Japanische Tweets

Gojira

Mein Freund D.F. ist ein japanischer Komponist und das, was man als „twittersüchtig“ bezeichnen könnte. Er twittert jedes Detail seines Tages, vor allem, wieviel er jetzt wieder an einem Stück weiterkomponiert hat und wo wieder etwas aufgeführt wird (Zitate: „Oh, ich habe schon 4 Minuten meines neuen Duos!“, „Jetzt sind es 4 Minuten und 10 Sekunden“, „Gerade habe ich 20 Sekunden mehr für mein neues Duo geschrieben“, „Mein Duo ist fertig: Ganze 5 Minuten und 2 Sekunden“, „Ich habe mein Duo jetzt an meinen Verlag geschickt“, „X und Y werden mein Duo jetzt in Z und W spielen“, „Habe gerade gehört, dass X mein Duo jetzt auch noch zusätzlich in V spielen wird, aber mit R“, „Noten vom Duo vom Verlag zurückbekommen“, etc.pp.). Zusätzlich führt er über Twitter ganze Unterhaltungen („mit tweet antworten“), was angesichts der Zeichenbegrenzung bei Twitter eine etwas mühsame Angelegenheit ist. Kurzum: D. ist ein ganz normaler Komponist, wie Du, ihr und ich!

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Allerdings hat D. einen Vorteil: Er ist Japaner. Und bei Twitter zählt ein japanisches Schriftzeichen (das im Allgemeinen ein ganzes Wort bedeutet) nur als EIN „Zeichen“ – die Zeichenbegrenzung ist also für ihn eher eine Wortbegrenzung. Und mit 140 Worten kann man wesentlich mehr sagen als mit 140 Buchstaben, wie im Deutschen.

Seit der Katastrophe in Japan üben die Tweets von D. auf mich eine unendliche Faszination aus. Ich habe das Gefühl, dass die Japaner mehr wissen als all unsere Medien und dass sie untereinander geheime Nachrichten darüber austauschen. Die Japaner haben das „Horrorszenario“ (Deutsche Medien) schon unendliche Male im Geiste durchexerziert. Schon unzählige Male haben Monster wie Godzilla (eigentlich: Gojira) Tokyo in Schutt und Asche gelegt und – schreckliche Vorausahnung – mit ihrem radioaktiven Atem verseucht. In Katsuhiro Otomos „Akira“-Manga wird Tokyo 2x durch atomare Explosionen zerstört, in Naoki Urasawas „20th Century Boys“ sogar 3x. Vielleicht sind die Japaner deswegen auch (noch) so erschreckend ruhig, sie erleben etwas, das sie schon in Gedanken immer wieder durchgespielt haben. Was es aber natürlich nicht im Geringsten weniger schrecklich macht.

Was schreibt also D.? Welche Tweets schicken er und seine Freunde sich hin und her? Man muss dazu wissen: D. lebt in London, er hat sein Land als 15-jähriger verlassen, ist ihm aber nach wie vor zutiefst verbunden. Meine iphone „twitter“-app hat eine eingebaute Übersetzerfunktion, daher kann ich versuchen, den Inhalt der Tweets zu verfolgen, auch wenn die Direktübersetzung aus dem Japanischen sehr problematisch ist. Meistens sind es Links auf furchtbare Bilder vom Erdbeben oder den Überschwemmungen. Ein Freund von ihm tweetet: „In Tokyo ist alles wie immer – business as usual“. Jetzt wohl nicht mehr.

Gestern schrieb D.: „2 Stunden, so dass ich noch empfehlen, mein Bestes zu realisieren w! RT @ paris_gorgeous: Brilliant RT @: Benefizkonzert sprechen einige Mitglieder des Orchesters von Freunden sofort werde ich auf jeden Fall! Das. Locations in London könnte schon bald.“ (so klingt die Direktübersetzung, wahrscheinlich Babelfish).
Aha, er will sich dafür einsetzen, in London ein Benefizkonzert zu veranstalten. Natürlich löblich!

Etwas später: „Freiburg Banakaya morgen aber ich mache mir Sorgen über Japan„. Das kann man natürlich verstehen. Er ist in Freiburg (oder in Banakaya?), aber seine Gedanken sind in Japan. Kein Wunder.

Dann: „Ja, das wird nach ein paar Monaten in Deutschland“ (wahrscheinlich meint er eine Uraufführung). „Premiere ist ein Benefiz-Konzert in London wollen, bevor dann zu erzielen.“ (Er will, dass das Stück lieber in London beim Benefizkonzert uraufgeführt wird). „Irgendwie bei der Fertigstellung von allen Mitteln lassen Tweets. Bitte verbreiten.“ (das ist mir nicht ganz klar. Geht es um eine „Commission“ für die UA? Will er die spenden?). „Nur dieses Mal, weil ich glaube, Sie brauchen die Kraft der Musik“. (Mehr als die Kraft der Musik brauchen die Japaner unglaubliches Glück, vor allem jetzt…).

Ein Freund tweetet ihm: „Diese unerhörte decken die Kosten des Wiederaufbaus, es gibt keine wirtschaftliche Tätigkeit, ausgenommen die Öffentlichkeit„. Nun ja, sicherlich ist es klug, schon jetzt über den Wiederaufbau zu denken. Das ist typisch für die tapferen und fleißigen Japaner.

D. schreibt zurück: „Es dauert einige Zeit, um vor der ersten Aufführung schriftlichen Arbeiten in diesem Monat. Klassik Welt ist träge, oder weil es braucht Zeit, um eine Aufführung planen etablieren (Benefizkonzert)“. Klar, so ein Benefizkonzert lässt sich nicht hoppladihopp organisieren. Aber D. gibt nicht auf, gut.

Eine Weile (nur kurz) herrscht Stille im Twitterversum.

Dann antwortet (retweetet) sein Freund lapidar, quasi von Komponistenkollege zu Komponistenkollege: „große Dinge mit Erdbeben Genesung helfen neue Werke in Auftrag zu geben.“

Ich stutze.

Und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken.

Moritz Eggert

Akira

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