Gedanken zur Intendanz von Heiner Goebbels

Wie schon nebenan zu lesen war, wird Heiner Goebbels neuer Intendant der Ruhrtriennale. 3 Jahre lang wird er dem renommierten Festival eine eigene Prägung geben. Zum ersten Mal ist ein Komponist für diese Aufgabe bestellt worden.

Werbung

Wie ist diese Entscheidung zu bewerten? Ich persönlich freue mich sehr über diese Ernennung. Heiner Goebbels ist eine hochinteressante Figur der Musikszene. Er ist nicht wirklich zu fassen, nicht wirklich einzuordnen, was ich als große Qualität empfinde. Ein großer Schwerpunkt seines Werkes ist das Musiktheater, er selber ist hierbei oft auch als Regisseur tätig, ist also mehr als prädestiniert dazu, über Theater ein fachmännisches Urteil zu haben, eine interessante Auswahl für sein Festival zu treffen. Über seine Stücke wird in der „Szene“ entweder extrem begeistert oder extrem ablehnend gesprochen, was das Beste ist, was einem als Komponist passieren kann.
Das „seriöse“ Neue-Musik-Feuilleton schreibt relativ wenig über ihn. Man wird Artikel über ihn eher in der Theaterfachpresse als in der Musikfachpresse lesen, bei den üblichen Festivals ist er kaum bis gar nicht vertreten, während seine Stücke gleichzeitig weltweit touren und hohe Besucherzahlen haben. Er wirkt schon seit längerer Zeit ebenso erfolgreich als Lehrer. Ich habe ihn leider nur einmal persönlich getroffen, wir traten gemeinsam bei einem Symposium in Berlin über Musikkritik auf, und die „Abnutzung“ bei diesem Thema war bei ihm sichtlich zu spüren.

Für mich ist das ein Phänomen: Einerseits klagt die Szene stets über die fehlende Vermittelbarkeit von Neuer Musik (dazu brauchen wir dann als Behelf z.B. „Sounding D“) dann gibt es aber einen Komponisten wie Goebbels, dem die Vermittlung aus dem Werk heraus spielend gelingt, mit Stücken voller Humor, Lebendigkeit und Esprit, und über ihn wird – zumindest von den „Fachleuten“ erstaunlich wenig geschrieben. Gerade heute konnte man in der FAZ wieder einen langen, äußerst hymnischen Artikel des guten Gerhard Rohde über die Musik von Rolf Riehm (der aus dem selben musikalischen Frankfurter Umfeld wie Goebbels stammt) lesen. Über Riehm (der in dem Artikel wie so oft dann auch mal als „Rihm“ falsch geschrieben wird, der arme Mann*) und Rihm kann man regelmäßig in der Musikkritik überschwänglich lesen, über Goebbels eher selten (dann eher in der Theaterkritik). Manchmal hat man den Eindruck, Goebbels ist in seiner eigenen Welt, in seiner eigenen Liga, von seinen Interpreten hochgeschätzt, von der (musikalischen) Fachwelt unterschätzt.

Als ich über die Ernennung von Goebbels las, dachte ich mir sofort: warum ist dieser Mann einerseits so präsent, andererseits so gleichsam unpräsent? Es gibt andere wie ihn – zum Beispiel den großartigen Harald Weiss, dem immer wieder musikalische Inszenierungen von großer Magie gelingen. Über ihn liest man überregional viel zu wenig. Auch in der jüngeren Vergangenheit: Mauricio Kagel ist ein weiterer Fall eines Komponisten, der immer wieder von den „Fachleuten“ sehr kritisch beäugt wurde, besonders dann, wenn er am humorvollsten und skurrilsten war. Die Liste der in der Fachwelt als leicht „dubios“ weil zu „erfolgreich“ oder publikumswirksam geltenden Komponisten (so kommt es immer wieder heraus in Gesprächen mit Kollegen und Kritikern) könnte endlos fortgesetzt werden, viele davon wird man auf ECM-CD’s (fast schon eine eigene Subszene, was nicht nur gut ist) finden, Pärt, Gubaidulina, Bryars, Glass, Tan Dun, etc. Nicht, dass ich alle diese Komponisten persönlich gleichermaßen schätzen würde, aber es ist doch erstaunlich, welche Diskrepanz da oft in den Betrachtungsweisen aufscheint, welch großen Unterschied es zwischen der Betrachtung der Liebhaber und des Publikums zum Urteil der Fachleute gibt. Allein den Namen Alfred Schnittkes in bestimmten Kreisen zu erwähnen, erzeugt schon Tobsuchtsanfälle. Warum nicht mehr Gelassenheit? Ich könnte mir sehr wohl ein spannendes Konzert vorstellen, in dem zum Beispiel Ferneyhough zusammen mit Schnittke, Mahnkopf zusammen mit Philip Glass erklingt. Gerade aus dem Kontrast würden beide Welten nur gewinnen.

