Antwort auf eine Email von XXX

Lieber XXX,

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Für deine schöne Zeitschrift batest Du mich um ein kurzes Statement zur Entwicklung der Neuen Musik in den nächsten 10 Jahren. Meine erste Antwort war Dir zu düster, Du fandest meine Einschätzung der Lage (nämlich die, dass die Neue Musik wie wir sie kennen am Ende ist) „völlig überzogen“ und „larmoyant“. Ich solle sie doch bitte kürzen und meine eigenen ästhetischen Wünsche für die nahe Zukunft darlegen.
Nun denn, ich möchte es versuchen, möchte mich kürzer fassen, kann aber nichts sagen, an dass ich nicht glaube. Festzustellen, dass etwas eigentlich tot ist (aber noch ein bißchen zuckt) hat nichts mit Weinerlichkeit zu tun, es ist Realismus. Je schneller wir feststellen, dass der Patient Neue Musik keine Chance mehr hat, desto schneller gelingt auch der Neubeginn, und das ist für mich ein sehr positiver, ja sogar äußerst ermutigender Gedanke. Ich weine nicht, ich halte diesen Tod für notwendig. Je schneller, desto besser. Ästhetische Diskussionen am Rande des Grabes – sie halten nur auf. Soll der Sarg aus Eiche oder aus Buche sein? Der Griff aus Messing oder aus Eisen? Das ist doch wirklich egal.

Was soll ich mir für die Neue Musik wünschen? Sie solle komplexer werden? Simpler? Mikrotonaler? Kritischer? Wo liegt die Rettung? In größerer rhythmischer Ausdifferenzierung? In zunehmender Erforschung des Klangs? In der Intensivierung der Stille? Mehr Geräuschanteile? Mehr Improvisation? Oder weniger von all dem? Versuch einer Kanonbildung? Wiederbelebung der Ideale der Moderne? Rückkehr zur Tradition? Verweigerung der Konvention der Konventionsverweigerung, in der Hoffnung, dass diese dann nicht so konventionell klingt wie die gängige Konventionsverweigerung? Wird das unsere Situation in irgendeiner Form ändern, wenn ich hierauf die Antwort gebe, die Du Dir vielleicht erhoffst? Welchen Parameter ich auch immer entwickle – Klang, Rhythmus, Form – es bleibt Parameter, ist nicht Inhalt. Max MSP und Konsorten, sie werden uns nicht retten, das ist jetzt schon klar.

Tausende von sehr klugen und begabten Komponisten denken über die Zukunft der Neuen Musik mit einem großen N nach. Sie schreiben Manifeste, geben ästhetische Stoßrichtungen vor, einmal so, dann so, und schreiben auch immer wieder spannende Musik, die dann in Universitäten und auf Festivals vor weiteren sehr klugen und begabten Komponisten aufgeführt wird. Die Gefahr dabei ist, dass man bei aller guter Absicht sich in der Diskussion von Manierismen verliert, während die eigentlich drängende Diskussion darum gehen müsste, einen neuen Platz für subtile, tiefsinnige und herausfordernde Musik in unserer Gesellschaft zu erkämpfen (und er muss erkämpft werden, von selber kommt er nicht mehr zustande). Das ist es letztlich, was uns alle einen könnte, so verschieden wir auch sind, denn einen Bedarf an einer solchen Musik wird es immer geben. Sicherlich ist dies auch ein politischer Kampf, und ein Teil davon wird sein, neue Mechanismen für eine kulturell relevante Setzung (nicht allein Verbreitung oder Vernetzung) von Musik zu finden.

Ich halte es für wichtig, dass wir den zunehmenden Schwund von Chancen, den abzusehenden vollkommen Zusammenbruch des bisherigen Neue-Musik-„Systems“, das Deutschland als eines der wenigen Länder dieser Welt noch besitzt, auch als neue Chance begreifen. Dies ist kein Eingestehen eines Scheiterns oder eine Absage an die wunderbaren musikalischen Entdeckungen, die in der Vergangenheit in eben diesem System gemacht wurden, denn diese liebe ich ebenso wie Du auch. Kenntnis und auch Respekt vor der Historie sind wichtig. Aber es ist eine Tatsache, dass dieses System uns quasi auch einen Mutterleibsschutz angedeihen ließ, wir haben es uns darin wohlig eingerichtet, und vielleicht ist es jetzt an der Zeit, diesen Schutz zu verlassen. Was jetzt verschwindet – und es ist ein schleichender Verfall, weil es uns immer noch relativ gut geht – kommt nicht wieder.

Du fragst mich danach, was ich mir wünsche, was ich als eine gültige Richtung ansehen würde. Ich bin froh darüber, dass ich Dir keine klare Antwort darauf geben kann, denn wäre es mir möglich, würde ich an diese Antwort nicht glauben. Wir befinden uns an einer bedeutenden Grenze zu einem Neubeginn (ja, ein Beginn), einer Neubewertung alter Werte. Wenn es eine einfache Antwort gäbe, bräuchten wir sie gar nicht. Im Moment bleibt also nur die Frage, wenn wir diese aber richtig verstehen, kommen die Antworten von selber. Sicherlich hat das viel mit Intuition zu tun. Man muss die eigene Musik herauslassen, die wirklich heraus will, auch wenn sie einem fremd und merkwürdig vorkommt, einen vielleicht sogar zuerst abstößt. Diesen Geburtsschmerz müssen wir wieder spüren, auch das Risiko der Geburt. Daraus könnte eine Intensität erwachsen, die unsere Musik wieder mit dem erfüllt, was sie am dringendsten braucht, nämlich Wahrhaftigkeit.

Wenn ich darüber nachdenke, ist Wahrhaftigkeit ein wichtiger Begriff. Gegenüber der eigenen Szene kann eine solche Wahrhaftigkeit nicht entstehen, denn dort sind die Sicherheitsnetze zu zahlreich gespannt. Ob man ein Stipendium bekommt oder nicht bekommt, eine Professur, einen Preis – es sagt nichts darüber aus, wie viel wir wirklich bereit sind dafür zu riskieren, eine Note auf ein Papier zu schreiben. Wir müssen wieder dieses Risiko spüren, damit unsere Musik wahrhaftig werden kann. Und wir müssen den vielen Risiken unserer Zeit damit die Stirn bieten und kommenden Generationen etwas darüber erzählen.

Ich kann sagen, wo es mich selbst mit der eigenen Arbeit hintreibt, nämlich zum Versuch einer Musik, die aus dem Naturreservat Neue Musik heraus ins Leben drängt. Ohne (hoffentlich) der Lüge des kalkulierten Scheins in die Falle zu gehen, der die meisten Menschen zwangsweise (weil sie nichts anderes mehr kennen) nicht mehr entkommen. Unsere Wünsche und Sehnsüchte werden zu sehr fremdgesteuert, unsere Inventionen vereinnahmt und kategorisiert, dem müssen wir einen Impuls entgegenstellen, der der Fremdsteuerung und besonders der Kategorisierung entkommt. Wenn es nicht beschreibbar ist, wird es interessant. Neue Musik von Gehalt muss ÜBERALL möglich sein, nicht nur dort wo wir sie bisher verorten. Wahrscheinlich entsteht zwischen den Sparten, zwischen den GEMA-Krücken U und E, fernab der Systeme das eigentlich Neue, schon jetzt. Ich erhoffe mir eine Bewegung, die alles Bisherige in Frage stellt, die dem immer Gleichen der Masse entgeht, die dem Virtuellen das Reelle entgegen setzt, dem zunehmenden Verlust des Individuums eben dieses Individuum. Eine solche Musik wäre wild und aufbegehrend, roh und unwirsch, unendlich zart und sehnend, berauschend, aber nicht nur rauschhaft. Sie wäre überall zuhause und dennoch nirgends, weil ihr Ort ein eigener Ort wäre. Sie wäre weder kommerziell noch bekenntnishaft unkommerziell, sondern sie suchte genau das was wir in unserer Musik momentan so selten zum Klingen bringen: Das Unsagbare, das Traumverlorene, das Herzzereißende, aber auch das Alberne und Komische, Kindische und Pathetische.
„Wo kein Kitsch ist, da ist auch keine Wahrheit“ sagt der Filmtheoretiker Georg Seeßlen.
Vielleicht wäre das ein Weg: kitschig sein und damit den Kitsch exorzieren und ad absurdum führen. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Übertreiben, leidenschaftlich sein. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Über die Stränge schlagen, die Musik mit Leben erfüllen, großen Emotionen Raum geben. Solange, bis die Wahrheit übrig bleibt.
Das ist sehr riskant, und so soll es sein.

Herzlich,
Dein
Moritz Eggert

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79 Antworten

  1. Deep House sagt:

    „Wahrscheinlich entsteht zwischen den Sparten […] fernab der Systeme das eigentlich Neue, schon jetzt.“

    Davon bin ich absolut überzeugt.

    Gleichzeitig bin ich jedoch kein Freund der Strategie, schöne, interessante, existierende Dinge mit Kitsch kaputt zu machen.

    Ob etwas Reell ist oder Virtuell oder was und wie auch immer ist, kommt letztlich ganz auf den Betrachter an, d.h. in wie weit der Betrachter etwas durchschauen bzw. ganz privat für sich selbst einordnen kann. Daneben ist das ganz persönliche Erlebnis beim Rezipieren von Musik niemals außer Acht zu lassen.

    Viele Hörer leben leider in einer Art Matrix, aus der sie nur schwer, vielleicht auch nie, herausfinden, weil sie von Anfang an für billig-piep-tonale-Türklingel-Fahrstuhl-Radio-Musik konditioniert wurden, die bei ihnen dann auch später immer weiter funktioniert.

  2. Dennis Kuhn sagt:

    Herrliches Zitat:
    „Verweigerung der Konvention der Konventionsverweigerung, in der Hoffnung, dass diese dann nicht so konventionell klingt wie die gängige Konventionsverweigerung?“

    Der ganze Antwortbrief ist nach meinem Geschmack, lieber Moritz Eggert. Probleme sind die überlieferten Trennungen von E- und U-Musik, nicht nur bei der GEMA, auch beim Hörer UND natürlich gewissen (jungen) Komponisten, welche sich scheinbar ein großes N mit einem E auf die Brust tätowieren lassen haben.
    Alle meine (wenigen) Stücke laufen unter E, nur eines nicht, obwohl Verlag und ich selber dagegen bei der GEMA geklagt, aber verloren haben. (Die Rhythmen entsprächen den Rhythmen kommerzieller Musik, hahaha gut erkannt, liebes Komitee) Aber eigentlich müsste ich ja stolz sein, dass ich es geschafft habe, unterhaltsame Musik zu schreiben :)

  3. Erik Janson sagt:

    @Moritz,

    ebenso ermutigend wie unser Treffen bei Dir finde ich Deinen Beitrag hier, den Du ja quasi als offene Antwort an Claus Steffen Mahnkopf hier rein gesetzt hast, wenn ich richtig sehe.

    Das mit der Wahrhaftigkeit (die jeder für sich selbst finden muss) und dem Mut zu Emotionen ja zu vermeintlichem „Kitsch“ (denn der wird immer anders definiert – und jenachdem von wem) das gefällt mir. Ebenso
    das zu suchen, was so lange zum Tabu erklärt worden war:
    das „Pathetische“, „Kindische“, Komische etc.

    Wichtiger als das zum 100. Mal für „noch lebendig“ oder Tod erklären der Neuen Musik und als das 100. Symposion über die „Krise der Neuen Musik“ ist doch:

    Die Suche nach Wahrhaftigkeit, ja – richtig – und nicht nur immer „anderen „gegenüber kritisch und unbequem und belehrend sein zu wollen sondern auch wieder mehr gegenüber sich (gegenüber uns) selbst. Wirklich das schreiben, was man will, und nicht sich fragen: wie kommt es wo an in dem Moment wo ich schreibe (und vor allsm bloß NICHT mehr fragen: wie kommt es in der „Neue Musik SZene“, oder bei Professor XY, bei Wettbewerb XY oder bei Jury oder „Beziehungsperson XY“ an!). Auf nichts als die eigene Musikvorstellung schauen bzw. hören. Das innere Ohr.

    Was noch zu lernen ist hier und und was ich in Eigenerfahrung zwischen Bloggings und Livetreffs hier gelernt habe: Man muss viel mehr MITiteinander als ÜBEReinander reden! Weniger nur virtuell kommunizieren als mehr live, wann immer es geht. Weniger bloggen (das auch, wenn einem danach ist, aber nicht nur!) sondern mehr miteinander sprechen, offener, vorbehaltloser füreinander interessieren müssen wir uns alle! Dann wird auch das Besitzstandswahren und übertriebendes Konkurrenzgehabe verschwinden (wenn nicht GANZ – denn das gehört zum Menschsein dazu – so doch in dem Maße verschwinden, dass neue Wege unverkrampfter als bisher und mit weniger Angst beschritten werden können.

    Ja, RISKANT sein, sich immer wieder „häuten“, nicht danach streben EINE Sprache zu „finden“ und in eine Schublade sich stecken zu lassen sondern sich ständig wieder neu auf die Suche, auf den Weg zu begeben. Auch das
    scheint mir wieder wichtiger zu werden und wieder mehr Chancen zu bekommen.

    In diesem Sinne tue jeder, was zu tun ist.

  4. querstand sagt:

    @ eggy: schrieb das ja schon woanders ;-) Hier nun öffentlich:

    „Ich erhoffe mir eine Bewegung, die alles Bisherige in Frage stellt, die dem immer Gleichen der Masse entgeht, die dem Virtuellen das Reelle entgegen setzt, dem zunehmenden Verlust des Individuums eben dieses Individuum. Eine solch…e Musik wäre wild und aufbegehrend, roh und unwirsch, unendlich zart und sehnend, berauschend, aber nicht nur rauschhaft.“

    Ich denke da sofort an Kombinationstöne, ich Elender. Die sind virtuell und doch ganz da. Jetzt sausen sie uns noch schrill um die Ohren, kommen nur als scharfklingendes, ungezähmtes Getöse auf uns, wie musikelektronische Rückkopplungen. Den Kombinationstönen und den rhythmischen Interferenzen nachhörend kann man schon arg in einen rauschhaften Zustand gelangen.

    Was ist eigentlich Rausch in der Musik? Ich denke da immer an Tristan, Pathetique, Frau-ohne-Schatten-Finale, Auferstehungssinfonie, Gurreliederende. Also massierte Lautstärken, Menschenansammlungen. Was ist mit Feldman-Räuschen, Stockhausen-Räuschen, Lachenmann-Räuschen, z.B. Klangschatten/Mein Saitenspiel, oder Stille und Umkehr Zimmermanns oder Fin al punto Killmayers? Das sind doch auch Rauschzustände, sehr zurückgenommene, hypnotisch aber weder kitschig und nicht pathetisch, wenn auch ungemein ausdrucksvoll, aber nicht so Überdrucksmusik wie CSM… Was ist also Rausch? Nur ein böses Wort aus der 1910-Mottenkiste?!?

    Vielleicht nochmals zurück auf Los, zu Hölderlin, diesmal aber anders abgebogen als 1960:“Komm‘ ins Offene“! Das meint dann jeder für sich, ohne Kontrolle der Offenheit, ohne zurück ins Glied Ellbogenstoss der alten Szenebeherrscher, nicht nur in Emphase des Entsetzens über die eigene Unfähigkeit, jetzt doch eine Note mehr als nur zwei im Stillen aufs Notenpapier gebracht zu haben, ohne diese Meta-Skrukpulosität. Ein wenig mehr an spiessiger Angst, was denkt der kompositorische Nachbar über mich.

    Aber bitte keine Bombenfinali wie bei Mahler, Tschaikowsky und Co.! Ich hätte ja das „Morgenserwachen-Meldoram“ z.B in den Gurreliedern als vollkommen ausreichend empfunden, wo es doch so modern hervorsticht. Ich denke, dass da Leute wie Zimmermann und Killmayer schon Wege beschritten haben, dass Menschen wie Grisey neue Harmonien eröffneten, dass z.B. ein Leopold Hurt jetzt schon diese Ernte einfährt, wenn er dichten intellektuellen Anspruch, ausziselierte Faktur und bayerische Volksmusik kombiniert. Das tut ihm bisher eigentlich keiner gleich, ausser Killmayer. CSM wird so allmählich überflügelt…

    A. Strauch

  5. Pèter Köszeghy sagt:

    [auf Wunsch des Autoren gelöscht, M.E.]

  6. Pèter Köszeghy sagt:

    [Auf Wunsch des Autoren gelöscht, M.E.]

  7. Erik Janson sagt:

    @ Alexander, eine Frage:

    Ein wenig mehr an spiessiger Angst, was denkt der kompositorische Nachbar über mich.

    Meinst Du den Satz so in dem obigen Kontext oder hast Du Dich verschrieben und wolltest eigentlich schreiben „WENIGER“ an spießiger Angst (wie der kompositorische Nachbar über mich denkt) schreiben?

    Denn bisher hatte ich den Eindruck, dass gerade das ängstliche Schauen nach links und rechts entweder eher – tendenziell zumindest – zu harmloser, belangloser Musik oder aber zu gegenseitigem aber substanzlosem „Behaken“/“Konkurrenzkampf“ geführt hat. Finde daher, dass man sich gerade nicht – in dem Moment wo man komponiert – darum scheren soll, wie dann Kollege XY oder Publikum denkt/es rezipiert oder über einen denkt, zumindest nicht im berechnenden Sinne. Wir müssen „unanständiger“ werden. Aber in unserer MUSIK und nicht eben in der Art und Weise, wie wir sie unter die Leute (bzw. bisher z.Zt. eher nur: in die noch isolierten „Festivals“ bringen).

    @ Moritz, letzter Absatz: jetzt bin ich ehrlich gesagt aber auch neugierig, was Claus Steffen Mahnkopf mit Deinem Text „davor“ meinte. Also gab es eine Urfassung? Und warum hast Du die geändert? Ich meine, könnte ja sein, dass die wirklich was „professoral“ klang. Und warum überhaupt wird man [aufgefordert? – weiß ja nicht was da lief] erst einen Text/Stellungnahme zu schreiben
    und hernach was zu ändern?

    Das kommt mir bissel komisch vor. Entweder man fragt jemanden nach seiner Meinung und lässt das dann auch 1:1 so stehen und veröffentlicht es, oder man fragt erst gar nicht, finde ich. Ich möchte nun kein „hässliches“ oder politsch unkorrektes Wort (aber jeder weiß den Anfangsbuchstaben davon) in den Mund nehmen…

    @ Musikrat (ich spreche auch für alle anderen Wettbewerbe, Foren etc. mit „Altersdeadline“): Bitte die Bewerbungs-Sperre (dass sich keine Komponisten Ü Alter X (Ü 40, Ü 50) mehr bewerben dürfen) aufheben und zeitgemäßer werden. Dem demographischen Wandel Rechnung tragen und nicht mehr von der Geniekult-Vorstellung aus dem 18./19. Jahrhuntert ausgehen, dass ein Komponist/Komponistin mit 25-35 schon das meiste an Öffentlichkeit, Bekanntheit, „Förderungswürdigkeit“ „erreicht haben muss“… Sogar der normale Arbeitsmarkt und die Wirtschaft denken da längst mehr um als wir in der Kunst und Kultur und verabschieden sich – langsam aber hoffentlich sicher – vom Jugendwahn.

    – bin froh, ich hab meinen BISS … noch.

    Erik Janson

  8. querstand sagt:

    @ erik: natürlich weniger Angst, nicht ängstlich durch die Gardinen lugen, ob der Nachbar einen kontrolliert. Selbstskrupel genügen vollkommen in Eigenreflexion. Der kompositorische Nachbar sollte, wenn nötig, immer nur fruchtbarer Stimulus sein. Ich hätte vielleicht von „Schere im Kopf“ reden sollen. Ein wenig Selbstzensur schadet allerdings nie, also ein nochmaliges tiefes Nachkontrollieren des Geschriebenen.

    Ich wollte eigentlich darauf hinweisen, wie spiessig es sein kann, wenn man Bahnen einhält, um einer diffusen Szene, Kollegenschaft zu gefallen, in dem man ihr hinterherkomponiert und sich dabei so vorausschreibend fühlt. Sprich: echte Avantgarde kann toll sein, eingebildete Avantgarde ist spiessiger als das, wogegen sie sich vermeintlich wendet. Das wird natürlich immer virulenter, um so älter eine Avantgarde wird, ein reines Rollatoren-Rennen… Ich finde Rollatoren übrigens Klasse, habe da nur so Monty-Python-artige Bilder älterer handbag-threwing Ladies vor Augohren…

    Gruss, Alexander

  9. Erik Janson sagt:

    @ Peter Koeszeghy,

    kann nur aus vollem Herzen zustimmen. Manche (die aber sicher die geeigneteren und unprofessoraleren Professoren wären) bloggen wenig, sagen mittlerweile ganz wenig und schauen hier nur ab und zu mal rein und widmen sich lieber dem Schaffen. Und treffen den Nagel mehr auf den Kopf als manche andere (ich inkludiere damit NICHt Dich persönlich, Moritz). Parallelen könnte man in der Musik-Szene durchaus ziehen:
    Je mehr viele Worte oder je mehr man an „Theorien über Musik“, an Rechnereien, an Intellektualismen, an „Rechtfertigungen“ und Überbau der fremden (und eigenen) Musik aufpfropft, desto weniger frisch droht oft die Musik selbst zu werden. Eine ehrliche, Wahrheit suchende Musik, die aus dem aufrichtigen Inneren kommt (ohne Berechnung komponiert)hat weniger oder gar keinen Kommentar nötig. Sie hat Kraft aus sich selbst heraus.

