Mercury vs. Oehring

Helmut Oehring verdeutlicht seine musikalische Gebärdensprache

Helmut Oehring verdeutlicht seine musikalische Gebärdensprache

Neulich lag ich nachts in einem Hotel und blieb beim Zappen in einer Kultursendung des ZDF hängen, ihr wisst schon, eine von denen bei denen eine immer etwas steife Moderatorin im Auftrag des Kulturauftrages Hochkultur „vermittelt“, sprich „Aspekte“.
Versprochen wurde ein Beitrag über den Komponisten Helmut Oehring, mit der sensationellen, vollkommen unerwarteten Tagline „Kind gehörloser Eltern wird zum Komponisten“.

Wow, dachte ich, das wusste ich tatsächlich noch nicht. Oehring ein Kind gehörloser Eltern? Das schlägt ja dem Fass den Boden aus. Wieso wird das in „Neue Musik“-Kreisen NIEEEEE erwähnt?

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Natürlich wird es in Wirklichkeit ständig erwähnt. Eigentlich ist es so ziemlich das Einzige, was über Oehrings Musik geschrieben wird, viel weniger wird über die Musik selber geschrieben (die ich übrigens – ganz ehrlich – ziemlich dufte finde). „Oehring ist halt ein Opfer seiner eigenen Vermarktungsstrategie“ würde der Unkenrufer sagen, aber der bin ich nicht, und überhaupt, wie viel können wir unser public image wirklich kontrollieren? Wäre ich ein einbeiniger, homosexueller und aidskranker Komponist aus dem Kosovo, dann wäre das – ich könnte machen was ich will – das EINZIGE was über mich in Zeitungen stehen würde, meine Musik könnte da so dufte sein wie sie will. Natürlich würden dann auch alle meine Musik dufte finden, selbst wenn sie gar nicht dufte wäre, das ist die Moral von der Geschichte.

Wie auch immer: „Aspekte“. Oehring.

Der Einspielerfilm beginnt. Man hört leise E-Gitarrenklänge. Ein Stück von Oehring? Man weiß es nicht, denn schon hören sie wieder auf, nach ca. 4 Sekunden (bevor die GEMA greift). Wir sehen Oehring in seiner Villa in Berlin, aus seinem neuen Buch lesend, in dem er seine Kindheitserinnerungen beschreibt. Der Regisseur des Einspielers hat sich entschlossen, die gelesene Passage, in der Oehring mit seinem Vater beim Angeln ist und fast ertrinkt und der Vater merkt es nicht, weil er die Hilfeschreie seines Sohnes nicht hört (nicht vergessen: Oehrings Eltern sind taub! Taub!) ganz konkret visuell umzusetzen. Also sehen wir Oehring am Ufer eines Sees sitzen (Der Vater! Dort ertrank er fast!). Das voiceover sagt uns „Hier entsteht gerade eine neue Oper“ und ich denke mir, super, meine nächste Oper möchte ich auch einem See komponieren. Aber leider besitze ich keine Villa am Wannsee und kann da immer raus und mich an den Bootsteg setzen um da zu komponieren. Vielleicht besitzt aber auch Oehring keine Villa am Wannsee und das ist alles nur gestellt, für den Film.

Kommt jetzt endlich mal Musik von Oehring? Nein, stattdessen erzählt Oehring von seiner musikalischen „Erweckung“, die – und das ist ja wirklich sympathisch – im Hören von „Queen“s „Bohemian Rhapsody bestand. „Das Stück hörte ich mir jeden Tag an“, sagt Oehring, „es gab mir Kraft“.

Nun muss man die Genialität des Regisseurs dieses Beitrags absolut bewundern, denn – Donnerwetter! – was ist nun zu hören? Eben! „Bohemian Rhapsody“ natürlich! Darauf muss man erst einmal kommen – die Öffentlich-Rechtlichen, sie überraschen einen immer wieder!

Die nächsten Minuten singt also Freddie Mercury fröhlich seinen größten Hit, während weitere Szenen aus dem Leben von Helmuth Oehring zu sehen sind. Moment einmal – Oehring ist doch Komponist, und auch ein guter, warum keine Musik von ihm? Nein, „Bohemian Rhapsody“ muss es sein, es könnte ja sonst jemand überfordert abschalten, wenn da auch mal was von Oehring kommt. Aber Moment mal – warum macht man dann einen Beitrag über einen Komponisten, wenn man keinerlei Musik dieses Komponisten zu Gehör bringt? Das ist so als mache man ein Feature über eine Kunstausstellung, und stattdessen blendet man immer Bilder von Aquarien, Wischmobs und Clownfischen ein.
Obwohl, sowas könnte ja genau das sein, was in der modernen Kunstausstellung zu finden ist.

