Tales from the Crypt

Mit einem gewissen Amüsement habe ich die Kommentare (auf Facebook und hier) auf meinen letzten – zugegebenermaßen etwas kryptischen – Blog verfolgt.

Werbung

Im Grunde fallen diese Kommentare in folgende Kategorien:
1) Ist doch alles Quatsch, Totgesagte leben länger!
2) Stimmt, aber meine eigene Musik ist im Gegensatz zu der ganzen ollen Scheiße ganz toll – ich mache weiter!
3) Nur X….ist tot. Y…. dagegen ist NICHT tot. Und die Neue Musik schon mal gar nicht!
4) Was interessiert mich überhaupt Neue Musik?

Ok, ok, ihr habt … alle recht! Die Sammlung dieser Links war –das haben hoffentlich einige gemerkt – eher ironisches Statement als Wiedergabe meine eigenen Meinung.

Warum habe ich diese Totsagungslinks also gesammelt? Es ging mir auf jeden Fall keinesfalls darum, die öde Debatte vom Tod der Neuen Musik wiederzubeleben, und der dem Bad Blog oft vorgeworfenen Larmoyanz zu frönen.

Und zwar deswegen nicht, weil der Tod der Neuen Musik schon Vergangenheit ist. Sie hat sich darin auch sehr häuslich und bequem eingerichtet und wird in dieser Form sicherlich auch noch lange leben. Unsere Welt funktioniert ohnehin so – was einmal als Idee in Bewegung gekommen ist, geht nicht mehr weg, dazu gehören auch Stücke, die mit der Umkreisung eines Tones beginnen, dröge Komponistenversammlungen und undurchsichtige Urheberrechte.

Es ist in diesem Kontext auch nicht sehr schlimm, tot zu sein. Mal von den Vorteilen des Klischees („nur ein toter Komponist ist ein wirklich guter Komponist“) abgesehen: Wer tot ist, kommt ins Museum, und dort lebt es sich nicht allzu schlecht. Es gibt Kuratoren, die einen liebevoll betreuen. Täglich kommen Fans vorbei und bewundern einen, man nennt das dann Festival. Und damit meine ich jetzt gar nicht spezifisch Neue-Musik-Festivals. Über die Festivalszene hat gerade eben Gerhard Rohde trefflich in der FAZ geschrieben. Festivals sind einerseits etwas ganz Wunderbares (viele, viele tolle Musik, alles auf einem Haufen), gleichzeitig sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit (Ausnahmen bestätigen die Regel) nicht der Ort, an dem sich bahnbrechende Veränderungen in der Musik auf den Weg begeben. Denn wo diese geschehen, kann es, ja darf es noch keine Festivals dazu geben. Oder anders gesagt: erst gab es Schubert, dann die Schubertiaden, nicht umgekehrt.

Was also suchen wir? Warum das Gefühl des Totseins in so vielen Sparten der Musik (eben nicht nur der Neuen mit großem „N“ sondern auch Pop, Hiphop, Jazz etc. – es tut mir leid, dass ich jetzt hier auch nicht alle 597 Stile des Metals aufliste)? Max Nyffeler bemerkte richtig, dass es sehr schwer ist, Links mit Behauptungen der Lebendigkeit zu finden.

Wenn wir die Musikgeschichte betrachten (und zwar wirklich ganzheitlich, nicht nur mit Tunnelblick auf Wiener Klassik wie in Europa üblich) so stellen wir fest, dass das „Totsein“ (also das Bewahren und weitergeben des Tradierten anstatt das Hinterfragen desselben) definitiv überwiegt, und dass die Momente, in denen entscheidende Impulse von einem Genre ausgehen können und es sich neu definiert oder im besten Fall sogar erfunden wird, ziemlich selten sind. Dies kann gelegentlich Einzelfiguren gelingen, z.B. mit einem besonders starken Personalstil, der neue Horizonte eröffnet, aber häufiger ist es ein komplexes Zusammenspiel sozialer und kultureller Faktoren, so zum Beispiel bei der Verbreitung des Jazz, der nicht von der Geschichte der afrikanischen Sklaven und der späteren Verbreitung des „amerikanischen Traums“ (Jazz war auch die Musik der Sieger und eine willkommene Gegenthese gegen die Ästhetikdiktatur sowohl der Nazis als auch der Sowjets, usw.) zu trennen ist. Mit der Definition einer genuin neuen Musikform (wie es dem Jazz bewundernswerterweise gelungen ist) geht sehr oft auch eine soziale Veränderung einher – als Parallelbeispiel dazu ist zum Beispiel der europäische Aufstieg der Opernhäuser nicht vom gleichzeitigen Aufstieg des Bürgertums zu trennen. Gesellschaftliche Veränderungen haben überhaupt erst unser Empfinden einer „Klassik“ möglich gemacht.