    Und das ständige Ignorieren dieser Dinge scheint mir auch dazu geführt zu haben/ noch zu führen, dass
    der „Normalbürger“ – sag ich mal locker, der Jugendliche bzw. die Leute die wir erreichen möchten etc. nicht viel mit „Neuer Musik“ (mit großem N) zu tun haben will.(Oder viele geben das leider nur VOR, dass sie gerne mehr Menschen erreichen WÜRDEN, wollen aber im Innersten weiterhin eigentlich lieber gerne sich von der „heilen Welt“ der 1000 Zuhörer in Donau E. (davon aber überwiegend Fachpubliukm und „Szene-Publikum“) wohlig warm täuschen im – noch – funktionierenden Nest lassen. Die Leute wollen keine schlauen Essays ÜBER Musik mehr (auch nicht über die „KRISE DER (N)euen Musik“, die wollen berührt werden von Musik, Fragen aufgeworfen bekommen, die mit Alltag, mit Gesellschaft zu tun haben (und keine ANTWORTEN oder Philosphien wie der „ZUSTAND“ DER Musik sei .. oder zu sein habe).

    Die Philosophie, Soziologie, Neurowissenschaften kommt vor allem meiner Meinung nach hinzu etc. – aber vor allem anderen das LEBEN/Alltagsleben, das wirkliche (nicht virtuelle) ERLEBEN können sicherlich viel an INSPIRATION für unsere Musik bringen. Darin liegt deren eigentliche Kraft. Aber eine Philosophie DER (N)euen Musik zu entwerfen wird in heutiger Zeit meiner Ansicht nach obsolet. Wie Peter sagte, haben wir davon mehr als genug. Die HALTUNG jedes einzelnen muss sich mehr ändern! Man KANN dies sicher gerne weiterhin versuchen/tun, über Grundsätzliches zu philosophieren, es steht jedem frei (und es ist sicher nicht alles nutzlos, was dabei heraus kam und kommt) aber es hilft in unserer Situation meiner Meinung nach nicht mehr entscheidend weiter.

    Allen einen schönen Tag.

  10. Erik Janson sagt:

    Peter Koeszeghy,

    kann nur aus vollem Herzen zustimmen. Manche (die aber sicher die geeigneteren und unprofessoraleren Professoren wären) bloggen wenig, sagen mittlerweile ganz wenig und schauen hier nur ab und zu mal rein und widmen sich lieber dem Schaffen. Und treffen den Nagel mehr auf den Kopf als manche andere (ich inkludiere damit NICHt Dich persönlich, Moritz). Parallelen könnte man in der Musik-Szene durchaus ziehen:
    Je mehr viele Worte oder je mehr man an „Theorien über Musik“, an Rechnereien, an Intellektualismen, an „Rechtfertigungen“ und Überbau der fremden (und eigenen) Musik aufpfropft, desto weniger frisch droht oft die Musik selbst zu werden. Eine ehrliche, Wahrheit suchende Musik, die aus dem aufrichtigen Inneren kommt (ohne Berechnung komponiert)hat weniger oder gar keinen Kommentar nötig. Sie hat Kraft aus sich selbst heraus.

    Und das ständige Ignorieren dieser Dinge scheint mir auch dazu geführt zu haben/ noch zu führen, dass
    der „Normalbürger“ – sag ich mal locker, der Jugendliche bzw. die Leute die wir erreichen möchten etc. nicht viel mit „Neuer Musik“ (mit großem N) zu tun haben will.(Oder viele geben das leider nur VOR, dass sie gerne mehr Menschen erreichen WÜRDEN, wollen aber im Innersten weiterhin eigentlich lieber gerne sich von der „heilen Welt“ der 1000 Zuhörer in Donau E. (davon aber überwiegend Fachpubliukm und „Szene-Publikum“) wohlig warm täuschen im – noch – funktionierenden Nest lassen. Die Leute wollen keine schlauen Essays ÜBER Musik mehr (auch nicht über die „KRISE DER (N)euen Musik“, die wollen berührt werden von Musik, Fragen aufgeworfen bekommen, die mit Alltag, mit Gesellschaft zu tun haben (und keine ANTWORTEN oder Philosphien wie der „ZUSTAND“ DER Musik sei .. oder zu sein habe).

    Die Philosophie, Soziologie, Neurowissenschaften kommt vor allem meiner Meinung nach hinzu etc. – aber vor allem anderen das LEBEN/Alltagsleben, das wirkliche (nicht virtuelle) ERLEBEN können sicherlich viel an INSPIRATION für unsere Musik bringen. Darin liegt deren eigentliche Kraft. Aber eine Philosophie DER (N)euen Musik zu entwerfen wird in heutiger Zeit meiner Ansicht nach obsolet. Wie Peter sagte, haben wir davon mehr als genug. Die HALTUNG jedes einzelnen muss sich mehr ändern! Man KANN dies sicher gerne weiterhin versuchen/tun, über Grundsätzliches zu philosophieren, es steht jedem frei (und es ist sicher nicht alles nutzlos, was dabei heraus kam und kommt) aber es hilft in unserer Situation meiner Meinung nach nicht mehr entscheidend weiter.

    Allen einen schönen Tag.

  11. Erik Janson sagt:

    Alexander,

    habe ich mir gedacht, dass Du „weniger“ meintest.
    Dein letzter Beitrag trifft den Nagel auf den Kopf.

    viele Grüße,
    Erik

  12. Max Nyffeler sagt:

    Volltreffer, Moritz!
    Einzig beim Thema „Kitsch“ bin ich nicht so ganz überzeugt. Unsere Ressourcen – im umfassenden Sinn, nicht nur zum Stichwort Umwelt – werden zunehmend knapp, und wir sollten sie nicht mit Kitschproduktion vergeuden. Aber da stellt sich schon wieder die Frage, was denn eigentlich Kitsch und was sein Gegenteil, „gute Musik“, sei – das Problem der Kriterien, worin sie gründen und wer sie diskursiv beherrscht…

  13. Max Nyffeler sagt:

    …noch eine Überlegung zum Thema „Kitsch“ (ein etwas diffuser Begriff):
    Ich finde, wenn von irgendeinem ästhetisch korrekten Gedankenpolizisten definiert wird, was „Kitsch“ ist, sollte man das nicht allzu ernst nehmen. Wenn aber ein(e) Komponist bzw. -in selbst den Eindruck hat, das, was er/sie mache, sei vielleicht doch irgendwie äh, ein bisschen so etwas wie „Kitsch“, und macht es aus irgendwelchen (äußeren) Gründen trotzdem, so schießt er/sie sich ins eigene Bein. Das Kriterium ist ganz eindeutig die von Moritz Eggert erwähnte Wahrhaftigkeit: Ich bin selbst verantwortlich für das, was ich mache, und nicht „die Gesellschaft“. Also stehe ich zu meinen Äußerungen, auch wenn mir von den ästhetischen Aufpassern vorgeworfen wird, sie seien „Kitsch“.
    Das verantwortliche Individuum ist auch nach 2000-jähriger Geschichte noch nicht am Ende, selbst wenn viele in unserer fauligen Gesellschaft sich das wünschen.
    Schielen auf Veranstalter, Jurys, Kritiker, Subventionstöpfe, etc. taugt für Komponisten und -innen letztlich nichts (obwohl sie von diesen Leuten auch abhängig sind). Sie müssen sich auf ihre eigene Kraft verlassen können. Bleiben sie konsequent, werden eines Tages auch die Veranstalter, Jurys, Kritiker, Töpfe etc. auf die neue Linie einschwenken. „Kitsch“ heißt dann plötzlich „Qualität“.

  14. Dave sagt:

    Es gibt vom WDR (Fernsehen) ein Portrait über den Dirigenten und Schamanen Rupert Huber. Darin sagt er (als Österreicher): „Die Neue Musik is om Oarsch!“

    Er muss es wissen. Es gibt wenige, die mehr Neue Musik aufgeführt haben als er …

  15. Mathias Monrad Møller sagt:

    @ Eggy, Max Nyffeler

    Ein schöner Brief.
    Wünsche mir noch eine tiefergehende Definition von Wahrhaftigkeit… Sehe ein bisschen die Gefahr, sich auf Allgemeinplätze zu berufen. Ist Wahrhaftigkeit nur Integrität sich selbst und der Gesellschaft gegenüber? Oder gehört vielleicht noch mehr dazu? WAS will man mit der Musik? Reicht es, „nur“ verantwortlich zu sein?
    Aber eine gute Stoßrichtung, auf jeden Fall. Mit dem Kitsch hab ich allerdings auch so meine Probleme…

  16. querstand sagt:

    @ all: Ich wage nochmals überspitzt die Thesen:

    These 1: Ist ein komplexes Dauerespressivo, wie es der Musik Ferneyhoughs und auch Mahnkopffs innewohnt nicht auch in seinem Überdruck eine ganz eigene Ausformung von Kitsch, eine durch hohe Technik erreichte Emotionalität, die in ihrer mächtigen Dichte durchaus umkippen kann? Ich kann sehr ernsthaft durch beider Musik gefangen sein, manchmal ist es mir aber zuviel Ausdruck, hat was zu eindringlich direktes, wie so manche Holzhammerszenen in historographischen, unterhaltenden Hollywood-Aufklärungsfilmen? Oder missverstehe ich Kitsch?

    Kitsch ist z.B. für mich das Frau ohne Schatten-Finale, die Alpensinfonie formal gesehen eigentlich wiederum weniger. Die tonale Märchenerzählung Maries in Wozzeck 3. Akt kann bei zuviel Schmelz durchaus kippen. Tristanzitat und das Lyrische Sinfonie Zitat in der Lyrischen Suite empfinde ich eingebettet, distanziert, ggf. Kitschevozierung anreissend, das Kleinterzvioladrama am Ende des letzten Satz ist purer Kitsch, wie der Atompilz am Ende Zimmermanns Soldaten, nicht dagegen das Frauentrio von Marie-Schwester und Fürstin, das im Rosenkavalier übrigens auch weniger als das dortige Schlussduett. Intolleranza kann auch kippen, Prometeo weniger. Die letzten Töne Melisandes haben Kitschverdacht, die gestopfte Schlusstrompete wieder nicht samt den hohen Geigen.

    Kitsch ist doch immer was sehr Persönliches: wann kippt für einen selbst dichte oder v.a. zu direkte Emotion. Bspw. schniefte ich auch am Ende von Schindlers Liste, merkte das Nachbarschniefen und ärgerte mich über mich und Spielberg. Selbst unmöglich verunglückte Trauerfeiern mit ins Grab flatternden Flötennoten fand ich zwar amüsant und anrührend, aber niemals kitschig. In filmischer, musikalischer Distanz verarbeitet wäre dies wieder schwierig, zitiert dagegen Musik Kitschartiges, wirkt wieder mehr Distanz und das Original, die Grabflatterflötennoten, erhält für mich Kitschverdacht.

    These 2: Ist das jetzt nur borderlining oder bin ich wahrhaftig?

    Gruss,
    Euer/Ihr Alexander Strauch

  17. Max Nyffeler sagt:

    @ Mathias Monrad Møller:
    Gute Fragen, es scheint, dass Sie an Antworten herumgrübeln. Können wir etwas davon vernehmen? Mich würden vor allem die Überlegungen zum „vielleicht noch mehr“ interessieren.

  18. Erik Janson sagt:

    @ Max Nyffeler, @ all,

    Ihr letztes Statement, dass es entscheidend ist, sich bei der „Kitschfrage“ nicht selbst zu betrügen als Komponist (also aus äußerlichen Gründen bewusst (und schlimmstenfalls noch ohne Intention) Kitsch produzieren zu WOLLEN) das gefällt mir.

    Allerdings: es gibt ja auch noch schlimme Sonderformen: ein WISSEN darum, dass es Kitsch (oder auch schlecht ist, was man komponiert oder was man eigentlich nicht will) und jenes (oft genug, leider) TROTZDEM-Komponieren. Sei es aus Zynismus oder aus pragmatischer Bequemlichkeit oder Sicherheit oder aus Zeitnot, weil man mit einem gut bezahlten Auftrag schnell fertig werden möchte um direkt wieder zum nächsten zu kommen…Ich behaupte diese Form von „Kitsch“ ist diejenige, die sich nach wie vor leider immer mehr verbreitet. Und die ist vom System produziert, aber nicht nur: die Eigenverantwortung wird aber leider oft aufgeopfert.

    Manchmal frage mich (wie soeben nach insgesamt leider enttäuschendem Konzert „musikfabrik im WDR“ mit dem kitschverdächtigen Titel „Exotique“ – bis auf Messiaen und Dieter Mack (Kammermusik V): Scheren sich Komponisten, die dauernd Aufträge erhalten, die in der gut bezahlten Szene DRIN sind eigentlich noch darum, was sie komponieren und warum und wie wahrhaftig gegenüber sich selbst? Ich behaupte: eher weniger. Sie sind eben DRIN, die Aufträge rollen; das allein gibt ihnen anscheinend das Recht, machen zu können, was sie wollen, weil sie beim nächsten mal (trotz Kitsch oder nachlassender Qualität/Wahrhaftigkeit) WIEDER gefragt werden und das schon wissen und weil sie wissen (wie ich am heutigen Abend erlebte: da sitzt Fachpublikum, ein nicht unbedeutender Teil davon nur, weil es Freikarten gibt und weil man sich halt „kennt“- und die applaudieren alle höflich, überall gleich laut, EGAL wer was „abliefert“).

    Buona notte,
    Erik

  19. Mathias Monrad Møller sagt:

    @ Max Nyffeler, Eggy:

    Ja, ich grüble… Wahrhaftigkeit impliziert Authentizität, vielleicht…
    Kitsch ist das Gegenteil von Authentizität.

  20. …warum grübeln hier viele über die Qualle „Kitsch“? Es geht doch um ganz persönliche Wahrhaftigkeit, beim Schreiben von Text genauso wie bei Musik. Um Wahrheit und um Ehrlichkeit. Da braucht man doch keinen extraterritorialen Begriff. Und kein Pseudo-Genauigkeits-Gelaber…

  21. Pèter Köszeghy sagt:

    …das Wort „Wahrhaftigkeit“ – meiner persönliche Meinung! – ist das Schlüsselwort. Moritz, und Herr Nyffeler haben das sehr schön beschrieben. Ich möchte da ganz zustimmen.

    Abgesehen davon: @ Herr Geisler: Sie trafen d. Nagel aufm Kopf :-)

  22. spicciolino sagt:

    Ich bin mir nicht sicher, ob „Eggert“ und „Mahnkopf“ nicht längst zu zwei polarisierten und polarisierenden Markenzeichen geworden sind: Chimären, die wir alle gut zu kennen vermeinen, zwei scheinbar hübsch konträre Positionen im deutschen [sic] Kompositionsbetrieb. So läßt sich zwar trefflich streiten, aber die Standpunkte scheinen seit dem Kalten Krieg dieselben: hie old „Adévangarde“, dort „New Complexity“.

    Reicht nicht schon die allgemeine Talkshowisierung im Fernsehen? In seiner Ecke hockt wie immer Olaf Henkel, in der gegenüberliegenden Sarah Wagenknecht, die Standpunkte stehen von vornherein fest, alle chatten, keiner sagt eigentlich was, außer persönliche Betroffen- und Eitelkeiten hinter Allgemeinplätzen zu verstecken („Es geht um Wahrhaftigkeit.“, „Die neue Musik ist am Ende/Arsch.“, etc.pp). Hinterher nimmt dann jede Zuschauerin das mit, das sie in ihren eigenen (Vor-?)Urteilen selbstbestätigt.

    Warum müssen auch wir Komponisten solche „Diskussionen“ inszenieren? Damit keine Mißverständnisse aufkommen: ich schätze Moritz Eggerts klugen Kopf und bin überhaupt nicht der Meinung, Künstler sollten nur bilden und nicht reden. Dennoch spüre ich ganz stark die Hand im Bild z.B. wenn Claus-Steffen Band um Band publiziert, „badly“ gebloggt wird, Johannes moderiert und youtubt, etc. Nur Enno wirft derweil Opus hinter Opus aufs Papier – und setzt sich dem geforderten Risiko der Diskussion aus. (Die Liste der Namen ist tatsächlich vollkommen willkürlich und unvollständig!)

    Euer
    Uncle Harry

  23. Pèter Köszeghy sagt:

    [Auf Wunsch des Autoren gelöscht, M.E.]

  24. Erik Janson sagt:

    @ Spicciolino – UNcle Harry,

    Ihr obiger Beitrag trifft vieles zum verlogenen Widerspruch unserer Mittlerweile (auch in der Neuen Musik!)Pseudo-Talkshow-Kultur zwischen „Reden und Handeln“ auf den Punkt. Bravo soweit!

    Nur @

    Nur Enno wirft derweil Opus hinter Opus aufs Papier – und setzt sich dem geforderten Risiko der Diskussion aus. (Die Liste der Namen ist tatsächlich vollkommen willkürlich und unvollständig!)

    Dazu möchte ich anmerken: 1. Man muss erstmal GELEGENHEIT bekommen, wie ein Enno Poppe, Werk hinter Werk (Auftrag hinter Auftrag) zu produzieren und dabei auch in breiter Öffentlichkeit ständig aufgeführt zu werden. Zudem: 2. WAs wird denn bitte schön in den Kreisen/Festivals noch groß kritisch diskutiert, in denen ein Enno Poppe u.a. aufgeführt werden oder Enno Poppe neuerdings immer mehr dirigiert? Es wird bei jedem Werk gleich laut geklatscht (wie gestern ich wieder bei musikfabrik im WDR erleben konnte, wo er ja ganz leidlich den Mack dirigierte – aber warum muss er nun auch noch dirigieren zum Komponieren dazu). Sicherlich hat Enno Poppe seine Qualitäten, das möchte ich hier ja gar nicht in Abrede stellen.

    Aber: es ist dennoch blanker Zynismus zu sagen: z.B: Nur ein Enno Poppe (er stehe hier für die vielen Protegierten, regelmäßig vor breiterem Publikum Gespielten(davon aber viele „Geladene“…) setze sich „mutig“ Werk um Werk (für festivals etc.) schreibend, „der Diskussion „aus. Und „die da unten“ oder „die da im Blog“ o.ä.
    die würden nur „labern“? Das erinnert an die Diskussion und das was damals in Donau E. 2002 auf dem Podium ablief. Wir drehen und drehen und drehen uns also im Kreise. Was nun?

  25. eggy sagt:

    @Erik: Die „Urfassung“ meines Textes für CSM war „Das Jahrhundert der lebenden Toten“, hier im Blog erschienen…

    @Dave: Rupert Huber ist großartig! Das mit seinem „Schamanentum“ allerdings, nun ja…da lobe ich mir den Schamanen Köszeghy!

    @spicciolino: So wahnsinnig gegensätzlich zu CSM sehe ich mich gar nicht – ich habe großen Respekt vor seinem Denken und seiner Arbeit und finde es eigentlich gut, dass er mit seinen Schriften um Ästhetik ringt und sich auch angreifbar macht.
    Und ob irgendein Stück im festival circuit – egal wie gut es ist – momentan eine echte Diskussion auslöst, wage ich zu bezweifeln. Der gute Enno hat mit seiner Musik zu Recht Anerkennung, aber ganz sicher keine Revolution ausgelöst. Die bräuchte es aber, sage ich jetzt so mal ungeschützt dahin…

    Sicherlich kann man immer viel daher reden, und das ist auch eine Gefahr. Natürlich muss die Arbeit selber sprechen, geschenkt. Wenn wir hier im Blog über diese Dinge reden (und wenn ich mir so die vielen guten Kommentare anschaue, ist das ja eine fruchtbare Diskussion) ist das auch ein Formulieren der ästhetischen Befindlichkeit einer Komponistengeneration, und allein das finde ich schon legitim und anregend.

    Moritz Eggert

  26. Erik Janson sagt:

    @ Moritz,

    schon ist das anregend, KANN anregend sein, hier ästhetische Positionen auszutauschen. Hatte Dein Original dann wohl nicht so richtig in dem Kontext zur Kenntnis genommen. Aber was soll es z.B., dass Mahnkopf groß eine „Kritik der Neuen Musik“ schreibt vor Jahren und dann in seiner eigens (mit-)herausgebenen Zeitschrift
    fragt er Komponisten (oft Kollegen auf „Augenhöhe“) nach Statements und bittet dann ganz offensichtlich um Revision, weil ihm bestimmte Dinge nicht passen, zu „düster“ sind oder wie auch immer?

    Ich meine – wie ich oben schon schrieb und hier schon tausendmal – was macht dann Diskurs und die Veröffentlichung noch für einen SINN?
    Man wird nach seiner Meinung gefragt und wenn die dem Herausgeber dann zu „heftig“ ist (aus welchem Grund/Hintergrund auch immer), dann wird hinter vorgehaltener
    Hand anscheinend gesagt/telefoniert/privat gemailt oder wie auch immer: „das möchte ich so düster“ (schonungslos) nicht veröffentlichen, kannst Du nochmal bissel „überarbeiten“…?

    Warum das alles nur? Wem nützt das? Was bringt das?
    Aber das muss ja der Herausgeber von Musik und Ästhetik ja selber wissen und das wird vielleicht sein Geheimnis bleiben. Ich finde nur, so was tut einer solchen Zeitschrift, die eigentlich mit anderen Ansprüchen – dachte ich – angetreten war, dine kluge Beiträge, Analysen hat etc. nicht sehr gut. Schade!

    Die Diskrepanz zwischen Reden/Idealen und Handeln/zur Kenntnis nehmen dass wir am Ende sind müssen endlich aufhören. Aber wann? Ich meine, solange nur geredet, gelabert wird aber sich nicht wirklich grundlegend insgesamt und bei jedem Einzelnen was ändert und Nachdenken einstellt (vor allem beim Establishement auch), ist alles für die Katz. Da vergeht einem dann auch langsam aber sicher die Lust am Diskutieren und Bloggen (nicht am Komponieren gottseidank!!!). Dann kann man nur noch sprachlos rebellieren, indem man weiter schreibt, in die Immigration geht und sich sagt „sollen sie doch alle machen, was sie wollen“.

    Schönen Tag,
    Erik

  27. spicciolino sagt:

    Wie gesagt, der auch von mir geschätzte „Enno“ war nur ein Platzhaltername, viele andere hätten da auch stehen können.

