Wo geht’s lang bitte?

Ach, Komponisten – Immer wollen sie einem sagen wo es lang geht. Daher kann man in der Musikgeschichte immer zwischen zwei grundsätzlichen Komponistentypen unterscheiden: denen die einfach „machen“, und denen die einem sagen, wie man es zu machen hat, wenn man dazugehören will. Ich nenne sie die „Individualisten“ und die „Heilsbringer“.

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Als Beispiel für den ersten Typ könnte man einen Komponisten wie Beethoven anführen. Seine Musik ist eine, die den Hörer als gebildetes wie auch individuelles Gegenüber respektiert. Sie will ihn begeistern, nicht überwältigen, sie will aufklären und ermutigen.
Als Beispiel für den zweiten Typ könnte Richard Wagner gelten: seine Musik ist nicht nur Musik, sie ist Philosophie, Heilslehre und Schicksal, sie sucht das Bekenntnis, man kann ihr nicht neutral begegnen sondern muss ihr entweder verfallen oder sie gänzlich ablehnen.
Musik des zweiten Typus zeichnet sich oft durch eine gewisse Begrenzung der Mittel aus. Wagners Klangkosmos mag einerseits immens und großartig gemacht sein, aber es wird relativ schnell klar, „wie es gemacht ist“. Daher ist Wagner wesentlich leichter zu kopieren wie auch zu parodieren als Beethoven – immerhin hat sich fast das ganze 20. Jahrhundert an Wagner abgearbeitet, eben weil es genauso leicht war ihn zu kopieren wie ihn zu negieren.

Die Individualisten aber sind schwerer zu fassen, da ihr Stil sehr oft von singulärer Begabung abhängt,. Bei ihnen spricht man viel eher von „Talent“ oder „Inspiration“ als bei den „Heilsbringern“, denn talentbeschreibende Begriffe sind einfach nur Platzhalter für etwas, das man nur schwer mit Worten beschreiben kann.

Im 20. Jahrhundert hat sich aber noch ein neuer Typ des Komponisten entwickelt, der im Grunde eine Mischung beider Typen sein kann – der Pionier. Der Pionier kämpft an vorderster Front und entdeckt Neuland, neue Klänge, Musik ist für ihn wie Wissenschaft, eine Wissenschaft in der Erfindungen genauso möglich sind wie z.B. in der Industrie. Stockhausen wie auch Alejandro Iglesias Rossi (siehe meinen letzten Artikel) wollen als „Forscher“ ernst genommen werden. Methoden sind für sie bedeutsam, sie besitzen sie quasi mit „copyright“. Bei Stockhausen sind es die Superformeln oder Einflüsterungen vom Sirius, bei Rossi ist es die Kontrolle über die Bedingungen, unter denen Musiker seine Musik überhaupt erst spielen dürfen (spirituelle „Führung“ wie auch Kampfsportarten gehören dazu).

Beispiele für wiederum individuelle, solitäre Pioniere „Beethovenscher“ Prägung – also deren Werk das Individuum unangetastet lässt – sind Varèse und Xenakis. Beiden ist typisch, dass sie keiner grundsätzlichen Methode trauen sondern sich stets auf der Suche befinden. Da sie nie „ankommen“ fällt es ihnen schwer, eine Schule zu begründen, sie wollen dies auch nie. Aber was sie tun hat Methode, hat Ziel und Richtung.

Andere Komponisten können und wollen nicht einsam sein. Sie wollen als Gründer einer Schule angesehen werden, oder suchen Bestätigung in einer ästhetischen Massenbewegung (Futurismus, Minimalismus) oder der Nähe zur Politik (Nono, Henze). Wichtig hierbei ist immer die Frage: „Ist meine Musik legitimiert oder ist sie es nicht? Ist dies eine Legitimation des Materials (Spektralismus) oder eine Legitimation, die sich aus einer ästhetischen „Notwendigkeit“ ergibt (Adorno, Serialismus)?“

Wie auch immer, all diesen Vermarktungsstrategien – und das sind sie letztlich, wenn man es ganz genau nimmt – ist eins gemein: sie können nie Anspruch auf Endgültigkeit erheben. Eine ästhetische Position mag hochintelligent, hochnotwendig und historisch aufs Höchste gerechtfertigt sein – irgendwann kommt der Punkt, wo sie sich selbst ad absurdum führt, wo ihr Verfallsdatum überschritten ist. Vielleicht ist Musik dann doch nicht wie Wissenschaft? In der Wissenschaft baut eins aufs Andere auf, jede Erkenntnis fußt auf der Summe von vorhergehenden Erkenntnissen. In der Kunst ist dagegen Tabula Rasa (man vergleiche nur den krassen Schritt von hochartifizieller Barockpolyphonie zur Mannheimer Schule) oft der kreativste Weg.