Neue Impulse sind also unglaublich selten und immer etwas ganz Besonderes. Insofern ist eines der Haupt-„Verkaufsargumente“ der Neuen Musik, nämlich dass es in ihr stets um bahnbrechend Neues und noch nie Dagewesenes geht, eine Art Etikettenschwindel, denn wie kann etwas auf Kommando geschehen, was schon in der gesamten Musikgeschichte absolute Seltenheit hat? Selbst wenn es passiert (was ja nicht unmöglich ist) – es bliebe in seinem eigenen Museum, errünge die Bewunderung der schon Bewundernden.

Wenn man es ganz genau nimmt, ist die „Neue Musik“ schon viel länger tot, und zwar sogar bevor es den Begriff gab (dass ein Begriff gefunden oder gesucht wird, ist meistens ein sicherer Beweis des Totseins).
Die bewusste Abwendung der Wiener Schule von der Konzertöffentlichkeit (Verein für musikalische Privataufführungen), die daraus resultierende Intellektualisierung und Kontextualisierung der Musik, der Rückzug in die Akademien – in genau diesem Moment geschah tatsächlich etwas radikal Neues und noch nie Dagewesenes, das weite Kreise zog und bisherige Denkweisen über Musik zutiefst erschütterte. Als der philosophische Diskurs darüber begann, war es aber schon geschehen, unwiederholbar als Geste. Man kann sagen, dass sich der ganze Globus – um es vereinfacht auszudrücken – in der Folge in irgendeiner Form an der 12-Ton-Methode abgearbeitet hat (deswegen kennt diesen Begriff auch Lieschen Müller). Nachdem dieser Schritt aber vollzogen war, konnte zwar sehr, sehr viel tolle Musik geschrieben werden, aber kein grundlegend neues Terrain mehr gewonnen werden. Ich halte es auch für unmöglich, dass dies noch einmal geschieht – dazu müsste sich nicht nur unsere Musik ändern, sondern auch der Platz, den unsere Musik in der Gesellschaft einnimmt.

Und das ist das, worauf ich hinauswill: vielleicht wollen wir das Unmögliche, nämlich, dass von unserem Ort im Museum heraus plötzlich eine neues Evangelium verkündet werden kann, das neue musikalische Kreise zieht. Das wird selbst bei den beeindruckendsten Personalstilen (die es ja nach wie vor gibt) sehr schwierig wenn nicht unmöglich sein. Wenn wir diese Erkenntnis verinnerlichen – und dies sollte möglichst ohne Verbitterung und gegenseitige Vorwürfe sondern mit größtmöglichem Realismus geschehen – können wir beginnen uns Gedanken zu machen, was wir mit unserer Zeit anfangen wollen. Und uns die Frage stellen, wo im Moment gesellschaftliche Veränderungen stattfinden, und wie Musik darin eingebunden ist. Die entscheidende Frage ist dann nicht, wie Musik gemacht wird, sondern warum sie gemacht wird. Und über dieses Warum sollten wir reden.

Moritz Eggert

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

2 Antworten

  1. strieder sagt:

    Da kommt mir mein Gedanke wieder in den Sinn, das in der Neuen Musik, wo es also (wie Du schreibst) [vorgeblich] „stets um bahnbrechend Neues und noch nie Dagewesenes geht“, es oft doch nur „ähnlich Neu“ Neue Musik statt „Neu Neue“ Neue Musik gibt. Das muss nicht mal schlecht sein, denn wenn man ein Stück mag, möchte man ja gerne mehr in der Art hören. Aber ist auch Platz vorhanden für Neue Musik, die mehr anders als nur ähnlich-anders ist, oder typische Erwartungen nicht erfüllt?

  2. Hans-Martin Gauger sagt:

    Ich kann nur kurz sagen, dass mir dies sehr zusagt und ich also gratuliere. Mit bestem Grüßen, Hans-Martin Gauger