    @eggy: Die Revolution ist stillschweigend längst passiert, nur haben wir das in Deutschland vielleicht noch nicht registriert: „So wahnsinnig gegensätzlich zu CSM sehe ich mich gar nicht…“ Aha! Darüber würde ich gerne mehr lesen. Nicht, um Unterschiede zuzukleistern, sondern weil ich’s als Ausgangspunkt eines vielversprechenden Diskurses jenseits des sattsam Bekannten empfände.

  28. Pèter Köszeghy sagt:

    „Die Revolution ist stillschweigend längst passiert, nur haben wir das in Deutschland vielleicht noch nicht registriert“ – ich denke nach und denke nach, jedoch verstehe d. Innhalt von diesem Satz überhaupt nicht. Es gibt zwei Möglichkeiten: mit dem Wort „Revolution“ ist es etwas gemeint, was von bestimmten Leuten festgelegt wurde: „das ist ein Revolution“ – deshalb hat keine davon noch etwas mitbekommen. Oder es ist etwas passiert, das KEINE mitbekommen hat, weil es ziemlich unwichtig war und aber von bestimmten Leuten auf dieses Geschehens das Wort „Revolution“ rübergezogen worden ist…Also, egal von welcher Seite ich da nachbohre, nachdenke, ist mir diese Aussage absolute rätselhaft….Ich würde mich sehr freuen, wenn – statt „halbgeheimnissvoll“ etwas in d. Raum zu stellen – diese Satz geklärt werden könnte. Weil mich das SEHR interessieren würde, was mit „Revolution“ dabei gemeint worden ist.
    @ Moritz: ja, das sehe ich genauso: es bräuchte einen „Revolution“ – aber nicht eine „Revolution“, die von Vorne herein festgelegt wird: „HAH! Das wird jetzt eine Revolution!“ Sonder Eine, das wahrhaftig ist….

  29. Erik Janson sagt:

    @ spicciolino,

    Wie gesagt, der auch von mir geschätzte “Enno” war nur ein Platzhaltername, viele andere hätten da auch stehen können.

    Na, dann bin ich mal gespannt, Herr Spicciolino – wer immer Sie sind – wem noch die Chance gegeben wird, neben Herrn Poppe und anderen Etablierten (immergleichen), an der öffentlich ausgerufenen „stillen Revolution“ teil zu nehmen.

    Ich fürchte aber eher, Peter Koeszeghy hat Recht: Was an (musikalischer/inhaltlicher) „Revolution“ angeblich stattgefunden haben soll oder statt finde derzeit in der Szene, das muss etwas so „Großartiges, Mystisches“ sein, dass es unzählige Leute nicht mit bekommen haben.

    Kitsch und substanzlose Musik werden zur „Revolution“ und keiner merkt es. Klasse!

  30. querstand sagt:

    @ all: Nochmals zum Kitsch! Der gefällt mir so, weil Alle instinktiv einen Bogen hier drum machen – bis auf Erik. Alle Klammern sich an „Wahrhaftigkeit“ Das klingt nicht nach Qualle, das klingt doch sofort nach Chitinpanzer bzw. Schildkröte, Schneckenhaus, Winterschlaf, Bärenhöhle. Fühlt sich super kuschlig und sicher an. Oder verkürzt: in der Regel sind der Kitsch immer die Anderen, selbst hat man die Wahrhaftigkeit gepachtet.

    Dann lieber Kitsch-Qualle sein. Bleiben wir bei Mutter Natur, zudem passen Gleichnisse gut als Kirchenersatz sonntags Mittag. Warum Kitsch-Qualle? Der Wahrheitspanzer lässt meist nur noch einen kleinen Tunnelblick nach draussen frei, dagegen haben Quallen, so wabbelig kreisförmig sie sind, freie Sicht nach allen Seiten, denkt man an die sehnervartigen Neuronenballungen rundherum. Ja, Quallen, augemlos, können wahrnehmen, was so um sie herum wuselt. Gleichnishaft wäre ich lieber eine Kitschqualle. Jawoll!

    Es ist aber schwieriger…

    Wenn mal was mit Kitsch belegt worden ist, kann das wiederum eine sehr unveränderliche persönliche Wahrheitsfindung sein. Aber geht es uns nicht oft so, dass man nach der leidlichen UA eines Werks so leise herumposaunt, man würde sowieso nicht an dem Ding hängen, lieber was Neues machen, und jetzt ist erst Recht was Besseres im Kanonenrohr? Zuvor aber war das nun so mitgeschmähte Werk das Beste, was man während dessen Entstehung im Ofen gehabt hatte.

    Sind diese Aussagen überhaupt ernst zu nehmen, ich halte sie für meisthin adaptiv an das kollegiale Gegenüber. Dennoch ist einem doch in den meisten Fällen das gerade zu Schreibende, so ungeliebt der Auftrag sein mag, das momentan Wahrhaftige. Gerade wenn man doch was Anderes servieren soll, als man jetzt selbst gern vorsetzen möchte, glaubt man dann doch ein subversives Dekagramm eigener Wahrhaftigkeit, im schlimmsten Fall getarnt, mit hineinzuschreiben.

    Gerade Auftragsbeglückten wie Enno Poppe wird das in der Dicht der Werkerledigung auch mal passiert sein. Ich erinnere mich z.B. an das Orchesterstück „Keilschrift“, 2006/07 irgendwo neben der Spree wohl uraufgeführt, in Spreeschlafboomtown ungläubig, eher ablehnend aufgenommen. 2008 München: Drei Wetter Taft hat Berlin überstanden, München Airport diretissima herkulische Felder: glatter Erfolg, mir kam’s sowas von wahrhaftiger, einfach mal ordinär musikantisch vor, als die zwar z.T sehr inspirierende Zählorgie, aber auf Dauer doch etwas fad, aus dem Musiktheater Arbeit/Nahrung (oder so ähnlich der Titel…). Da war der brillante Konstrukteur mal an seinen Bauch gelangt, prompt war es natürlich etwas oldfashioned, leicht ur-spektral, schön, ja, in seiner leichten Anstaubung gefahrvoll kitschig, natürlich weit von dem pathetischen Kitsch entfernt, den ich in einen weiter oben befindlichen Kommentar zu beschreiben versuchte.

    Also kann Dauerschreiben nicht unbedingt für Wahrhaftigkeit stehen, werden weiters die gerade so wahren Werke vom sie gerade noch überzeugt so darstellenden Urheber, manchmal auch Urheberin, kurz darauf in einen kalten Lagerraum verbannt. Wahrhaftigkeit also ein Vagabund als Begriff, wenn auch als reine Vorstellung ein glänzendes und sehr fixes Ideal. Da klafft doch was auseinander!

    Wenn also jemand für sich höchst selbst einigermassen wahrhaftig, jenseits der Beteuerungen nach dem Aussen hin, im Zuge eines Werkentstehungsprozesses ist, dann wird es in diesem Moment für diese Person tatsächliche, fassliche Wahrhaftigkeit sein, ist man an der platonischen Idee ganz nah dran, existieren im jungfräulichen Partiturstadium auch das Schöne und Gute, wie verstaubt auch immer diese Begriffe sein mögen.

    Die Distanz beginnt dann am Postschalter oder Email-Button, greift um sich, wenn die Orchesterbüros an der Sendung das Format bspw. bemängeln, irgendein Dirigent plötzlich ein kleines Geigen f unter der G-Saite entdeckt, die Musiker nicht schnalzen und trippeln wollen, der Leib und Magen Kritiker doch nach Spoleto abdüst, das Publikum nett klatscht, wenn auch heftig, aber kürzer als bei den anderen Stücken, wenn der Partner den Empfang schon mal migränös verlassen muss, etc., etc. All diese Banalitäten, echter Lebenskitsch, machen das Stück dann einem ggf. sogar verhasst, war es vor sechs Wochen doch noch das Schönste, was man bisher gemacht hatte.

    Vielleicht hatten diese mau Reagierenden ja sogar Recht, man traut sich sogar das Stück mal auf einer Aufnahme anzuhören, was ja so viele Kollegen auch barsch nach Aussen verneinen, je zu tun, es sein denn für Bewerbungs-CD’s, wo man wohl kaum Ungeliebtes beilegen würde. Verunsicherung, schwankende Wahrhaftigkeit. Und hört man es dann tatsächlich mal im stillen Kämmerlein, kann das alte, jungfäuliche Gefühl sogar wiederkehren oder man weiss sofort, was man Geringes, so grob es sein mag (z.B. kürzen), veranlassen muss, um diese Wahrhaftigkeit bei einer zweiten Chance zu retten. Oder man fühlt mal wieder, wie tatsächlich der Lebenskitsch der Wahrhaftigkeitsverbreitung im Wege stand. Die dabei aufkommenden Gefühle unterliegen allerdings durchaus auch dem Kitschverdacht… Also wird man darüber auf keinen Fall sprechen, denn Kitsch, das ist ja immer der Andere, Kitsch wäre da nur falsche Schwäche zeigen. Das wäre aber Ehrlichkeit UND echte, beständige Wahrhaftigkeit.

    So bleibt die Frage, ob man in der Ablehnung des Kitschs nicht sowas wie v.a. von Aussen drohende Kitschzuschreibung aussparen möchte. Was ist nun ehrlicher Kitsch? Ich denke, auf alle Fälle dieses jungfräuliche Partiturvollendungsgefühl. Genauso Momente, in denen man meint, tatsächlich musikalisch funktionierende Lösungen im Stück wieder zu finden, die einfach so unterlaufen sind. Weiters Passagen mit denen man meint aussermusikalische Botschaft in reine Musik verpackt zu haben. Das sind dann so Stellen, die tatsächlich einfach schön, nachvollziehbar, anrührend dem wie auch immer gebildeten Hörer erscheinen mögen.

    Sitzt dann allerdings so ein Typ wie mein Alter Ego am Ende von Schindlers Liste oder Frau ohne Schatten drin, entdeckt man Kitschgefahr, was dem anderen als Ausdrucksdichte erscheinen mag. Um bei Mahnkopf zu bleiben: im Angelus Novus wird ja viel dichte Musik serviert. Das kann nerven, das kann auch Gefallen, nur reicht es dann irgendwie nach einer Kammersinfonie. Das ist natürlich ein wenig anders, als jetzt nur eine Kitschstelle grosser Emotion bei einem Adagio-Kollegen zu entdecken. Man spürt aber den Willen zur Expression, dass eine eigene, formal verdichtete Emotion ihr Dauertenebroso erhält. Schafft man nun, das ganze Polywerk durchzustehen, ist man irgendwie sauer ob all der Dichtezumutung, andererseits doch wieder davon fasziniert, wenn man ein wenig abstrahiert. Ich war sogar Entdecker reinen, ehrlichen Kitschs: das Musette-Konzert, ein relatives Adagio, also jene Solitude-Serenade.

    Das wahre Ärgernis war damals nicht die Musik. Da sie sich extremer zur Bühne verhielt als jemals Lachenmann, ja zur Bühne hermetischer als Shadowtime war, ärgerte die öde Szene, die schönen Filmzitate mit ätzendem Kirchmedienlogo links oder rechts oben im Bild. Die Szene verhielt sich also als erstes Akzidenz zur Mahnkopf-Musik, wie auch seine streitbaren Textfluten manchmal den Blick auf seine Töne verbauen, wie allerdings alle unsere Ergüsse den Blick auf die Musik gerne trüben, was wohl Uncle Harry meinte, wie das Fehlen Mahnkopfs im FZML den Blick auf ihn verbaut, weitere Urteile zu untermauern scheint, wie Moritz immer auf ADEvantgarde reduziert wird, wie auch andere angeblich subalterne Schreiber auf Akzidentielles hier reduziert werden. Das ist natürlich für den Aussenstehenden, nur das hier Lesenden Beweis genug, dass wir hier dem Wortkitschglauben anheim gefallen sind.

    Vielleicht sollte man wie bei überfrachteten Pornoseiten demnächst hier noch Livechats anbieten, bei denen man uns beim Komponieren zusehen kann. Moritz beim richtigen Schuhsohlen finden für Hämmerklavier, Erik beim auf und zukleben von Stellen seiner Noten, mich mit fahlen Augen am Macbook und Nachjaulen des Geschriebenen, Köszeghy beim keine Ahnung was, Mahnkopf beim Rasieren, Poppe beim ALDI, etc. Das wäre so wahrhaftig wie kitschig zugleich!

    Gruss aus Fön-München, beim Nicht-Komponieren sondern bald Promenieren,
    A. Strauch

    P.S.: Gibt es eigentlich noch den BMW-Kompositionswettbewerb, überhaupt Aufträge bei der musica viva in der Zeit nach Zimmermann? Ich habe noch von keinem Kollegen ein Schreibgerücht vernommen, ausser Poppe, etc….

  31. Erik Janson sagt:

    @ all: Nochmals zum Kitsch! Der gefällt mir so, weil Alle instinktiv einen Bogen hier drum machen – bis auf Erik. Alle Klammern sich an “Wahrhaftigkeit”

    Vorsicht Alexander: hier muss der rheinische „Sittenwächter“ doch nochmal sich zu Wort melden, damit nichts missverständlich stehen bleibt hier im historischen Blog, wo die großen Revolutionen vorbereitet (oder von den „wahren“(?) Festival-Revolutionären im Elfenbeinturm) lächelnd beäugt werden):

    Ich persönlich halte NICHTS von Kitsch oder vom GEWOLLTEN, äußerlichen Produzieren desselben, sondern nur was von dem Bemühen um Wahrhaftigkeit beim Komponieren. Ich meinte eigentlich nur: wenn halt das, was man komponiert/ und wie man es komponiert dann in manchen Kreisen als „Kitsch“ bezeichnen würde, dann wäre mir das EGAL. (zum Mitschreiben für „Uncle Harry“ et al. falls ich nochmal „entdeckt werden“ darf … ;-))

    Nur frage ich mich (@ Thema UN-Wahrhaftigkeit)z.B.: auch wenn Enno noch so elegant und gekonnt (er hat ja auch was auf dem Kasten, ist Charmant, sympathisch, keiner kann ihm böse sein und er dirgiert ja auch gut, das meine ich ernst!) einen Filidei mit Toy instruments in allem Ernst, mit zackigen, pathetischen Bewegungen dirigiert. Wenn dabei aber alles bierernst und OHNE echte Lachmuskel-Zuckungen in den Sesseln klebt. Und wenn am Ende dann müder Pflichtapplaus durch den Sendesaal „tost“…
    Wenn man sich des Gedankens nicht erwehren kann, dass dies Kagel in seinem besagten Werk schon einmal gemacht und heute noch 1000 mal besser gemacht hätte… Ja dann kann ich nirgendwo eine „Revolution“ entdecken. Auch keine des authentischen Humors oder von zynischer Untergangs-Stimmung, oder wie auch immer.

  32. Max Nyffeler sagt:

    Hier wäre die ultimative Äußerung zu den uns bewegenden Themen wie Wahrhaftigkeit und Kitsch, entdeckt bei der Lektüre der heutigen „Bild am Sonntag“ in der Gaststätte Scheidegger, München-Schwabing: Gespräch mit den „drei erfolgreichsten Volksmusikanten“, den Österreichern Markus Wolfahrt (Die Klostertaler), Gottfried Würcher (Nockalm Quintett) und Norbert Rier (Kastelruther Spatzen), Plattenverkäufe zusammengenommen so um die 30 Millionen („Wir haben ausgesorgt“).
    .

    (…)

    Würcher: Wir wissen ja alle, um was es geht.

    BamS: Worum geht es denn?

    Würcher: Dass wir alle hinter dem stehen, was wir tun. Man darf sich ja nicht täuschen. Die Leute, die im Publikum sitzen, sind empfindlicher, als wir glauben. Die merken genau, wenn da einer vor ihnen steht und Schlager singt, sein Herz aber für etwas anderes steht.

    (…)

    BamS: Wie gehen Sie mit dem Spott über Ihre heile Schlagerwelt um?

    Rier: Die heile Welt wünscht sich ja irgendwie jeder. Die einen gehen ins Kino, die anderen zu einem Konzert der Kastelruther Spatzen: für zwei Stunden abschalten und sich in eine Traumwelt begeben.

    Wolfahrt: Wir kommen ja auch alle aus Gegenden, in denen die Welt noch eine gewisse Ursprünglichkeit hat…

    BamS: … und die Gletscher schmelzen.

    Rier: Das müssen sie natürlich nicht gleich in den Liedern. Natürlich ist das auch Kitsch, die herrliche Bergwelt, die Natur und alles. Aber ich kann mich durch meine Herkunft doch glaubhaft da hineinleben.

    Wolfahrt: Bei den alten Völkern galt Musik als Heilmittel. Der Hörnerv ist der sensibelste Nerv. Das erste, was ein Mensch wahrnimmt, ist die Stimme der Mutter.

    (…)
    .

    Zwei Aussagen möchte man im Hinblick auf die neue Musik etwas genauer (Verzeihung, Theo) überprüfen:

    1. „Die Leute, die im Publikum sitzen, sind empfindlicher, als wir glauben.“
    2. Gletscherschmelze in der Musik / Musik als Heilmittel.

    Tja, Volkes Stimme… Und wir (von der neuen Musik) sind froh, dass der Demokratie Grenzen gesetzt sind. Wo kämen wir hin, wenn die alle mitreden würden?

  33. querstand sagt:

    @ Erik&Nyffeler
    @ erik: Gewollter Kitsch, auch nein Danke! Es gab Zeiten, da suhlte ich mich gerne und zu oft in den spätromantischen Tränenantreibern. Solch einen Kitsch, ab in den Film und eigentlich auch dort bitte immer seltener.

    Es gibt allerdings genauso Kitsch, der sich unfreiwillig einstellt, nur von Teilen der Rezeption so aufgenommen wird. Eigentlich ist es da dann egal.

    Kitsch entsteht natürlich gerne bei Stücken mit starker weltanschaulicher Haltung, man denke an all die Requien oder Messen der Neuzeit. Wie gesagt, selbst B.A. Zimmermanns Eindringlichkeit ist vor Kitsch-Wahrnehmung nicht gefeit. Kitsch schwingt immer mit, wenn eine gewisse emotionale Aufweichung, noch gar nicht weichgespült, durch die Musik verursacht wird. Oder wenn unsereins besonders ernst für etwas eintritt, sei es doch ein persönliches Anliegen oder eine angeblich neue Schreibtechnik oder die Verarbeitung einer Methode, der nun die Gnade widerfährt durch unsereins benutzt zu werden. Aus dem Blickwinkel heraus wundert es dann überhaupt nicht mehr, wenn verwirrende Texte in Programmheften nebelkerzenhaft ablenken sollen… Vielleicht ist Poppe bei dem Toy-Instrument-Stück einfach von einem Pathos ergriffen worden, der selbst dem coolsten Dirigierprofi mal widerfährt, wer weiss. Kurz nochmals Strauss: der vermied als Dirigent bewusst ein Aufbauschen vermeintlichen Kitsches, der sowieso schon kompositorisch eigentlich auch kühl kalkuliert in der Partitur steht. Er taugt in puncto Handwerk doch immer wieder als heimliches Bezugspunkt.

    Besteht also Kitschgefahr, läuten einem die Alarmglocken selbst oder gibt es äussere ernstzunehmende Hinweise, sollte man tief Luft holen und sich ihm abgebrüht nähern, als Schöpfer wie Interpret. Oder man weiss pathetische Spontaneität richtig anzuwenden, um ein musikalisches Ergebnis zu erreichen, das eine gewisse Demut ausdrückt, dennoch notwendige Mitteilung, emotionale Durchdringung und Reife nicht verkennt…

    @ nyffeler: … Denn das Publikum mag zwar durchaus von Programmhefttexten und den eingeschlossenen Nebelkerzen von falscher Emotion, zu dickem Anliegen-Auftragen abgelenkt werden. Wenn aber sowas wie Musik erklingt, Neue, Alte, Populäre, Donaueschingen im Herbst oder irgendwann Herr Silbereisen in einer dortigen Halle: der aufmerksamere Teil wird Übertreibung oder bewusstes Blödverkaufen sehr schnell auffassen. Andererseits: denken wir an die historischen Skandale, bei denen sich Teile des damaligen Publikums veräppelt vorkamen, zweifelt man doch wieder an der Wahrnehmungsfähigkeit. Allerdings stand damals ein übertriebener Pathos beim Eintreten für seine eigenen oder gegen andere Ideen immer Pate, führte neben politischen Überschätzungen der eigenen Kriegsmaschinerien in die Konflikte von Weltkrieg eins und verschärft nochmals in den zweiten und den folgenden Kalten Krieg. Höchstwahrscheinlich hielt dort jeder seine Sache für unglaublich wahrhaftig, empfinden wir Statements und tönende wie filmische Dokumente einerseits in ihrer Grobheit erschütternd, dazu aber auch irgendwie gnadenlos kitschig.

    Ist es heute also wirklich anders? Meine Wahrnehmung sagt ja und nein: denke ich an langerfahrene sog. Neue-Musik-Konzertbesucher, erlebt man eine wunderbare Offenheit und dennoch auch eine leichte Abgebrühtheit gegenüber schon irgendwie einmal erlebten besonders neuen Dingen, die wieder als noch neuer angepriesen werden oder erkennt man den wässrigen Wein, den Komponist und besonders näselnde Konzerteinführer feilbieten wollen. Präsentiert man nun einigermassen solide Neue Musik, vom eben genannten Publikum TÜV-evaluiert, unerfahrenen Publikum, fressen sie entweder begeistert brav aus der Hand oder lassen auch heute noch die Türen knallen, die immer noch aktuelle Extremform von nicht nett gesonnenen Abonnenten.

    Im Prinzip ist das auch die Normalform von zeitgenössischer Revolution: die Abstimmung mit den Füssen. Ohne jene Massenausreisen hätte sich ggf. das DDR-Regime noch ein wenig länger über Wasser halten können. Wie wenig eigentlich die Revolution 1989/90 wirkte, sieht man immer noch an all den ehemaligen kommunistischen Ländern, in denen es zwar zu Gewaltexzessen, die alten Kasten aber nur die Repräsentanten austauschten und oftmals die dazugekommenen neuen Kräfte nicht durch Augenmass sondern leichten bis schweren ach so abhanden geglaubten Rechtsnationalismus pflegen. Die DDR hatte Gott sei Dank die unglaubliche Ausreisewelle, welche konsequent destabilisierte, was der Westen dann nur noch die Reste tilgend einfahren konnte. So meine Wahrnehmung, hier viel zu kurz.