Daher bin ich immer sehr misstrauisch allen Positionen gegenüber, die mir sagen wollen, wie Musik heute zu sein hat. Vielleicht weil ich ihr Verfallsdatum schon auf ihrer Stirn geschrieben sehe. Alles vermeintlich Endgültige, alles „so, und so nicht mehr“, es ist alles Schall und Rauch.

Aber natürlich wird man immer wieder mal gebeten, seine eigene Position ästhetisch zu definieren. „Was für Musik schreiben sie eigentlich, Herr Eggert? Wie nennen Sie das?“.

Nun, ich hatte mal versucht, eine Theorie der „präsenten Musik“ zu entwickeln, wobei „Theorie“ wirklich übertrieben ist. Eher ist es eine Art Ausschlussverfahren, ganz im Sinne von Sherlock Holmes. Vielleicht kommt man dazu zu begreifen, was Musik eigentlich sein könnte, wenn man sich eher klar macht, was Musik nicht ist. Das ist alles, was ich anbieten kann. Irgendjemandem sagen zu müssen, wie Musik zu sein hat – auch meine eigene – widert mich an.

Hier also, auf vielfachen Wunsch meiner nicht vorhandenen Jünger, ein noch unvollständiges Manifest mit Bitte um Erweiterung, ein Flugblatt, mit der Bitte es zu vervielfältigen, es abzuwerfen über dem Niemandsland des ästhetischen Kunstdiskurses, irgendwo neben der Leiche „Neue Musik“, die einsam den endlosen Fäkalstrom der Superstars (die von niemandem mehr gesucht werden) entlang schwimmt.

KLEINES ZWISCHENMANIFEST DER PRÄSENZ (mit Gruß an Mathias und Verneigung vor seinem „schöne Musik“ – Text)

Musik ist kein Verein mit Mitgliedsausweis. Keine Verwertungsgesellschaft kann sie je endgültig fassen noch endgültig kategorisieren. Es gibt in ihr kein „richtig“ und kein „falsch“, und – wenn wir ganz, ganz ehrlich sind – kein E und kein U und kein „es gibt nur gute und schlechte Musik“.

Musik ist kein Kompositionswettbewerb und keine Professur, keine Ehrung und kein Stipendium.

Musik braucht keine Legitimation und keinen festen Standort, sie ist weder Teil einer These noch braucht sie Thesen.

Musik muss nicht verteidigt werden.

Musik ist nicht Teil, nicht Ziel eines Kreuzzuges.

Musik gehört niemandem, am wenigsten ihren Erfindern und auch nicht denjenigen, die damit Geld verdienen.

Musik ist keine Idee, aber sie besteht aus Ideen.

Musik gehört auch mir nicht.

Musik wurde nicht erfunden und nicht gefunden, sie beginnt und endet mit unserem eigenen Bewusstsein.

Musik ist das Schönste und das Wunderbarste und das Hässlichste und das Nutzloseste auf der Welt, manchmal alles auf einmal. Tatsächlich ist sie noch viel mehr als das, aber da man es nicht genau beschreiben kann, kann man es nur in Musik ausdrücken.

Musik erhellt und verdunkelt zu gleichen Teilen.

Musik ist anstrengend, und es soll anstrengend sein, sie zu schreiben.

Musik muss gehört werden, sonst ist sie nicht da.

Musik, die nicht gehört wird, existiert nicht.

„Eine Partitur an die Wand gehängt ist das Langweiligste, das man sich anschauen kann“ (Ralph Shapey).

Ralph Shapey

Ralph Shapey

Musik zieht diejenigen an, die sich besser als andere finden und die es besser als andere wissen wollen, aber genau diesen entzieht sie ihren Trost, den größten Trost spendet sie denjenigen, die überhaupt nichts über Musik wissen.

Musik ist kein Lifestyle.

Musik ist kein Apple Laptop.

Musik ist keine tiefgefurchte Stirn.

Musik ist keine Clique.

Musik weiß nicht, wo es lang geht.