Wie auch immer, kurz bevor der Beitrag zu Ende ist, und die „Bohemian Rhapsody“ fast in voller Länge durchgelaufen ist (wir dürfen nicht vergessen: dieser Song machte dem jungen Helmuth Oehring, DEM ARMEN KIND GEHÖRLOSER ELTERN!!!!, gehörig Mut, als es ihm schlecht ging), fällt dem Redakteur (?) auf, dass jetzt doch noch ein paar Oehring-Töne vonnöten sind. Und daher kommen – alibihaft und ganz schnell, jeder Clip deutlich unter 4 Sekunden (nicht vergessen, GEMA ist nicht vonnöten, wenn „informative“ Ausschnitte gezeigt werden), plötzlich ganz viele kurze Clips mit Ausschnitten von Oehring, allerdings so schnell, dass man gar nicht richtig weiß, was man da jetzt sieht. Ich kann mich nur noch erinnern, dass Salome Kammer irgendwann singend verquält über einen Bühnenboden gerobbt ist, aber da die arme Salome das quasi in jedem Stück in dem sie mitwirkt machen muss, könnte ich jetzt nicht wirklich viel mehr zu diesem Ausschnitt sagen.

Dann ist wieder die Moderatorin zu sehen, und sie sagt – mit all ihrer Moderatorinnenleidenschaft, die große Emphase und persönliches Interesse suggeriert, aber in einer Form von Begeisterung resultiert, die man durchaus mit dem Wort „mäßig“ bezeichnen könnte – dass Oehring gerade an einer Oper über Heine arbeiten würde. Was er wahrscheinlich am Wannsee tut, denn nur dort kann sich der Arme Sohn gehörloser Eltern (gehörlose Eltern! Wusstet ihr das schon?) erholen.

Zum Beispiel vom Ansehen solcher Beiträge.

Moritz Eggert

Freddy Mercury in einem seiner stilleren Momente. Oder war es umgekehrt?

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9 Antworten

  1. wechselstrom sagt:

    Der Carneval nimmt kein Ende, könnte man meinen – es ist leider eine traurige Geschichte. Das ZDF ist ein Sender, der schon lange in der Mülltonne oder ins Privatfernsehen entsorgt worden sein sollte. Ich verstehe jetzt die Klagen über Zwangsgebühren.

    – wechselstrom –

  2. Hoppla wechselstrom, da bin ich aber ganz anderer Meinung. Mein „Genau!“ bezog sich nicht auf eine Kritik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland als solches, ich wollte nur Moritz rechtgeben bzgl. der oft recht, äh, merkwürdigen Darstellung von Komponisten Neuer Musik in den unspezialisierten Massenmedien. Ok, zeitgenössische Musik ist natürlich schwerer zu visualisieren als Neo Rauch oder Gerhard Richter, aber bei der Präsentation ähnlich spröder zeitgenössischer Literatur kriegen Sie’s doch auch (manchmal) hin: „Druckfrisch“ mit Denis Scheck in der ARD zum Beispiel finde ich ganz lässig; warum also nicht mal eine Sendung, in der CDs mit Neuer Musik ganz schlicht gelobt bzw. in die Tonne getreten werden (beides natürlich mit qualifizierten Argumenten!)? „Experten“ hierfür gibt es sicherlich wie Sand am Meer ;-) Natürlich muss dann sowas nicht auf der ARD laufen, aber dafür gibt es ja die *hervorragenden* digitalen ZDF-Nischenkanäle ZDF kultur oder ZDF neo, meinetwegen auch 3sat (an dem das ZDF ebenfalls maßgeblich beteiligt ist) oder arte. Bevor du das ZDF entsorgst, kuck mal Fernsehen in Spanien oder Italien… Oder kuck besser nicht ;-)

  3. Goljadkin sagt:

    @ Stefan Hetzel

    warum also nicht mal eine Sendung, in der CDs mit Neuer Musik ganz schlicht gelobt bzw. in die Tonne getreten werden