    Ich möchte damit sagen, dass der Revolutionsbegriff, der hier so beschworen wird auch kaum funktionieren wird. Mit vorgehaltener Waffe wird hier keiner das System oder auch nur die Musik ändern. Mit dem Rotstift schon eher, in dem man sie einfach wegkürzt. Oder noch schlimmer: allmählich wird reihum die Restavantgarde an Schreibern, Interpreten und Veranstaltern beerbt, oft durch Leute, die sich in gemachte Nester setzen, von einer künstlerischer Leitungsposition zur nächsten flattern, so ein wenig wie die Investmentfondsmanager. Da wird wirtschaftlich gearbeitet oder bewusst drohende Konsolidierung übersehen, wenig musikalischer Urheber-Nachwuchs gepflegt, so viel Klassen man auch kostenlos in die Education Beiprogramme verpflichtet. So gibt es für wahre Revolutionäre kaum Platz, schachert man heute immer noch um Space-Notation und Mundstückeabnehmen wie seit Jahrzehnten.

    Andererseits ist der Begriff Revolution sowas von ausgelutscht, wie kein Anderer. Von der Politik über die Wissenschaft und Kunst bis hin zur krudesten Weltanschauung wurde immer wieder Revolution verkündet, von oben verlangt, von den noch kleinen Leuten oder späteren Generationen verlangt, aus dem innersten der Persönlichkeit heraus propagiert. Für solche Dampfplauderei hat nun selbst weniger intellektuelles Publikum und Volk ein Gespür und stimmt dann eben mit den Füssen ab! Selbst bei heutigen Reizthemen, wie Stuttgart 21, nimmt man eher genervt die Revolutionsattitüde der Projektgegner zur Kenntnis, streitet sich eigentlich nur um den Mitteleinsatz der gewaltauflösenden und somit selbst gewaltauslösenden Massnahmen. Einzig die Moderationsversuche wirkten medial und politisch neu, aber nicht revolutionär, ohne „r“ maximal evolutionär.

    Ganz im Sinne dieses inneren Geigerzählers des Publikums reagierte ich, wie ich es eben wahrnehme, auf die hier oben massenweise erfolgten Affirmationen der Wahrhaftigkeit, die erst allmählich benannt wurde, und die Ablehnung einer Beschäftigung mit dem Kitschbegriff, der sehr wohl durch Moritz zitiert worden ist. Wie man nun selbst bei jenen Unterhaltungsmusikern sieht, ist eine gewisse Wahrhaftigkeit immer Voraussetzung für einigermassen saubere Arbeit, mit der sich der Ausführende wie sie in Anspruchnehmende identifizieren können (müssen). Ich nehme Wahrhaftigkeit für mein Schreiben auch in Anspruch, glaube auch gerne mal daran, dass Stücke auch mal mehr als nur gutes Handwerk wollen dürfen (sollen). Ich halte im Moment des einen Stückes dieses für wahrhaft, im Falle eines späteren dann dieses, beanspruche aber für mein ganzes Schaffen natürlich auch eine gewisse wahrhaftige Kontingenz, darin eine mal gelungenere, mal auch leicht oder hoffentlich seltener misslungene Kontinuität. Das sind Ansprüche an mich selbst. Zu dieser linearen Wahrhaftigkeit gehört aber auch das Wissen, dass sie immer auch momentabhängig ist, sich jederzeit ändern kann. Anders mal gedacht: wäre ein Stück das wahrhaftigste, müsste man diesem keines mehr hinzufügen. Der eine nennt es work in progress, der andere Revision, der nächste Lebensaufgabe. Selbst der in meinen Augen nur geldgeile Kitscheinsetzer wird sich selbst für wahrhaft, ja wahrhafter als die Anderen halten. Wahrhaftigkeit gehört also immer zur Arbeitsausführung.

    Dennoch sollte man dann gerade als Urheber seine Wahrhaftigkeit öfters hinterfragen, sie Abgründen aussetzen, den Kitsch in ihr finden, ihn verdammen oder mir lieber einfach mal erst nur mässigen. Dazu gehört es meiner unmassgeblichen moralischen Meinung nach, nicht immer gleich diese schnellen Lippenbekenntnisse zu geben, wie es mir hier vorkam – und ich wohl die meisten garantiert in eine Schublade wies, in die sie natürlich nicht gehören. Dem Blogtempo sei es geschuldet. Dennoch kann man auch in diesem kleinen Postingkasten gut nachdenken, selbst wieder bei meinen Längen hier.

    Also: ich möchte nicht dem Kitsch Tür und Tor öffnen, plädiere aber für einen bewussteren, weniger sie voreilig ausschliessenden Umgang. Man muss ihm in die Augen sehen, um ihn zu fassen. Ich vermute ggf. sogar mehr Kitschgefahr in vielen Werken, wo mancher hier nur seinen Kopf schütteln mag oder bar entsetzt ist. Das hilft mir aber immer öfters, auch mal an superernsten Stellen zu lächeln, zu wissen, dass man jetzt nervös werden könnte, dafür aber die Dinge zu nehmen, mit ihnen zu spielen. Kategorisierung ist immer ein Spiel, immer veränderbar. So lasse ich mich als Hörer weniger veräppeln, finde aber so manche Veräppelung dann doch wieder bedenkenswert und identifiziere sie als Veränderung meinerselbst. Das ist es echter Selbstweihrauch, mein Lippenbekenntnis, das ein solches sein mag, mir aber gleichzeitig auch ernst ist. Wie gesagt: ich schreie weder bei Cage noch Ferneyhough O my Godness, wie es unsere Youngsters zu gerne machen, ich geniesse alle drei, also auch den Youngster. Macht mich das ungeniessbar?

    Gruss,
    A. Strauch

  34. Erik Janson sagt:

    @ Herr Nyffeler,

    naja, bissel ein anderer Kontext/Themengebiet Ihre Beispiele mit BamS, Schlager etc. pepe. Aber: „Volkes Stimme“ wäre für die „(N)eue Musik“ (mit großem N) vernichtend natürlich existenzbedrohend.
    Aber schon: „FUSSvolkes“-Stimme wird offenbar als bedrohlich empfunden…
    ja, wo kämen wir hin…? Wenn…?
    Das ist das Traurige.

  35. Erik Janson sagt:

    @ Strauch,

    wieder überschnitten: Eine „Revolution“ im „Hurra-Stil oder mit Hauruck oder Gewalt, da wäre ich der allerletzte, der das wollte oder fordern würde.

    Aber, was Du z.B. vorschlägst oder meinst: Revolution des „Rotstifts“ (Establishement MIT „kaputt sparen“) das löst auch keine Veränderung, kein Umdenken, erst recht keine Revolution, im GEGENTEIL. Drauf zahlen dann umso mehr noch die Unbekannten, die Kleinen. Das war immer so.
    Und überhaupt: Das Wort Revolution kann ich nicht mehr hören. Jede R. löst umso mehr Restauration und Regression auf der anderen Seite aus. Nennen wir es einfach: VERNÜNFTIGER, bescheidener und demokratischer werden auf der System seite (kulturpolitisch) und „frecher“, mutiger sein Dürfen auf der Individuum-Seite (einzelner Komponist). Dann wäre schon viel gewonnen.

  36. querstand sagt:

    @ erik: Für die Rotstiftrevolte bin ich nicht, ich befürchte sie allerdings als das akute, einzig wirklich sichtbare Regime, das Dinge umwälzt oder schlichtweg endgültig zu Grabe trägt, denen schon jahrelang der Tod angedichtet wird, obwohl sie immer noch (über)lebend sind. Innere Haltung, wahrhaftiges Berufsethos bewahren, dennoch Selbstkritik und Selbstwitz nicht verlieren, dass sind in diesen Zeiten die wichtigen Werte.

    Die wahren Veränderungen ergeben sich organisch, langsam, so dass man manchmal den Glauben an ihr Gedeihen verlieren könne. Hierzulande wird keinem mehr der Kopf abgeschlagen im Namen einer höheren Idee. Wiewohl, Vernunft ist angesagt, vielleicht die Verfassung des Landes erstmal wirklich zu echter Entfaltung bringen, bevor man einen totalen Systemwechsel wieder heraufbeschwört. Spürbare Veränderung gibt es ja tatsächlich in Form des sich allmählich vollziehenden Aussterbens der alten 1950er Avantgardisten und ihrer direkten Zöglinge. Neue Generationen übernehmen die Einrichtungen, werden sich wohl eher mit dem Bewahren der seriellen Wurzeln und derer Protagonisten befassen als Neues direkt auf dem Feld der Komposition zu fördern. Man halte sich da Bayreuth, Salzburg vor Augen, wo das Neue nur in der jeweiligen Umsetzung des Alten zu finden ist.

    So werden auch Reihen der Rundfunkanstalten und ihre elektronische Tonstudios, Foren wie Darmstadt immer mehr zum Feld der konsolidierenden Aufarbeitung der eigenen Tradition, mögen sie sich zuletzt auch neu aufgestellt haben, wie eben die Ferienkurse. Neue Strömungen verlangen nach neuen Einrichtungen. Ich sehe dies z.B. dann doch wieder in der direkteren Vernetzung der Kollegenschaft im Internet. Man benötigt nicht immer Symposien, um sich auszutauschen. Man benötigt nicht immer einen mehr oder minder alten Verlag, um seine Noten zu verteilen. Ohne Plattformen geht es auch nicht, und das ist ja der hiesige Blogvorteil, grössere Plattformen, wo man sich zu Projekten verabredet, Partituren und Aufnahmen über die eigenen Homepagegrenzen hinaus austauscht auch. Das wird neue Daseinsformen generieren. Ganz unrevolutiönar, ganz vernünftig. Höchstwahrscheinlich eher anarchistisch im Feld der Möglichkeiten, die die Netiquette und die Gesetzgebung da läßt. Man trifft sich dann eben nicht mehr auf den alten grossen Festivals, die von Kuratoren geprägt sind, denen das Geld allmählich ausgeht. Ich denke da wirklich inzwischen an Konzertverabredungen, wo man hingeht, dann mit den Leuten arbeitet, die man antrifft. Das schafft sich dann auf Dauer sein eigenes Feld. Das beginnt mit Aufführungsalternativen wie dem FZML, das wird hoffentlich zu einer Veränderung der Adevantgarde führen, das gibt vielleicht Nachfolgern des Netzwerks Neue Musik ganz andere Präsentationsaufgaben. Da könnte dann die Herrschaft von Deadlines, Altersgrenzen, vorgegebenen Dauern und Besetzungen ein Ende finden. Das wird billiger als das meiste heutzutage, das wird ein ganz anderes Publikum und vielleicht eine ganz andere Musik hervorbringen. Aber eben nur, wenn Vernetzung zu wirklichen Begegnungen führen wird. Ansonsten bleibt das, was der Rotstift nicht weggekürzt hat, Volksabstimmungen und Gerichte nicht beseitigt haben werden – ich stelle mir irgendwann Klagen von kostenlosen Essenstafeln gegen übersubventionierte Empfänge bis hin zu aller kulturellen kommunalen Freiwilligkeit vor. Also Bewahren der Reste oder Bildung gänzlich neuer Präsentationsformen, so eine Art Musik-Slam unter uns mit möglichst viel Freunden und Gästen… Aber wieder eine Revolution: danach würde man nur wieder einen Stil pflegen, Lobeshymnen auf das System verfassen – das will keiner, genauso eigentlich keiner den Rotstift will, der aber kommt. Allein die Umstellung der Finanzierung der mächtigen Sender auf eine Art Haushalts-Flatrate – da schafft der Staat plötzlich sich eine, wenn er kassieren darf – mit der Option der Rückgabe wie auch deklarierter Zuvieleinnahmen, wird man noch viel rot sehen…

    Gute Nacht,
    Alexander

  37. Pèter Köszeghy sagt:

    @Alexander: ja, da hast Du sicherlich ganz recht was „Revolution“ betrifft. Es kann – muss nicht – passieren, dass nach sowas nur Lobeshymnen auf ein System verfasst werden würden…Allerdings ist das zur Zeit ja genauso, wenn ich bisschen nachdenke: Künstler, die „Versorgt“ sind, „singen“ ihre Lobeshymnen und beschwören auf alles (wortwörtlich auf Alles), wie toll es eigentlich ist und Künstler, denen es nicht gut geht, machen langsam den Mund auf und „revoltieren“ – allerdings „revoltieren“ sehr in konsekvent.

    @Uncle Harry: Sie haben leider immer noch nicht die Frage beantwortet, was mich persönlich SEHR interessieren würde, WASFÜR „Revolution“ hat denn stattgefunden, die wir Alle noch „nicht gemerkt“ hätten?????

    @Herr Nyffeler: ein sehr schönes Beispiel!! Es gibt da zwar einiges zu entziffern, aber dann, wenn mans hat, macht es schon „pling!!!!“ :-) Danke.

  38. eggy sagt:

    @spicciolino:
    Was CSM – bei allen sicherlich auch unterschiedlichen Ansichten über Musik – und mich verbindet ist einfach dies: Wir wünschen uns eine leidenschaftlichere und streitbarere Diskussion darüber, wohin die Musik in der Zukunft geht. Ich denke, dass jeder von uns beiden dies auf seine Weise tut und es da hie und da auch überraschende musikalische Berührungspunkte gibt. Aber natürlich sind wir auch nicht die Einzigen, die dies tun, daher ist die Gegenpoligkeit hier vielleicht einfach das unpassende Konstrukt. Claus-Steffen hat vieles riskiert mit zum Teil unpopulären Ansichten, davor habe ich grundsätzlich Respekt und respektiere das. Auch höre ich, dass er die Individualität seiner Studenten unterstützt und ihnen keinerlei Gedankengut aufoktroyiert, auch dies finde ich gut.

    Wenn man sich die Musikgeschichte so anschaut, so ist das öffentliche Streiten und Ringen um neue Ästhetiken immer ganz entscheidend für wichtige künstlerische Entwicklungen gewesen. Wir leben aber heutzutage in einer Zeit, in der die politische Korrektheit auch in den Künsten wirkt – viele trauen sich gar nicht mehr, etwas zu sagen und die künstlerische Reibung innerhalb der Szene halte ich für eher gering, auch aus den von den Kollegen hier in den Kommentaren genannten Gründen.

    Toleranz gegenüber verschiedensten künstlerischen Strömungen ist ja gut, und die ist sicherlich heute gegeben. Die oftmals vorhandene Unehrlichkeit, ja der Pragmatismus und auch Opportunismus hinter dieser Toleranz lähmt aber die echte künstlerische Entwicklung.

    Auf den Festivals haben wir uns eine gigantische Spielwiese eingerichtet, in der scheinbar alles möglich ist, aber dann eben auch nur das, was „festivaltauglich“ ist. Ich merke an den Kommentaren, dass dieser Zustand der scheinbaren Offenheit viele frustriert, weil letztlich auch künstlerisch bedeutsame Sachen in diesem Kontext einfach nur „interessant“ sind und bleiben. Sie werden goutiert, und dann heißt es „what’s next?“. Ein Festival bezieht seine Berechtigung aus der Darbietung von immer neuen Attraktionen. Es ist ein Jahrmarkt auch der Eitelkeiten (wer hat mehr Aufführungen? Wer ist gerade „angesagt“ und wer nicht?), aber ein Jahrmarkt ist und bleibt eben ein Jahrmarkt und nicht unbedingt ein Quell einer neuen aufregenden Kunst.

    Es ist daher verständlich, dass es viele nach draußen drängt. Ich liebe Neue Musik und gehe auch gerne auf Festivals, aber jede Gelegenheit außerhalb dieses Kontextes etwas zu machen reizt mich deutlich mehr. Dies ist sicherlich auch die Motivation der Leipziger, mit ihren Fast-Food-Konzerten z.B.. Es ist ein Kämpfen um einen neuen Raum für Kunst, außerhalb der etablierten Konventionen.

    Festivals sind einst aus genau diesem Grund entstanden, um Dinge zu ermöglichen, die im normalen Konzertbetrieb nicht mehr möglich waren. Inzwischen würden wir uns wünschen, den normalen Konzertbetrieb wieder zurückzuerobern, die ganzen langweiligen Stadtfeldts und Lang Langs mit ihren unsäglich biederen Programmen hinwegzufegen…darf ich das so sagen? Ja, ich darf!

    Und natürlich: Revolution ist kein schönes Wort. Aber lasst uns nicht an Wortklauberei aufhalten, wir spüren alle instinktiv, dass ein Wandel notwendig ist, und diesen sehnen wir alle instinktiv herbei.

    Moritz Eggert

  39. Erik Janson sagt:

    @ all, @ Alexander,

    @ erik: Für die Rotstiftrevolte bin ich nicht, ich befürchte sie allerdings als das akute, einzig wirklich sichtbare Regime, das Dinge umwälzt oder schlichtweg endgültig zu Grabe trägt, denen schon jahrelang der Tod angedichtet wird, obwohl sie immer noch (über)lebend sind.

    Da bin ich etwas anderer Meinung. Rotstiftrevolte will ja keiner, weder wir beide noch das Establishement. Aber WELCHE Dinge werden denn „zu Grabe getragen“ wenn der Rotstift wirklich massiver zuschlagen wird in den nächsten Jahren? Was macht Dich so optimistisch, dass es anders laufen könnte, dass es eine Chance ist für mehr Komponisten, potentiell für ALLE, dass die kleinen Lichtblicke am Ende mehr werden und durch schlagen? Was macht hoffen, dass nicht nur die freie Szene kaputt geht? Wo siehst Du signifikante Anzeichen dafür? Eggys „Realismus“, Alexanders „Optimismus“, mein „rheinischer, augenzwinkernder Zweckpessimismus“ – schön und gut das alles hier. Aber für alle drei Zukunftsvisionenen sehe ich – ehrlich gesagt – kaum Anzeichen – leider. Ich sehe (vor allem in den oberen Strukturen) überwiegend Stagnation momentan, und finde dieses dauernde Gerede, „in jeder Krise/Untergang“ steckt auch eine Chance“ ein wenig zu pauschal, das kann man leicht sagen, und vor allem sagen es immer und immer wieder diejenigen, denen es noch am besten geht, die es sich „gut eingerichtet“ haben. Nein! Es kommt darauf an was wir daraus machen/lernen, ob die Krise ein Neuanfang wird.

    Ich befürchte: die freie Szene und diejenigen, die es ohnehin JETZT SCHON schwer haben, die werden als Erste und am allermeisten unter den Kürzungen zu leiden haben; dann hilft auch keine „Kreativität“ mehr weiter, wie man aus fast nichts an Förderung noch was machen kann, dann helfen auch keinen Burgerking- Bordell- oder Parkhaus- oder U-Bahn-Konzerte wie in Leipzig mehr. Denn: (ganz) ohne Geld kann man auch das nicht mehr realisieren. Musiker und Komponisten wollen bezahlt werden, und wenn es mit Hunger-Honoraren ist… Oder wir müssen eben alle zu Volksmusikern oder Popmusikern, zu „Marianne und Michael“ zu „Lena“ werden, oder Raps komponieren (ich meine echte Rumsbumms-Raps,Rumsbums-Musiken auf der „1“ bzw. nur mit Einsen oder nur Computer- oder Sampling-Musiken aus Nullen und Einsen komponieren…, nicht nur mit Augenzwinkern komponierte, definierte Geräusch-„Raps“ wie „Lachenmann“ mit Leonardo, also intellektuelle, genial durchgehörte Strukturklang-FLüster-Raps für Fachpublikum – sondern dann auch stilistisch, wirklich also „äußerlich“, nur auf schnellen Publikumseffekt abzielende Musiken komponieren, die „direkter ins Blut, in die „Gehirne“ der Zuhörer (und damit in des einzelnen „Kassen“ gehen). Und das scheidet als Lösung oder Flucht aus der Krise aus (zumindest für mich, ganz klar!).Dann besser gar nicht mehr komponieren oder nur noch Schublade und auf den Sankt Nimmerleinstag oder sein eigenes Memorialkonzert warten).

    Nein: nicht die großen Festivals, das Establishement, die Akademien oder Professoren, die großen Festivals in der Szene werden spürbare (zumindest niemals existenzielle) Abstriche machen müssen (bzw. die Kürzungen wo die drüber „jammern“ oder was die den anderen vorrechen zum „Trost“, was sie auch „weniger“ bekommen, das sind Größenordnungen, mit denen immer noch x Szenekonzerte finanziert werden können, von denen x der jungen, begabten Komponisten noch Auskommen sichernde Aufträge finanzieren könnten. Oder die, denen es noch gut geht erklären sogar dann zynischerweise unsereinen noch als „Jammerer“ oder „Verschwörungstheoretiker“ oder als „Janson-Quatsch“ (Kreidler)wenn man in Blogs mal die Klappe aufreißt etc..) Ich z.B. wäre froh, wenn ich einen oder zwei Kompositionsaufträge von öffentlicher Seite in der Größenordnung von 2000 Euro pro Jahr erhalten würde oder wenigstens mehr Chancen darauf, sich darauf offiziell bewerben zu können, wenigstens auf Resonanz zu hoffen. Viel mehr möchte man gar nicht. Die Existenz möchte gesichert sein, man möchte wahrhaft und dabei ohne Existenzängste komponieren können. That´s all.

    Und ein Enno Poppe (der Name ist austauschbar, ich könnte auch Marc André schreiben und möchte Enno keinesfalls persönlich zu nahe treten, gönne ihm alles) würde vielleicht (aber) schon jammern, wenn er mal einen oder zwei 5000-Euro-oder 10.000-Euro-Festival-Aufträge (oder was bekommt man genau, jenachdem, je nach „Marktwert“?) weniger erhalten würde. Aber da sind wir wieder bei der „Neiddebatte“, gell? [ich hör schon auf].