Musik hat keinen Sinn.

Musik kennt Rituale, aber keine Religion.

Musik weiß nichts.

Musik existiert nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft sondern nur in der Gegenwart.

Musik ist präsent.

Moritz Eggert

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4 Antworten

  1. querstand sagt:

    @ eggy: Grummel, grummel – der Versuch Wagner und Beethoven zu definieren löst doch etwas Widerspruch aus. Für mich ist Wagner auch Individualist, Beethoven auch Heilsbringer. Beides natürlich mit unterschiedlichen Intensitäten, die sich mal wieder aus dem Winkel des Betrachtens der Zeitgeschichte ergeben: Beethovens Finale seiner neunten Sinfonie bejubelt ein Allgemeinglück, so dass es heute noch von den unterschiedlichsten Ideologien gleichartig kräftig vereinnahmt wird. Dies geschieht mit allem Drumunddran: von Dunkel ans Helle, der Unwillige soll sich schleichen, Entdeckung des Gemeinsamen, totale Überhöhung. In Quartetten wie der solemnen (wie schön wäre somnambulen Messe – das Benedictus…) Messe, in der dreifachen einen Oper wird für damalige spätklassische Bedingungen Heilssosse vergossen.

    Kollege Wagner tankte da direkt, man denke an seinen 9.-Sinfonie-Klavierauszug, der Bezug auf dieses Stück bei von ihm dirigierten Konzerten in Bayreuth, das Verarbeitungstamtam, etc. Tja, „Heil“ wird tatsächlich oft, zu oft in seinen Werken gebrüllt, das könnte man als Indiz für die Heilsbringerverortung werten. Denkt man an die 20 Finali in den 10 Finali der 5 Rienziakte, das Erlösungsgebimsel im Parsifal, muss ich Dir Moritz auch Recht geben. Erstaunlicherweise sind allerdings all die weiblichen Erlösungstode irgendwie weniger heilsverkündend als sehr individuelles Scheitern der Damen und ihrer Lover, vielleicht sogar im Untergang, der zu positiv gesehenen Depression realistischer als der Fidelioschluss, der Sieg Leonores. Vielleicht liegt hier auch nur eine frühe Ausnahme im deutschsprachigen Theater vor: im mediterranen Umfeld angesiedelt sind die Damen dort wahrscheinlich immer stärker in den Augen der Männer als hierzulande, natürlich streng durch die 19.-Jahrhundert-Brille betrachtet. Whatever – Musik der beiden Schlachtrösser ist bei jedem der Zwei wohl individuell wie heilsbringend.

    Also bin ich bei meinem Lieblingsthema, dem“ Sowohl als Auch“. Unzulässig aus dem Zusammenhang gerissen, erlaube ich mir zu zitieren“Musik ist das Schönste und das Wunderbarste und das Hässlichste und das Nutzloseste auf der Welt, manchmal alles auf einmal.“ Das ist das Göttliche wie Teuflische an der Musik. Ich gehe vollkommen d’accord, dass Musik all das nicht sein soll, wie Du es aufstellst, kein Mitgliedsausweis, kein Kreuzzug bis hin zu keine Religion.

    Da fällt mir nochmals ein: Wagner und Stockhausen in Parsifal wie Licht akklamieren für sich und die Wirkung ihrer Musik das Religiöse. Das Problem dabei: über die vereinfachende Doktrin einer Sekte kommen Beide nicht hinaus, weit entfernt von einer ausformulierten Theologie, so viel sie dazu gesagt haben mögen, an den vielen Quellen ihrer Sprüche erkennt man mit wachem Blick zu sehr das Geistespasticcio. Das Ohr wird natürlich durch die Musik getäuscht, überwältigt – nur ist es reines Ritual, niemals so aufgeladen wie ein katholisches, tridentinisches Hochamt. Das macht sie nicht sympathischer, aber so gefährlich sind beide dann doch nicht, es sind immer die, die sich ihrer bemächtigen…

    Also, Musik ist keine Clique, kein Macbook, kein Lifestyle. Idealerweise vollkommen richtig, selbst unter Verwendung eines Apples als Lifestyle zur Komposition von Musik für oder eben nicht für die eine aber eine andere Clique, ist Musik immer mehr, das Unfassliche – sonst würden wir uns nicht so sehr unter Verachtung all der Lebenswidrigkeiten dafür doch entscheiden! Und dennoch ist sie Clique und Lifestyle, erzeugt sie damit erstmal Aufmerksamkeit, damit man überhaupt zu ihr kommt und ihr zuhört. Selbst zu sagen, dass man keine Cliquenmusik machen wolle, spricht eine andere, vielleicht dann grössere Clique an. Es gibt immer eine Allgemeinheit die der anderen Allgemeinheit ihre Musik nicht gönnt bzw. sich einfach verschliesst, nur via Filmmusik z.B. auf sie gestossen wird.