    … ja, und warum nicht darauf hoffen, daß einem demnächst gebratene Hühner in den Mund fliegen und aus öffentlichen Brunnen köstlicher Wein fließt?
    Wohin die Reise geht, zeigte sich schon bei der Umgestaltung des ZDF Theaterkanals zu ZDF Kultur: Kaum noch Theaterproduktionen im Programm, kaum noch Konzerte, schon gar nicht mit Neuer Musik, stattdessen, wann immer man hinschaltet, Aufzeichnungen von Popmusikfestivals, vollkommen uninformative Sendungen über absolut belanglose Themen, wie sie auch bei RTL Explosiv oder ähnlichen Verwurstungsformaten abgehandelt werden usw. Der Trend zur RTLisierung der Öffentlich-Rechtlichen ist unumkehrbar und das Einzige, was ich mir wünschen würde, ist, daß sich mal einer von den Verantwortlichen vorne hinstellt und sagt: Nee, Kulturauftrag haben wir nicht, wollen wir nicht, wir machen Massenunterhaltung, und die Gebührengelder gehen eben für Sport, Hansi Hinterseer und Konsorten drauf. Dann wüßte endlich jeder, woran er ist, und müßte nicht dem hingehaltenen Wurstzipfel eines Kulturspartenkanals hinterherlaufen.

  4. @Goljadkin: Gibt es für dich denn wirklich keinen Unterschied zwischen „Erdmöbel“ und „Dschungelcamp“, zwischen „Kulturpalast“ und „Frauentausch“?

  5. Goljadkin sagt:

    @ Stefan Hetzel:
    Nö. Also höchstens graduell. Ich sehe einfach nicht ein, daß die Weichspül-Kultursendungen, die genausogut im Ersten oder Zweiten laufen könnten, in einen Randgruppensender ausgelagert werden, der dann auch noch ‚Kultur‘ heißt. Das ist doch höchstens ein viel zu kleines Feigenblatt vor dem Quotengenital. Von einem dezidierten Kultursender würde ich mir Hardcore-Kultur wünschen, also rund um die Uhr Neue Musik-Konzerte, Literaturbesprechungen, Lesungen, Theaterproduktionen (auch und vor allem aus der Off-Szene) etc. etc. Wäre mir auf jeden Fall lieber, daß, anstatt 1 Mio. Leute den sogenannten Kulturquatsch sehen, wenigstens 100000 einen Einblick in das bekommen, was (z.T.) wirklich da draußen los ist. Aber wie gesagt, das ist ja undenkbar, daß das noch passiert. Es wird suggeriert, naja eigentlich wird es einem ja geradezu eingebläut, Kultur sei ein Sondervergnügen, eine wirklich geheimnisvolle Sache für ein paar Spinner. Und der Rest darf dann auf keinen !!! Fall überfordert werden, siehe Moritz Eggerts Beitrag. Anstatt daß man den Leuten die Dinger einfach vorsetzt, als ob es gar nichts anderes gäbe …

  6. @Goljadkin

    Ich sehe einfach nicht ein, daß die Weichspül-Kultursendungen, die genausogut im Ersten oder Zweiten laufen könnten, in einen Randgruppensender ausgelagert werden, der dann auch noch ‘Kultur’ heißt.

    D’accord, das hat natürlich was von Getto – der Hauptkanal soll frei gehalten werden von schwer zugänglichen Artefakten.

    Von einem dezidierten Kultursender würde ich mir Hardcore-Kultur wünschen, also rund um die Uhr Neue Musik-Konzerte, Literaturbesprechungen, Lesungen, Theaterproduktionen (auch und vor allem aus der Off-Szene) etc. etc.

    Jetzt hoffst du aber, dass einem demnächst gebratene Hühner in den Mund fliegen…

    Wäre mir auf jeden Fall lieber, daß, anstatt 1 Mio. Leute den sogenannten Kulturquatsch sehen, wenigstens 100000 einen Einblick in das bekommen, was (z.T.) wirklich da draußen los ist.