    Aber halten wir fest: bestimmte Leute haben weiterhin „Schonraum“, bzw. es bleibt die Sorglosigkeit, eben weil dort nur von oben, „erklärte“, akademisch definierte aber nicht unbedingt die echten musikalischen Revolutionen statt finden (bzw. die Revolutionen von „Uncle Harry“ [auch hier ist die Nennung willkürlich von mir] oder die revolutionären Werke von unserem lieben Enno, dem ja als Person und Komponist auch keiner böse sein kann). Ist doch überall auf der Welt so, war immer schon so, werden jetzt wieder viele sagen vielleicht. Aber dass es im Kunstystem selbst noch schlimmer wird gerade (dass also die Kunst in Sachen Reformwille, Vernunft und GEMEINSAMEM (nicht nur individuellem) Überlebenstrieb gerade ihre Anschlussfähigkeit an die Umwelt leider verliert (um Luhmannsch zu sprechen), das sollte uns ernsthaft zu denken geben).

    Also, lieber Alexander: es gibt zwar die von Dir aufgezählten und mir ja auch (uns allen)bekannten „kleinen Lichtblickchen“, die berühmte „Revolution der kleinen Schritte“. Aber (z.B. auch das DDR-Regime – jene friedliche Revolution – jedes System, was von innen her fault oder knirscht), das wurde doch alles erst signifikant, spürbar und durchschlagend geändert, als der friedliche Erdrutsch als Steigerung der „kleinen Trippelschrittchen“ hinterher kam… Trippelschrittchen, lieber Alexander die können auch sehr schnell versanden. Allerspätestens dann wenn der nächste Sandsturm der nächsten Finanz- (z.B. Kreditkartenkrise, die kommen wird) über uns alle (auch die „armen Professoren“) hinweg fegt. Oder es gibt auch „Echternacher“-Trippelschrittchen – wie war das noch?: Zwei Schrittchen vor – einen zurück… (vielleicht kennt Herr Nyffeler sich da aus, er ist offenbar der Experte hier für das Volks-„Brauchtum“… ;-) )

    Nein! Die wesentlichen Punkte, damit sich wirklich historisch oder wirklich in der Gesellschaft spürbar was ändern kann, bzw. damit unsere Musik eben vom intellektuellen, immer noch (daran wird sich nichts ändern) gut situierten Neue Musik- Publikum und Fachpuklikum aus in weitere Gruppierungen der Gesellschaft (unseres potentiellen Publikums also) aus strahlt (aber vielleicht wollen das die meisten ja nicht, oder die denen es in ihren Zirkeln „gut geht“…). Zu alledem müssten z.B. folgende Dinge realisiert werden, und zwar nicht lang- sondern kurz- (bis zumindest mittelfristig), also binnen der nächsten 3-maximalst 5-10 Jahre! Und das wissen eigentlich alle, und das wurde auch 2002 schon von Koeszeghy u.a. gefordert, und mittlerweile sind 9 Jahre des quasi Nichtstuns schon wieder ins Land gegangen:

    Was müsste/sollte passieren?

    1. Transparenz bei allen Wettbewerben,Stipendienvergaben und bei allen Bewerbungsverfahren um Hochschulstellen (angefangen von der C4-Professur hin zu jeder kleinen Theorie-Stelle) etc., wenn es um finale Jury- Gremien-ENTSCHEIDUNGEN geht. Das heißt: Wer, wie warum und was wurde von wem aus dem Gremium ausgewählt? Wer hat für welchen Kandidaten/Partitur gestimmt und warum (nur auf die Partitur bezogen, auf die QUALITÄT, die Analyse und nicht „weil ich gehört habe, dass (weiß) dass der und der „gut“ ist oder Schüler/In von XY…). Alles muss öffentlich einsehbar und auch theoretisch anfechtbar gemacht werden! [Zynischerweise: da könnten wir von DSDS und Privat-TV-Carsting-Shows ala Dieter Bohlen fast noch was lernen, da sehen wenigstens Millionen zu wenigstens, wenn Leute zu „Stars“ hochgeputscht werden, die kaum was können]. Zurück zum Thema:

    Es sollte verboten werden, dass ein Professor/oder Professorin seinen eigenen STudenten/Studentin überhaupt für irgendwas vorschlagen/empfehlen/stimmen kann). Dies muss natürlich für ALLE Komponisten dann gelten, die in Gremien berufen werden. Da dürfen keine Ausnahmen gemacht werden, z.B. auch nicht wenn/weil der und der gerade besonders viele Funktionärsposten inne hat oder besonders gute Verbindungen in die Kulturpolitik, eine „gute Lobby“, einen großen Namen, noch so viel Einfluss/Macht oder ähnliches.

    1b) Erst NACH Wettbewerbsentscheidunge (das ist entscheidend!) dürfte öffentlich gemacht werden, WER in den Gremien/Jurys saß. So würde verhindert, dass Wettbewerbs- /Vergabeverfahren-Teilnehmer an die entsprechenden Entscheidungsträger „hintenrum“ oder auf „Tipp“ heran treten können. Also, der berühmte „Vitamin“-B“ und – böse gesagt – „Schleimfaktor“ würde minimiert.[Denn natürlich sind wir alle „Menschen“ (gottseidank) und schwach: welcher Professor z.B. würde kein weiches „Herz“ bekommen, wenn sein ehemaliger Schüler zu ihm kommt und sagt „ich hab dieses Jahr nur einen 5000-Euro-Auftrag, Du, mir geht es GANZ SCHLECHT, kannst Du mich da und da mal empfehlen – ich müsste sonst arbeiten gehen/ (mehr) unterrichten“ etc.]. Das war mal überspitzt formuliert. Aber wir wissen ALLE dass es sowas gibt und dass sowas auch mehr geworden ist, solches Verhalten und dass unser jetzige Rahmenbedingungen so etwas immer mehr begünstigen). Naturlich sind da auch einige Leute/Professoren, renommierte Lehrer konsequent
    – aber manche sind vielleicht „lieber“ zu ihren ehemaligen Studenten oder zu den „netten Leuten, denen keiner böse sein kann“ und aus egoistischeren Motiven als manche andere, die in Jurys sitzen…).

    Mit Erfüllung von Punkten wie 1 und 1b) würde schonmal zumindest mehr „Objektivität“ herrschen in dem Sinne, dass potenielle Vetternwirtschaft und Klüngelei, das Hochkommen ohne Qualitäts-bedingte Verdienste allein doch insgesamt eher ausgeschlossen werden(zumindest minimiert, Schlupfköcher wird es vielleicht immer geben). Und es ist bei alldem auch klar und ich setze voraus, dass analytische wie ästhetische Urteile über Kunstwerke, die über Preise, Posten, Professuren entscheiden natürlich immer relativ „subjektiv“ sind, auch sein dürfen/sollen , subjektiver halt von Natur aus in der Kunst/Musik als in allen anderen Bereichen.

    Aber was meine ich, was fordere ich in dem Zusammenhang?:

    KEINE Kulturinstitution (weder Kunststiftungen, noch Bundeskulturstiftungen, Ministerien etc.) dürften überhaupt Gelder vergeben, wenn nicht diese Transparenz- und Gleichheitsbedingungen und zumindest Vettern- und Günstlingswirtschaft (mehr als heute) ausschließende Objektivitätsbedingungen erfüllt sind! Denn es sind Steuermittel, Mittel der Allgemeinheit, die da verwendet werden!

    2. Wir brauchen dann auf der anderen Ebene eine gerechtere Verteilung von Kompositionsaufträgen (nicht dass wenige und immer dieselben Leute (tournusmäßig) bei den renommierten Festivals viele Aufträge bekommen, die meisten anderen aber (potentiell) niemals, nur weil vielleicht „Marktwert“ oder „Beziehungen“ (also Sekundärfaktoren immer noch, die MUSIK sollte alles entscheidend sein!) nicht stimmen oder weil sie nicht zu den „erklärten“ Revolutionären damit gehören.

    3. Auch das Maß und die menschliche Vernunft, die Solidarität bei den Aufträgen/Auftragshonoraren sollte wieder mehr (unabhängig vom Bekanntheitsgrad und Verdienst des/der Komponisten) Einzug halten (seitens Veranstaltern, die Honorare aushandeln aber auch seitens der namhaften Komponist/Innen, die ggf. Forderungen stellen oder ihren „Preis“ längst selbst bestimmen können…). Wenn ich z.B. von Moritz höre: Gubaidulina bekam auf den Canarischen Inseln für ein 10 Minuten-Orchesterwerk sage und schreibe 100.000 Euro Kompositionshonorar! Und was bekommt/würde ein – sagen wir selbst mittel-„bekannter“ Komponist/Komponistin hier zu Lande bekommen (oder auch auf den Canaren, je nach „Marktwert“)? Doch vielleicht ein 20-tel oder 30tel davon. [Also, ab auf die Canaren, Enno! ;-)] Die Relation nähert sich also (wenn man bedenkt, dass die absolute bezahlte Summe vergleichbar (bis auf Ausnahmen) viel niedriger ist als Gelder, die in der Wirtschaft bezahlt werden) der Entlohnungs-Relation zwischen Bankmanagern und „normalen Arbeitern“. Da stimmt also gewaltig was nicht, gerade in unserem Kunstsystem. Da sind Auswüchse erreicht worden, die einfach nicht mehr hinnehmbar sind
    in einer modernen, aufgeklärten, sich „nicht-feudal“ oder „demokratisch“ schimpfenden Gesellschaft. Ihr könnt gern anderer Meinung sein, Leute, aber dann käme ich nicht vernunftmäßig wie „intellektuell“ nicht mehr mit, sorry …

    4.Wir brauchen wieder mehr Neugier, mehr Offenheit erstmal auch der Verantwortlichen und weniger Routinen, weniger Auf-Dritte- und auf Tipps- Hören o.ä. seitens Musikkritikern, Musikwissenschaftlern, Rundfunkredakteuren, Intendanten, einflussreichen Dirigenten etc. Nicht nur immer auf die ohnehin schon „Gehypten“ sich stürzen sondern auch mal jenseits der ausgetretenen(vorgetretenen) Pfade schauen… Was „riskieren“. Gegen den „Marktwert“- oder „Beziehungs“-Mainstream schwimmen! D.h. die müssten alle (das ist ihre Pflicht, sie werden dafür bezahlt von Steuergeldern!) mehr zu den „kleinen“, auch mal den „NICHT-Festival“-Konzerten gehen, viel mehr Partituren anschauen, viel mehr anhören (statt Lagerräume, wo ungesehene Partituren verschimmeln) und und und. [Dann gibt es auch mehr Revoluitionäre in Zukunft, dann gibt es in unserer Szene wieder blühende Landschaften (zumindest motivational und als Nährboden für Qualität und Wahrhaftgkeiten, allermindestens), und nicht nur „Uncle-Harry-Revolutionäre“].

    4.Abschaffung von sämtlichen „Deadlines“ bzgl. Alter und/oder Herkunft zumindest (der Nationalität flächendeckend (hier) nur dann, wenn auch andere Länder mit ziehen, denn es ist auch ein Misstand, dass z.B. in Holland oder anderswo in Europa weitaus mehr einheimische Komponisten gefördert werden im Verhältnis zu deutschen/bzw. für die ausländischen Komponisten als hier. Statt solcher unsinniger und sozial wie ethnisch diskriminierender Bewerber-Beschränkungen also: Offenheit für alle bei allen Wettbewerben und stattdessen dann beim Vergabeverfahren eine Klausel einbauen oder eine Art Quote, dass trotzdem soundsoviel Prozent „unter 35/30“ oder „international“ (oder wie auch immer, die Kriterien könnten ja schwanken je nach Wettbewerb/Institution). Das wäre doch allein schon gerechter, würde für mehr Chancengleichheit, zufriedenheiten und Motivationen überall sorgen, als wenn man sagt (wie jetzt noch bei der überwiegenden Anzahl an Wettbewerben): es dürfen sich nur die und die bewerben.

    5. Standard-Klauseln wie „die Jury behält sich vor, den Preis xY nicht zu vergeben“ oder „die Entscheidungen der Jury sind UNANFECHTBAR“ [dazu noch uneinsehbar, das ist der Skandal – sonst wäre es legitimierbar] gehören abgeschafft oder VERBOTEN. Denn was heißt das im Klartext?
    „Die Jury behält sich vor, die Preisgelder in die eigene Tasche zu stecken oder wieder in den „Kaputtspar-Sparseckel“ zurück zu schieben – oder ähnliches… (auch letzteres ist eine Farce, denn wenn man schon Wettbewerbe mit Fördermitteln (egal welchen) ausschreibt, dann MÜSSEN diese dann auch ausgeschüttet/gezahlt werden.

    5a) (in dem Kontext): Teilnahmegebühren für Kompositionswettbewerbe – sagen wir (wenn es denn sein MUSS) von über 30 Euro maximal gehören abgeschafft/verboten bzw. es dürfen weder von staatlichen noch privaten Stiftungen/Trägern solche Wettbewerbe unterstützt werden. So was MUSS einfach gesetzlich geregelt werden.

    Ich rufe Euch (vor allem jungen, noch an Wettbewerben teilnehmenden) Kollegen, die Ihr dies lest zum Boykott sämtlicher Kompositionswettbewerbe auf, die eine Teilnahmegebühr von Ü 50 Euro erheben! Da kann JEDER von uns handeln, wenn er will, auch diejenigen, die sich – noch – die hohen Teilnahmegebühren so gerade leisten können (sogenannte, zynisch-verleumderisch genannte „Bearbeitungsgebühren“ – in Berlusconi-Land (sorry)gerne mal 100 Euro und mehr mittlerweile). Wenn da immer noch genug Leute so dumm sind (oder so naiv-affirmativ) da
    dann stabilisieren auch diese Leute das faule System.

    6. Weg mit dem Akademiezirkel bzw. mehr Durchlässigkeit.

    Ich weiß, diese Forderungen, ja schon 2002 durch Peter Koeszeghy und Thomas Heyde größtenteils ins Gespräch gebracht, die KLINGEN erstmal „unrealisierbar“ oder „verträumt“ für manche (meist für die, die dann was „abgeben“ müssten – sei es finanziell oder im Kompetenzbereich…).
    Aber wie heißt es so schön? In Amerika vor allem:
    „Let this dream come true“ oder „I have a dream“!

    Also, lieber Alexander, Du hast insofern Recht, als wir im Rahmen der Verfassung diese Möglichkeiten (oder ähnliche, wie ich hier nannte), mehr Transparenzen und Chancengleichheiten, ein OFFENERES Kunstsystem zu schaffen, längst realisieren und bessere Rahmenbedingungen schaffen KÖNNTEN. Gesetzespapiere sind geduldig, gäben viele Möglichkeiten an die Hand. Aber – wer will das, dass sich wirklich substantiell-spürbar was ändert, dass sich was öffnet, dass wir wieder „ins Offene“… kommen, frage ich mich? Will es ernsthaft ein Rihm, ein „Uncle Harry“? Oder ein Hans Peter Jahn? Ein Enno Poppe? Ein Hans Peter Kyburz oder ein Marc André? [auch diese Nennung ist willkürlich-beispielhaft, die Liste ist lang, aber nicht endlos lang und es gibt Nuancen].

    Die HALTUNG innerhalb des Systems müsste sich erstmal ändern, nicht nur die „Wahrhaftigkeit“ der einzelnen Komponisten während des Komponierens oder was auch immer. Das Stille Kämmerlein und das Werk um Werk-Komponieren allein bringt zu wenig. Oder: es müsste notfalls von Außen (notfalls europäische Komission o.ä.) uns dies – wenn wir es nicht selbst lernen (und das befürchte ich) – knallhart vorgeschrieben werden. D.h.: KEINE Förderung mehr, wenn nicht mehr Transparenzen und Reformen von Innen her erfolgen, mehr Einsichten, mehr Bescheidenheit, mehr Demokratie, mehr Chancengleichheiten etc. innerhalb der Szene geschaffen werden.

    Es wäre also einfach, was zu ändern, spürbar.
    Und ist doch so fern.

    Erik

  40. strieder sagt:

    Doch was bedeutet diese „Volksstimme“, wenn die Köpfe gänzlich von den Medien gewaschen sind.

  41. querstand sagt:

    Liebe Leute! Was mich an Moritz‘ Vorausschauwagnis auf eine musikalische Zukunft anspringt, ist die Rede von „wild und aufbegehrend, roh und unwirsch, unendlich zart und sehnend, berauschend, aber nicht nur rauschhaft“ und:“kitschig sein und damit den Kitsch exorzieren und ad absurdum führen. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Übertreiben, leidenschaftlich sein. Bis die Wahrheit übrig bleibt. Über die Stränge schlagen, die Musik mit Leben erfüllen, großen Emotionen Raum geben. Solange, bis die Wahrheit übrig bleibt. Das ist sehr riskant, und so soll es sein.“ Das ist natürlich keine konkrete Stilbeschreibung, im Kontext geht es auch v.a. um „Haltung“, „Mut“, „Institutionen-aufbrechen“. Wahrhaftigkeit und Kitsch, ernstzunehmendes Publikum wurde unterschiedlich von allen Seiten mal angerissen.

    Was tatsächlich auffällt, dass neben all den Zuschreibungen einer wieder weiter um sich greifenden anderen Art von zeitgenössischer Musik aus den Wurzeln der sog. Neuen Musik, v.a. den Institutionen der Kampf angesagt wird. Das ist weitgehend richtig, da die Institutionen uns Allen nicht immer Platz gewähren können, aufgrund ihrer Profile oder der akuten Rotsstifteskapaden, und uns nicht immer Platz geben wollen, wie man den Altersgrenzen z.B. entnehmen kann.

    Dazu fällt mir ein, dass konkrete Altergrenzen in Ausschreibungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eigentlich selten ganz konkret genannt werden, sich eher aus dem Zusammenhang herauslesen lassen. Uns Allen ist dabei klar, dass Unternehmer am liebsten Humanressourcen zwischen dem dreissigsten und vierzigsten Lebensjahr neu einstellen wollen, oft sogar noch jünger. Auf der anderen Seite die Angst vor Entlassung ab 40, wenn die „Performance“ nicht mehr stimmt, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor den Abstieg in das ALG II Minimum ohne Rückkehr, ein immer höheres gesetzliches Renteneinstiegsalter. Die Zeit zwischen 40 und aktuell 67 lässt sich dann kaum überbrücken, so die Angst. Die Schallgrenze 67 ist bekannt. Die jüngeren Schallgrenzen sind unterschwellig bewusst. Schwarz auf weiss findet man sie tatsächlich v.a. im Kreativsektor, massiv in Kompositionswettbewerbsausschreibungen. Es ist schon verrückt, wie gerade im Feld der suggerierten Offenheit und Freiheit der freien Kunst ein Abschlussalter offen formuliert wird, derweil Berufskarrieren immer länger dauern müssen, um die Renten zu retten, Berufseinstiege immer weiter nach hinten wandern, da gerade im kompositorischen Bereich ein rein künstlerisches Studium kaum noch ausreicht, um einfach nur als Künstler akzeptiert zu werden. Man muss fern jeglicher Lehraufträge eigentlich bereits für einfaches Komponieren einen wissenschaftlichen Grad nachweisen.

    Neben dieser Polemik ist uns allen klar, dass allein aufgrund der zu bewältigenden Tradition reife Kunst erst mit Mitte dreissig zu erwarten ist. Alles andere zuvor mag seltene Jungbegabung sein, das meiste entspricht entweder den Jurorenwünschen, die gleich die der Lehrer in Personalunion sind als kleinster gemeinsamer Nenner. Das erzeugt zwar Wettbewerbsgewinnlerkarrieren, aber keine Kunst. Es wird Unabhängigkeit, Eigenständigkeit, Wahrhaftigkeit, Relevanz, Materialbewusstsein und Traditionskritik oder -erfüllung von Künstlern eingefordert. Die Institutionen bewirken in ihrer leistungsorientierten und oligarchischen Struktur der Ämteranhäufungen genau das Gegenteil. Also weg mit den Wettbewerbsaltersgrenzen, weg mit Dauerposten in Gremien und Juries, weg mit zu hohen Gebühren für was auch Alles, wie eben auch die Studien, weg behindernden Verlagen, weg mit unmutigen Konzertmachern und Intendanten, die nur Rotstifterfüller sind, weg mit ideenlosen Veranstaltern, weg mit zeitgenössischer Musik feindlichen Musikern und Hochschuleprofessoren und Politikern, weg mit ahnungslosen Abonnenten, weg mit der tausendsten Celanvertonung, weg mit kuratorischen Ewigkeiten, weg, weg, weg… Diese Liste lässt sich unendlich fortsetzen, würde dann irgendwann wirklich zu einer Proskriptionstafel, was wir lieber bleiben lassen sollten.

    Transparenz und Demokratie und Diskussion sollten her. Es müssten viel öfterst lokale und regionale Runde Tische veranstaltet werden, an denen Künstler, Veranstalter, Politiker und Zuschauer gleichermassen teilhaben. Ein Vorbild wäre da in seiner Grundidee das WDR-Nutzer-Parlament (o. so ähnl.), wären die offenen Foren, die das Münchener Kulturreferat zäh, aber mit guten Willen zwischen Künstlern und Verwaltung installiert.