    Das war z.B. doch wieder in Teilen auch gestern beim MGNM Musikfest zu beobachten. Bei aller grossen Freundlichkeit im Umgang zeigen sich doch wieder die ästhetischen Trennlinien, wird das klar formuliert, geht es natürlich auch um schlecht und gut oder komponiert und improvisiert oder komponiert und benutzt. Erstaunlicherweise waren bei den knapp 40 Stücken die Komponisten mal wieder die mit der klaresten Abgrenzung, je jünger und hochkultureller, somit „richtig“ abgesichert um so verbohrter das Andere mit schweigender Verachtung strafend, somit allerdings in der eigenen Borniertheit auch nicht fähig unter Umständen Gratulationen für gute Stücke entgegen zu nehmen oder über das eigene Missfallen zu reden. Es ist schon spannend wie den letzten Schülern Boses und Pintschers in München, die ja beide immer wieder sehr gute und in gewisser Weise absolut traditionelle Stücke schrieben, der Schatten der eigenen Meister immer wieder im Wege steht – letztlich auch bei der noch so grossen Geschliffenheit ihrer eigenen Werke – und sie nicht darüber springen können. Ich wagte die Mutprobe und shredete münchner Volksmusik mit spektraler Elektronik – was doch so wunderbar zu Dreigesängen passen kann. Witzig wie man mit Leuten ins Gespräch kam, die bei meinen hermetischeren Stücken das Weite suchten, schade wie den o.g. gar nichts einfiel – eine Minderheit, also eine Clique?

    Das hat nun hiermit nicht viel zu tun, ist aber mal wieder der Beweis, wie Musik für manche mehr ist, das Unfassliche sein muss, dann aber bei Unfasslichkeit ins Schweigen verfallen, sich doch immer wieder ganz automatisch Cliquen bilden, es wohl basales Primatenverhalten ist, anno steinzeitdazumal selbst die fantastischste Knochenflöte den Spieler dieses zivilisatorischen Glanztpunkts in den Kochtopf der Gegner wandern liess.

    Es entbrannte hier letzthin die Frage, ob Stockhausen der letzte deutsche Idealist gewesen sei. Eigentlich mal wieder eine Diskussion um Fakten des 20. Jahrhunderts im Geiste des 19. Jahrhunderts. Na, soviel Ideen wie Stockhausen hatte, an denen wir immer noch zehren, wir darin eintreten und vielleicht gefangen sind wie die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts immer sich um Wagner in Anschmiegung wie Absetzung, so mag es wohl sein. Wenn man ein Anhänger seiner Kunst und Äusserungen dazu ist, kommt man kaum umhin. Für Ligeti war er wohl ein Reibestein, an dem sich das gesamte Werk Ligetis messen lässt.

    Aber dies ist zu eng, wie Stockhausen immer wieder so wagnerisch aufzublasen. Die Vorbilder sind so zahlreich, es boulezt, xenakelt, varest, lachenmannt, scelsit, rommitellit, griseyt, ferneyhought, rihmt, etc. Die Ernte des 20. Jahrhunderts ist somit viel grösser und breiter als die des 19. Jahrhunderts, wo man sich zwischen Wagner/Liszt/Strauss oder Schubert/Brahms/Schumann zu entscheiden hatte, weite Rückgriffe in den Barock notwendig waren, ins Volksmusikalische oder dem Eindringen und Herauskriechen in dieser wenigen Vorbilder. Heute ist es viel einfacher, da man viel mehr zur Verfügung hat. Leider klagt man darüber viel zu sehr, als sich darin glücklich zu fühlen, wenn man doch noch eine klitzekleine Neuerung findet.