Hauptvorwürfe an die „Erfolgreichen“ sind immer die der Albernheit, bzw. Läppischkeit, zu großer Esoterik oder der Publikumsanbiederung. Ein John Cage aber hätte sich zumindest zwei dieser Vorwürfe gefallen lassen müssen, am Anfang wurde ihm vieles auch übel genommen. Dann gelang ihm aber der Imagewechsel zum weisen Philosophen und genialen Musikdenker, dem man letztlich alles erlaubt, auch das Esoterische und das Alberne (beides zweifellos Elemente des Cageschen Schaffens).

Einem Heiner Goebbels wiederum kann man keines dieser Dinge vorwerfen, er steht, so weit ich es beurteilen kann, für eine sehr offene und unverkrampfte Ästhetik, die sich nicht auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner einlässt. Und er ist einen sehr eigenen Weg gegangen, damit muss man respektvoll umgehen können. Wir haben in diesem Forum schon oft festgestellt, dass eine Art Sprachlosigkeit darob herrscht, dass die „normalen“ Neue-Musik-Karrieren nicht mehr so leicht definiert werden können wie vor 30 Jahren, wo bestimmte Aufführungsorte ein absolutes Muss waren und andere Wege als die etablierten nicht möglich waren. Je mehr neue Wege es aber gibt, desto besser ist es gerade für die, die jetzt am Anfang sind, oder die bisher kein Sprachrohr finden konnten. Jemand wie Goebbels sollte also Hoffnung machen.

Die Musik selber geht aber weiter, unbeirrt, in viel mehr Inkarnationen der Qualität als man gemeinhin meint. Zum Glück!

Moritz Eggert

*es wird das Rechtschreibprogramm gewesen sein – Gerhard Rohde ist natürlich unschuldig. Beängstigend allerdings, dass dieses „Rihm“ statt „Riehm“ schon zu forcieren scheint!

Heiner Goebbels

Heiner Goebbels

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

2 Antworten

  1. alex.s sagt:

    heiner goebbels ist ein gutes beispiel für eine offensichtlich sehr erfolgreiche karriere die kaum was mit der deutschen neue-musik-festival-landschaft zu tun hat. es gibt so viele verschiedene wege um ein erfolgreicher künstler zu werden dass diese fixierung auf ein paar prominente festivals ( donaueschingen, witten, eclat, maerzmusik, ultraschall, biennale) sowie wettbewerbe ( kranichstein, queen elisabeth, gaudeamus, takemitsu, bmw musica viva, stuttgarter kompositionspreis, weimarer frühjahrstage) karriere-technisch zu schmal gedacht ist. die wettbewerbe können eben nur einen gewinner aus manchmal hunderten einsendungen haben, und die festivals haben einen sehr begrentzen anzahl an aufträgen die man vergeben kann. festivalverantwortliche müssen ihre programm-politik mit publikumszahlen, feuilletonzustimmung etc. verteidigen. aus dem grund werden immer wieder rihm und furrer und haas und sciarrino eingeladen. den für die unbekannten namen im programm hat kein festivalmacher die sicherheit dass es gut ausgehen wird. beim mittelmässigen sciarrino oder rihm sagen alle-„ah,früher hatten die mehr drauf“. ein flop mit einem unbekannten komponisten kann sowohl für das festival (an rihm bleckt die feuilleton keine zähne), wie für den komponisten verheerend sein.
    wo der richtige weg liegt, ob im theater (goebbels, meredith monk), self-made ensemble (glass, reich, bang on a can), dem einsatz der interpreten (ustvolskaya, kurtag), elektroakustischer musik, gutem verlag, oder einfach unter einem glücklichen stern geboren zu sein muss jeder für sich selbst rausfinden. benjamin schweitzers bemerkung finde ich klug-man wird nicht einfach so entdeckt, man muss sich bemerkbar machen.
    was heiner goebbels in ruhr vor hat, wir dürfen alle gespannt sein. ich habe keine ahnung was er machen wird, man wird wahrscheinlich am ende sehr überrascht sein.

