. Der alte Don Carlo entpuppte sich nämlich als durchaus saunatauglich. Damit meine ich, dass man sich ihn, in der Gestalt der abschrift, in einem Massagestudio oder eben einer Sauna als Hintergrundsoundscape sehr gut hätte vorstellen können. Oder in der Schlussphase einer psychedelischen Party, wenn alle nur noch mit den Armen in der Luft segeln und in vermeintlicher Zeitlupe „fliegen“. Allerdings, ganz so einfach machte Nikodijevic es uns dann nicht, denn er durchbrach die elektronisch-instrumentale Klangfläche mit Stille. Das heißt: Anschwellen des zerdehnten und spektral instrumentierten Gesualdo, abschwellen, Stille. Anschwellen des zerdehnten und spektral instrumentierten Gesualdo, abschwellen, Stille. Anschwellen des zerdehnten und spektral instrumentierten Gesualdo, abschwellen, Stille. Usf.

Ich bin durchaus ein Freund der Stille und blockartiger Formen. Aber irgendwie funktionierte das hier nicht. Ein möglicher Grund könnte gewesen sein, dass man den Clicktrack hörte, ein technischer Fehler, der aber einen Gedanken in mir auslöste. Gleich zu Beginn, als der Clicktrack einsetzte, kam er mir: Warum hören die Musiker was, was ich nicht höre? Die unfreiwillige Entzauberung des als zauberhaft Intendierten entblößte das innere Wesen des Werks: ein Clicktrack. Da hört man zerdehnten Gesualdo, und alles, was eigentlich dahinter steckt ist – dit dut dut dut, dit dut dut dut.

Kleiner Exkurs in die künstlerische Produktion:
ich wünsche mir seit längerem ein Stück ganz ohne Geheimnis. Ein Stück, in dem alles offen liegt. Etwas, das keinen verborgenen Code kennt, keinen Rätselcharakter hat.

Nikodijevic war mit der Aufführung auch nicht zufrieden, und er meinte, er müsse an dem Stück noch arbeiten. Er ist auf jeden Fall ein ehrlicher Arbeiter. Die gesualdo abschrift/antiphon super o vos omnes wird heute Abend, 20h, nochmal im ZKM in Karlsruhe aufgeführt.

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Kindersinfonie II

Keck.

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1 Ich glaube nicht an die Trennung zwischen dem privaten Leben und der öffentlichen Arbeit. Man ist ja nicht zwei. (Entweder man ist eins oder unendlich viele). Trotzdem ist die Kritik an der Arbeit einer Person nicht gleich der Kritik an der Person, denke ich.

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