blutleere gedanken

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Guten Gewissens darf man in diesem Zustand natürlich nicht mehr schreiben. Aber welche Premierenkritik wurde schon nüchtern verfasst. Wenn sie nicht mindestens berauscht von einem Kunsterlebnis oder dessen Ablehnung war, wer wollte sie dann lesen. Immerhin kann sich der Autor zugute halten, seinen Rausch auf eigene Kosten herbeigeführt und sie nicht dem Büffet des Schwetzinger Schlosses abgeschnorrt zu haben, auch wenn das – zugegebenermaßen – die geldbeutelschonendere Variante gewesen wäre.

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Um das Wichtigste vorweg zu nehmen: Blut fließt keines im Schwetzinger Bluthaus, allen reisserischen Ankündigungen zum Trotz. (Ein Blick in das Programmheft weist übrigens Norbert Abels als den Hauptautor des von Moritz in ein kongeniales Hörspiel überführten Pressetext aus.) Alles bleibt hübsch sauber an der Oberfläche, selbst wenn Daniel Gloger und Sarah Wegener ihre Slips herunterreissen um den erneuten Beweis zu führen, dass man auf der Opernbühne nicht rumrammeln sollte. Ja, was die Presseankündigung verspricht, passiert tatsächlich: Erniedrigt, geknechtet, verlassen, verachtet, wie sie ist, fällt der Protagonistin, Nadja, nichts besseres ein, als sich von dem beflissenen Makler mit dem bedeutungsschwangeren Namen „Freund“ nageln zu lassen. Währenddessen erscheint ihr ihr Vater, den sie auf dem Höhepunkt mehrfach ruft und aus dessen Bannkreis sie offenbar nicht heraustreten kann. Das wäre ja schon einmal ein Ende für eine Oper, aber statt sich der postkoitalen Ruhe hinzugeben, hängt diese Oper noch einen (vorgestellten) vierten Akt an, der die absolut überartikulierten Eindeutigkeiten dieser Figurenkonstellation verzweifelt in eine Schwebe zu rücken versucht.

Durchatmen.

Erstmal: Viel zu selten wurde seit Erfindung des Melodrams oder des deutschen Singspiels der Versuch unternommen, gesprochene Sprache und gesungenes Wort enger miteinander zu vermählen. Die Durchdringung dieser Sphären, die in Schwetzingen nun vorgenommen wird, lässt sich bereits auf dem Besetzungszettel ablesen: Zahlreiche Schauspieler des Bonner Theaters sind Teil des Solistenensembles, das von den Sängern Sarah Wegener, Daniel Gloger, Ruth Weber und Otto Katzameier angeführt wird. Unter Leitung des Bonner GMD Stefan Blunier kämpfen sich die Musiker des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR tapfer durch die Partitur von Georg Friedrich Haas.

Das Libretto des österreichischenTopscorers unter den Librettoschreibern, Händl „Metastasio“ Klaus, bietet die Grundlage für diese neuartige Durchdringung von Sprech- und Gesangsparts. Doch nicht nur durch das Sprechen und Singen sind die Darsteller miteinander verbunden, häufig steuern sie nur ein Wort zu einem Satz bei, dessen Sinn sich erst in der hoquetusartigen Abfolge der Fragmente ergibt. Das ist ein spannendes Konzept, liefert es doch gewissermaßen die Auflösung der Figuren und ihre Rekonfiguration zugleich. Es ist eine Stärke von Händl Klaus, wie er mit kürzesten Satzgliedern den Figuren eine Ambivalenz verleiht und ihnen zugleich eine eine Konsistenz verschafft.

Georg Friedich Haas verfolgt das Prinzip des kontrafaktischen Denkens und verleiht der Musik immer dann eine gloriose Aura, wenn alles gerade zum Schlimmsten neigt. Daneben verfolgt er wirksame Strategien: zurückgenommene Begleitung der Sprechpartien durch Rhythmusinstrumente, vielleicht einem Rezitativ auf einem ungestimmten „Schlagzeugcmebalo“ ähnlich; gar Lautmalerisches aus dem Orchestergraben – Wind in den Celli, Türklingeln im Schlagwerk, Alban Bergs Lulu winkt von fern, gar Effekte aus der Horror-Kiste sind ihm nicht zu abgegriffen, als dass er sie einbetten könnte – und natürlich, wenn’s darauf ankommt, seine gar nicht so geheime Geheimwaffe der vollfetten Obertonharmonien. Es gibt aber auch einen Zug zu entdecken, der mir völlig neu erscheint: In Georg Friedrich Haas steckt ein waschechter Minimal-Musiker. Aus Friedrich Haas wir Philip Glass. Da dudeln die Holzbläser, die Celli schrubben dazu und wenn’s wieder Drama wird, Baby, – dann rummst’s auch mal ordentlich und ganz out of rhythm and tune da hinein.

Was die Obertonharmonien in den Instrumenten, das sind die Naturlaute in der „Totensprache“, die Otto Katzenmeier da immer wieder vor sich hingurgeln darf. Leider hat Klaus Weise ihm kein bisschen verraten, zumindest auf keine für den Zuschauer ersichtliche Weise, ob er nun ein Zombie, ein Geist, eine Wahnvorstellung, ein realer Fummler oder nur eine psychologische Entäßerung Nadjas ist. Dies als ein bewusstes „in der Schwebe halten“ zu deuten, wäre wohl zu viel des Guten, denn Halbgarheiten findet man gar manche in der unentschlossenen Regie des Abends. Insbesondere dem Schauspielensemble werden ein paar Vorstellungen sicher gut tun, um die Anschlüsse besser hin zu kriegen. Sarah Wegener ist eine glaubhafte Hauptdarstellerin, wenn man auch ein bisschen Mitleid hat, wohin soll sie auch mit ihrer Figur, ihre Grenzen sind doch gar eng gezeichnet. Stimmlich hat sie Großes zu absolvieren und tut dies üppiger Wucht. Daniel Gloger ist ihr ein ebenbürtiger Partner,

Zweiten: wer erstens sagt muss zweitens sagen. Also: überlege ich mir eine Ray Ban-Sonnenbrille zu kaufen, wie Georges Delnon, die Zigarrillos lass ich weg.

Drittens: Warum sind bei Premieren mit Schauspielerbeteiligung einfach immer viel hübschere Frauen anwesend?

Viertens: Wie weit ist es eigentlich noch bis Köln?
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Musikjournalist, Dramaturg