  2. Stefan Rosinski sagt:

    So sehr die Freude zu verstehen ist, dass hier womöglich einer der „Unseren“ oder „Ihrigen“, jedenfalls einer, der außerhalb des irgendwie Erwartbaren steht (und das als Musiker), so sehr dies zu begrüßen ist, darf doch nicht außer Sicht geraten, was ich in Ermangelung eines Besseren als Realitätsprinzip bezeichnen würde. Die Kulturpolitik folgt ihrer eigenen Logik, und die ist strategischer und gleichzeitig leider oft banaler, als der Künstler es sich in seiner Phantasie ausmalt. Wenn in den Beiträgen hier vom „erfolgreichen Künstler“ die Rede ist, dann ahnt man etwa, was damit gemeint ist – aber das hat leider kaum etwas zu tun mit der Definition desselben durch Ministerialbeamte, die über Berufungen befinden wie beispielsweise der Ruhrtriennale.
    Pardon, man macht es sich zu leicht mit der anklingenden Unterstellung, dass Mittelmässigkeit ein Weg zum Erfolg sei (hier werden Sciarrino und Rihm genannt). Das Gegenteil ist der Fall. Doch müssen sich die Künstler, deren Werke vielleicht tatsächlich technisch überdurchschnittlich sind, die Frage gefallen lassen, warum ihre Arbeiten nicht in einem weiteren Rahmen anschlussfähig werden (ich nehme an, dass dies als „Erfolg“ bezeichnet wird). Damit rede ich keineswegs dem Schielen aufs Publikum das Wort (überleben tut sowieso nur, was historische Relevanz besitzt). Aber das Leben und auch das Werk besitzt immer mehrere Optionen. Man kann ohne weiteres Esoterisches mit Exoterischem kombinieren. Warum nicht die Form wagen, die sich an das gröbere Orientierungsvermögen des Publikums (das immer noch ein „Fach“-Publikum bleibt) annähert – und doch darin, in der Detailarbeit, die künstlerische Linie bewahrt? Ich selbst habe die Maerzmusik mit Sciarrinos letzter Oper an die Volksbühne in Berlin eingeladen, eine Inszenierung von Rebecca Horn. Alle drei Vorstellungen waren ausverkauft, das Publikum am ersten Abend bestand aus der gängigen Theater-Promi-Gemeinde, die im Grunde nicht viel mehr wussten (und auch nicht wissen mussten, um zu kommen) als das Label: „Oper, tragische Liebesgeschichte, bedeutender zeitgenössischer Komponist“. Ich weiss nicht, wie viele der Anwesenden substantiell etwas „verstanden“ haben, Fakt bleibt, dass es zweifelsohne ein „Erfolg“ war: die Menschen mochten es und haben diese merkwürdige „Zwitscheroper“ weiter empfohlen. Warum? Weil sie imstande waren, den Abend mit ihrer Alltagskompetenz zu lesen (und die wenigen Fachleute natürlich mit der ihren). Nietzsche hat das einmal als „doppelte Optik“ bezeichnet: ein Werk zu verabgründigen und dennoch Wohlklang zu erzeugen. Dabei braucht es noch nicht mal den Mannschen Wohlklang. Aber die – sagen wir es im Sinne Roland Barthes‘: mythologische – Anschlussfähigkeit an den gängigen Diskurs. Jedenfalls wenn man „Wirkung“ ernsthaft ins Auge fast. In dieser Hinsicht kann man einiges bei dem an dieser Stelle großen Pragmatiker Hegel lernen, der Kunst, die nicht den Anspruch darauf erheben würde, in die Geschichtsarchive der Allgemeinheit zu kommen, erst gar nicht gelten lassen wollte.
    Nun wird wahrscheinlich jeder Gegenwartskomponist genau das von sich behaupten. Doch wissen die wenigsten leider, was der Theaterpragmatiker Brecht sein Leben lang reflektiert hat: Wie bekomme ich meine Arbeit so auf den Tisch geschmuggelt, dass das eigentlich (politisch) Ungenießbare doch als schmackhaft gilt? „List“ könnte man das nennen. Auch und gerade Alexander Kluge wüsste ein Lied davon zu singen. Und eben Heiner Goebbels. Und er wird den Teufel tun, sein Kapital zu verspielen (das „schützt“ das Publikum vor allzu großen Überraschungen!). Ein Festival zu leiten hat immer auch etwas mit Pädagogik zu tun, und welcher Lehrer (der nie von sich sagen würde, er sei ein Erzieher) möchte schon, dass seine Schüler Reißaus nehmen – sie sollen ja etwas lernen! Dazu hat er ja, neben seinem inhaltlichen Fach, auch Pädagogik studiert.
    Die Logik der Beamten? Zum Ernüchtern: ab 2014 wird Luc Bondy das Festival leiten. Es war also ein Leiter für die vergleichsweise kurze Zwischenzeit von zwei Spielzeiten zu finden. Und da Herr Bondy zu den konservativen Vertretern gehört, steht es gut an, ein zeitlich begrenztes Risiko mit Heiner Goebbels einzugehen, sozusagen als eine Art Alibi. Das freilich soll Goebbels nicht irritieren; ich bin überzeugt, er ist schlau und hintergründig genug, diese Kalkulationen der Politik (Avantgarde legitimiert Konservatismus) subtil zu unterlaufen. Allerdings mit einer doppelten Optik: denn auch er braucht und will volle Säle. Schon für sich als erfolgreicher, d.h. im Wortsinn: be-deutender Künstler.
    Grüße, SR