    Und das Wichtigste: neue Foren, neue Plattformen, neue Formate! Damit neben all den Institutionen auch die Kunst weiterkommt. Das hat natürlich jeder erstmal selbst in der Hand. Das durch richtige Vernetzung – klingt schon so ausgelutscht wie Revolution – vielleicht doch einmal grossartige Netz-Werke, als durch solche neuen Begegnungen neue Stücke, entstehen. Da würde das Mahnkopfsche Polywerk ein ganz neue Bedeutung gewinnen. Jetzt gibt es nur Gemeinschaftskonzerte, Klassenopern. Dies sind nur mit „gemeinsam“ titulierte Projekte. Die nächste Veränderung des Berufes Komponist wäre, von der Einzelperson und seinem Lebenswerk abzulenken. Natürlich muss die Persönlichkeit sich zu entfalten lernen. Das würde aber viel interessanter in Gemeinschaftswerken zum Zuge kommen. Nicht genau abgetrennte Teile, nein, der Eine fängt mit dem Bass an, der Andere liefert eine Audioschicht, die einen Anderen wieder zu Gesangsstimmen inspiriert. Der eine fängt an, kommt länger nicht voran, ein anderer macht einfach damit weiter. Wie es einem von den anonymen Dombaumeistern bekannt ist, wie man es vom „niederrheinischen Marienmeister“ (gab es den wirklich?), von den Malschulen her kennt. Das Individuum des Komponisten in Zusammenhang mit vielen weiteren. Da würde die jetzige virulente Neiddebatte versiegen. Wenn einer mal eine wirklich originäre Einzelidee hat, soll er damit auch glänzen. Meist aber würde im Alltag eine solche Gemeinschaft Vieles erleichtern. Dazu dann modularere Schreibtechniken, weniger fix, aufführungsoffen, wie im Frühbarock. Das würde eine echte Offenheit hervorrufen. Bisher bleibt Offenheit nur ein Appell, der z.B. an eine neu gewählte Jury gerichtet wird oder ein neues Regelwerk soll Offenheit konkretisieren, oktryiert aber nur wieder neue Zwänge.

    Letztlich wird es den einen oder anderen neuen Weg schon geben, es sind tatsächlich Trippelschritte, aber durchaus mächtige. Wer hätte z.B. vor zwei Jahren schon von diesem Blog hier geträumt? Jetzt können wir uns jenseits der üblichen Symposien und Statements freier denn je äussern, auch wenn es da immer wieder persönlich unterschiedliche Auffassungen dazu gibt. Dazu die Entscheidung, ob man den bestehenden und wenigen änderungswürdigen Institutionen den Kampf ansagt oder hier aussteigt. Ich denke da z.B. an so jemanden wie Wolfgang von Schweinitz, der nach den frühen Neunzigern einer weiten Schicht der damaligen Neuen Musik immer unbekannter wurde, seinen Stil vollkommen änderte. Er baute mit plainsound an einer neuen Plattform mit, wurde immerhin in den USA akademisch aufgenommen, hier herrscht meist noch Pariadenken ihm gegenüber. Oder man pendelt zwischen den Welten, wie der hier schon öfters angeführte Leopold Hurt. Der nimmt gerade die Bastionen der hehren Wettbewerbe, andererseits trifft man ihn mit DJ’s zusammenarbeitend in Nachtclubs an. Da wird in anderen Foren noch als Vision angeführt, mit welchem hehren anderen Ziel auch immer, heutige aus der Neuen Musik kommende Musik mit experimentelleren DJ’s, Rappern und Bands mal jeweils eigenständig in Konzerten zu paaren (so o. so ähnl. Strieder!), derweil Hurt das schon in einer Person vereint.

    Ich selbst wollte z.B. momentan gnadenlos gereimte Politschlagworte erst allein komponieren, in einer Art Extrem-Weill-Allusion. Jetzt zieht es mich dazu wieder zu Hölderlin als Kontrapunkt. E-Gitarre und Banjo fehlen auch nicht, wie spektrale Klänge, einfache Linien, viel Geknarze, Mensuralkanonspiralen, etc. Der eigentlich mir verhasste Rap sitzt auch im Nacken. So mau das manchem erstmal klingt, zeigt es aber doch, wie multipel man sich jetzt schon beeinflussen lassen kann, selbst von einem eher unschönen Dingen, die dennoch eine gewisse Anziehungskraft ausüben.

    Es liegt in den Institutionen, es liegt in uns selbst, es liegt in unserer wiederzufindenden, viel weiter als bisher gehenden Gemeinsamkeit (Dombaumeister!!), es liegt eigentlich Alles vor uns. Nur hält uns ein lästiges Alt-Avantgardisten-Denken immer noch ab, die Äpfel von diesem Baume zu pflücken. Und ich sage Euch: es wird keine Vertreibung aus dem Paradiese geben! Denn selbst der Paradiesklassiker war eine Vertreibung durch Menschenverbote… Also Aufklärung von der Aufklärung!!

    Gruss,
    A. Strauch

  42. strieder sagt:

    Schöner Post, querstand btw. Alexander, meine Worte waren auf facebook, deshalb den betreffenden Teil dann noch mal hier ;)

    Ich sprach davon, das ein grosses Problem in der „Neuen Musik“ ein verkehrtes Marketing sei: Üblicherweise richtet sich nämlich das „Marketing“ nur entweder an solche, die nur ihren Beethoven hören wollen („Klassik-Hörer“), oder solche, die schon wissen, was sie erwartet („Neue Musik-Hörer“). [Ich gehe z.B. grundsätzlich nicht auf Konzerte, bei denen moderne/Neue Musik mit Klassik kombiniert wird, denn man kann sich leider keine halben Konzertkarten kaufen …]

    Dabei werden die Berührungspunkte von Neuer Musik und Underground-Richtungen immer grösser, und ich meine das jetzt gerade nicht im Sinne einer Annäherung auf beiden Seiten, sondern in der Erforschung des Materials auf der Underground-Seite. Es gibt z.B. beliebte Metal-Bands, die von den gespielten Noten her ausschliesslich atonal und dissonant musizieren. Und was vom Publikum einfach nur mit „das klingt geil“ quittiert wird ;)

    Wie wäre es denn mal mit Konzerten, die solche Berührungspunkte suchen, ohne sie selbst herstellen zu wollen. In denen einfach Stücke aus verschiedenen Richtungen gespielt werden – sozusagen Crossover, aber nur beim Konzertveranstalter ;)

  43. Pèter Köszeghy sagt:

    @strieder – bravo :-) das hätte man nicht besser formulieren können. Aber im Ernst: ich glaube genau da sollten wir (bzw. die, die nicht das „plupsplups“ und „HURTZ“ weiterhin zugehörig „fühlen“ nach eine, in die Zukunft zeigende Linie schauen. Weil da sind die Leute – sorry wegen des Ausdrucks – nicht versaut mit vorgegauckelten stilistischen Merkmalfetischismus. Also daher und eben deswegen bin ich dran, mit einem Blockflötentrio, der Verzerrt ist in WACKEN aufzutauchen :-) – – – ehrlich: „Uncle Harry“ würde das nicht genug „angepasst“ finden und in D.eschingen feiert man sich weiterhin nur selbst – daher Mahnkopf hat schon recht mit seinem Aussagen – totes Materia, das sich selbst feiert.
    Ich würde jedoch mit dem bezeichnung „crossover“ etwas vorsichtig. Diese ist leider schon zu sehr mit Negativem behaftet….

  44. Erik Janson sagt:

    „I have a dream…“- Erste Schritte zur Ent-Hermetisierung und Demokratisierung der zeitgenössischen Musik-Szene(n)

    Es wird z.Zt. – ob Strohfeuer, nur Theaterdonner oder nicht wird sich zeigen – in Blogs, wie dem Badblog der nmz, wieder mal darüber diskutiert, gebloggt, wie die zeitgenössische Musik in Zukunft die Voraussetzungen für die Chance entwickeln kann, trotz kurzfristig schwieriger, teils auch als „gescheitert“ angesehener „Vermittlungsprogramme“ (wie Netzwerke Bundeskulturstiftung, Responce-Programme) für eine breitere Öffentlichkeit interessanter zu werden, sich in der modernen, demokratischen Gesellschaft damit mehr bzw. weiterhin zu „legitimieren“ und bei der drohenden Rotstift-Orgie der Subventionen noch „am glimpflichsten“ davon zu kommen.

    Damit dies realisiert werden kann und die zeitgenössische Musikszene wieder offener, vielfältiger, auch demokratischer und solidarischer untereinander (inner-systematisch) wird, müssten folgende Dinge (die national wie international leider ganz und gar nicht erfüllt sind!) realisiert werden. Meiner Einschätzung nach muss dies binnen der nächsten 3 (maximastl 5-7 Jahre) geschehen. Ansonsten droht der zeitgenössischen Musik der finale Kollaps, und es bleibt ein Museum, ein Mausoleum übrig von „Klassikern der Moderne (bis Anfang 21. Jh.)“ übrig aber keine lebendige Szene mehr, kaum noch (oder schlimmstenfalls keine) Konzerte. Was müsste also geschehen (erster Maßnahmen-/Forderungen-Katalog)?

    1. Schaffung absoluter, öffentlicher Transparenz bei Kompositionswettbewerben, Stipendienvergaben sowie sämtlichen Vergabeverfahren an Musikhochschulen (angefangen von der C4-Kompositionsprofessur hin zur kleinsten Musiktheorie-Stelle). D.h.: Es sollte lückenlos folgendes öffentlich gemacht werden: a) Wie setzen sich die Jurys zusammen in Person und Funktionen? b) Welches einzelne Jurymitglied hat für welche Partitur/Komponisten/Bewerber gestimmt und aus welchen Gründen (detaillierte, sachbezogene Begründung an Hand von Werkanalyse, öffentlich einsehbares Begründungsexposé jedes einzelnen Jurymitgliedes zu jeder seiner Entscheidung ). Allein die Qualität der Werke/Komponisten/Bewerber etc. dürfen Kriterien für Preisvergaben etc, sein, nicht mehr Beziehungen.

    2. Um Günstlingswirtschaft und Benachteiligung von Bewerbern ohne „Beziehungen“ auszuschließen und auch von vorne herein zu vermeiden , dass (latent, nicht eruierbar) auf Gremien/Jurymitglieder Einfluss genommen werden kann, dürfen sämtliche Jurys zu Kompositionswettbewerben /Stipendien, zu Vergabeverfahren von Stellen an Hochschulen erst NACH den Juryentscheidungen veröffentlicht werden (nicht vorher, wie es derzeit noch meist gängige Praxis ist).

    3. Es muss durch gesetzliche Maßnahmen ausgeschlossen werden, dass z.B. Jurymitglieder ehemalige (oder gar aktuelle) Studenten oder von Dritten (bekannten/befreundeten Kollegen o.ä.) empfohlene Bewerber für einen Preis/Stipendium/Stelle vorschlagen oder aber – wenn selbst in einer Jury/Gremium sitzend – sogar für ihre eigenen Studenten/Bekannte/ von „Bekannten“Empfohlenden Kandidaten votieren dürfen. Kommt dies dennoch vor, so müssen die Entscheidungen juristisch anfechtbar sein. Allein die Qualität der vorliegenden Partituren/Arbeiten/Bewerbungen darf das Kriterium für die Vergabe von Kompositionspreisen, Stipendien, Hochschulstellen etc. bilden. Keinerlei „Referenzen“, Empfehlungsschreiben oder ähnliches dürfen mehr Kriterien sein. Es muss durch ein Kontrollsystem (das Internet böte genug Möglichckeiten) überwacht werden, ob sich alle Institutionen an diese wünschenswerten Vorgaben zu mehr Transparenz und Chancengleichheit halten.

    4. Sämtliche Alters- oder Herkunftsbegrenzungen für Bewerber von Kompositionswettbewerben oder Förderprogrammen (z.B. auch wie Portrait-CD des Deutschen Musikrates, Ed. zeitgenössische Musik) müssen umgehend abgeschafft werden. Stattdessen sollte die OFFENHEIT aller Wettbewerbe und Ausschreibungen hinsichtlich Alter und Herkunft (Region) gelten. Um die Chancen der jungen Generation gegenüber älteren Bewerbern dabei zu wahren z.B., sollte eine Quote in jedem Wettbewerb (je nach Institution und Zielsetzung) eingeführt werden, z.B.bei der Preisvergabe (z.B. Preis 1. 2. und/oder 3. Preis dürfen bei Wettbewerb xY nur an Komponist/innen „unter 35, oder unter 40“ oder z.B. „aus der Region XY“ vergeben werden.) Aber bewerben dürfen sich ALLE. Dieses System wäre allemal gerechter als das bisherige, wo bestimmte Personen/Gruppen ja VON VORNE HEREIN von zu vielen Bewerbungsverfahren – und zunehmend – ausgeschlossen werden.

    5. Es muss verboten werden, dass Kompositionswettbewerbe/Stipendienbewerbungen o.ä. für Bewerber eine Teilnahmegebühr erheben, die über den Betrag einer wirklichen „Bearbeitungsgebühr“/Bürogebühr/Rückportogebühr“ i.H. von maximal 10-15 Euro hinaus geht. Jeglichem Wettbewerb, der eine Teilnahmegebühr von über diesem Satz erhebt, muss die öffentliche sowie auch private (oder steuerlich absetzbare Privatförderung) verweigert werden, da dann a) entweder Selbstbereicherung+/- begünstigung des Austragenden/Veranstalters des Wettbewerbs Nahe liegt oder b) die Finanzierung von Preisgeldern (und/oder Jury-Honoraren) letztlich „auf Kosten“ (Teilnahmegebühren) der dann nicht premierten Bewerber erfolgt (somit eine Scheinförderung und ein extremst unseriöses, korruptes Verfahren vorliegt). Letzteres ist zweifellos der Fall, wenn man z.B. von Wettberwerben hört (wie in Italien tw.) wo bis zu 150 Euro mittlerweile an „Teilnahmegebühr“ für Wettbewerbe verlangt werden. Begründung: selbst in der freien Wirtschaft ist so etwas nicht üblich. Die Verfahren, die in der Kunst und Kultur immer noch vielfach als „gängig“ praktiziert werden, hinken hinter der sowohl deutschen wie europäischen Arbeitsgesetzgebung in Punkto Sozialverträglichkeit und Gerechtigkeit meilenweit hinterher.

    6. Jeglichem Wettbewerbs-Veranstalter muss absolut untersagt werden, Bedingungen/Klauseln fest zu schreiben wie „die Jury behält sich vor, den Preis NICHT zu vergeben“ oder „die Entscheidung der Jury ist unanfechtbar“. Wettbewerbe, die diese Bedingungen weiterhin praktizieren, dürfen nicht mehr öffentlich (d.h. von Steuermitteln) gefördert werden, auch nicht von steuerlich absetzbaren Privatmiteln oder -vermögen, weil diese Klauseln potentiell der Willkür Vorschub leisten, Preise ungerechtfertigt nicht zu vergeben und Mittel, die einmal für einen Wettbewerb (von Drittförderern) gezahlt wurden zweck zu entfremden.

    7.Alle zu vergebenden Kompositionsaufträge, auch diejenigen bei sämtlichen öffentlich und durch Stiftungen (mit-)finanzierten (großen) Musikfestivals, Rundfunkanstalten, Fernsehen etc. (wie Donaueschinger Musiktage, Wittener Tage für Neue Kammermusik, ECLAT Festival etc.) müssen sämtlich und rechtzeitig ÖFFENTLICH ausgeschrieben werden, sodass jeder qualifizierte Komponist die Chance erhält, sich für einen Kompositionsauftrag zu bewerben und im Falle eines im Bewerbungsverfahren erhaltenen Auftrages die Komposition rechtzeitig zu beenden.

    Es darf nicht mehr Praxis sein, dass Kompositionsaufträge z.B. auf Empfehlungen oder auf Grund nur von persönlichen Vorstellungsgesprächen/ Beziehungen von Komponisten bei Entscheidungsträgern vergeben werden. Stattdessen müssen auch hier (bei Kompositionsaufträgen für Rundfunk, Fernsehen, Festivals etc.), genau wie bei Kompositionswettbewerben, unabhängige Jurys, den Regelungen 1-6 folgend, o.g. Kompositionsaufträge vergeben.

    Deutschland könnte/sollte Vorreiter bei diesen (kultur-)gesetzlich fest zu schreibenden Regelungen werden, jedoch ist schnellstmöglich eine Internationalisierung solcher Regelungen auf EU- und auch transatlantischer Ebene – ja global – an zu streben. Ebenso muss es eine international einheitliche Regelung her, dass in jedem Land nur eine begrenzte Zahl von Wettbewerben nur mit nationaler Beteiligung zulässig sein darf. Denn es ist z.B. ebenso ein Missstand, dass z.B. in Ländern wie den Niederlanden überwiegend einheimische Komponisten gefördert werden und kaum international.
    Dass hierzulande aber im Verhältnis mehr nicht-einheimische Komponisten gefördert und mit Preisen ausgezeichnet werden als irgendwo sonst ist eine Errungenschaft, die bewahrt werden und an denen sich auch andere Länder ein Beispiel nehmen sollten.

    Einen Großteil dieser oder ähnlicher Forderungen äußerten bereits Pèter Koeszeghy und Thomas Heyde 2002 bei ihrer Aufmerksamkeit auf sich ziehenden „Donaueschingen Schelte“, als sie die großen Festivals (stellvertretend Donaueschingen) und die Hermetik der Neue Musik-Szene kritisierten und viel Zuspruch, auch von tw. prominenten Leuten der Szene erhielten. Leider nur für kurze Zeit und solange sie im Focus der (leider heute immer schneller oberflächlich verfliegenden medialen Aufmerksamkeit) bleiben konnten. Und leider hat sich bisher kaum etwas zum Besseren/Vernünftigeren gewendet sonder es ist tw. noch verfilzter, schlimmer geworden in der Szene, sodass die Unzufriedenheit wächst und sowohl Qualitäten als auch Wahrhaftigkeiten der Musik, wie wir alle „instinktiv“ (Moritz Eggert) spüren, darunter leiden.

    von Erik Janson, Montag, 17. Januar 2011 um 19:24

  45. Erik Janson sagt:

    Ergänzend zu meinem obigen Beitrag!
    BRAVO STRIEDER !! BRAVO Koeszeghy!
    Triffe auf den Punkt!

  46. spicciolino sagt:

    Einerseits fehlt mir schlicht die Zeit zu so bewundernswert langen und fundierten Kommentaren, wie sie manche schreiben. Andererseits lese ich aus Nebensätzen wie „zum Mitschreiben für ‚Uncle Harry'“ oder „Uncle-Harry-Revolutionäre“ heraus, daß manch einer meine Meinung hier schon a priori genau zu kennen scheint. Nein, ich bin nicht empfindlich, mir ist einfach der Ton hier nicht gelassen genug. Wenn einem schon unbekannterweise ein Stempel aufgedrückt wie dann erst bekannterweise? Bereitet es so viel Unbehagen wenn man die passende Schublade nicht zumachen kann?

    Der ständig polemisierende Unterton vieler Beiträge und die ja eher tagebuchartige Form eines Blogs scheinen mir nicht die geeignetste Plattform für eine ästhetische Diskussion zu bilden. Das mal vorweg. (Aber es heißt beileibe nicht, daß ich hier nicht auch hervorragende Beiträge zu lesen fände, danke an Moritz und Alexander).

    Frz. „révolution“ meint ja, daß sich etwas umdreht. Ich finde eine Umwendung ästhetischer Kategorien im Zeitalter des allgemeinen Internetgebrauchs in unserer Community nichts Geheimnisvolles mehr. Der dauernde Kontakt mit meinen Kompositionsstudenten zeigt mir, daß die jetzt 20jährigen solche „unüberbrückbaren Gegensätze“ wie New York School gegen Darmstädter Serialismus, „Neue Einfachheit versus Avantgarde“ oder die Henze-Lachenmann-Kontroverse längst als historische Schlachten ansehen, die mit ihrer heutigen künstlerischen Lebenswelt wenig zu tun haben: alles ist gleichzeitig verfügbar und präsent. Vielleicht ist damit also auch ein Generationenproblem verbunden: wir in den 60er/70er Jahren Geborenen haben die früheren Grabenkämpfe zwar noch hautnah über unsere Lehrer mitbekommen, müßten sie aber eigentlich nicht in unserer Generation reproduzieren.

    Passend dazu lese ich nach bei Janson „wer will das alles noch lesen, die vielen verlinkten Blogs und noch so ‚positiv‘ denkende Blogs mit den vielen langen, intellektuell sicher hochwertigen Beiträgen“. Wie wahr, wie wahr, für Blogs – aber eben auch für die Flut real komponierter neuer Musik. Das Zeitalter kanonisierbarer Referenz-Meisterwerke ist zuende, wenn das nicht ein Umschwung ist. Damit bleibt letztendlich jeder ästhetisch auf sich selber gestellt.

    Die digitale Revolution hat letztendlich heute dazu geführt, daß Stücke, die ohne Stromanschluß aufgeführt werden können, als antiquiert gelten – zumindest wird es immer schwieriger, dafür überhaupt noch Förderung zu bekommen. Trotzdem halte ich es für anachronistisch, an einem Begriff vom Komponisten als reinem Partiturproduzenten festhalten zu wollen (natürlich bei der GEMA unter „Anzahl der geführten Stimmen“ am leichtesten klassifizierbar). Das wäre allerdings ein ganz neues Thema, und dem geschätzten Kollegen Kreidler stimme ich da in vielem nicht zu, aber die Bestandsaufnahme bleibt.

    Ich habe auch keine Definition für „Kitsch“, und so vehement wie hier als vermeintlicher Gegensatz dazu „Wahrhaftigkeit“ eingefordert wird, so sehr tintinniert es mir in den Ohren: das klingt mir ein wenig zu moralinsauer für unseren im Allgemein so leicht korrumpierbaren Berufszweig: ich wette so mancher hier würde vieles dreingeben für einen Orchesterauftrag, und nur wer sich einem Angebot des Arditti-Quartetts oder einer Rundfunkanstalt verweigern kann, werfe den ersten Stein. Im Übrigen hat, als Soziologe, der gute alte Adorno selig zur gesellschaftlichen Bittstellerposition des Komponisten viel Wahres geschrieben.

    Damit sind wir beim Lamentieren wie es bei manchen Wettbewerben und Hochschulen zugeht: ja, darin könnte auch ich, wie viele andere, einstimmen, und Deutschland steht Italien darin keineswegs mehr nach. (Willkommen Made in Germany im Club der Nationen!) Aber waren diese Institutionen denn schon jemals Maßstab und Nabel der Welt? Um sie zu reformieren, müßten wir ja hauptberuflich eher bei transparency international einsteigen als Musiker zu sein. Zu diesem Kampf gegen die Windmühlen fühle ich mich ebensowenig berufen wie in der Lage.