    Und wer bestimmt, was das ist, „was … wirklich da draußen los ist“ – und was nicht? Selbsthilfeorganisationen verarmter Neue-Musik-Komponisten? Mit welcher Legitimation? Etwa im Sinne von: Unsere Werke sind „kulturell wertvoller“ als z. B. das Progressive-Rock-Revival-Festival letzte Woche? Und wie definiert sich hier „kultureller Wert“, mal so ganz allgemein gefragt? Nicht, dass du mich falsch versteht, ich will hier nicht kulturellem Relativismus à la „Es hat ja irgendwie alles seinen Wert“ das wohlfeile Wort reden, aber in einer öffentlich-rechtlichen Medieneinrichtung muss sich schon irgendwie der Geschmack der Vielen wiederfinden können; eine kulturstalinistische „Umerziehung“ der tumben Massen durch pausenlose Beschallung mit, let’s say, Helmut Lachenmann würde da sofort, und mit Recht, den Vorwurf des „Elitären“ hervorrufen.

    Es wird suggeriert, naja eigentlich wird es einem ja geradezu eingebläut, Kultur sei ein Sondervergnügen, eine wirklich geheimnisvolle Sache für ein paar Spinner.

    Es gibt zweifellos Ausformungen von Kultur, die als geheimnisvolles Sondervergnügen für ein paar Spinner ganz gut funktionieren. Und es sind nicht die schlechtesten (die Ausformungen jetzt). Man kann niemand zu seinem Glück zwingen.

  7. Goljadkin sagt:

    […] eine kulturstalinistische “Umerziehung” der tumben Massen durch pausenlose Beschallung mit, let’s say, Helmut Lachenmann würde da sofort, und mit Recht, den Vorwurf des “Elitären” hervorrufen.

    Ja, so sind wir. Schon derart indoktriniert, daß es immer gleich der Kulturstalinismus sein muß. Drunter machen wir es nicht.
    Dabei ist es doch eigentlich genau andersrum: Die „anderen“ wollen uns ja permanent umerziehen mit ihrem Heile-Welt-Scheiß und dem bloß-nicht-wehtun-Wohlfühlmist.
    Dagegen sollte man sich schon wehren (dürfen), finde ich.

    Und wer bestimmt, was das ist, “was … wirklich da draußen los ist” – und was nicht? Selbsthilfeorganisationen verarmter Neue-Musik-Komponisten? Mit welcher Legitimation? Etwa im Sinne von: Unsere Werke sind “kulturell wertvoller” als z. B. das Progressive-Rock-Revival-Festival letzte Woche? Und wie definiert sich hier “kultureller Wert”, mal so ganz allgemein gefragt?

    Nein, verarmte Neue-Musik-Komponisten sind sicherlich die allerletzten, die ich mit der Ermittlung des Wertes von irgendetwas betrauen würde. Das Programm sollen die Redakteure ruhig mal selbst machen. Aber dazu gehört eben auch Kulturberichterstattung und -vermittlung abseits der Prestigeprojekte und Events. Und warum zur Hölle eigentlich nicht mal ein 24 Stunden Special zu Lachenmann oder irgendeinem anderen Neue-Musik-Komponisten?

    Jetzt hoffst du aber, dass einem demnächst gebratene Hühner in den Mund fliegen…

    Ertappt …

  8. wechselstrom sagt:

    Und wer bestimmt, was das ist, “was … wirklich da draußen los ist” – und was nicht? Selbsthilfeorganisationen verarmter Neue-Musik-Komponisten? Mit welcher Legitimation?

    Die Frage nach der Legitimation von Medieninhalten, also über was wird berichtet und über was nicht, diese Frage gibt es im eigentlichen Sinne nicht, will man so etwas wie den Freiheitsbegriff ernst nehmen. Es gehört zum Berufsethos von Journalisten und Redakteuren sich in die Berichterstattung nicht hineinreden zu lassen – so jedenfalls die Theorie. Nun ja, auf dem Zeitungsmarkt gibt es für jeden Bedarf und jede Interessenslage ein Fachblatt (sogar für die Liebhaber Gregorianischer Choräle, hi Theo) – da kann man nicht meckern.

    Es gehört aber zu den legitimen (!) Wünschen, Interessen und Forderungen des Publikums, und da bin ich ganz bei Goljadkin, in den, mit Gebühren finanzierten Redaktionsstuben der öffentlichen Fernsehsender intelligente Leute sitzen zu haben, die nicht ausschließlich mit Tunnelblick den Ärschen der Stars und Starlets hinterherfilmen.

    Grüße aus Wien
    – wechselstrom –