    Wie von mir schon oft gesagt: heute heisst es nicht mehr unbedingt Fortschritt, noch mehr Macs, Elektronik und Spieltechniken, dumm gesagt, noch mehr Atomstrommusik, nein, es geht um Konsolidierung und Nachhaltigkeit, Solarstrommusik. In diesem Sinne wird jeder heute noch so das gerade Vergangene adaptierende Musikbaum anders aussehen als sein Vorgänger. Man muss nur bereit sein, das individuelle darin zu hören und zu sehen. Ansonsten macht man Vergangenes zu Idealistischen, was es selbst nie gewesen ist. Vielleicht bricht man so auch das Cliquenhafte, wenn man nicht gleich immer einen Kreuzzug des Ausschweigens oder Anschreiens führen muss…

    Guten Abend,
    Alexander Strauch

  2. Sorry my comment was a little bit to short for the administry of this faboulous blog.
    Therefore I simply try to repeat my simple question:
    Lang Lang?

  3. eggy sagt:

    @querstand: so grummelig warst Du ja dann doch nicht :-) Also, natürlich ist Beethoven auch als Heilsbringer eher vereinnahmt worden, die 9. Sinfonie ist ein bisschen ein Mißverständnis in der Rezeption (und auch eine Ausnahme in Beethovens Werk – denk an „Fidelio“), im Grunde ist es ein Individuum, dass hier die Millionen umschlingt. Aber natürlich war Beethoven bekanntermaßen anfällig für andere „Heilsbringer“ (Napoleon). Wenn ich aber an bedingungslosen aufklärerischen Individualismus in der Musik denke, fällt mir vor allem Beethoven ein, tut mir leid…Beethoven ist das Gegengift gegen alles Vernebelnde in der Musik, das ist mir nach wie vor ungeheur sympathisch. Und vor allem: er hatte wahnsinnigen Humor und Sinn fürs Skurrile (siehe z.B. die Cellosonaten, späten Streichquartette, Streichtrios), das geht Wagner vollkommen ab. Wenn Wagner versucht, „witzisch“ zu sein („Meistersinger“) ist es ganz, ganz grauenhaft. Es sind immer die humorlosen Komponisten, die einen Kult erzeugen – Auch Stockhausen war – zumindest im öffentlichen Leben – sehr humorfrei und eher unfreiwillig komisch (wenn ich an den „Ein-Mann-Torpedo zwischen Deinen Brüsten“ bei „Stimmung“ denke)…
    Moritz Eggert

  4. querstand sagt:

    @ eggy: „Der Weg ist das Ziel“ könnte ich antworten. Wenn ich allerdings meinen Weg zur Musik, zum Komponieren beobachte, muss ich sagen, dass jenes Zitat hier nicht passt. Denn es würde ja wieder zu genau sagen wollen, wo es „lang“ geht. Wird hier also Theo Geisslers „Lang Lang“ als Quintessenz bleiben? Also, dass mehrere Wege ins Ziel führen Immer diese Verlegerweisheit, macht uns ganz verlegen…

    Mir gefällt hierzu besser:“Alle Wege führen nach Rom“. Meine Infizierung mit Musik begann tatsächlich mit Heilsbringerei: ein Choral für die Religionslehrerin „Einzug der Engel“ tituliert, ein Erlösungsgesang zu „Krabat“. Dazu im selben Alter windpocken- wie maserngeplagt, Zeitvertreib mit Hören von Wagneropern, diebische Freude über „die Frösch-, die Kälber, die Stieglitzweis'“ in Daivds Regelaufzählung aus dem 1. Meistersinger-Akt. Höchstwahrscheinlich werden mich diese Ersteindrücke für immer und ewig verdorben haben, zum Dreikäsehochwagnerianer gemacht haben. Aber was soll es, ALLE Wege können nach Rom führen, irgendwo habe ich die richtige Kurve gekriegt. Dennoch reibe ich mich wohl immer wieder an Wagner als an Beethoven, der mir zuvor unzugänglich gewesen ist. Wie nahe war mir der Samtgewänder tragende, Frauen ausspannende, weltläufige (eher europaläufige), Könige verführende, auf die Barrikaden gehende Sachse. Natürlich habe ich um seine schlechte Wirkung auf Hitler gewusst, fand seine Cosima ziemlich doof und in deren Gefolge das gesamte Bayreuthtamtam. Dennoch war und bin ich immer wieder von Details begeistert.