    Seien wir doch bei aller Verbitterung mal ganz ehrlich: wenn einer es geschafft hat, ordentliches Mitglied bei der GEMA zu werden, dann ist doch ein Satz wie „falls ich nochmal „entdeckt werden darf“ Jammern auf hohem Niveau, nicht nur, wenn ich an das Heer der angeschlossenen und außerordentlichen Mitglieder denke. Jammern auf hohem Niveau ist allerdings fruchtlos und recht typisch für den deutschen Kulturbetrieb. In England erlebe ich da in jeder Hinsicht anderes.

    Im Hintergrund enden – wie die Faust aufs Ohr – die Reger’schen Hiller-Variationen und mit deren Schluß fugt sich das Ganze hier zuende, fragmentarisch und inkohärent wie es ist. Trotz aller Fuge hat ein Ravel den Rompreis weder bekommen – noch gebraucht. „Also: weiterkomponieren. Aber still, bitte!“!!

    Harald Muenz

  47. …warum schmeisst eigentlich Mahnkopf sein gesponsortes oder aus professoren-Gehalt leicht finanzierbares i-Pad nicht an und ruft hier mal zur Unordnung? Weil er – ausser sich – nix mehr wahrnimmt? (War dialektisch anreflektiert, aber nicht zu Ende gedacht) Sorry: Theo
    @ Max: Es ging um „Pseudo“-Genauigkeit. Die ist ja wohl das moralische Grundmuster aller Schwyzer… Auf die Konten der Steuer-Vermeider ein Schluck bretonischer Whisky…

  48. Max Nyffeler sagt:

    Theo: Bitte um Empfehlung der Whisky-Marke, mit deren Hilfe ich die Genauigkeit meines Denkens erhöhen kann!

  49. …vielleicht kein Whisky – aber ein Pflümli? Da kann ich dir alten Backpflaume auch gern weiterhelfen, markig markenorientiert…

  50. Pèter Köszeghy sagt:

    Lieber Harald Muenz, in vielen Hinsicht haben Sie sicherlich recht (betreffend der „Sprache eines Blogs“ – damit meine ich den Talk-show artige. Und da haben Sie ganz sicherlich recht, es ist nicht unbedingt ein Platz, der für tiefgehende phylosofische und intellektuelle Diskurse eignet. Sicher und Leider – dafür wird soein blog mit GEdankenfluten und Informationmengen über/unterdrückt, so, dass man das Wesentliche ganz von d. Augen verliert). Einen kleinen Kommentar möchte ich mir jedoch erlauben, betreffen der „Revolution“ – ich muss daran etwas „herumkauen“ weil ich glaube, da ist etwas, was nun nicht ganz stimmt, was Sie schreiben. „Digitale Revolution“ – meiner Meinung nach ist es überhaupt keine „Revolution“ also keine „Umdrehung“ gewesen, das Digitalisierung und das Digitale in was in der Musikkunst (auch) passierte. Es ist einfach eine Folge von gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen die allgemein in der Welt sowieso passierten. Daher: es wurde für mich da nichts „umgekehrt“ sondern weiterentwickelt. Daher sehe ich diese Entwicklungen überhaupt nicht als Revolution, da diese nichts geändert, sondern nur kollektiv und kontinuierlich umgeformt haben. Es gab kein „weg mit der bisherigen“, sondern GERADE diese „Bisherige“ wurde mit anderen Mitteln einfach umgedeutet und verformt…(((ich danke Ihnen jedoch, dass Sie ihre Bemerkung „es hätte ein Revolution schon stattgefunden“ mehr erörtert haben!) Viele Grüße an Alle, Pèter

  51. Pèter Köszeghy sagt:

    für Herr Nyffeler:

    http://www.spirituosenworld.de/produkte/scotch/details/talisker_18.html

    der schmeckt ganz lecker :-)

  52. Erik Janson sagt:

    @ Harald (alias spiccolino),

    wir kennen uns ja, zumindest flüchtig, haben
    uns einige male gegenseitig bei Konzerten in Köln gesehen, besucht etc. Gut, mit „Uncle Harry“ glaubte ich, dass sich hier jemand wirklich Maßgebender auch (mal?) aktiv, d.h. schreibend ins Bloggeschehen eingeschaltet hätte. Wer, dann „Uncle Harry“ gewesen wäre, das wissen wir alle. So kann man sich irren, schade. War nicht davon ausgegangen, dass ausgerechnet Du hinter „spicciolino“ steckst oder auch am Ende mit „Uncle Harry“ nterschreibst.

    Und (ich bloggte es immer mal wieder) bzgl. „kennen“/Sich-Identifizierbar machen: Ich finde es besser, offener und (vielleicht ja nicht nur für mich, der ich manchmal was viel schreibe – zugegeben) motivierender, wenn man sich hier gleich mit richtigem Namen meldet. Vor allem dann, wenn man – wie Du sicherlich!!! – manch Substanzielles zu sagen hat.

    Ich war ja schon öfters in St. Peter, schätze auch vieles von der elektronischen Musik die Ihr da macht und was Ihr da auf die Beine stellt etc. Aber, dass es allgemein als „anachronistisch“ gelten soll, Musik, die auch ohne Strom aufführbar ist [man denke auch an die steigenden Strompreise und die sicher im Zuge der Kürzungen auch sinkenden Musiker-Honorare ;-) !] zu komponieren, diese Auffassung teile ich nicht.

    Die Rvolution findet nicht (mehr) inzwischen mit Laptops, Max Msp., Komponiersoftware statt; da bin ich z.B. mit Moritz oben sehr auf einer Linie. Und ich bin auch nicht so sicher, ob sich die meisten wünschen (oder so kommen wird), dass es für anderes kaum noch Förderung wird geben können. Warten wir´s ab.

    Weiterhin scheinst Du, sollte das Folgende auf mich bezogen sein, dann meine zugegeben langen Beiträge nicht ganz gelesen zu haben, wenn Du z.B. schreibst:

    Seien wir doch bei aller Verbitterung mal ganz ehrlich: wenn einer es geschafft hat, ordentliches Mitglied bei der GEMA zu werden, dann ist doch ein Satz wie “falls ich nochmal “entdeckt werden darf” Jammern auf hohem Niveau,

    Nochmals also: Das von Moritz war ein Scherz-Beitrag, über den ich (Moritz) auch im Nachhinein nicht besonders glücklich bin, wie wohl ich Humor habe, wie Du weißt. Aber zur Klärung nochmals: ich bin KEIN ordentliches sondern außerordentliches GEMA-Mitglied und auch weder „verbittert“ noch würde ich irgendwie gewaltsam oder im Hauruck-Stil weder bei GEMA noch sonst was „durchdrücken“ wollen, was die Mehrheit der E-Komponisten (leider) nicht zu wollen scheint.

    Insgesamt, lieber Harald, klingen mir Deine Ausführungen oben ein wenig relativistisch, was die Replik meiner Kritikpunkte und Reformvorschläge anbelangt.
    Nach dem Motto: war es nicht schon immer so, dass…?
    -„Immer dieses „Gejammere“ auch…
    -„Warum“ akademische Missstände/ die offizielle Linie ändern?
    Quasi: Nur die „Underground-„Szenen, die ganz Jungen, die etc. können alles umkrempeln. Na super.
    Und das, wo Du in dem Hochschulbetrieb mit drin bist.
    Klar, dass man dann dazu tendiert, so zu argumentieren.

    @ Geissler (daher): ich fürchte, weder unser hier viel zitierter „CSM“ noch der RICHTIGE „Uncle Harry“
    würden hier ihren iPod anwerfen.

    Warum? Schiss, was „Falsches“ zu sagen oder etwas, was das „Weiter-So“ der Festivals, des subventionierten Betriebes in Frage stellen könnte? Man äußert sich lieber „revolutionär“ (oder klug, moderat, wie auch immer) in eigens herausgegebenen Fachzeitschriften oder Büchern mit (vergleichsweise) kleinen Auflagen, die in unseren Kreisen gelesen werden. „Unkontrollierte“ Verbreitung von ehrlichen Meinungen wäre ganz, ganz schlecht…

    Allmählich denke ich auch, es wird Zeit sich mit dieser Tatsache abzufinden, dass es außer Schweigen, Tarnungen leider nicht viel neues gibt und hier wirklich und konsequent keine Energien mehr zu vergeuden. Ein Alexander macht ja auch schon sein eigenes Blog „Positiv Denken“ auf.

    Ich kann ja dann trotzdem noch mit Moritz einmal im Jahr am Rande Bier und Zuckerrohrschnaps trinken. Man kann sich dann weiter privat nett austauschen und auch – Harald – „Stille, stille, kein Geräusch gemacht“ (altes Weihnachtslied) weiter komponieren.
    Das alles geht natürlich auch.

  53. jungs, jungs, und mädels und jungs. WARUM endet hier immer alles in persönlichen Befindlichkeiten???? Das ist traurig und nervt, und verdirbt die Lust – schade.

  54. Erik Janson sagt:

    @Koeyzeghy,

    Berliner junge, dafür machst Du aber hier wieder ganz schön selber mit bei der reinen „Befindlichkeits“-Talkshow hier (?) Und: frei von Befindlichkeiten bist Du ja sicher auch nicht. Die gehören einfach zum Komponist-Sein dazu, zum Menschsein allgemein.

    Aber vielleich hast Du Recht in einem anderen Punkt, falls du das auch implizit damit rüber bringen wolltest:
    Sich noch drüber zu ereifern oder aufzuregen oder dafür einzusetzen, dass z.B. die Punkte, die ich oben in „I have a dream“ … nochmal oben nannte, irgendwann nur ansatzweise Realität werden könnten, von denen Du ja auch schon träumtest damals 2002, das scheint mir immer aussichtsloser und Energie-vergeudender.

    Ich fühl mich in meine Pennäler-Zeit versetzt, wo ich damals noch naiv-anpasserisch, nach einem Motto gefragt für die Abizeitschrift, was einem an der Schule/Schulsystem nicht passe sagte: ES gibt so viele Dinge, über die man sich aufregen könnte, dass man es auch gleich sein lassen kann.

    Und heute?: erlebt man mit Ü40, Ü …, dass dieser jugendliche Satz zur schützenden Lebensweisheit wird, die einem hilft, in diesem Betrieb noch durch zu halten.

    Schönen Tag Euch,
    Erik

  55. @Herr Janson: oh jemini! Ich meinte nicht Sie persönlich. Tut mir leid, wenn Sie sich von mir angesprochen fühlen. Ich meinte Alles in Allem: es ist zu beobachten: jedes Mal, wenn etwas direkt ohne Scheu hier angesprochen oder kritisiert wird, wird es von einigen in einer Richtung geleitet, wo am Ende das „Beleidigtsein“ und „schützen der eigenen Befindlichkeiten“ stehen. Das nervt und dadurch vergeht die Lust am Diskussion. Und man hat keine Lust mehr das hier alles durchzulesen. Das ist Schade…Es gab in diesem Blog am Anfang sehr viele interessante und substanzvolle Gedanken, worüber man gut Diskurs führen könnte. Nachdem aber nun die BEfindlichkeiten wieder d. Überhand gewonnen haben, ist es hier nur noch eine Art (ich gebe Harald Muenz absolute recht) schlechte Talk-Show – es fehlt nur noch, dass Einer hier herumflucht. (((Vielleicht fragt Jemand mal den Arto Simon. Der kann das doch so wunderbar! :-)))

  56. Max Nyffeler sagt:

    @ Schamane Köszeghi: Danke für den Tip, sieht prachtvoll aus – aber vom Preis her bereits Verlegerniveau!

  57. @Max: Du bist allerherzlichst nach Regensburg zu diversen Verprobungen eingeladen – allerdings ist mein Verleger-Niveau etwas dürftig…

  58. Max Nyffeler sagt:

    Super! Dann bringe ich die vom Schamanen empfohlene bottle mit. Als Termin würde ich erste Februarhälfte vorschlagen.
    (Themenwanderung, perfektes Morphing: vom Untergang der neuen Musik zum Whisky – oder sind es einfach zwei Seiten deselben Medaille?)

  59. spicciolino sagt:

    @ CSM:
    Also, Claus-Steffen, wir wollen jetzt alle wissen, ob Du schon Dein iPad hast (oder erst einmal das der 2. Generation abwartest ;-)!

    @ Pèter:
    Boldog új évet – bin gerade von zwei glücklichen Wochen Budapest zurück: dort hat die digitale Revolution auch flächendeckend stattgefunden, der WLAN funktioniert kostenfrei fast überall. Natürlich ist sie die Folge technologischer und nachfolgend gesellschaftlicher Entwicklungen. Ich vermute, wir sind uns da im Prinzip einig, egal, ob wir das dann „Weiterentwicklung“ oder „Umwälzung“ nennen möchten. Aber aus dieser Entwicklung folgt eben ein veränderter Umgang mit und Blick auf die Kunst, nicht nur durchs Publikum, sondern durch den Künstler selbst. Für die Fotografie leuchtet das recht unmittelbar ein, aber z.B. Hans-Magnus Enzensberger hat das für sein eigenes Schreiben interviewweise schon einmal bestätigt. Daher sind Computer und Internet nicht nur halt irgendwelche neuen Hilfsmittel, sondern sie greifen nicht unmaßgeblich ins Denken und damit in die Inhalte ein. Ein ganz plattes Beispiel sind Cut and Paste oder Undo, die so auf Notenpapier früher nicht möglich waren, aber eben auch die gleichzeitige weltweite Verfügbarkeit fast jeder Musik jederzeit. Was das mit der „Aura“ macht, hat ja Walter Benjamin in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorausgeahnt. All diese und noch mehr Veränderungen sind für eine neue Generation schon immer selbstverständlich. Und da wir hier alle ja offenbar auch ziemlich viel vor unseren Computern und/oder iDevices sitzen, sind wir mittendrin. So wie z.B. seinerzeit die 1789er-Revolution und ihr Gefolge das Denken andernorts (z.B. von Beethoven) maßgeblich verändert haben, so hat diese – scheinbar viel lautlosere – Revolution die Kunst und ihre Perzeption verändert, und dieser geistige Wandel in progress betrifft alle, nicht nur die, die in Ihrer künstlerischen Arbeit den Computer ganz direkt zur Klangerzeugung oder Partitursynthese einsetzen. In diesem Sinne ist Johannes Kreidler zwar „bloß“ die Spitze des Eisbergs, aber die ist zum Glück nicht so ganz stumpf.

    @ Erik:
    (Ich geb‘ zu, ich hab nicht sofort realisiert, daß „Uncle Harry“ in der Neuen-Musik-Szene mit einem bestimmten Namensträger assoziiert werden könnte. Harry nennen mich Freunde (die nicht Musiker sind); ich hab da schon länger mal „Uncle Harry“ draus gemacht. Und spicciolino ist ja quasi eh mein Nachname.)
    Nö , relativistisch finde ich mich nicht, ich ziehe auch nicht den Schwanz ein, ich empfinde mich nur als gleichmütiger als noch vor zehn Jahren. Natürlich macht es einen ruhiger, wenn der Lebensunterhalt nicht zu 100% vom Komponieren abhängt, sondern einen eine feste Stelle finanziell absichert, wenn man nicht auf Teufel komm raus hinter Aufträgen herjagen muß, sondern wirklich schreiben kann was man will. Sag ich mal so ungeschützt. Jedenfalls hab ich seit 2005 so gut wie gar nichts Elektronisches mehr gemacht, sondern reine Instrumental- bzw. Vokalmusik, weil mich die beschriebene Entwicklung hin zum digitalen Total-Hype abgestoßen hat, und ich für mich ein antizyklisches Verhalten zum Mainstream richtig fand (auch wenn der das vermutlich gar nicht zur Kenntnis nimmt). So gern ich auch mal einen Text ausarbeite, als Künstler kann ich zuerst einmal nur in meiner Kunst auf die Realität reagieren. Ich glaube nicht, daß die „offizielle Linie“ (die ich so einseitig gar nicht sehe) durch Manifeste geändert werden kann, das wär‘ ja auch ex cathedra. Das Bewußtsein ändert sich langsam und es komponieren heute viel mehr Leute als früher, und immer mehr, die keine akademische Ausbildung haben, ja sie sogar gar nicht mehr wollen oder brauchen. Natürlich würden wir alle – mich eingeschlossen – gern mit unserer Kunst mehr Gehör finden, aber ich gehe davon aus, daß instrumentales Komponieren und das Notenschreiben selbst immer mehr zu einer kostbaren Nische wird. Das ist vergleichbar mit dem Schreiben von Lyrik.
    @ Alexander:
    „Positiv denken“ – ja, denn mir geht’s dabei besser als beim Lamentieren. So simpel so gut. In Frage stellen tu ich sowieso alles.

    @ Geißler:
    Sind diese *hick* Regensburger Re-aktionssitzungen eigentlich öffentlich?!?

  60. spicciolino sagt:

    @ Eggy:
    Hm, bin eigentlich nicht gerade dafür bekannt, Konfrontation und Konflikt aus dem Weg zu gehen und finde „Revolution“ einen schönen und ausgesprochen wertvollen Begriff; er büßt allerdings viel von seinem Reiz ein, wenn davon bloß revoluzzerhafte Attitüde in den Medien übrigbleibt, und die Kunst selber nicht ans Eingemachte geht. Ich glaube nach wie vor daran, daß Musik die Wahrnehmung schärfen und nicht weiter zukleistern sollte, was ja sonst schon allerorten passiert. Daher kann es für mich nicht einfach nur darum gehen, die Zuschauerzahlen für unsere Konzerte zu erhöhen. Ich habe nichts dagegen, kulturpolitische und pädagogische Maßnahmen sind natürlich wichtig, die ästhetische Auseinandersetzung muß aber vor allem im und durch das Kunstwerk selber stattfinden. Wer soll das denn sonst machen, wenn nicht wir? Die Finanzierung muß vor allem in die Kunst fließen, und nicht – wie es derzeit überhand nimmt – in erster Linie in den Betrieb, zu den Funktionären, oder in die Kunstpädagogik – bei schlecht geförderter Kunst wird auch dieser ganze Rahmen mit der Zeit überflüssig!

    Festivals sind für mich kein Jahrmarkt, eher Messen für uns Insider: die braucht es als „Branchentreff“, und ich fahre ausgesprochen gern nach Donaueschingen, obwohl naturgemäß nur ganz selten etwas künstlerisch Extraordinaires passiert. Um zu einem der großen Festivals eingeladen zu werden, mußt Du zwangsläufig einen gewissen Konsens auf Deiner Seite haben, sonst lädt Dich keiner ein. Deine Beobachtungen kann ich ansonsten weitgehend bestätigen, ich messe dem nur nicht so überragende Bedeutung bei, obwohl ich mich auch ärgere, wenn z.B. – wie vor zwei Jahren in Donaueschingen – ein ganzer Festivaljahrgang einem einzigen Komponisten geopfert wird, der dort auch nicht zum ersten Mal zu Gast war. Aber Du schreibst ja selbst („Motivation der Leipziger“, „Kämpfen um einen neuen Raum für Kunst“), daß die aufregenden Dinge außerhalb der etablierten Festivals laufen bzw. laufen müssen. Das finde ich nicht so schlimm, solange sie da tatsächlich stattfinden können und nicht alles von Leuchtturmprojekten etc. (siehe oben) aufgefressen wird.

  61. @Harald – jetzt verstehe ich natürlich, wie du „Revolution“ gemeint hast: JA, in Ungarn. Das ist von dieser Sichtweise ganz sicher richtig, und passend, das GEschechens dort so zu bezeichnen. Ohne Frage! Aber 1., in Ungarn sind die Zustände generell anders, dort ist ein „plötzliche“ Wandel viel einfacher, weil die Menschen nicht sich an „vergangene Wohlzeiten“ wie in Dland verharren. Sie sind dort beweglicher, und bewegen sich auch gerne – wenn es darum geht, die eigene Egsistenz dadurch zu verändern – wie das dann ausgeht, interessiert sie nicht. Dadurch sind die Leute dort natürlich auch viel viel mehr manipulierbarer – in positivem Sinne! 2., ich bezog das Wort „Revolution“ eher auf das Land hier, wo ich lebe und arbeite. Daher hat es mich gewundert, was genau denn wird damit gemeint: weil hier, in Deutschland ist es noch längst nicht so weit. Bzw. ich habe leider noch nichts davon gemerkt – die paar „Pseudo“ Notebook Künstler die hierzulande ihren „unwesen“ treiben, bewegen sich in einem ganz gewohnten Rahemn, und machen nichts Neues, ausser sich theatralisch auf die Bühne zu setzen mit ihren Laptops und irgenwelche unkontrolllierte Geräusche aus dem Gehäuse rauslassen ohen darüber bewusst zu sein, was diese für künstlerische Gestaltungsformen annehmen könnte, wenn es nicht immer nur um das Selbstdarstellung (und um die Kasse, die stimmen muss) ginge….Es gibt natürlich Ausnahmen und ich hoffe, die werden immer mehr aus ihren „Löchern“ rauskommen :-)

    Beim Thema bleibend, aber doch etwas anderes: WARUM sollte man zum Beispiel bei dem diesjährigen MATRIX 11 Kurs in Frieburg, das „Perspektiven der Live Elektronik“ heisst, bei dem Dozenten Ferneyhough und Mark Andrè hingehen und über „Elektronische Musk“ bzw. Live-Elektronik etwas „neues“ erfahren, bzw. überhaupt etwas anhören zu müssen ((ein unernste Frage: haben Ferneyhough und Andrè mit Elektronic und digitaler Kunst überhaupt etwas zu tun???)) ??? Warum wird nicht zb. Georg Hajdu, oder Essl oder Du gefragt (also die Künstler, die darüber wirklich eine Ahnung haben!), bei diesem Kurs als Dozent zu unterrichten?

  62. spicciolino sagt:

    @ Pèter
    Das war mein regionaler Fokus von Anfang an: „Die Revolution ist stillschweigend längst passiert, nur haben wir das in DEUTSCHLAND vielleicht noch nicht registriert.“ Aber ehrlich gesagt: wer spricht im Ausland schon viel über Deutschland, wenn es ausnahmsweise (!) mal gerade nicht um die Neue Musik mit großem N geht?

    Ja, die Manipulierbarkeit ist groß, auch das blinde Schauen auf ein „Vorbild USA“, nicht nur in Ungarn, ich sehe das auch in Polen, Tschechien, der Ukraine, den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens etc. Aber Ungebildete gibt es überall, ansonsten sind die Leute dort ja nun nicht gerade prinzipiell dümmer als hier, sondern, zum Beispiel – wie auch Du bemerkst – möglicherweise flexibler. Das ist keineswegs bloß eine Charakteristik Osteuropas, obwohl es da sehr auffällt. Ich spüre diese Aufbruchsstimmung auch in der Türkei (sorry, liegt geographisch natürlich auch im Osten Europas) und, in abgeschwächtem Maß, in westlichen Staaten wie England, Italien oder sogar den USA – eine große Neugierde, die wir Deutsche dann gern mal eben als „naiv“ abqualifizieren. Kurz nach der „Wende“ gab es das auch bei uns, zumal in Berlin. Jetzt wird wieder eher auf hohem Niveau gejammert. In Deutschland spüre ich keine Aufbruchsstimmung sondern Besitzstandverteidigung und Pfründe.

    Den Zusammenhang zwischen „Enno“ und musikalischer „Revolution“ habe ich meines Wissens übrigens nicht hergestellt.

    Wer meinen Werdegang und meine ästhetischen Vorlieben kennt, weiß, daß ich nicht für „Musik aus dem Bauch“ plädiere, und jetzt lege ich noch einen drauf: Deutschland ist vollgefressen und schwerfällig wie ein Tanker. Für einige wenige ist die neue Musik zum saturierten, selbstzufriedenen Versorgungswerk geworden, und das versuchen sie natürlich mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, aber in der Regel leiden die künstlerischen Ergebnisse unter solch ausgesorgter Behäbigkeit.

    Ich verstehe übrigens gar nicht, was Du hast, Pèter, das ist doch eine supergeile MATRIX 11 da in Freiburg: guter Wein, schön badisch Essen, das sind die echten Perspektiven jenseits der Live-Elektronik, die einem selbst so ausgewiesene real-time-freaks wie Mark und Brian nicht madig machen können!! Und es ist beste Tradition dort unten: vergiß nicht, daß auch der absolute Elektronik-Crack Wolfgang R. aus K. im Beistand des SWR-Experimentalstudios sitzt! (Oder lieber Whisky in Regensburg…?)

  63. Erik Janson sagt:

    @ Harald

    Um zu einem der großen Festivals eingeladen zu werden, mußt Du zwangsläufig einen gewissen Konsens auf Deiner Seite haben, sonst lädt Dich keiner ein.

    Ja, aber wer BESTIMMT diesen „Konsenz“ und oder: was verstehst Du darunter? Das würde mich interessieren. MIt Deinen obigen Punkten ansonsten, dass Förderungen nicht immer mehr allein für die KunstPÄDAGOGIK sondern auch wieder mehr für „normale Konzerte“ ausgegeben werden werden dürfen sollten, damit bin ich sehr d´accord. Spricht auch mir aus der Seele. Dank für Deine aufklärende Antwort. Deinen Spitznamen „uncle harry“ kannt ich noch nicht. Ich muss zugeben: mir geht es nicht so gut derzeit leider,finanziell und ich wäre schon auf mehr Aufführungen/Aufträge angewiesen. Aber dennoch lehne ich auch manche Anfragen ab, die mir entweder zu vage sind oder nicht wirklich musikalisch lukrativ für mich, vor allem seitens gewisser Musiker, die mich ansprechen. Aber das ist ein anderes Thema.

    Und: ich bin auch ab und zu gern bei den großen Festivals
    und mag die und finde ja auch, dass sie weiter bestehen MÜSSEN! Nicht umsonst hieß mein Blogging „I have a DREAM…“, was Änderungsvisionen bzgl. Festivals und Hochschulwesen betrifft. Und wenn ich die großen Festivals nicht mögen würde, bzw, wenn sie mir gleichgültig wären, dann würd ich ja gar nicht „meckern“.

    Schönen Abend, vielleicht treffen wir uns mal irgendwann live in Cologne, bin ja nicht weit weg. Bin immer sehr für Begegnungen und Austausch,
    wie ich hier ja auch unter Beweis gestellt habe schon und bin – wer mich kennt – keineswegs Jammerer.
    Erik

  64. @Harald: Danke für Deine klärende Zeilen! In beinahe aller Hinsicht sind wir also gleicher Meinung :-) Daraus kann man wiederum was bauen…..

    Bitte sage mir doch bescheid, wenn Du wieder in Ungarn was machst. Würde gerne auch dabei sein mit meinem UBUNTU Linux-Distribution – wenn da Kurse angeboten werden :-)

  65. querstand sagt:

    @ Harald: „Positiv Denken“ – zugegeben, diese schöne Zuschreibung durch Moritz macht mich hoffentlich nicht NLP-verdächtig… Was aber tatsächlich dringend geboten scheint: Strukturdebatten weiter intensiv führen (s. Juryfragen, etc.), dennoch sich auch fragen, wo einem selbst neue künstlerische Möglichkeiten einfallen. Das ist gerne auch leicht strukturgeprägt, wie Peter und Du sich oben über die Frage der Digitalisierung austauschten, ich das Unwort Vernetzung ein wenig aufpolierte, etc.

    Du sprichst von copy, paste und undo, denke an einfache oder programmierbedürftigere Programme, die das Material in parametrischen x-Varianten auflisten, aufmalen. Viele Kollegen bedienen sich da des Audiosculpt/Openmusic/Finale-Pfades, andere mehr kleine Kisten über PD, Max, etc. bauend. Wie auch immer und was auch immer nutzend, viele Operationen fallen extrem leichter, sind daheim statt im Uni-Rechenzentrum möglich, eben einfachere Infra-Strukturen. Denkt man an das Laptop-Lederhosen-Land: viele Gemeinden knapsen an einfachen, neueren Entwicklungsfragen immer noch rum, da nach wie vor ein den Balsungszentren vergleichbarer schneller Netzanschluss fehlt, entspr. kleine, feine Dienstleister dort nicht mit den besserbestückten Konkurrenten mithalten können, Gewerbesteuern entegehen, etc. Da wirkt selbst in einem so in der Breite hochtechnisierten Land wie Deutschland ein wenig schnelleres DSL wie die erste Stromleitung für ein russisches Dorf.

    Davon abgesehen: Notenbilder am Rechner von grundauf erstellt unterscheiden sich von grundauf manuell erstellten (wenn auch später in ein Schreibprogramm gehackt) wirken oft so ähnlich verschieden wie der allmähliche Übergang von der spätbarocken zur Sturm-und Drang Faktur, auch ein langsamer Wechsel. Mir erscheinen übrigens hochexpressive tonale Partituren von 1909 weniger unterschiedlich von denen in 1913 oder 1920, trotz der Radikalisierung der Tonsprache, als jener schleichende Wechsel im 18. Jahrhundert. Wir sollten generell also mal mehr Zeit auf neue ästhetische Möglichkeiten verwenden, gerne natürlich auch jenseits der Rechnerfrage, wie Wahrnehmung, Inhalt, neue Instrumente, etc. Z.B.: was hat man Neues in den letzten Jahren gemacht, an seinen eigenen Prozessen entdeckt, auch wenn es noch eine so kleine Entwicklung sein sollte.

    Ja, und eines doch noch zum Netz: allein der Umstand heute viel einfacher mal PDFs von Kollegen zu sehen, das macht die Informationsarbeit so sehr einfacher, effektiver, erfreulicher, wie es vor 10 Jahren noch nicht denkbar gewesen ist…

    Gruss,
    Alexander

  66. Uwe Teisler sagt:

    Es geht auch anders:

    Eric Whitacre, zeitgenössischer, wohl sehr erfolgreicher Komponist, der ohne Subventions-Sauerstoff-Beutel in der ach so garstigen Welt überlebt:

    http://www.zeit.de/kultur/musik/2011-01/eric-whitacre-virtual-choir

    Herzlich
    Teisler

  67. spicciolino sagt:

    @Teisler
    Klar, auf Vermarktung im großen Stil zu setzen ist ein Weg, den viele gehen. Fragt sich nur, inwieweit man noch künstlerische Risiken eingehen kann und will, wenn man davon abhängt, den Markt zu bedienen, damit Geld aufs eigene Konto kommt. Die Gefahr besteht übrigens nicht weniger stark bei Leuten, die sich innerhalb des Sytems der subventionierten neuen Musik eingerichtet haben. Und Kunst ohne Risiko des Abstürzens gerät in der Folge dann schnell zum Kunsthandwerk.

    Ich gehe deshalb einen anderen Weg: mein Geld verdiene ich hauptsächlich mit meiner festen Kompositionsstelle, so daß ich existenziell unabhängig bin und mich künstlerisch von den Verführungen der Marktwirtschaft weitestgehend freihalten kann.

  68. eggy sagt:

    @Uwe:
    Meinst Du diese Empfehlung wirklich ernst? Wo geschieht bei Herrn Whitacre irgendetwas ästhetisch interessantes oder für unsere Zeit relevantes?
    Heute zu überleben als freischaffender Komponist ist noch keine Auszeichnung des Werkes, sonst müssten wir alle Geschäftsmodeller wie Norbert Linke verehren allein weil er davon leben kann…

  69. Erik Janson sagt:

    @ Uwe,

    bin glücklich nicht so zu sein wie mein von Dir (doch wohl scherzhaft?) hier hinein gebloggte, smarter Vornamensvetter. Und ich bin auch noch nicht in dem Alter für „Fischerchöre“, weder virtuell noch live.
    UNd: link bin ich ebenfalls nicht und möchte es niemals werden.

    @ Harald, ganz Deiner Meinung,
    gut, wenn man – wie ich – nunmal noch keine Stelle hat aber vom Unterrichten sein Brotauskommen ungefähr, dann
    ist man auch in gewisser weise unabhängiger bzw. so, wie man sich halt fühlt und innerlich stark bleibt. Ich versuch da auch immer wieder positiv zu denken. Aber das wird nicht eben leichter.

    @Alexander. Einige kluge Gedanken. Aber (@INternet/Digitalisierung), was ich auch schon in einem persönlichen Gespräch zu Harry Lehmann sagte am (das war nach dem Arno-Treffen):

    Ich bin sehr skeptisch und glaube nicht an eine Ent-Institutionalisierung oder Schwächungen der Institutionen
    durch Digitalisierung allein, durch neue Komponiersoftware, reine Technikmöglichkeiten schon gar nicht. Denn: Die Institutionen bleiben ja trotzdem in gewisser weise in sich geschlossen. Es bleibt hermetisch, vielfach intransparent, TROTZ (oder gerade wegen der vom Wesentlichen „ablenkenden“ Digitalisierung! – so meine These). UNd: die entscheidenden Beziehungen, Kontakte etc. und die Wege, wie man z.B. zu großen Aufträgen, Preisen oder wie auch immer kommt/kommen KANN potentiell, wie man in den Fachleute-Diskurs, den Festival-Diskurs eingreifen kann die verlaufen weiter jenseits des INternet/Cyberspace.

    Und – klar – Preise, große Aufträge, Festivaleinladungen etc. haben noch nichts mit Qualitätbeweisen zu tun. Das weiß ich auch. Aber das wird halt immer wieder (immer noch) allgemein, von Medien, von der Mehrheit der Leute geglaubt, selbst in unserer recht übersichtlichen Szene.

  70. TW sagt:

    Interessanter Beitrag. Doch Kunst wird von Künstlern gemacht und es wundert mich ein wenig, dass hier Leute, die offenbar selbst schaffende Künstler sind, über eine ideale Zukunft fantasieren anstatt diese Zukunft mit ihren Werken selbst zu bestimmen.

    Leute, die glauben, dass unter diesen und diesen Voraussetzungen bedeutende Kunst möglich wäre, sind völlig auf dem Holzweg oder schlicht zu mittelmäßig um sich als künstlerischen Individuum als absolut zu begreifen.

    Große Künstler haben etwas messianisches, d.h. wenn sie da sind, „erkennt“ man sie. Und zwar deshalb, weil sie absolut sind, d.h. selbst ihre eigenen Regeln bestimmen und nicht greinen, weil sie nicht beachtet werden oder das System sie schlecht behandelt.

  71. Lieber Moritz,

    großartig geschriebener Brief!!! Danke dafür!!

    Herzlich aus Wien from Breinschmid Schorsch :-)

  72. eggy sagt:

    @Georg: Schön, dass Du immer noch regelmäßig hier vorbeischaust! Und dass bei Deinen vielen, vielen tollen Aktivitäten…

  73. strieder sagt:

    Zum Thema „Wahrhaftigkeit“ und dem Pachten derselben als einzige „Wahrheit“ ist mir soeben ein Schönberg-Zitat über den Weg gelaufen, das ich nicht vorenthalten möchte:

    „Der Irrtum verdiente einen Ehrenplatz, denn ihm verdankt man es, daß die Bewegung nicht aufhört, […] daß die Wahrhaftigkeit nie zur Wahrheit wird […]“

  74. Max Nyffeler sagt:

    Hallo John Strieder,
    ich sehe gerade mehr oder weniger zufällig Ihr Schönberg-Zitat. Das trifft die Sache genau: Wahrhaftigkeit und Wahrheit sind zwei verschiedene Dinge, wobei die Wahrhaftigkeit als ein subjektive Kategorie wesentlich ist für die Kunst. Sie postuliert eben nicht eine allgemein verbindliche Wahrheit, sondern nur die „Wahrheit des (einzelnen) Kunstwerks“.
    Anzumerken wäre, dass „Wahrheit“ im philosophischen Sinn seit der Aufklärung auch nichts Absolutes mehr ist. „Was ist Wahrheit?“, der von Nietzsche aufgegriffene Spruch von Pilatus ist in seiner Abgründigkeit zwar perfid, aber eben doch ZIEMLICH WAHR und aktuell. Ein scharfsinniger konservativer Kulturkritiker wie Papst Benedikt nennt das Relativismus. Dabei hat er die heutigen trivialen Erscheinungsformen dieser Einsicht im Blick, wie sie der materiell emanzipierte, aber geistig orientierungslose Kleinbürger Westeuropas praktiziert. (Das aber im Unterschied zur relativen, weil falsifizerbaren Wahrheit der exakten Wissenschaften.)
    Das war jetzt eine kleine sonntägliche Denkübung.

  75. spicciolino sagt:

    @Max Nyffeler

    Hm, „der materiell emanzipierte, aber geistig orientierungslose Kleinbürger Westeuropas“ … wer gesteht sich schon gern ein, ebenfalls zu den Orientierungslosen zu gehören?

    In seiner lesenswerten Analyse der UK riots („the UK rioters had no message to deliver“) hat Slavoj Žižek zum Verlust des politischen Sinnes viel Notwendiges geschrieben, u.a.:

    „… When the [Greek] protesters started to debate what to do next, how to move beyond mere protest, the majority consensus was that what was needed was not a new party or a direct attempt to take state power, but a movement whose aim is to exert pressure on political parties. This is clearly not enough to impose a reorganisation of social life ….“ (http://www.lrb.co.uk/2011/08/19/slavoj-zizek/shoplifters-of-the-world-unite)

    Warum sollte es in der Kunst prinzipiell anders sein?

  76. Max Nyffeler sagt:

    Wer gehört zu den genannten Kleinbürgern? Wir alle, ich zum Beispiel.
    Zizek: Das ist eine rein politische oder sogar tagespolitische Antwort auf eine viel tiefer reichende Frage. Der Leninist Zizek, taktisch schlau wie sein Vorbild, propagiert hier mit seinem respektheischenden Rückgriff auf „Greek protesters“ das Modell der Grünen (z.B. Stuttgarter Bahnhof): Druck von der Straße auf das Parlament, diese „Schwatzbude“ (Lenin), um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.
    Wohin führt das? Wenn die Grünen die ersehnte Macht errungen haben, verhalten sie sich – mit Abstufungen – genau gleich wie die anderen. Bei den Bolschewiki war das ja nicht anders (sogar noch schlimmer).
    Insofern hat das mit der Frage nach Wahrheit, wie auch immer die sein soll, nichts zu tun, und schon gar nicht mit Wahrhaftigkeit, sondern höchstens mit den Ideen von politischen Wurstverkäufern wie Trittin oder Gisy. (Gerne erwähne ich auch noch 18%-Westerwelle oder Rettungs-Schäuble, um nicht in Verdacht zu kommen, parteipolitisch zu argumentieren.)
    Diese Ebene halte ich aber für völlig uninteressant und bitte um Entschuldigung für meine unverhüllte Abneigung.

  77. spicciolino sagt:

    @Max Nyffeler

    Zu den Kleinbürgern gehören wohl die meisten aus unserem Bereich, mich natürlich eingeschlossen. Meine Idee war es, trotzdem einmal über das Tellerrändchen der neuen Musik hinauszuspähen.

    Lesen Sie nochmal genau: Zizek unterstreicht ja gerade, im Gegenteil, daß dieser „Grüne“ Ansatz zu wenig ist. Und seine Analyse der Situation (siehe Link zum ganzen Text) finde ich schwer zu entkräften.

    Dabei geht es eben genau nicht um bloß tagespolitische Fragen, sondern um eine fast globale Befindlichkeit, in die unsere kleine Musikwelt – zwar wie immer mit etwas Verspätung aber mittlerweile durchaus: miteingeschlossen ist.

    Allgemeinverbindliche Wahrheiten hat und will keiner mehr (Gott und der Papst bewahren!), aber die Absenz von Kriterien wird trotzdem überall beklagt. Der Ruf nach bedingungsloser „Wahrhaftigkeit“ klingt gut, ist aber auch längst zur hohlen Schimäre verkommen: heute genügt es, medial den Ruf des „asketischen Predigers“ (den Rest des Lachenmannzitats lasse ich bewußt weg) zu haben.

    Auch finde ich im 21. Jahrhundert den Rückgriff auf die moralisierenden Kategorien des Protestantismus problematisch. Da es keine eine Wahrheit mehr gibt, wer wollte dann woran die „Wahrhaftigkeit“ eines Künstlers oder Kunstwerks messen? Das könnte wieder nur „aus dem Bauch heraus“ getan werden. Prinzipiell nichts dagegen, das wirft die Musikwissenschaft allerdings noch mehr in eine generelle Kriterienlosigkeit.

    Als Komponisten setzen wir zunächst einmal ästhetische Fakten durch das, was wir schaffen. Für mein Gefühl schlagen sich (unter anderem) Souveränität und Gelassenheit beim Arbeiten in Intensität nieder – vielleicht ist es das, was Sie mit Wahrhaftigkeit meinen?

  78. Max Nyffeler sagt:

    Lieber Harald Muenz,
    wie Sie richtig bemerkt haben, habe ich nicht den ganzen Text von Zizek gelesen, sondern mich nur auf das Zitat bezogen. Ich habe aber einfach nicht den Nerv, den ganzen Text zu lesen, weil ich Zizeks politischen Ansatz, wie gesagt, insgesamt uninteressant finde. Auch als virtuoser Schaudenker interessiert er nicht nicht. Ich vermute stark, dass er in diesem Text der Meinung ist, spontaneistische Aktionen seien nutzlos, solange sie nicht in einen organisatorischen (und, was er wohl verschweigt: parteigesteuerten) Zusammenhang überführt werden. Das ist Lenins Kritik am Spontaneismus, formuliert in „Was tun“. Doch Lenins einbalsamierter Leichnam ist so viel ich weiß aus dem Mausoleum entfernt worden. Da müsste auch Zizek seine Ideologie mal entrümpeln und nicht nur wortreich taktische Camouflage betreiben. Aber das typisch für diese alt-orthodoxen Theoretiker, die können ihre dialektischen Winkelzüge nicht lassen.

    Ihren Vorschlag, den Begriff Wahrhaftigkeit mit Inhalt zu füllen, halte ich für viel interessanter. Der Begriff Intensität ist da sicher wichtig, aber zunächst einmal genauso unbestimmt wie Wahrhaftigkeit. Klar aber scheint zu sein, dass beides eine rein subjektive Angelegenheit ist, eine „Bauchfrage“, wie Sie anmerken.
    Ich möchte das gerne noch etwas kommentieren: Wenn Sie auf Ihr Gefühl rekurrieren, woher beziehen Sie dann die Sicherheit, dass es Sie richtig bzw. in „wahrhaftiger“ Weise lenkt? Sie vertrauen also offenbar auf etwas, das außerhalb der rationalen Entscheidungen liegt, und erwarten, dass andere Menschen das ebenso haben und Ihre Intentionen dadurch erkennen können. Vielleicht ist das der „Mechanismus“, durch den beim Empfänger der künstlerischen Botschaft der Eindruck von „Wahrhaftigkeit“ aufkommt?
    Von mir aus kann man das auch anders nennen. Auf die Bezeichnung kommt es mir nicht an, sondern auf den Geist, der in diesem offenbar allgemein gültigen Kommunikationsvorgang zum Tragen kommt. (Der existiert mit oder ohne den medial zum Musik-Erlöser stilisierten Lachenmann.) Und vielleicht liegt gerade in diesem kommunikativen Apriori, das sich unserem Willen entzieht, noch eine „allgemein verbindliche Wahrheit“?

  79. Max Nyffeler sagt:

    Nochmals zu Zizek: jetzt habe ich doch noch rasch in seinen Text hineingeschaut und den Schluss gelesen. Der lautet: „This [die spontanen Bewegungen] is clearly not enough to impose a reorganisation of social life. To do that, one needs a strong body able to reach quick decisions and to implement them with all necessary harshness.“
    Ich fühle mich bestätigt. Gleiches hat Lenin von seiner Rednertribüne herabgebellt, um den Aufbau seiner zentralistischen Partei („a strong body“) zu propagieren. Brauchen wir das? Eine EZP, Europäische Zentralpartei, in der die Protestbewegungen kanalisiert werden, um „quick decisions“ in „all necessary harshness“ durchzusetzen? Die Kommissare (ich meine die in Brüssel) würden sich freuen. Aber auch wenn es schon ein Kommissariat gibt: So ein Putsch ist heute nicht mehr so leicht zu machen, da muss Herr Zizek noch etwas länger reden.