    Schockiert war ich tatsächlich, dass Wagner Beethovens Neunte als Klavierauszug bearbeitet hatte. Da brach erstmal eine Welt zusammen, denn ich hasste nichts mehr als diese Neunte, diesen Fidelio, dieses Quartett-Geschabe. Mir waren neben, mit, vor oder auch über Wagner hinaus allemal Mozarts Klavierkonzerte lieber, seine Quartette. Beethoven hatte eine Chance mit seinen ersten vier Klavierkonzerten. Lustigerweise bin ich über Wagner auf Brahms, auf Schumann gestossen, auf Peter Cornelius gekommen. Über Mozart und Haydn, in eigener Quartettspielerei auf Mendelssohn gekommen, dann auch immer wieder auf Beethoven. Der interessierte mich erst zu Beginn meines Studiums, heute sind die Neunte, die Missa Solemnis, Fidelio mitunter meine Hausgötter. Dennoch ist die Person Beethoven mir noch immer unzugänglicher als all die Wagnersche Hybris, was das jetzt auch immer über mich aussagen mag…

    Wenn es um aufklärerischen Individualismus geht, hänge ich immer noch bei Haydn und Mozart fest, ist mir der beethovensche Individualismus suspekt, hüpfe ich lieber gleich zu Schönberg, zu Webern, zu Grisey, zu Ligeti, zu Nono. Diese stehen mit ihren Bezugspunkten ja alle irgendwie zwischen Beethoven und Wagner…

    Der Humor aller hier Aufgezählten ist mir erstmal reichlich egal gewesen. Ich lache heute auch weniger über konkrete Witze in Mozartopern, Haydnquartetten, Beethovensonaten, Wagnerdramen, Griseyspektren. Wirklich witzig finde ich gelungene Übergänge, Fragen, was an Material ruht, weitergesponnen wird, merkwürdige Wiederholungen, etc. Mit Grausen denke ich noch an FFM-Analysen, wo angeblich Haydns grobschlächtiger nachgewiesen werden sollte, mich nur das Spiel mit den Zahlen zwei und drei ansprang. Auf diesem Wege finde ich Beethoven auch Klasse, finde ich die Introduktion zur Florstan-Arie den Hammer, die Arie lässt mich kalt. Genauso bei Wagner: am wahnsinnigsten finde ich mitunter den Übergang zwischen der zweiten und dritten Szene im 1. Akt der Götterdämmerung, wenn es von Hagen am Rhein zum Walkürenfelsen rückleitet. Das davor und danach – uninteressant im Vergleich zu den Übergängen dieses Zwischenspiels. So geht es mir übrigens lustigerweise auch mit den Wagnerkopien aus dem Pelleas Debussys: die Zwischenspiele reizen mich am meisten. Oder noch provokanter: den hadernden Hagen am Rhein, allen das Schlechte wünschend, erscheint mir menschlicher als das zur Freiheit Florestans, gerade weil es wohl so aussichtslos im Ring zugeht. Florestan verkündet Wünsche, Träume. Das kann natürlich beflügeln, da leidet man mit, springt die ganze Identifikationsklitsche an. Hagen straft man doch lieber mit Verachtung. Aber um wie menschlicher ist er doch geschildert als Pizarro, wie menschlicher, nicht unbedingt humaner ist er in seiner Bösartigkeit, etc. Letztlich war Wagner doch ein grösserer Meister der musikalischen Charakteristik als Beethoven, der nur wirklich funzt, wenn es ins Idealistische geht. Was den Humor betrifft, sind hier alle Genannte meilenweit entfernt.

    Bei Humor fallen mir Mozart, Satie, Ravel, Sciarrino, Chabrier, Cornelius, Messiaens Vogelstimmen, Henze, Lachenmann ein. Bei den „Grossen“ wird es wohl immer schwierig bleiben, unfreiwillig. Wie ernst man Musik nimmt und Humor aus dem Wege auch heute noch geht, s.o. MGNM…

    Aber wie gesagt: der Weg ist hier nicht das Ziel, es zählt das Ergebnis. Und so fühle ich mich den Herren im letzten Abschnitt viel verbundener als der ganzen Beethoven- wie Wagnersosse, auch wenn ich für letzteren mal plädieren wollte. Ein wenig Zeigefinger: man sieht Wagner immer noch zu sehr in seinen Auswirkungen als seinen heute auch noch durchaus wichtigen einfachen, direkten Wirkungen. Dies kann bei mir allerdings tatsächlich eine genverändernde Kraft der Windpocken und Einzüge der Engel im Himmel gewesen sein.

    Gruss,
    Alexander